1014. Wie kam die Grafschaft Vechta an Münster.

[841] (S. Nieberding in d. Mittheil. Bd. III. S. 37.)


Des letzten Grafen Otto von Ravensberg Wittwe Sophia lebte mit ihrer einzigen Tochter Jutta einsam auf ihrer Burg zu Vechta, ihren Gatten und Vater betrauernd. Jutta war nicht schön, aber als reiche Erbin lockte ihr Besitz manche Bewerber um ihre Hand herbei, welche die Einsamkeit der beiden Frauen unterbrachen. Unter diesen Bewerbern zog der junge Conrad, Sohn des Grafen von Diepholz, Juttens Aufmerksamkeit vorzüglich auf sich und es gelang ihm, dieselbe zu fesseln. Aber ihm war es mehr um eine gute Tafel als um den Besitz Juttens zu thun; hinterher spottete er über ihre Leichtgläubigkeit und ihren Mangel an Schönheit. Doch diese Treulosigkeit wurde Jutten hinterbracht und sie klagte sie ihrer Mutter und beide beschlossen beim nächsten Besuche Conrads sich Wahrheit zu verschaffen oder sonst Rache an ihm zu nehmen.

Nicht lange blieb Conrad aus, er traf die Mutter allein in ihrem Zimmer, welche ihm Vorwürfe über das, was sie erfahren, und über seine Untreue machte, welche Conrad aber mit den feierlichsten Betheuerungen zu entkräften suchte. Da sagte ihm die Gräfin, einer Heirath mit ihrer Tochter stehe nichts im Wege, einen Geistlichen zur Trauung habe sie bei der Hand, sei es ihm Ernst, so müsse die Trauung gleich vollzogen werden. Das hatte Conrad nicht erwartet, er suchte Ausflüchte um die Heirath aufzuschieben, welche indessen die Mutter zu gut verstand. Sie führte den Grafen Conrad in das Besuchszimmer, wo er gewöhnlich Jutten traf, das er aber jetzt ganz anders fand, und verriegelte die Thür hinter ihm. Wie erschrak Conrad, als er das Zimmer schwarz ausgeschlagen und in demselben einen Haufen Sand fand, an welchem der Geistliche, der Scharfrichter und Schergen standen, die ihn fesselten und ihm den Tod ankündigten. Nachdem der Geistliche ihn dazu vorbereitet hatte, wurde Conrad enthauptet.

So hatten Mutter und Tochter ihre Rache gekühlt, aber die Folgen nicht bedacht. Der Vater und die zahlreichen Brüder des Enthaupteten erfuhren bald dessen Schicksal und schwuren Rache, zu deren Ausführung sie ihre Mannen sammelten. In der Noth ließen Mutter und Tochter durch ihren Drosten ihre Lehnsleute und Burgmänner aufbieten; aber diese, empört über die Unthat, waren eben nicht geneigt, sie zu schützen.

So von den Ihrigen verlassen, flüchteten sich Mutter und Tochter zum Bischof von Osnabrück mit der Bitte um Schutz, ihm ihre Grafschaft dafür anbietend, was dieser aber ablehnte, die Rache des Nachbargrafen fürchtend. Da sagte die Gräfin: »Will Peter nicht, Paul wird schon wollen«, und wandte sich an den Bischof zu Münster, der ihr Schutz gewährte und dafür von ihr die Grafschaft erhielt.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 841-842.
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