Karls Tod

[190] 1477.


Die Sonne, die gar manche der schönen Länder gesehn,

Bleibt, um ihr Aug' zu weiden, gern in Burgund doch stehn;

Der Mond, der schon geküsset manch schönen süßen Mund,

Küßt nie doch satt die Lippen Mariens von Burgund.
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Reich ist der Burgunderherzog an Landen hehr und schön,

Voll Aehren stehn die Flächen, voll Reben glühn die Höhn,

Da spiegelt reiche Städte und frohes Volk der Fluß,

Und Segen ist hier Schnitter, und Winzer Ueberfluß.


Reich ist er auch an Schätzen, Gestein und blankem Erz,

Ihm hat die Erd' eröffnet ihr warmes, reiches Herz,

Ihm winkt in stolzem Baue manch Schloß voll Prunk und Gold,

Und aus dem goldnen Schlosse die Tochter blühend hold.


Die Lande muß er schirmen mit kampfgestähltem Schwert,

Daß nicht ihr Garten welke, von Feindesbrand verzehrt;

Die Schätze muß er pflegen, daß sie noch fürder dauern,

Wenn längst der treue Pfleger hinsank in Todesschauern.


»Leb' wohl! und kehr' ich nimmer, dann Tochter zage nicht!

Gib deinen Frühlingskeimen ein neues Sonnenlicht;

In Oestreich mag's dir glänzen auf Fluren segensreich,

Dort blüht die Heldenblume, der keine andre gleich.«


Wohl sieht in stillen Thränen ihm lang die Tochter nach,

Als auf mit seinen Schaaren der kühne Vater brach;

Wie Donnerruf und Gluthblick des Herrn durch Wolkenritze,

So hier aus Staubgewölken Feldruf und Waffenblitze! –


Vor Nancy ward den Raben ein Festmahl aufgeschichtet,

Da ging ins Gericht der Herzog, da hat er blutig gerichtet,

Da sanken Stamm und Aeste des Heldenbaums Burgund,

Der Schweiz und Lothrings Blume, verwelkt zur selben Stund'.


Die erst gegenüber standen, durch Farb' und Zeichen feind,

Die liegen jetzt beisammen, durch Farb' und Zeichen vereint,

Wie Kön'ge in Purpurmänteln von dampfendem Blute roth;

Wißt ihr, wer so versöhnte? – Der Friedensrichter Tod!
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Zu Nancy liegt im Dome ein Leichenstein ganz neu,

Es lehnt, gleich einem Denkbild, ein blasses Weib dabei,

Aus Aug' und Antlitz dunkelt ein endlos tiefes Leid,

Man sieht, daß hier dem Vater die Tochter Thränen weiht.


Zu Nancy an dem Grabe da ist viel Volk zu schau'n,

Geführt an Schmerzensbanden aus nah' und fernen Gau'n.

Und rann hier eine Thräne, war sie wohl sonder Trug,

Der Herrscher Thaten richtet und weckt ihr Leichenzug.


Quelle:
Anastasius Grün: Gesammelte Werke,Band 1–4, Band 3, Berlin 1907, S. 190-192.
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