1039. Der ungerechte Schulze.

[856] (Nach Sudendorf a.a.O. S. 232 etc.)


In Nortrup lebten vor vielen Jahren zwei ehr- und tugendsame Jungfrauen. Sie waren freien Standes, aber ein geiziger Herr dortiger Gegend nahm sie als seine Leibeigenen in Anspruch. Die Sache kam vor den Schulzen auf dem Nordhofe. Dieser setzte sich an den Herd, um die Dokumente der beiden Jungfrauen zu prüfen und da er ein sehr schlechter Mensch war und noch dazu von dem habgierigen Herrn bestochen: so ließ er sie – wie durch einen Zufall – in das helllodernde Feuer fallen, so daß sie verbrannten. Dadurch wurden die Jungfrauen des Mittels beraubt, ihre Freiheit zu beweisen und mußten nun leibeigen werden. Nicht lange darnach starb der Schulze, seine Seele fand aber keine Ruhe. Nachts lag sie als schwarze Dogge hinter dem Herde, an welchem die ruchlose That verübt worden war, und gab klägliche Töne von sich. Da er im Leben Böses zu thun gewohnt war, so konnte er auch als Geist nicht davon lassen. Bald ängstigte er die Dienstmagd, indem er ihr die schweren Tatzen auf die Schultern legte und das Licht ausblies, wenn sie dasselbe so eben am Herde angezündet hatte, bald setzte er die ganze Familie in Schrecken, indem er als feuersprühender Höllenhund zur Thüre hereinfuhr. Der Pastor zu Menslage wurde geholt um ihn zu bannen. Zwei Mal versuchte er es und zwei Mal floh er vor dem Hunde. Da wurde der katholische Pfarrer von Alfhausen geholt. Dieser erschien mit seinem Chorhemde gerüstet und mit dem Kreuze und Weihwasser bewaffnet. Als der Geist diesen sah, wurde er kleinlaut und versuchte zu entwischen. Der Pfarrer von Alfhausen aber bannte ihn schnell in einen Kreis von Weihwasser. Um zu beweisen, daß der Geist keine Macht über ihn habe, steckte er seine Hand in den Rachen des vor Wuth schäumenden Hundes und forderte den lutherischen Pastor von Menslage auf, ein Gleiches zu thun. Dieser sagte anfangs: »Ich werde mich hüten, daß mir der Hund meine Hand abbeißt.« Endlich überredet legte er jedoch auch seine Hand herein und siehe der Hund biß auch ihn nicht, denn er lag an der Kette des Bannes. Nachdem der Geistliche auf diese Weise seine Macht über den Geist gezeigt hatte, dachte er daran, ihn fortzuschaffen. Zu diesem Zwecke bannte er ihn auf einen Wagen. Da fing der Geist an zu jammern: »Ob ihn denn keiner mehr sehen wolle.« Da sagte der jüngste Sohn des Schulzen: »Ein Mal möchte ich meinen Vater doch noch sehen!« Kaum hatte er das Wort gesprochen, so war auch der Bann gebrochen. Der Hund wüthete wieder stärker als zuvor auf dem Hofe. Endlich gelang es dem Geistlichen, doch mit schwerer Mühe, den Hund wieder auf den Wagen zu bannen. Da machte sich der Geist immer schwerer, so daß zuletzt kaum acht Pferde den Wagen zogen, und am Ende wurde er so schwer, daß er durch den Wagen hindurchfiel.[856] Da lag er nun und flehte, daß es ihm vergönnt sein möge zum Schulzenhofe zurückzukehren, wenigstens alle Jahre eines Hasensprungs Länge. Aber es wurde ihm nur alle Jahre ein Hahnentritt gestattet. Der Ort, worin er fiel, ist eine Wiese und heißt noch heute die Seelhorst. Dort spukt er noch alle Nächte, bis er nach Jahrhunderten, alle Jahre einen Hahntritt, zum Schulzenhofe zurückkehrt.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 856-857.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Sagenbuch des Preußischen Staats
Sagenbuch des Preußischen Staats: Erster Band
Sagenbuch des Preußischen Staats: Zweiter Band
Sagenbuch des Preußischen Staats: Erster Band
Sagenbuch des Preußischen Staats: Zweiter Band