Auf dem Meere

[85] Aufs Meer bin ich gefahren

Im Kahne ganz allein,

Begeisterung im Herzen,

Im Korb die Flasche Wein.


Aufs Meer bin ich gefahren,

Zu leeren die Flasche rein!

Sieht man so vieles Wasser,

Schmeckt doppelt süß der Wein.


Den vollen blinkenden Becher

Empor hebt meine Hand:

Hoch, all' ihr fernen Lieben!

Hoch, deutsches Vaterland!


Hinaus bin ich gefahren,

Zu sehn, was bewegter wallt:

Mein Herz, wenn's denkt der Lieben,

Das Meer, wenn's in Wogen sich ballt?
[86]

Ein Zug von holden Gestalten

Der schreitet über den Plan,

Als Heiland mit dem Oelzweig

Wallt jede von ihnen heran.


Es sind viel Bilder der Lieben,

Sie sitzen zu mir herein;

Gottlob, daß es nicht die Leiber,

Sonst sänke der Nachen ein!


Aufs Meer bin ich gefahren,

Zu schwören festen Eid,

Beständig hier inmitten

Der Unbeständigkeit!


Dem Wahren, Rechten, Schönen

Zum Banner treu zu stehn!

Kann ich zu den Besten nicht klimmen,

Doch nie mit den Schlechten zu gehn!


Wo edel der Kampf, zu kämpfen,

Doch fern, wo Wahnwitz ficht!

Und Herz und Mund und Leben

Für Freiheit, Recht und Licht!


Liegt einer krank am Lager,

Der hat zum Scherzen nicht Zeit;

Trennt wen ein Brett nur vom Tode,

Der schwört nicht falschen Eid.


Aufs Meer bin ich gefahren,

Zu singen nebenbei

Ein Lied in den freien Aether,

Gleich ihm so frisch und frei!
[87]

Hat guten Klang das Liedlein,

Dann klingt es doppelt gut,

Wenn's auf den Flügeln der Lüfte

Sanft hinschwebt über die Fluth.


Hat üblen Klang das Liedlein,

So hat es ja Keiner belauscht,

So wirds ja verweht von den Winden

Und von den Wellen verrauscht.


Quelle:
Anastasius Grün: Gesammelte Werke, Band 1–4, Band 1, Berlin 1907, S. 85-88.
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Gedichte
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