Im Bade

[25] Ach, könnt' ich die Welle sein,

Wie freut' ich mich so!

Doch könnt' ich die Quelle sein,

Wär' doppelt ich froh!


Könnt' ich die Welle sein,

Hüpft' ich mit frohem Sinn,

Wo sie im Bade weilt,

Rasch zur Geliebten hin;

Hätte sie schnell ereilt,

Wogte mit stillem Gruß

Rasch um den lieben Fuß,

Blähte mich stolzer dann,

Schwölle und stieg' hinan

Bis an des Busens Rund,

Bis an den Purpurmund,

Grüßte und küßte sie,

Kos'te und neckte sie,

Und sie erlitt es gern,

Glaubt' ja, ich seh' es nicht,

Glaubt' mich ja fern!


Könnt' ich die Quelle sein,

Ganz nach Verlangen[26]

Wäre sie mein;

Liebend umfangen

Wollt' ich die Holde,

Aber so bald nicht

Ließ ich sie los.

Dann zu dem Herzchen

Rauscht' ich empor,

Pochte und schlüge

Rege daran,

Pochte und früge

Liebend mich an.

Dann zu den Händen

Wogt' ich dahin;

Aber das Ringlein,

Das sie als fremder

Seligkeit Pfand

Trägt an der kleinen

Blendenden Hand;

Wollt' ich ihr raubend

Tief in der Wogen

Nächtliche Brandung

Heimlich verbergen;

Rauschte zur Hand dann

Wieder hinan

Und nur mein Ringlein

Ließ ich daran.


Quelle:
Anastasius Grün: Gesammelte Werke, Band 1–4, Band 1, Berlin 1907, S. 25-27.
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Gedichte
Sämtliche Werke 2: Gedichte. Hg. von Anton Schlossar [Reprint der Originalausgabe von 1906]
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