1307. Der Nachtrabe.

[1058] (S. Jahrb. Bd. X. S. 47.)


In frühern Zeiten zweifelte man nicht, daß der, welcher seinem Nachbar etwas abpflüge, nach seinem Tode mit glühenden Pferden und Pflug pflügen und selbst mit brennender Hand den Pflug führen müsse. Besonders hörte man viel von Gespenstern vornehmer Männer; denn da die Großen sich gegen die kleinen Leute und auch gegen die Geistlichkeit versündigten, so rächten sich diese gewöhnlich dadurch, daß sie Nachts deren Gespenster sahen und von deren gräßlichem Geschrei, namentlich um die Festzeiten, erzählten. So hatte man gewisse Stellen auf der Feldmark, wo es ab und zu spukte. In Hagensholm flog ein Nachtrabe auf; das sollte ein vormals gebanntes Gespenst eines vornehmen Mannes sein, dessen Bannungszeit verflossen war, und das nun jede Nacht in Gestalt eines Nachtraben aufflog, um das heilige Grab zu erreichen. Konnte es dahin gelangen, so sollte es erlöst sein. Aber der Weg war so weit und es mußte stets vor dem Hahnenschrei wieder in Hagensholm sein, daher konnte es das heilige Grab nicht erreichen. Pastor Peter Kier hörte noch von einem Mann erzählen, der in seiner Jugend eines Abends spät in den Wald ging und einen schrecklichen Lärm hörte. Der fragte einen andern Mann, welcher mit ihm ging, was das sei? und dieser antwortete: »Es sei ein böser Geist, nämlich der Nachtrabe, der solle ein Loch haben durch den rechten Flügel, und wer dazu kommen könne, durch dies Loch zu gucken, der müsse entweder gleich sterben, oder würde sehr reich.« So wurde erzählt und man hörte den Nachtraben oft. Aber jetzt hört ihn[1058] Niemand mehr. Auch ging auf der Gienner Feldmark in Damsted ein gespenstiges Pferd herum, welches sich vertreiben ließ, wenn man ihm Psalmen und geistliche Lieder vorsang.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 1058-1059.
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