1230. Der Schatz auf der Borgsumer Burg.

[1003] (S. Johansen S. 257 etc.)


Vor alten Zeiten belagerte ein König in eigener Person die Borgsumer Burg, um sich eines Ritters, den die Leute Klaas Leemke genannt haben, zu bemächtigen. Der Ritter hat lange Zeit nicht aus seinem Neste herausgewollt und verstand es, die Belagerer glauben zu machen, daß er Mundvorrath genug habe. Als er nämlich schon einige Zeit mit den Seinigen am Hungertuche genagt hatte, hat er gleichwohl die letzte Kuh allabendlich auf den Burgwall hinaufführen lassen, ließ sie jedoch jedesmal vorher mit einem andern Fell bekleiden. Da haben die Feinde denn richtig geglaubt, er werde sich noch so bald nicht ergeben und sind nicht wacker und wachtsam genug gewesen. Genug der listige Klaas Leemke hat Gelegenheit gefunden, in einem kleinen offenen Boote zu entfliehen. Früher ist nämlich ein breiter und tiefer Gartel (Bach) in der Nähe der Burg gewesen, wie noch zu sehen ist, der sich in einen tiefen Wattstrom ergossen hat. Also war der leidige Fuchs glücklich zum Loch hinausgekommen und die Belagerer hatten sprichwörtlich zu sagen »de Mütz darna smiten.« Nun ward das Raubnest durchsucht um der Schätze des unmäßig reichen Ritters habhaft zu werden, denn er hat selbige nicht alle mitnehmen können, da seines Reichthums kein Ende war. Da suchen und stöbern sie denn und finden nichts. Es war aber noch lange nachher landläufige Sage, daß in dem verschütteten tiefen Brunnen große Schätze verborgen lägen. Einmal waren ein Paar beherzte Männer verwegen genug, zur Nachtzeit in den Brunnen hinabzusteigen und den Schutt wegzuräumen. Als sie damit fertig waren, drang das Wasser mit solcher Gewalt herauf, daß sie eiligst wieder hinaufklettern mußten. Sie verloren den Muth nicht, sondern untersuchten den Brunnen in der Tiefe mit langen Stangen und Haken, erfaßten auch wirklich mit ihren Haken den Griff eines Braukessels, der mit Gold- und Silberstücken gefüllt war, und strengten sich über die Maßen an den Schatz heraufzuziehen. Das war jedoch nicht leicht; denn es war, als ob da unten in der Tiefe einer wäre, der den Schatz[1003] immer wieder in die Tiefe hinabrisse. Der Morgen graute schon und die Hähne in Borgsum fingen an zu krähen. Da strengten die Waghälse sich noch einmal gewaltig an, dem Unholde unten in der Tiefe den Schatz zu entreißen. Da zaubert auf einmal der Teufel einen gar wunderlichen Spuk herbei, der die Aufmerksamkeit der Schatzgräber dermaßen in Anspruch nahm, daß sie nicht davon wegsehen und den Schatz abermals fallen lassen und nun fällt er in die grausige Tiefe, wo er sicher genug aufgehoben ist. Der wunderliche Spuk bestand aber aus vier weißen Mäusen, die einen mit Heu hochbeladenen großen Wagen in die Burg hineinzogen. Seit dieser Zeit hat sich Niemand wieder damit abgegeben, nach den Schätzen zu suchen.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 1003-1004.
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