811. Die Zerstörung von Dornburg.

[717] (Poetisch behandelt von Henninger Bd. III. S. 81 etc.)


Auf der Fläche des Klös- oder Blasenberges liegen heute noch die Trümmer der Stadt Dornburg, Reste vormittelalterlicher Verschanzungen und Gebäude, an die sich eine Art von Pfahlgraben anschließt. Die auf der[717] Spitze der Bergebene einsam gelegene Kirche des h. Blasius, eine der ältesten des ganzen Landes, für welche das Volk eine hohe Verehrung hegt und bei welcher der Gauding gehalten ward, gab dem Gerichte und Berge Blasenberg, zur Herrschaft Ellar gehörig, den Namen.

Auf dieser Bergebene lag im Mittelalter eine Stadt, Dornburg genannt. Einst zog nun ein Zug Kaufleute die Lahn hinauf nach der Stadt, reich mit Waaren und Geld beladen. Als sie aber durch den am Fuße des Berges befindlichen Wald kamen, da stürzten aus dem Hinterhalte die von ihrer Ankunft unterrichteten Knechte einiger Raubritter der Umgegend hervor, und es wäre um das Leben und Eigenthum der Armen geschehen gewesen, wären nicht zufällig die Bürger aus der Stadt ihren Mitbürgern zu Hilfe gekommen. Da wendete sich das Blatt, aus den Angreifern wurden Flüchtige und bald waren die Raubgesellen verschwunden, allein drei aus ihrer Mitte blieben als Gefangene in den Händen der Sieger zurück, Georg von Molsberg, Emich und Rupert von Ellar. Letzterer hatte aber früher öfter das Haus des Dornburger Bürgermeisters, Arnulph Wallberg, als gern gesehener Gast heimgesucht und das Herz der Tochter desselben, der schönen Hildegard gewonnen. Wie ward nun dem Mädchen, als sie ihren Geliebten gefesselt wie einen gemeinen Dieb an ihrem Fenster vorbeiführen sah? Man warf die drei Raubritter ins Gefängniß und als nach wenigen Tagen die benachbarten Ritter von Westerburg, Ellar, Dern und Molsberg vor die Stadt rückten und die Frechheit hatten, die Herausgabe ihrer gefangenen Verwandten zu fordern, wies man sie höhnisch ab und forderte sie auf, ihre Raubgenossen selbst zu holen, aber sich zu beeilen, damit sie sie noch lebend anträfen, denn man werde nicht säumen, ihnen den Prozeß zu machen. Die Ritter umlagerten die Stadt, und versuchten sie erst durch Sturm, dann durch Hunger zu nehmen, allein die Tapferkeit ihrer Bürger machte alle ihre Anstrengungen zu Schanden und sie beschlossen am Weihnachtstag abzuziehen und nur einen kleinen Theil der Ihrigen zum Schein bis zum nächsten Frühling als Vertheidiger des Lagers zurückzulassen. Ein Knecht des Bürgermeisters, der sich verkleidet ins Lager der Feinde geschlichen hatte, brachte die freudige Kunde in die Stadt. Während aber hierüber die ganze Stadt in Jubel schwamm, gab es doch ein Wesen, welches diese Nachricht tief betrübte, dieses war die schöne Bürgermeisterstochter. Sie wußte wohl, daß nun keine Hoffnung mehr sei, ihren Geliebten zu retten. Da raunte ihr der Böse den gottlosen Gedanken zu, die Feinde durch einen unterirdischen Gang, der von draußen in die St. Blasiuskirche führte und ihr bekannt war, in die Stadt zu führen und so ihren Geliebten zu retten, und nicht an ihren Vater, nicht an ihre Mitbürger denkend, eilte sie in dunkler Nacht hinaus durch den Gang ins feindliche Lager. Dort hieß man die Verrätherin gern willkommen und schnell eilte die ganze Schaar der vereinigten Raubritter hinter ihr her durch den Gang in die Kirche, und als eben der Priester am Altar den Segen sprach, da stürmten die Feinde herauf aus dem Bauche der Erde und stürzten mit geschwungenen Waffen nach der Stadt, und der Morgen graute noch nicht, da war Dornburg nicht mehr. Hildegard, die in der Kirche zurückgeblieben war, erkannte zu spät, was sie gethan hatte und als sie durch die Fenster ihre Vaterstadt in Flammen aufgehen sah, da stürzte sie hinaus auf den Friedhof und hinab nach dem Thale zu und[718] dort sprang sie in den aus Basaltgestein hervorquellenden Brunnen. Dort aber schwebt sie noch heute als Schattenbild umher und schreckt die Vorübergehenden.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 717-719.
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