1269. Der ewige Jude.

[1038] (S. Müllenhoff a.a.O. S. 160. 547. Jahrb. Bd. IV. S. 152.)


In Holstein und Lauenburg läßt sich hin und wieder der ewige Jude sehen. Er wird nicht hungrig, er wird nicht durstig, er wird nicht alt. Er schläft nur im Freien, nie unter einem Dache. So kam er auch einmal nach Lüneburg, da schlief er auf einem Steine, der vor der Stadt liegt.

Im Sundewitt unweit Bauschau ward er in diesem Jahrhundert auch gesehen. Er trug einen Korb, aus dem Moos herauswuchs. Man sagt hier, er dürfe nur am Weihnachtsabend ausruhen, wenn er dann noch auf dem Felde einen Pflug finde, auf den dürfe er sich setzen.

Einst ging ein junges Bauermädchen aus Seedorf mit ihrem Vater nach Lübeck, und als sie hier ankamen, gingen beide in ein Wirthshaus, der Alte ließ sich einen Schnaps geben, allein ehe er ihn noch wegnehmen konnte, stand auf einmal ein uralter Mann neben ihm, der sagte: »Den Schnaps kann ich wohl austrinken? Prost!« Der Bauer konnte nicht gleich etwas darauf sagen und ohne zu fragen trank nun der Fremde den Schnaps und sagte: »Ich bin der ewige Jude und werde heute Abend noch in Deinem Hause zu Seedorf bei Deiner Tochter sein!« Damit ging er weg. Jene fragten nun den Wirth, ob er den Mann kenne, er sagte darauf: »Ja, den Mann kenne ich ganz gut, das ist der ewige Jude, er ist überall und nirgends und hat keine Ruhe, er wird auch nicht älter als er ist, ich kenne ihn schon seit vielen Jahren, er arbeitet nicht und hat keinen Hunger!« Als sie nun Schlag 12 nach Hause kommen, fragt das Mädchen ihre Schwester, ob etwa ein Mann bei ihr gewesen sei. Sie sagt: »Ja, des Nachmittags beim Dunkelwerden ist ein Mann bei mir gewesen, der mir erzählt hat, er habe meinen Vater und meine Schwester vor einer Stunde zu Lübeck gesprochen, ich solle auch nicht erschrecken, wenn mein Vater sich zu Hause ins Bett legen und nach 24 Stunden todt sein werde.« Ihr Vater war wirklich kaum aus Lübeck zurück, als er auch denselben Tag noch starb. Den Mann hat aber seit der Zeit Niemand wiedergesehen.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 1038.
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