1079. Der Katzenstein.

[876] (S. ebd. Bd. II. S. 248.)


Unweit der Stadt Osterode an der linken Seite der Heerstraße ragen schroff mehrere seltsam geformte Kalkfelsen hervor. Der höchste und steilste[876] wird der Katzenstein genannt, dessen eine Seite ebenso allmälig nach dem Felde zu abläuft, als jäh und senkrecht die andere abgeschnitten ist. Darüber giebt es folgende Sage.

Auf der bei Förste gelegenen Burg Lichtenstein, deren Mauern und Wallgräben noch zu sehen sind, hauste der Ritter Hans von Eistorf. Er entführte aus dem Kloster Catlenburg eine Nonne aus edlem Geschlechte, deren Verwandte mit gewaffneter Hand ihre Schmach und die Beleidigung der Kirche zu rächen strebten. Der Ritter ward mit überlegener Macht auf dem Lichtensteine belagert, nach mannhafter Wehr sah er den Augenblick voraus, der die Burg und ihn in die Hände der Feinde bringen würde. Da entfloh er auf seinem getreuen Rosse durch die eine nicht genau bewachte Seitenpforte, aber noch war er nicht weit, als seine Flucht von den Belagerern bemerkt ward. Mit angestrengter Eile verfolgten sie seine Spur; durch den Wald bis zum Blachfeld ging die feindliche Jagd, des Ritters Roß ermüdete, während die Verfolger näher und immer näher kamen. Eifrig spornte er es einen Abhang hinauf, um von dessen Spitze einen sichern Pfad seiner Flucht zu erspähen. Aber das Roß scheute vor der steilen Tiefe, die sich hier auch seines erschrockenen Herrn Augen darbot. Umzuwenden, ohne von den Feinden ereilt zu werden, war unmöglich, sicherer Tod oder Gefangenschaft schien unvermeidlich. Näher schon zeigten sich die Verfolger, da versuchte in Verzweiflung der Ritter, den freien Tod dem Leben in Fesseln vorziehend, die Felsensteile hinabzuspringen. Doch sein Thier scheute wild und wandte sich, einige Schritte ließ er es den Abhang wieder zurückgehen, dann aber verband er des treuen Rosses Augen mit der losgerissenen Schärpe. So sprengte er es die Felsenspitze von Neuem heran und als der erste Verfolger schon die Höhe erstürmte, setzte er mit wüthendem Spornstich die grause Tiefe hinab. Der Fall zerschmetterte das Roß, der Ritter aber entrann unverletzt.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 876-877.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Sagenbuch des Preußischen Staats
Sagenbuch des Preußischen Staats: Erster Band
Sagenbuch des Preußischen Staats: Zweiter Band
Sagenbuch des Preußischen Staats: Erster Band
Sagenbuch des Preußischen Staats: Zweiter Band