Vierter Auftritt


[213] Ludwig. Die Vorigen.

Ludwig tritt ein. Madeleine geht tiefknixend und mit gesenkten Blick schnell an ihm vorüber.


Zugleich.


ARMANDE beiseite. Der König! Er ist's! Das hatt' ich gehofft.

LA ROQUETTE beiseite. Er selbst!

MOLIÈRE beiseite. Also doch! Ha, ha! Schlange!

LUDWIG noch hinten. Nun, was treibt man denn hier? Man läßt sich nach seiner Rückkehr einmal wieder auf der Bühne sehen, sucht Molière auf, ennuyiert sich über das leere Haus und wird nicht einmal empfangen. So muß man wohl selbst bei Ihnen anpochen, Armande, so unwillkommen es auch Madame Molière sein mag.

ARMANDE die ihn wenig zu beachten scheint und sich mit ihrer Garderobe beschäftigt, beiseite. Jetzt gilt es eine große Aufgabe! Laut. Majestät haben noch immer Ihren alten Ortsinn, wie jeder große Feldherr –

LUDWIG. Sie erinnern mich an verlorene Schlachten – Madame Molière.

ARMANDE. Ew. Majestät eilen wie immer Ihrer Zeit voran. Noch kommt die Anrede Madame Molière zu früh.

LUDWIG. Ich setze mich, in denselben Stuhl, wo ich von Ihnen schon so manche Predigt habe anhören müssen. Es ist ein Sorgenstuhl –

MOLIÈRE beiseite. O gewiß –!

LA ROQUETTE beiseite. Sitzt denn die Gesellschaft drüben? Ich muß hier stehen.

LUDWIG. Armande, nach meiner letzten Niederlage hätten Sie mich wohl schwerlich wieder hier erwartet?

ARMANDE. In diesem Augenblick hätt' ich vermutet, Ew. Majestät wären mit der Lektüre des Tartüffe beschäftigt –

MOLIÈRE beiseite. Er hat ihn noch nicht angesehen!

LUDWIG. Ich habe den Titel, das Personenverzeichnis und[213] die erste Szene hinter mir! – Das Lustspiel scheint mir nicht zu den besseren Ihres Herrn Gemahls zu gehören.

MOLIÈRE beiseite. Nicht? Wirklich schon eine Szene und bereits – ein Urteil!

ARMANDE. In zwei Stunden würde Molière Ew. Majestät das ganze Stück vorgelesen haben.

LUDWIG. Vorlesen! Ich kann nichts vorlesen hören – das ist eine Schwäche von mir. Mein Blut ist zu unruhig. Nein, nein, ich hoffe bei alledem, den Tartüffe eines Tags auf der Bühne zu sehen.

MOLIÈRE UND LA ROQUETTE beiseite. Am Jüngsten Tag!

LUDWIG. Sind Sie nicht allein?

ARMANDE. Nein, Majestät! Meine Kleider sind es, die um mich her klagen und seufzen – diese fünf wundervollen Kostüme da hatten gehofft, im Tartüffe glänzen zu können – Sind sie nicht allerliebst?

LA ROQUETTE beiseite. Wenn sie sich doch mehr an den Geist ihrer Rolle halten wollte und von den Kleidern schwiege –!

LUDWIG. Sie würden sich vortrefflich in diesen Kleidern ausgenommen haben – aber verlassen Sie sich! Ich bin gerecht, ich lese den Tartüffe –

ARMANDE. Ew. Majestät werden wenig darauf achten, ob ich gefalle oder nicht –

LUDWIG. Wieso?

ARMANDE. Das kleine Interesse, das ich früher für Ew. Majestät zu haben schien, ist – leider vorüber –

LUDWIG. Die Gefühle der zärtlichsten Freundschaft und der Liebe – ein »kleines Interesse« – –!

ARMANDE. Wann hätten Sie je ein Gefühl für mich empfunden, das solche Namen verdiente!

LA ROQUETTE UND MOLIÈRE beide beiseite. Welche Koketterie!

LUDWIG. Wie, Armande? Sie haben mich stets mit einer Kälte behandelt, die mich endlich verletzen mußte. Vor zwei Jahren, nachdem Molière Ihr Talent in aller Stille gebildet hatte, traten Sie zum erstenmal auf. Sogleich entzückte mich Ihr Spiel, Ihre äußere Erscheinung! Ich suchte Ihre persönliche Bekanntschaft. Ihre Liebenswürdigkeit fesselte mein Herz – O zuweilen schien es dann auch, als wäre die Liebe eines Königs Ihnen nicht gleichgültig; zuweilen aber setzten Sie meinen Bewerbungen die schneidendste Kälte entgegen – dann wieder ließen Sie mich neue Hoffnung schöpfen und nun – nun werden Sie Madame Molière –!

ARMANDE. Wer – sagt – denn das?[214]

LUDWIG. Armande, Sie sind noch nicht entschlossen? Ihr Herz hätte noch nicht entschieden –?

ARMANDE. Molière hat mich als arme Waise kennen gelernt, er hat mich erzogen, liebt mich, aber er leidet an dem Fehler der Eifersucht in einem Grade –

LA ROQUETTE UND MOLIÈRE beiseite. Der sehr natürlich scheint.

LUDWIG. Wie unruhig das hier im Theatergebäude ist! Molière wäre eifersüchtig, auf wen? Auf alle vielleicht, schwerlich doch – auf mich –!

ARMANDE. Majestät, Sie kränken mich!

LUDWIG. Kränken? Armande, es liegt heute etwas in Ihrem Wesen, was mich mehr denn je – ermutigt –

MOLIÈRE beiseite. Sie macht mich wahnsinnig!

LA ROQUETTE beiseite. Wär' ich nur geschützt – man kann hier etwas lernen!

LUDWIG. Ich frage Sie, Armande, ich frage Sie feierlich: Ist es Ihr Ernst, Molières Gattin zu werden?

ARMANDE. Mein Vormund ist er allerdings gewissermaßen – er wünscht es, er verfolgt mich – und ich stehe im Leben so allein da –

LUDWIG. Armande, erhalten Sie sich denen, die Sie lieben! Wenn Sie mir das würden, was Sie mir schon tausendmal zu sein verweigerten! O wenn ich – hoffen könnte! Sie schweigen?

MOLIÈRE UND LA ROQUETTE beiseite. Sie schweigt.

LUDWIG. Warum lächeln Sie, Armande? O reden Sie! Kann es einen mächtigern Schutz geben als den eines Königs? Sie zögern?

MOLIÈRE UND LA ROQUETTE beiseite. Sie zögert.

ARMANDE. Sire – diese schnelle Überraschung – ein solcher – Wechsel der Verhältnisse –

LUDWIG. Ich lasse Ihnen Zeit – Bedenken Sie, was ich wünsche – Versailles sollte zum Feenparadiese werden –! Ich höre Geräusch – Sind wir nicht sicher?

ARMANDE. Der zweite Akt des Balletts beginnt – Jeden Augenblick kann Molière mich abrufen.

LUDWIG. Ich gehe, aber mit den süßesten Hoffnungen. Geben Sie mir morgen ein Zeichen, daß ich nach der Vorstellung hier mit Ihnen reden darf!

ARMANDE. Nach der Vorstellung? Wir können nur die heutige Vorstellung wiederholen – werden Sie eine so langweilige besuchen wollen, Sire?

LUDWIG. Wenn Sie spielen, gewiß? Also nach der Vorstellung –? Hier?[215]

ARMANDE. Unmöglich! Da der Tartüffe nicht sein kann, müssen wir Neues lernen. Ich glaube, daß wir morgen bis um Mitternacht noch eine Leseprobe haben –

LUDWIG. So stellen Sie sich krank –

ARMANDE. Nennt Molière Theaterkrankheit und würde die Leseprobe dann hierher bestellen.

LUDWIG. Aber wozu schon wieder ein neues Stück!

ARMANDE. Sire, ich höre Geräusch – Morgen –

LUDWIG. Morgen –?! Und hier? Wie erfahr' ich –?

ARMANDE. Mitten im Spiel könnt' ich Ihnen ein Zeichen geben – ob Ew. Majestät wagen dürften, hierherzukommen –

LUDWIG. Mitten im Spiel?

ARMANDE. Das Publikum ahnt oft nicht, wie wir neben unserer Rolle noch mit irgendeinem einzelnen im Theater eine – kleine Nebenrolle spielen –

LUDWIG. Himmlisch!

ARMANDE. Ich empfange morgen nach der Vorstellung Ew. Majestät hier, wenn ich sicher bin, daß Molière nicht kommt und Molière kommt gewiß nicht, wenn ich einen Streit mit ihm gehabt habe. Ich müßte eine Szene mit ihm herbeiführen.

LUDWIG. Vortrefflich!

ARMANDE. Kurz vor der Vorstellung will ich einen Streit – richtig über das Kostüm beginnen – darin ist er zu, zu eigensinnig – wenn die List gelungen ist – dann könnt' ich ja –

LUDWIG. In Ihrem Kostüm mir davon eine Andeutung geben.

ARMANDE. Ja –! In meinem Kostüm – ganz recht –

LUDWIG. Ein blaues Tuch für den Fall meines Glückes? Ein blaues Tuch, wenn ich nach der Vorstellung hierherkommen darf –? Meinen Sie nicht? –

ARMANDE. Ein blaues Tuch – In der Rolle, die ich morgen zu spielen habe, kann ich kein Tuch anbringen –

LUDWIG. Dann ein anderes Zeichen –

ARMANDE. Ein Tuch wäre bequem und passend –

LUDWIG. Hat man denn kein Stück, wo ein Tuch, ein blaues, anzubringen wäre –?

Zugleich.


MOLIÈRE.

LA ROQUETTE sich streckend, in Verzweiflung und ahnend. Ein Tuch?

ARMANDE. Ich wüßte eines, wo ein gelbes Tuch –

LUDWIG. Ein gelbes?

ARMANDE. Für den Fall, daß ich den Streit nicht herbeiführen könnte –[216]

LUDWIG. Nein, nein, nur ein blaues! Also ein Stück, ein Stück mit einem Tuch –

ARMANDE. Die »Schule der – Frauen«, die kann wegen einiger Lücken im Personal morgen nicht gegeben werden – Man kommt – mein Gott –

LUDWIG. Aber so sagen Sie doch ein Stück, das so weit fertig ist, um morgen mit einem blauen Tuch hervorzutreten!

ARMANDE. Sire, der Tartüffe!

MOLIÈRE UND LA ROQUETTE beiseite. Tartüffe?

ARMANDE. Das ist das einzige, mir im Augenblicke erinnerliche Stück, in welchem ich mich eines Tuches bedienen darf, – Man hat schon geklingelt – ich habe keinen Augenblick Zeit, – Sie sehen, Sire, es kann nicht sein.

LUDWIG. Was kann nicht sehen? Tartüffe kann nicht sein? Tartüffe? Tartüffe ist ja fertig – Tartüffe kann ja jede Stunde hervortreten –

ARMANDE. Tartüffe, Sire? Bedenken Sie –

LUDWIG. Tartüffe – freilich – freilich, Tartüffe – Molières verwünschte Anrede gestern an das Publikum – die Hindeutung auf La Roquette – aber als Türkin, als arkadische Schäferin legt man aller dings keine Tücher an – wegen des Tuches müßte es doch wohl Tartüffe sein –

Zugleich.


LA ROQUETTE steht starr; beiseite. Bloß wegen des Tuches –


Molière folgt dem Spiele Armandens mit der glückseligsten Spannung.


ARMANDE. Aber bedenken Sie, Majestät, den Tartüffe?

LUDWIG. Freilich, freilich, ich besinne mich – es hat Schwierigkeiten! Aber, werd' ich darum aufhören, König von Frankreich zu sein, wenn man den Tartüffe spielt?

ARMANDE. Die Ärzte –

LUDWIG. Bah, die Ärzte –

ARMANDE. Die Advokaten –

LUDWIG. Bah, die Advokaten –

ARMANDE. Die unmoralischen Szenen mit dem Tuche –

LUDWIG. Mit dem Tuch? Mit dem Tuch? Ha! Das hab' ich ja ganz vergessen! Das ist ja die beste Szene im Stück! Da haben Sie ja die schönste Gelegenheit, mir alles zu sagen, ohne sich den mindesten Zwang anzutun. Ist Ihr Tuch gelb, so komm' ich nicht! Ist es blau, so ist die List gelungen, Sie haben eine Szene mit Molière gehabt, er läßt Sie den Abend frei, ich bin hier und werde der Glücklichste aller Sterblichen! Jetzt lass' ich Sie! Engel, anbetungswürdige Armande! Ab.


Armande begleitet ihn zärtlich zur Tür. Wie er hinaus ist, klatscht sie lachend in die Hände.
[217]

MOLIÈRE kommt mit Freude und Beschämung hervor. Armande! Ist es möglich? Du hast den Tartüffe gerettet –

ARMANDE. Nun, du Eifersüchtiger?

MOLIÈRE. Ich halte mich nicht aufrecht – das Entzücken überwältigt mich – Armande! Himmlisches, herrliches Wesen! Zu dem versammelten Personal hinaus und die Jubelbotschaft verkündet: Tartüffe ist gerettet! Gerettet durch die Liebe!


Beide ab.

La Roquette wickelt sich aus den Kleidern hervor und sieht sich starr um.


LA ROQUETTE. Was das Werk der klügsten Berechnung aller Umstände, was die gemeinschaftliche Arbeit der Geistlichkeit, der Gelehrten, der bevorrechteten Stände von ganz Frankreich war, ein Staatsereignis scheitert durch die Koketterie einer Schauspielerin an einem baumwollenen Tuch!

MADELEINE öffnet schnell. Ha! Da sind Sie ja! Na, um Sie hab' ich schöne Angst ausgestanden. Alles im Theater ist voll Jubel und Bewegung. Tartüffe ist freigegeben. Man murmelt drohend hinter der Szene. Hören Sie den Lärm?

LA ROQUETTE. Was bedeutet das?

MADELEINE. Die Arbeiter haben den Mann gesehen, der vor acht Tagen das Soufflierbuch des Tartüffe gestohlen hat – Er soll im Hause sein – sie suchen ihn überall –


Drohender Lärm.


LA ROQUETTE beiseite. Mein Bedienter! Auch das noch?

MADELEINE. Himmel, was geht mir für eine Ahnung auf – Jetzt begreif' ich, warum Sie den Tartüffe so auswendig können – Unglücklicher! Sie sind doch wohl nicht gar –

LA ROQUETTE. Bewunderung vor Molière – Achtung vor dem Genie – Quellenstudium – Ich bin ein Gelehrter –

MADELEINE. Nein! Sie sind der Präsident La Roquette selbst! Der Mörder, der Verräter meiner Eltern! Aber Ihre Stunde hat erst morgen geschlagen! Her! Nimmt ihm seine Perücke ab. Diese Perücke kann morgen Molière für den Tartüffe brauchen! Den Mantel auch! Reißt ihn ab. La Roquette beschwört sie um Schonung. Heute will ich noch Mitleid mit Ihnen haben! Nehmen Sie den Talar dafür! Da den Turban! Sie bekleidet La Roquette mit beiden Gegenständen. Mag man heute noch einmal glauben, Sie Unglücklicher wären ein Schauspieler aus der alten Schule!

LA ROQUETTE als Türke. Ach, es ist weit gekommen! Das Christentum ist ausgerottet, und die Gerechten müssen ihren Glauben abschwören! Beide ab.


Der Vorhang fällt.
[218]

Quelle:
Gutzkows Werke. Auswahl in zwölf Teilen. Band 2, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart [1912], S. 213-219.
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