816. Das eiserne Männchen.

[721] (Poetisch beh. v. Henninger Bd. II. S. 26 etc.)


Im Dorfe Schierstein am Rheine lebte ein Fischer, der eine sehr schöne Tochter besaß und bei welcher sich viele junge Burschen, namentlich Winzer den Rang abzulaufen suchten. Sie war aber sehr stolz und ein einfacher Landmann war ihr viel zu gering, vorzüglich nachdem sie gesehen, daß ihr der Ritter von Frauenstein den Hof mache. Ihre Eitelkeit lehrte sie vergessen, daß sie nur eine arme Fischerstochter sei und unmöglich die Gemahlin des stolzen Junkers werden könne. Sie ließ sich in ein sehr vertrautes Verhältniß mit ihm ein und bald hatte sie ihm nichts mehr abzuschlagen. Da kühlte sich die Neigung des Ritters sehr schnell ab, er verließ sie und das arme Mädchen sprang, um ihre Schande nicht offenkundig werden zu lassen, in die Fluthen des Rheins. Von Stund an aber stieg in nächtlicher Zeit an der Stelle, wo sie den Tod gesucht, ein Flämmchen prasselnd aus dem Strome und schwebte hinauf nach den Mauern des Frauensteins, welche es bis zum Morgengrauen nicht wieder verließ. Der Junker sah das Flämmchen oft, allein im Rausche der Feste, welche er auf seinem Schlosse gab, vergaß er es wieder. Endlich aber schlug auch seine Sterbestunde, im Harnisch und Wehr, wie er im Leben gewesen, ward er zur Gruft seiner Ahnen bestattet, allein in der nächsten Mitternachtstunde kam das Flämmchen hinab zu ihm in die Gruft und hieß ihn aufstehen und trieb ihn hinab zum Rheine. So sah man jede Nacht zur selbigen Stunde einen Ritter im eisernen Harnisch mitten durch die Weinberge auf dem Pfade, der heute noch den Namen des eisernen Männchens führt, hinabeilen nach dem Strome, gejagt von einem ihn verfolgenden Flämmchen.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 721.
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