1253. Hennarshoog.

[1027] (S. Johansen, Die nordfries. Sprache S. 231 etc.)


An einem Dünensaum der Insel Amrum befindet sich ein Hügel, der ganz mit Moos bewachsen ist, und den Namen Hennarshoog führt. Von diesem erzählt man folgende Sage.

König Abel von Dänemark brauchte sehr viel Geld und immer war seine Tasche leer, er schrieb deshalb fortwährend neue Steuern aus und schickte seine Säckelmeister nach Ost und West dieselben einzufordern. Dieselben kamen auch zu den Nordfriesen, bekamen aber weder Geld noch gute Worte, denn die sagten: »Unsere Deiche und Dämme, die wir zum Schutz gegen das Meer erbauen und unterhalten müssen, haben all unser Hab und Gut verschlungen, darum möge der König abstehn von seiner Forderung!« Der König aber stand nicht davon ab. Wie hätte man auch Barmherzigkeit von einem Brudermörder erwarten können? Da die Friesen also weder Geld hergeben konnten noch wollten, beschloß der König die Störrigen zum Gehorsam zu bringen. Er führte zu diesem Zwecke eine Heeresmacht zu Schiffe nach der Gegend von Oldensworth in Eiderstedt, aber die Friesen waren auch nicht müßig. Es galt siegen oder unterliegen, edle Friesen bleiben oder Knechte werden. Festlandsfriesen und Seelieger, Wallinger und Uthlandsmänner vereinigten sich auf dem Buurmannswai in Eiderstedt. Das friesische Heer bestand nach den sieben Harden aus sieben Haufen, und jeder Haufen hatte seine Fahne. Die Friesen schwuren zu siegen oder für ihre Freiheit und ihr Recht zu sterben. Sie hatten das Bildniß ihres Nationalheiligen, des h. Christian, mitgenommen und gelobten, dasselbe mit Gold beschlagen zu lassen, wenn sie als Sieger aus dem Kampf hervorgehen würden. Gleichwohl mag aber ihr Vertrauen auf den lebendigen Gott größer gewesen sein, denn ihre Haufen waren muthig und sangen alte Kämpferweisen, als sie wider Abel aufbrachen. Und als dieser die Todesmuthigen heranrücken sah, entfiel ihm aller Muth, denn Gott war nicht mit ihm, und auf seinem Gewissen lastete der Brudermord. Abel beschloß, sich zurückzuziehen und suchte seine Schiffe zu erreichen, die in der Eider lagen. Siehe, da war das Meer, sonst der Friesen Feind, ein treuer Bundesgenosse der Friesen. Die Ebbe hatte nämlich das Bett des Eiderstromes trocken gelegt, daß die Schiffe des Königs auf den Sand- und Schlammbänken festsaßen. Dem König Abel blieb also nur die Wahl, die Seinigen in den Schlick jagen zu lassen oder sich den Rückzug durch die Marsch nach der Geest hinauf zu erkämpfen. Er wählte das Letztere. Die erbitterten Friesen drangen auf ihn ein, jagten[1027] eine Abtheilung seines Heeres in den Schlick der Eider und verfolgten die Uebriggebliebenen. Auf dem Königskamp kam es zu einem furchtbaren Gemetzel. König Abel verlor abermals viele der Seinigen; aber auch die Reihen der Friesen wurden gelichtet, namentlich fanden viele Seelieger (so nannte man die Inselfriesen) ihren Tod auf dem Königskamp. Der flüchtige Abel eilte durch die Marsch nach dem Milderdamm, einer Brücke, welche über die Milde führte. Hier war er reif zum Untergange.

Wessel Hummer, auch Henner der Friese genannt, als Landsmann ein Pelwormer, seines Handwerks ein Rademacher, hatte sich am Ende der Brücke hinter dem Pfahlwerk verborgen, trat nun aber hervor, versperrte dem Könige den Weg und spaltete ihm den Kopf mit der Axt. Henner glaubte dabei, er habe recht gehandelt, als er den Brudermörder erschlug, er entkam glücklich zu den Seinigen, verhehlte aber die That. Er kehrte nun nach Pelworm zurück und arbeitete emsig in seiner Werkstatt. Es war ihm aber nach der That doch anders zu Muthe, als vorher, er suchte Ruhe und fand sie nicht, seine Werkstatt ward ihm zu enge, er mochte seine Axt und sein Zimmergeräthe nicht mehr ansehen und fing an, als Fischer und Küstenfahrer sein Brod zu erwerben. Da fuhr er nun umher von Bucht zu Bucht, von Eiland zu Eiland; bald sah man sein Fahrzeug im Watt, bald ihn selbst auf Hennarshoog, er war unstät und friedlos, ob ihn gleich Niemand jagte.

Als Henner nun einst mit seinen Schiffsleuten auf der See war, erhob sich ein Sturm und drohte das Schiff zu zerschellen. Die Schiffsleute sahen den gewissen Tod vor ihren Augen und riefen ihren Heiligen um Hilfe und Beistand an. Da konnte der seit langer Zeit so schweigsame Henner nicht länger schweigen. Er that seinen Mund auf und sprach, seinem gepreßten Herzen Luft machend: »Es ist meine Schuld, daß Sturm und Wellen sich gegen uns empören, denn Ihr müßt wissen, ich bin ein Mörder. Ich war's, der König Abel am Milderdamm erschlug. Und nun erweiset mir die Barmherzigkeit, daß Ihr mich ins Meer stoßet, so werdet Ihr's besänftigen, denn mich will es haben. Und nun erbarme sich St. Christian meiner!« Die Schiffsleute willfahrten ihm und kaum hatte die See ihn fortgerissen, da hörte sie auf zu toben und es wurde ganz stille. Auf dem Hennarshoog ward Henner der Friese nicht wieder gesehen.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 1027-1028.
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