Epilog

(März 1835.)
[399]

Frühlingsluft weht allbelebend!

Frühlingsschwalb' ist heimgereist,

Hat, ob Wiens Palästen schwebend,

Schon die Kaiserburg umkreist;


Pickt die Spiegelscheibe leise,

Da sie einmal schon gepickt,

Draus der Kaiser sonst, der greise,

Auf sein Volk und sie geblickt.


Doch sie sieht dieß Antlitz nimmer

Mit des Munds schalkhaftem Scherz,

Mit des Augs gutmüth'gem Schimmer, –

Oft doch hart und kalt wie Erz.


Stumm des Jubels Hochgewitter,

Dieses Mannes stät Geleit!

Stumm doch hinter manchem Gitter

Auch das Murren böser Zeit!
[401]

Frühlingsschwalbe sei kein Richter,

Urthel nicht ihr Frühlingsgruß;

Doch sie ist Prophet und Dichter,

Der versöhnen, warnen muß.


Zu des Grabgewölbes Hallen,

Das des Greises Asche barg,

Läßt sie ihre Schwingen wallen,

Zu dem ehrnen Kaisersarg.


Frühlingsgruß will sie ihm bringen;

Doch, gestreift vom Flügelschlag,

Tönt von einem Lenz sein Klingen,

Den sie selbst nur ahnen mag.


Nicht der Schlaf des Kaisersprossen,

Höh'res heiligt diesen Raum:

In dem Katafalk verschlossen

Ruht der deutschen Einheit Traum.


Denn in dieses Greises Haaren

Lag zuletzt der Reif von Gold,

Der die deutschen Fürstenschaaren

In Ein Volk verbrüdern sollt'.


Und in diesem ehrnen Bette

Schläft der Mann, deß Herz allein

Deutschlands Herz war, oder hätte

Deutschlands Herz doch sollen sein.
[402]

O daß bei den Leichenkerzen

Fürsten all im deutschen Land

Ueber diesem heil'gen Herzen

Sich zum Bund gereicht die Hand!


Laßt in diesem Sarg verschlossen

Deutscher Einheit alten Traum;

Wahrer Einheit, ihr Genossen,

Breitet sich ein größrer Raum!


Denn als Herold mit dem Stabe,

Der das Wappenschild zerbrach,

An des letzten Kaisers Grabe

Ein Jahrtausend stand und sprach:


»Lernt, daß euer Heil geschmiedet

An ein einzeln Haupt nicht sei!

Daß ihr Schein vom Wesen schiedet,

Brach ich das Symbol entzwei.


Um des Reichs Kleinode lodre

Nimmer Aachens, Nürnbergs Zank:

Stol' und Gurt im Schreine modre,

Karols Degen rost' im Schrank.


Denn ein schönres Schwert gezogen

Hat der freien Männer Hand;

Aller Schultern soll umwogen

Deutscher Herrlichkeit Gewand.
[403]

Euer Hoffen, euer Sehnen

Hat kein Einzler ganz vollbracht;

Drum euch All will ich belehnen

Mit des Reiches Glanz und Macht.


Denn in allen deutschen Adern

Flammt der Purpur, der nie bleicht;

Eure Herzen sei'n die Quadern

Jenes Baus, deß Grund nicht weicht.


Und ihr Alle seid berufen

Mitzubau'n am großen Bau,

Ihr am Thron, ihr an den Stufen,

Ob das Röcklein weiß, ob blau.


Und ihr Priester, Redner, Lehrer,

Streut die Saat mit kluger Hand,

Pflanzt, des Reiches wahre Mehrer,

Lieb' und Recht fürs deutsche Land!


Daß die Größen eurer Helden

Nie auf deutschen Nacken steh'n,

Daß von deutscher Schmach nie melden

Eure deutschen Siegstrophä'n.


Daß nicht Krämerellen messen,

Was ein großes Herz nur mißt;

Und nicht Fürsten leicht vergessen,

Was ihr Bürger schwer vergißt;
[404]

Nicht den Wandrer Pfahl und Schranke,

Wie so klein die Ländchen, mahnt,

Daß sein einiger Gedanke:

Wie so groß das deutsche Land.


Daß wo euch der Glauben schiede,

Euch vereine Deutschlands Schild;

So verschmilzt ein Liebesfriede

Blond und Schwarz, und Streng und Mild.


Daß der Baum der freien Rede

Frucht im Nord und Süden bringt;

Rheingott nicht bedroht mit Fehde,

Was die Donaunymphe singt.


Bund und Eintracht erst vereine

Eure tausend Schulzen fein,

Dann ein Leichtes wird's, ich meine,

Mit den dreißig Fürsten sein.« –


Doch zur Gruft hinab selbst dringen

Frühlingsstimmen, Frühlingsduft;

Wundervolle Lieder klingen

Grüßend, hoffend durch die Luft.


Doch auch niegehörte Töne

Jauchzt ein kühn'res Sanggeschlecht;

Das ist eben Frühlings Schöne!

Freiheit ist des Lenzes Recht.
[405]

Schwalbe sagt Lebwohl dem Todten,

Schwingt sich in das Blau hinein;

Wo es lenzt, wird sie entboten,

Mit dem Frühling muß sie sein.[406]

Quelle:
Anastasius Grün: Gesammelte Werke, Band 1–4, Band 2, Berlin 1907, S. 397-407.
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