1146. Die schöne Bertha vom Schweckhäuserberge.

[927] (S. Harrys Th. I. S. 8. Anders bei Schambach u. Müller S. 102.)


Zwischen Waake, Landolfshausen und Mackenrode, unweit Göttingen, liegen nicht weit von einander drei Berge, welche die Schweckhäuser Berge genannt werden; einer davon ist unter dem Namen der lange Schweckhäuserberg bekannt. Auf diesem hat früher ein Schloß gestanden, von dem man allerdings jetzt nur noch wenige Steine sieht. Der letzte Herr von Schweckhausen aber hat eine Tochter gehabt, die um ihrer Schönheit willen blos die schöne Bertha genannt ward. Um diese Bertha hat sich einst auch der ruchlose Graf Isang von Seeburg beworben, aber vergebens. Nun ist aber des Grafen Mutter in den Zauberkünsten wohl bewandert gewesen und war überdies eine böse, garstige Frau. Also gedachte sie, die schöne Bertha in Jammer und Elend zu bringen, weil sie ihren Sohn verschmäht hatte. Sie nahm also ihren schwarzen Zauberstab und sagte zu Bertha: »Weil Du den Grafen Isang nicht zum Ehegemahl gewollt hast, so sollst Du auch nun und nimmermehr einen Andern zum Gemahl bekommen. Aber ich will Dich in einen Wald bannen auf einen gangbaren Weg, da sollst Du des Nachts wandern gehen und rufen: Hilf mir! hilf mir! bis Einer zu Dir sagt: So helfe dir der liebe Gott! Dann soll Deine Erlösung beginnen. Es muß aber erst noch ein Mann von seiner Frau sterben, die Frau muß sich einem zweiten Mann in die Ehe geben und einen Sohn zeugen. Der muß ein Pfarrer werden. Wenn der zum ersten Mal in einer Kirche predigt, alsdann bist Du erlöst, nicht eher. Der Weg im Walde, auf dem Du wanderst, soll der erste sein, der da geht von Ebergötzen nach Bösinghausen.« Nun ist Keiner gewesen, der von der schönen Bertha den Bann hat nehmen können, und sie hat wandern müssen bei Nacht, und bei Tag hat sie ausgeruht in einer Steinklippe am Walde. Sie hat eine Flasche Wein und ein Brod gehabt und jeden Morgen ist die Flasche voll angefüllt gewesen und ein frisches Brod hat auf ihrem Laubbette gelegen. Es ist aber bald hernach die Gräfin Hildegard zu Wagen des Weges gekommen und Bertha hat an der Steinklippe gerufen: »Hilf mir! hilf mir!« Darüber hat der Lenker die Spur verloren, ist auf die Steinklippe gerathen, von wo dann der Wagen sammt Menschen und Pferden mit einem furchtbaren Krachen hinabgestürzt und Alles zerschmettert worden ist. An diesem Steine kann man noch heutigen Tages folgende Schrift lesen: Hans Danne: Jakop Kannen 1603. 1504. Es stehen noch mehrere Buchstaben daran geschrieben, die sind aber verwittert. Nicht lange darauf ist aber der sündhafte Graf Isang in Elend gerathen und in das Kloster Gieboldehausen gezogen (s. Nr. 1145). Aber die arme Bertha hat fort und fort wandern müssen und rufen: »Hilf mir! hilf mir!« So sind Jahre, Jahrzehnte, Jahrhunderte verlaufen und es ist nicht anders mit ihr geworden. Es ging auch bei Nachtzeit Keiner mehr in den Wald, weil da seit 300 Jahren eine verzauberte Jungfrau umgehe, vor der man sich fürchten müsse. Einmal begab es sich, daß ein tapferer Reiter im Wirthshause zu Ebergötzen einkehrte und dort gute alte Bekannte traf. Diese erzählten ihm auch von dem Gespenste, das da im Walde nach Bösinghausen gehe und immer »hilf mir! hilf mir!« rufe. Der Reiter hat über die Furcht seiner Kameraden gelacht und gesagt: »Wenn das Gespenst[928] Hilfe nöthig hat, so will ich doch sehen, ob ich ihm nicht helfen kann!« Er hat darauf noch ein Glas getrunken und ist guten Muthes in den Wald geritten. Es hat auch nicht lange gewährt, so hat er rufen gehört: »Hilf mir! hilf mir!« – »Wer kann Dir helfen?« – »Ach, Keiner!« – »So helfe Dir der liebe Gott!« Kaum hat der Reiter die Worte gesagt, so hat auch die schöne Bertha hinter ihm auf seinem Pferde gesessen und sich fest an ihn gehalten. Da ist dem Reiter doch ein leises Grauen angekommen, aber die schöne Bertha hat ihn bald beruhigt, hat ihm ihre ganze Geschichte erzählt und wie er, der Reiter, ihre Erlösung begonnen hätte, und wie er nun weiter für sie thun solle. »Ihr müßt reiten nach Waake«, hat sie gesagt, »in die Straße, die nach Mittag liegt und zum Sieke genannt wird. Da müßt Ihr in das letzte Haus an der Straße gehen, da wohnen zwei Leute, Mann und Frau, die keine Kinder haben. Wenn Ihr in der Stube seid, wird auch der Tod hereinkommen, vor dem aber braucht Ihr Euch gar nicht zu fürchten, denn Ihr werdet ihn sehen, der Mann und die Frau aber nicht. Der Tod aber wird alsdann hinter den Mann treten und ihm in den Buckel klopfen, worauf der Mann krank werden und sterben wird. Wenn dann der Tod wieder hinausgeht und Euch winkt, so müßt Ihr ihm folgen, denn er wird Euch draußen sagen, wie viel Jahre bis zu meiner Erlösung noch verlaufen werden. Davon sollt Ihr mir aber in der folgenden Nacht Nachricht geben!«

Dem Reiter ist das Alles sehr wunderbar vorgekommen, aber er hat der armen Bertha doch gern aus ihrem Elende verhelfen wollen, ist also zum Sieke geritten, und wie er ins letzte Haus gekommen ist, so haben da richtig Mann und Frau am Tische gesessen. Er hat sie um Quartier, blos aus Vorwand, angesprochen, und ehe er sich's versehen, ist die Thür ganz ohne Geräusch aufgegangen und der Tod hereingetreten. Der ist ein langer, hagerer Mann mit blassem, eingefallenen Gesicht gewesen, hat einen langen grauen Rock und in der Hand ein spanisch Röhrlein mit einem Todtenkopfe als Knopf getragen. Den Reiter hat's kalt überrieselt, aber der Mann und die Frau haben den Tod nicht gesehen. Also tritt der Tod leise hinter den Mann, klopft ihm dreimal mit seinem spanischen Rohr in den Rücken, da schüttelt sich der Mann und sagt: »Mich fröstelt.« Drauf geht der Tod wieder hinaus, der Reiter ihm nach. Draußen sagt der Tod: »Mein Freund, Du kannst nun wieder zum Walde reiten und der verzauberten Bertha das Folgende berichten: Dieser Mann wird nun sterben und seine Frau wird einen Andern ehelichen, mit dem wird sie einen Sohn zeugen, der wird ein Pfarrer werden, und sobald er 22 Jahre gelebt hat, eine Predigt halten, dann wird die schöne Bertha erlöst sein!« Der Reiter aber hat's gut ausgerichtet, und die schöne Bertha hat ihm viel tausend Mal gedankt und ihn gebeten, daß er noch einmal wieder zu ihr kommen solle. Er ist aber nicht wiedergekommen und der Tod, sein Freund, wird ihm wohl auf der nächsten Wahlstatt mit dem Röhrlein auf den Buckel geklopft haben. Genug es ist jetzt Alles so genau eingetroffen, wie der Tod gesagt hatte, und wie die Zeit um gewesen ist, so ist der Tod selber der schönen Bertha in ihrem Steinlager erschienen und hat ihr gesagt, daß sie nun aus ihrem Zauber erlöst sei und wieder unter die Menschen gehen könne. Aber die Menschen[929] sind ihr fremd geworden in der langen Zeit; sie hat nur noch ein Jahr nach ihrer Erlösung gelebt und ist unter der Steinklippe begraben.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 927-930.
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