1260. Hecht und Kaulbarsch.

[1033] (S. Krantz, Vandalia. VIII. 40. Angelus Struthiomontanus, Holsteinische Chronica. Wittenberg 1596 Th. I. S. 42.)


Es war einmal ein reicher Bürger zu Lübeck, mit Namen Mörkercke, der hatte auf einige Güter der Herrn von Bockwolden (oder Buchwald) Geld geliehen und von diesen darüber einen Pfandschein bekommen. Als aber die Zahlung lange ausblieb und der Mörkercke dieselbe gern gehabt hätte, auch deshalb zur Pfändung schreiten wollte, sind die von Bockwolden darüber sehr ergrimmt und haben sich heimlich an einen besondern Ort begeben um auf Mörkercke zu lauern, wenn er wiederkommen und die Pfändung fortsetzen werde. Da nun derselbe solche auch ausführt, fallen die von Bockwolden über ihn her, schlagen ihn nieder, nehmen ihn gefangen, führen ihn hinweg, legen ihn in harte Fesseln, thun ihm viel Jammer und Schmach an und gehen so mit ihm um, daß nicht viel Lebens mehr an ihm bleibt. Mittlerweile sind einige gute Freunde von ihm dazu gekommen, haben sich für ihn verbürgt, und angelobt, ihn entweder todt oder lebendig zurückzubringen, sie sollten ihn nur ein wenig loslassen, damit er in seinem Hause wieder etwas auf die Beine gebracht werden möge. Weil er aber schwer verwundet worden war, er auch sich über die Schmach, die man ihm angethan hatte, sehr härmte, ist er kurz zuvor, ehe er sich wieder stellen sollte, gestorben. Diejenigen, so sich für ihn verbürgt hatten, haben ihn todt zu den Bockwolden gebracht. Da diese nun den todten Körper bekamen, haben sie ihm das Haupt abgeschlagen und auf einen Pfahl gesteckt, wie man sonst mit Straßenräubern umzugehen pflegt. Dieser grausamen That halben ist nicht allein die ganze Freundschaft Mörkerckens, sondern auch die ganze Stadt Lübeck schwer entrüstet worden, und weil es nicht ein öffentlicher Krieg, sondern nur eine Mörderei war, haben die von Lübeck beschlossen, solches zu rächen. Sie haben also alle Güter derer von Bockwolden verwüstet und ihrer zehn in ihren eigenen Schlössern gefangen und zu Lübeck enthaupten lassen. Von diesen zehn hat aber der erste, der zum Tode geführt ward, Hecht geheißen, als dieser nun während des Hinführens den Scharfrichter fragte, wie er heiße, und zur Antwort bekam, er heiße Kaulbarsch, hat er gesagt: »Ach wie tölpisch geht es doch zu, und ist wider die Natur, daß ein solcher kleiner Fisch einen Hecht verzehren soll!«

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 1033.
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