888. Der See bei Rotenburg.

[766] (S. Zeitschr. a.a.O. S. 213.)


Unterhalb Oberellenbach bei Rotenburg zeigt man auf dem Wachholderberge zwei Seen. Der unterste, nach dem Dorfe zu gelegen, ist im Jahre 1689 mit großem Geräusch und zum Erstaunen der Dorfbewohner ganz eingesunken und stellt bis heute noch eine ansehnliche Vertiefung ohne Wasser dar. Der höher liegende Teich ist 3 Acker groß und 18 Klaftern tief, wie sich nach einer auf Befehl des Landgrafen Karl vorgenommenen Messung ergeben hat. Das ziemlich klare Wasser desselben nimmt weder zu noch ab. Hier wohnen drei Seejungfern, welche früher zur Kirmeß nach Oberellenbach kamen, an den Lustbarkeiten Theil nahmen, mit den Burschen tanzten und jede Nacht zu einer gewissen Stunde verschwanden. In einer Nacht aber, als auch die Stunde schlug, konnte eine der Jungfrauen sich von ihrem Tänzer, welcher ihr eine große Neigung eingeflößt hatte, noch nicht trennen und so sah sie sich zu ihrem Schrecken plötzlich allein zurückgelassen. Die Burschen und Mädchen des Dorfes begleiteten sie mit Musik zum See. Mit lautem Wehklagen öffnete sich die Fluth sie zu empfangen und kaum hatten sich die Wellen über sie geschlossen, als ein Strom von Blut aus der Tiefe quoll und den ganzen Spiegel roth färbte. Seitdem sind die Seejungfrauen nicht wieder gekommen. Nach nicht langer Zeit ward die Kinderfrau in Oberellenbach gerufen, einer Wöchnerin im See beizustehen. Diese folgte dem Boten, blieb drei Wochen unten und wurde dann mit dem hinter der Thüre liegenden Kehricht beschenkt nach Hause entlassen, wo sie aber statt des Kehrichts blanke Goldstücke in ihrer Schürze fand.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 766.
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