7.

[236] Ehe ich vom Leben scheide – begann Benno …

Mein theurer Freund, unterbrach ihn Bonaventura, du wirst leben! …

In deinem Gedächtniß – im Gedächtniß manches, der auf meine Zukunft Hoffnungen setzte und schwer begreifen wird, warum sie nicht erfüllt wurden und warum sie gerade so – so – endigen mußten … Meine Minuten sind gezählt … Noch deinen Namenstag feir' ich, dann ist das Liebste da, was ich – vom Weltgeist begehre …

Freund! … unterbrach Bonaventura voll äußersten Schmerzes … Diese Worte Benno's wurden so zuversichtlich, so fest gesprochen, daß sie keine Widerlegung zuließen …

Ich will nicht sterben, sagte Benno, ohne mit den letzten Segnungen unserer Kirche versehen zu sein … Sorge dafür … Die Rücksicht deines Hauses erfordert es … Wer mit den Priestern ein Leben des Kampfes geführt hat, mag sich im Tode ihre Nähe verbitten; ich kämpfte nicht mit ihnen – meine Gegner[237] sucht' ich mir auf andern Schlachtfeldern auf … Einem deiner Vicare werd' ich beichten, daß ich nie an Religion betheiligt war … Sie war mir kein Bedürfniß …

Bonaventura schwieg … Er wußte, daß keine Confession so sehr religiösen Indifferentismus bei Gebildeten erzeugt, wie die katholische …

Einen Kranken erquickt nichts mehr, als von seinen Umgebungen die Anerkennung zu hören, daß er krank ist; einen Sterbenden nichts mehr, als die Anerkennung, daß er stirbt … So kam es, daß Benno mit jener Kraft der Stimme sprach, die in letzten Augenblicken oft wunderbar wiederkehrt …

Ich erfülle, sagte er, das Geschick unseres Hauses – wie mir einst in Rom der feindliche Dämon deines Lebens verheißen hat – als Lucinde jene Klagen ausstieß, die ich dir vor Jahren – von London berichtete … Vor – fast zehn Jahren! … Deinen letzten Brief hab' ich in meinem Portefeuille – und heute erst beantwort' ich ihn durch mein – Testament … Was könnt' ich dir sagen, nachdem ich mit allem gebrochen, was andere von mir voraussetzten? … Skeptiker, Indifferentist – das gibt eine imposante Lebensstellung, wenn man in die Lage kommt, nur reflectiren zu brauchen, sich die Zähne zu stochern, im Salon die Beine übereinanderzuschlagen … Stell' einen der Weisen, die im Chor der Tragödie den Heroen so gute Lehren geben, selbst auf die Breter, er macht die Tragödie zur Burleske …

Benno hielt inne, sammelte neue Kraft und lehnte Bonaventura's Entgegnungen mit einem Zeichen der Hand ab …[238]

Ich saß auf der Engelsburg, fuhr er fort, mit Räubern, deren Ungeziefer mich die Freiheit ersehnen ließ … An sich ist die Freiheit zu verlieren kein besondres Unglück … Ich hätte Steine klopfen können, um ungestört über mich und die Dinge und dann vielleicht endlich Gott nachzudenken … Nur der Schmuz des Gefängnisses entsetzte mich …

Wieder hielt der Kranke inne … Wieder fuhr er, um des Freundes Nachsicht bittend, nach einer Weile fort:

Eines Tags stand die Thür meines Kerkers offen und eine Mutter war es, die ich glücklich machte durch meine Flucht … Selbst Lucinde nahm es ernst mit meinem Schicksal, war ganz bei der Sache, ohne meiner Verkleidung zu spotten – Der arme Bertinazzi erhielt die Galeere auf Lebenszeit … Als ich die Hinrichtung der Bandiera erfuhr, brach mein Lebensmuth – die Mutter – konnte mich damals – gängeln wie ein Kind – …

Bonaventura folgte aufmerksam allen diesen schmerzlichen Erinnerungen …

Man soll die Seinen nicht analysiren … fuhr Benno fort in offenbarer Wallung gegen seine Mutter … Wo Uebermaß im Verkehr der Herzen waltet – da welkt nur zu bald die Blüte …

Bonaventura wußte, daß Benno von London im tiefsten Bruch von seiner Mutter und von Olympien sich losgerissen und gleichsam nach Rom nur entflohen war … Er hörte nun alles das, neigte sein Ohr dicht an den Mund des Freundes und bat ihn nur, sich zu schonen …

Meine Retterin, fuhr Benno in Erregung fort, war[239] die Fürstin Olympia Rucca … Es hat schon oft Seelen gegeben, die plötzlich den Teufel in seiner Rechnung betrogen – Die Heiligengeschichte erzählt von ihnen … Eine Heilige ist Olympia nun nicht geworden … Aber aus einer Tyrannin wurde sie eine Sklavin … Ich habe nie so dienen sehen, wie Olympia ein Jahr lang dienen konnte … An einem Tigerkäfig hab' ich sie kennen gelernt; sie war nun selbst gezähmt zu einem der jungen Lämmer, die sie – als Kind erwürgt haben soll – aus – Zärtlichkeit … Solche Frauen gibt es nicht – in – deiner germanischen Welt! …

In meiner? … fragte Bonaventura mit leisem Vorwurf …

Benno schwieg eine Weile … Dann sprach er einen Vers des Bonaventura'schen Gedichtes:


»Einmal, eh' sie scheiden,

Färben sich die Blätter roth –«


Er legte in den Ton der Recitation die Anerkennung deutschen Wesens im Denken und Empfinden, fügte aber, hinzu:

Als ich mein Lebensräthsel erfuhr, als ich meine todte Schwester sah, die Mutter an ihrer Leiche kennen lernte, ergriff mich Haß gegen alles, wofür ich bisher und worin ich gelebt hatte … Ich brach mit einem Vater, der lügen und morden konnte; ich brach mit einem Staat, der damals keine freien Bürger duldete; ich brach mit einem Volke, das der Tyrann andrer Völker sein konnte; ich folgte in allem meiner Mutter, deren Namen ich annahm …[240]

Bonaventura kannte diese Umwandlung, die nicht der seinigen glich …

Nicht lange war ich in Paris, fuhr Benno fort, so erschien Olympia, ausgesöhnt, engverbunden mit meiner Mutter, die mich anbetete … Du mußt wissen – – als ich Olympien zum letzten mal gesehen hatte, war mir in – der Villa Hadrians durch eine seltsame Scene – durch die Umgebungen – durch die Umstände, die meine Sorge um das Schicksal der Bandiera heraufbeschworen, – – ein Stelldichein von ihr aufgedrungen worden … Es war ein Zwang, der sich nicht ablehnen ließ … Was dem Mann Bettelpfennig, wird dem Weibe Krösusschatz – kann ein Mann mit Bettelpfennigen geizen! … Tugend –?! – – Ich fühlte eine mächtige Hand, die mich zurückhielt – ich suchte fast den Tod, um dem Wiedersehn auf Villa Rucca zu entfliehen – … Olympia und das Schicksal hielten sich an mein erzwungenes Ja! … Nicht Nacht war es, als ich sie wiedersah in einem eleganten Salon – in der Rue Rivoli zu Paris – sie hatte mich befreit – ich hieß Cäsar Montalto, haßte die Tyrannen, liebte meine Mutter, Italien – dennoch wehte Afrika's Wind vom Meer herüber, Millionen Blüten hauchten ihren Duft in linde Abendstille … Die Fürstin nahm sich den Dank, wie sie ihn begehrte …

Wieder trat eine Pause ein … In Bonaventura's Blick lag die Anerkennung alles dessen, was hier möglich gewesen … Saß er nicht an einem Leichenstein, der versöhnt –? …

Frankreich, England, das Land der schönsten Frauen[241] konnte an sich kein Schauplatz für die an Triumphe des persönlichen Erscheinens gewöhnte Nichte Ceccone's sein … Der Cardinal wurde ein Opfer der dir bekannten Italienerrache … Olympia gerieth in Bedrängnisse und die Reihe, ihr zu helfen, kam nun an mich … Einander nützlich sein – veredelt – bindet – fesselte hier aufs neue … In Olympia kehrten Regungen des Gefühls, die sie schon dem Mönch Vincente Ambrosi einst bewiesen hatte, zurück … Sie ertrug den Verlust ihrer glänzenden Lebensstellung, ertrug die ihr folgende Verringerung ihrer Hülfsmittel … Einige Jahre fand sie in der That in mir die Fülle ihres Glücks wie ein Kind … Diese abzuwehren war unmöglich … Wie die Schlange ihr Opfer nicht läßt, fand ich bei jeder Pforte, durch die ich hätte entfliehen wollen, meine Bestimmung … Diese war verloren an – zwei Frauen …

So dachte auch die Welt und entschuldigte dich … warf Bonaventura mit mildem Tone ein …

Ein Zustand des Elends blieb es … fuhr Benno fort, während seine Züge einen Ausdruck des höchsten Schmerzes annahmen … Jedes einzelne Leid fühlte ich wie das natürliche Kettenglied der Folgen, die ich über mein Leben heraufbeschworen hatte, als ich dem südlichen Blut in meinen Adern folgen wollte … Ich wollte Partei nehmen für die betrogene Hälfte meines Erdenlebens und – von Wahn zu Wahn, von Traumbild zu Traumbild lockte mich die mütterliche Welt, die mir zuletzt ein Gift wurde, das mich – langsam tödtete – …[242]

O mein Freund! war alles, was Bonaventura aus der Tiefe seines Herzens entgegnen konnte …

Beklage mich nicht! sprach Benno … Ich hatte zahllose, flüchtige Stunden des Glücks; ich trotzte der Sehnsucht meines Gemüths … Reich ist der menschliche Geist an Gedanken, die einen Kampf gegen die innern Vorwürfe des Gewissens unterstützen, ja auf Augenblicke ihn siegen und triumphiren lassen … Ich durfte mir ein – künstliches Pflichtenleben schauen – die brüderliche Freigebigkeit des Präsidenten entzog mich den Sorgen für meine Erhaltung … Ich las, studirte, schrieb – … Da ich für einen Italiener gelten wollte, hatte ich Mühe und Verdruß genug durch die Vorbereitung zu dem, was nun – gescheitert ist … Welche Menschen! Verunreinigend durch ihre Schwächen und Laster die heiligen Dinge, die sie im Munde führen – … Freilich – die Gegner –! Sind sie nicht ebenso verächtlich? … Ich kannte sie ja alle, die Diplomaten von Paris und London … Nur in den Formen liegt der Unterschied … Oft gab es Stürme im Glase Wasser – elende Streitigkeiten; doch konnten sie mit dem Schiffbruch der Betheiligten enden … Terschka – wo wol mag – der Schurke – hingerathen sein –! …

Bonaventura ließ dem Freund den Glauben an eine hienieden schon waltende Nemesis … Drängte es ihn auch, von Terschka's Beziehung zum Verrath der Bandiera zu erfahren, so gab er es doch auf – denn die Kraft des Freundes drohte zu versiegen …

Benno schloß eine Weile die Augen; dann erhob er sie wieder und ließ die irrenden Sterne derselben wie[243] ausruhen an der Decke des immer mehr sich erhellenden Zimmers; unbeweglich starrten sie wie in eine unergründliche Tiefe …

Es gab auch Edle unter diesen Kampfgenossen! begann er aufs neue wie mit feierlicher Andacht … Euch hab' ich folgen wollen, ihr Brüder, die ihr den grausamsten Tod erlittet! Ihr leuchtetet mir voran, Dioskuren am Himmelszelt auf weißen Rossen! … Die Welt sich zu erschaffen aus freiem Willen – ist edler Mannestrotz! … Lernt' es auch, als ich, ein Katholik, dem heimatlichen Staate trotzte … Haben mir's später bitter heimgezahlt, als – dem Präsidenten – auf seine Verwendung die Antwort – wurde: Ist ja österreichischer Cabinetscourier –! … Warum wurde Germanien nur so – russisch … Lebt – denn – noch – Nück? … Und – schreibe sogleich – wenn ich – … an – Thiebold – …

Weiter reichte nicht mehr die erschöpfte Kraft, die sich übernommen hatte …

Die Aerzte kamen … Schon läutete draußen von allen Thürmen das Angelus … Es war fünf Uhr … Der helle Tag lag hinter den Vorhängen der Fenster … Benno hatte sich eine zu große Anstrengung zugemuthet und war erschöpft in die Kissen gesunken … Fast schien seine Zunge gelähmt … Die Aerzte sagten, die letzte Stunde ließe sich nicht vorausbestimmen … Sie baten den Erzbischof, sich zu schonen …

Bonaventura rief die Mönche und überließ ihnen und den Aerzten die Sorge für den Geliebten, für den von heißen Qualen – der Seele Zerrissenen … Zur[244] Frühmette wollt' er nun in den Dom, wo an diesem Tage seit Jahren die Stadt gewohnt war, ihn erwarten zu dürfen …

Bonaventura's Aufmerksamkeit, in die Mittheilungen Benno's verloren, hatte nichts vernommen von den Zurüstungen der Ueberraschungen, welche ihm Verehrung und Liebe bereiteten … In sein Wohnzimmer getreten, fand er die Wände mit Blumen geschmückt … Kostbare neue Teppiche lagen über die Stühle gebreitet … Geschenke von Gold und Silber standen auf den Tischen … Alte Werke, seltene Drucke und Holzschnitte hatte ihm Graf Hugo hinlegen lassen … Der Haushofmeister, die Caudatarien, ihre Glückwünsche ertheilend, nannten die Namen der Geber, unter denen Paula's Name obenan glänzte …

Es lag in seinem Berufe, daß sich Bonaventura in seine goldstarrenden Gewänder werfen mußte … Die Bischofskrone prangte auf seinem Haupte … Schon spiegelte sich die nach der allmählich wieder ruhiger gewordenen Nacht goldig aufgegangene Sonne in den kostbaren Edelsteinen ihrer Verzierung … Unter einem von sechs Knaben getragenen Baldachin, begleitet von allen im Treppenhause versammelten Abgeordneten der Kirchen und Klöster der Stadt, den Civilbehörden, den Oberoffizieren des Militärs, trat der Erzbischof, gebeugt und trauernd, aus dem Eingang des Portals, das mit Guirlanden geschmückt war … Der Vorhof innerhalb des Gitters war leer, draußen wogte die Menschenmenge … Die halbe Stadt war in Bewegung … Selbst einer vom Erzbischof sonst verfolgten Unsitte, der rauschenden[245] den Musik des Militärs bei Kirchenfesten, konnte heute, auf Anlaß eines solchen Freudentages, nicht gewehrt werden … Jung und Alt schloß sich der glänzenden Procession an, die in den Dom zog … Bonaventura hatte sonst diese Ueberraschungen an seinem Namenstag unmöglich machen wollen; hatte kurz vorher Reisen angetreten oder war ein andermal in ein Kloster gegangen … Allmählich aber hatte er auch hierin der Landessitte nachgegeben und dem Onkel Dechanten beigestimmt, der ihm geschrieben: »Nimm doch Liebe, wo sie geboten wird! Ist die Zeit angethan, sich der Ernte seiner Saaten zu entziehen! –?« … Angeregt von solchem Zuspruch konnte er wol einmal auch ausrufen und den gewohnten Klageruf seiner Selbstgespräche unterbrechen:


Nimm an der Welt dein ganzes Theil,

Nimm es mit vollen Händen!

Was du verschmähst, wird nicht zum Heil,

Nicht zum Gewinn sich wenden!


Der Blüten nur im Lenz gedenk',

Die rings den Rasen decken,

Vom Apfelbaume ein Geschenk

Den Winden, sie zu necken!


Und doch im Herbst – der liebe Baum

Was er an Früchten spendet!

Erinnern kann er sich noch kaum

Der Blüten, die verschwendet.


Zur Erde blicke nicht hinab,

Wenn Götter dich umschweben!

Für jeden ist das kühle Grab,

Für jeden erst das Leben?
[246]

Für jeden dreifach ein Genuß

Und Einmal nur Beschwerde!

Es wogt ein sel'ger Ueberfluß

Der Freude durch die Erde!


Heute dagegen trug er im Herzen »Maria's achtes Schwert«, wie er jene Leiden nannte, die jedem nur allein verständliche, nur allein von Gott ihm zu tröstende und zu heilende wären … So schritt er in seinem Trauer-Triumphzug, unter dem Geläut der Glocken dahin … Die große, mit drei Kuppeln gebaute, dem vorigen Jahrhundert angehörige Kirche war überfüllt … Seine Ministranten waren heute seine nächsten Würdenträger … Den geheimnißvollen Ritus der Messe aus der Kirche zu verbannen würde sich Bonaventura nicht verstanden haben … In einem gelegentlichen Streit mit Gräfin Erdmuthe hatte er gesagt: »Allerdings, die Messe sollte in der Landessprache gelesen werden! Aber ich gebe auf die stummen Augenblicke in der Messe mehr, als auf die gesprochenen … Ein Gottesdienst muß mehr als nur eine Predigt sein … Unsrer Messe ist lediglich der Schein, daß sie ein unblutiges Opfer wäre, sonst nichts von ihren mystischen Vorgängen zu nehmen … Kirchen, die nur um der Predigt willen da sind, müssen ja mit der Zeit leer stehen – wer verbürgt denn nur dem Preise Gottes immer würdige Sprecher, Zungen, die nicht anstoßen, Kehlen, die nicht heiser und rauh erklingen? … Was macht die Gotteshäuser der Protestanten so leer? Die alleinige Herrschaft der Kanzel und die Einsamkeit am Altar! … ›Gott wohne nicht in Häusern, von Menschenhänden gemacht?‹ Gewiß! Aber der gewölbte[247] Raum der Kirche sagt Ihnen, daß Gott nich Ihr Gott allein ist, nicht der, den Sie in Ihrem ›Kämmerlein‹ sich zurecht gemacht haben, sondern der Gott des Universums! … Gerade da muß Ihr Eifer, ihn persönlich für sich aus der Masse der um seine Gunst Werbenden herauszugewinnen, um so lebendiger angefacht werden; die Entschließungen Ihrer Brust können erst in der Kirche erkennen, wie schwer es ist, unter so vielen, die seine Liebe zu gewinnen suchen, gleichfalls mit Würde zu bestehen … Still dann zu sein in einer Kirche mit tausend andern Stillen – das ist, denk' ich, die feierlichste Aufforderung zur Einkehr in sich selbst … Oder – soll die Religion ohne Formeln sein? Dann ist sie Philosophie … Daß die Philosophie eben Wahrheit des Lebens werde, zwingt sie, die Religion bestehen zu lassen … Der protestantische Gottesdienst sagt nur: Wir sind nicht katholisch! – Das ist gewiß wahr und war historisch richtig – Soll aber diese Zeit des Protestes ewig dauern? Kann ein Gottesdienst der ewigen Negation bei den Protestanten Sinn haben, wenn die katholische Kirche sich läutert? … Eure Predigt wird sich unsere Messe zu Hülfe rufen müssen, um – schon allein die Herrsch- und Streitsucht Eurer Parteien zum Schweigen zu bringen … Dann werden die Protestanten nicht mehr Nichtkatholiken, die Katholiken nicht mehr Nichtprotestanten, sondern beide erst wahre Christen sein –« …

Unter den Anwesenden waren Paula und Armgart zugegen … Beide eben von Castellungo angekommen – beide eben von der schmerzlichen Ueberraschung unterrichtet,[248] die ihrer harrte … Der Graf hatte ihnen Benno's Anwesenheit und Lebensgefahr erst gemeldet, als sie sich trennten, er, der Protestant, zu Benno's Lager eilte, sie mit dieser Nachricht nun in die Messe schwankten … Erkundigungen, welche Graf Hugo auf der Herfahrt eingezogen, hatten ihm bestätigt, daß Benno wirklich in Coni war … Mit diesem Stich im Herzen sank Armgart unter die tausend Beter nieder, die am Fuß des Hochaltars knieten …

Sollte sie weniger vermögen, als jener Priester dort, den die gleiche Nachricht nicht hinderte, laut seine Psalmen zu singen? …

Als die Feierlichkeit vorüber und Bonaventura auf einem kürzern Wege, unbemerkt und in einfacher Kleidung, in seine Wohnung zurückgeeilt war, fand er den Grafen schon lange mit Benno beschäftigt … Die beiden Frauen harrten in einem Gemach, wo des Kirchenfürsten Audienzen gegeben wurden, vom Schmerz überwältigt und in Thränen gebadet … Natürlich hatte man bereits die Veranstaltung getroffen, daß der Erzbischof heute nur noch seinen nächsten Freunden gehörte … Die Glückwünschenden wußten nun, welches Leid diesem Hause an einem Freudentage beschieden war …

Graf Hugo hatte dem Sterbenden Armgart's Anwesenheit angezeigt … Den Frauen hatte er dann nicht verschwiegen, wie diese Nachricht Benno erschütterte … Bonaventura richtete sein Auge auf Armgart – auch er hatte sie seit so vielen Jahren nicht gesehen … Sie war ihm aber wie gestern erst von ihm geschieden … Ihr gemeinsames Leid verband sie[249] sofort und sein seelenvoll auf sie gerichteter Blick schien fragen zu wollen: Aermste, wie trägst – nun gar erst Du das alles –? …

Ein Gesang der christlichen Dichtkunst spricht aus, was edle Herzen bei höchstem Leid erfüllt … Das »Stabat mater« in seiner unnachahmlichen Magniloquenz … Jacopone da Todi war der Dichter dieser Threnodie der verlassenen Liebe, die zurückgeblieben am letzten Rest ihres Daseins, dem todten Leib des Geopferten, trauert … Die Erde ist verfinstert; die Menschen, von Furcht und Bangen erfüllt, sind geflohen – Gott hat seine größte Offenbarung gegeben und doch leiden und weinen grade diejenigen Menschen, denen seine große Wohlthat zuerst zugute kommt … Wer kennt denn, was uns frommt –! … Jacopone hatte sein Stabat aus eigenem Schmerz gedichtet … Zeitgenosse Dante's, berühmter Rechtsgelehrter, Liebhaber der Weltfreuden, sah er bei einem Fest eines vornehmen Hauses die Decke des Tanzsaals einstürzen, sah die edelsten Frauen todt oder verwundet – und sein eigen Weib, eine blühende Schönheit, hoffnungslos aus den Trümmern davongetragen … Man entkleidete die Sterbende und unter den rauschenden Prachtgewändern trug sie, die eben nach des Gatten Wunsch noch heiter und scheinbar lebensfroh getanzt hatte, ein grobes Büßergewand … Jacopone, von Beschämung und Schmerz überwältigt, verlor den Verstand … Die Verwirrung seiner Gedanken hellte sich erst allmählich auf; doch beherrschte ihn ein räthselhafter Zustand, welchen er nicht bewältigen konnte; er redete in der Irre und wußte es, daß er so redete; er wußte die Weisheit der[250] Welt, aber er vermochte nicht, in ihr sich auszudrücken … Endlich meldete er sich am Thor eines Klosters, um als Mönch aufgenommen zu werden … Die eben neugegründete Regel des Franz von Assisi wies ihn ab, wenn er nicht Beweise seines Verstandes gäbe … Da zwang er den sich jagenden, fiebernden Gedanken seiner Seele gewaltsamen Halt auf und dichtete, wie zu gleichem Zweck einst Sophokles den Chor »Im roßprangenden Land«, so sein »Stabat mater« … Nun erhielt er die Aufnahme … Beweise seines wiedergekehrten Geistes gab er dann ferner genug, gab sie auch im Freimuth seiner Gedichte … Ueber die Sophisten von Paris schwang er die Geißel seiner Satire … Dem aus den Felsschluchten der Abruzzen auf den apostolischen Stuhl berufenen Einsiedler Petrus von Morrone, der als Cölestin V. dem verwilderten Rom die Zügel halten sollte, sagte er:


»Jetzo kommt an Tageshelle,

Was du sannst in stiller Zelle –

Ob du Gold, ob Kupfer, Eisen,

Muß sich jetzt der Welt beweisen!«


Dante ging einst zu einem Turnier und blieb unterwegs im festlichen Gewande an einer Goldschmiedbude stehen, um eine Spange zu kaufen, die noch seinem Kleide fehlte … Da sah er ein Buch auf der Lade des Goldschmieds liegen und fing, während die Wagen und Reiter an ihm vorübersausten und der Goldschmied die passende Spange suchte, zu lesen an … Noch kannte er die Gedichte Jacopone's nicht … Immer mehr vertiefte er sich in die Ergüsse einer verwandten Seele,[251] überhörte die Mahnungen des Goldschmieds, sich zu eilen, und versäumte das Turnier … Als bereits die Kämpen mit zersplitterten Lanzen nach Hause ritten, stand Dante noch immer in die Pergamentblätter verloren, die ihm der Goldschmied nicht verkaufen wollte … Lucinde, die Dante nicht leiden konnte, sagte bei Erzählung dieser Geschichte: Da sieht man, wie die Dichter ihre Rivalen lesen! Mit einem Neid, der ihnen Hören und Sehen vergehen läßt! …

Paula und Armgart wurden an Benno's Lager gerufen …

Armgart beugte sich über den todblassen Mann … Die Thränen, die ihr sonst versagten – rannen jetzt in Strömen … Benno mit seinen grauen Locken lag starr und drückte die Augen zu … Seine Lippen sogen die Tropfen ein, die über seine Wange aus Armgart's Augen rieselten … Daß es Armgart war, die so weinte, wußte er … Er wußte auch, daß Paula in der Nähe stand …

Allmählich trat eine Todtenstille ein …

Des Sterbenden Stimme erhob sich wieder, aber die Worte, die noch verstanden wurden, gaben den Entfernterstehenden keinen Zusammenhang …

Nur Armgart, die sich dicht über ihn beugte, verstand allmählich:

Armgart – nordische – kalte – Maid! …

Lebe! Lebe! rief Armgart und küßte die Stirne Benno's, strich die grauen Locken vom perlenden Schweiße zurück und weinte so heftig, als wollte sie jetzt die Beweise ihrer Herzensglut nachholen …[252]

Einst – warnt' ich dich – vor – deiner Zukunft, Mädchen! … Ich – – Thor –! …

Die Worte, die noch folgten, blieben auch Armgart nicht vernehmlich …

Der Graf trat näher … Paula wandte sich erschüttert zum Vorzimmer …

Indessen war Bonaventura eben eiligst abgerufen worden …

Auch Armgart wollte sich erheben und zurücktreten … Der Sterbende ließ ihre Hand nicht frei …

Armgart starrte Alledem mit Blicken, die dem Grafen Sorge um sie selbst einflößen mußten … In ihrem Antlitz lag eine ihrer ganzen Natur fremde, fast wilde Geberde …

Unser – guter – Thiebold! sprach Benno … Schreib's – dem besten – Freund – der Erde – … Auch – Du – Mit – Bona –! …

Armgart versprach jeden seiner Aufträge zu erfüllen und setzte mit bitterm Lächeln, ja wie mit prophetischem Schwünge hinzu:

Stummes Räthsel der Frauenbrust! … Starrer Mund, der nicht reden kann, wenn doch ein Mädchenherz überquellen möchte vom Drang nach helfenden Worten! … Lieber erstirbt das eigene Leben in uns, als daß die Lippe zu brechen wäre, die Starrsinn schließt! … Ach nur dir, nur dir hab' ich jeden Gedanken meiner Brust geweiht! Nur dir jeden Schlag des Herzens – dir hab' ich gesprochen in öden, sternenlosen Nächten – …

Armgart –! hauchte Benno und erhob sich – geisterhaft und streckte seinen Arm so aus, daß der Graf, aufs[253] tiefste von diesem freien Bekenntniß der Liebe überrascht, vom Zuspätkommen eines so heroischen Muthes erschüttert, sich zwischen die Umschlungenen drängen mußte …

Benno sah ihn lange und wildfremd an …

Freund – meiner – Schwester Angiolina! sprach er, wie jetzt ihn erst erkennend … Bezeuge – was – die – Liebe eines – Weibes – vermag –! …

Auch in des Grafen Augen traten Thränen …

Bona! Bona! wandte sich Benno an diesen, der eben zurückkehrte … Dann sah er sich fieberhaft um, sah Armgart mit dem zärtlichsten Blick der Liebe an und sank in sein Kissen zurück, die Hand Armgart's krampfhaft festhaltend …

Bonaventura kam, durch irgend eine neue Veranlassung sichtlich aufgeregt … Das Geflüster der Aerzte, die im Nebenzimmer sich befanden, mehrte sich … Auch verbreitete sich Weihrauchduft … Der Priester, den Benno begehrt hatte, war in der Nähe mit dem Sterbesakrament …

Aber noch eine andre Ursache schien Anlaß der Erregung des Erzbischofs zu sein … Er nahm den Grafen bei Seite und flüsterte ihm, während Benno in ekstatischer Begeisterung: »Einmal – eh' – sie – scheiden«, sprechen wollte und auf Armgart als die »letzte Freude« seines Lebens deutete …

Dieser Taumelkelch des letzten Entzückens sollte entweder zu hoch aufschwellen oder sich bitter – vergällen … Bonaventura berichtete laut die eben gemeldete Ankunft eines sechsspännigen Reisewagens, der,[254] mit einigen Damen besetzt, sofort am Portal des Hauses angefahren wäre … Die eine der Damen, die ältere, wäre schon in den Vorzimmern – während die andere noch im Wagen verweilte …

Armgart erhob sich … Eine Todtenstille trat ein … Auf Bonaventura's Lippen lag die Ergänzung des Berichtes: Die Fürstin Olympia – und die Herzogin von Amarillas …

Alle blickten auf Benno, ob er gehört hätte – …

Das – Sakrament – … sagte er leise …

Die Umstehenden, zu denen sich jetzt in höchster Angst auch Paula gesellte, glaubten, daß Benno die Worte des Erzbischofs nicht verstanden hatte …

Deine Mutter ist da … Bereite dich, sie zu empfangen … wiederholte Bonaventura mehrmals und dicht an seinem Ohre …

Schon vernahm man eine wehklagende Stimme in der Nähe, der sich die Stimmen der Mönche gesellten, die nach vorn gegangen waren und die plötzliche Bestürmung des Kranken hindern wollten … Paula und der Oberst gingen schleunigst, um ihre Bitte zu unterstützen …

Bonaventura hielt den Freund in seinen Armen, der mit Geberden, die denen eines flehenden, fiebergeängsteten Kindes glichen, ihn ansah und sprach:

Die besten Jahre – meines Lebens hab' ich ihnen – geschenkt – Der Tod – sei wenigstens mein und – sei euer – Laßt mich – von ihnen – frei … Fort! Fort! … Beide! – Beide –! …

Eiligst war der Graf an die Thür, welche in die Bibliothek führte, getreten und hatte diese verriegelt …[255]

Benno sah diese Handlung, dankte mit zitternd ausgebreiteten Händen, sah flehend in Bonaventura's Augen krampfte sich um seinen Hals wie ein Schutzsuchende, wie ein Verfolgter, und wiederholte sein erschreckendes, wie Gespenster verscheuchendes Fort! Fort! …

Bonaventura, ohne Fassung, that jetzt nur alles, was Benno's nächsten Wunsch unterstützen konnte, verriegelte auch noch die zweite Thür, die in jenes Cabinet führte, in welchem die Mönche sich aufgehalten hatten und jetzt der Priester mit dem Sakrament harrte … Im Bibliothekzimmer wurde es still …

Bonaventura bat wiederholt, die Mutter und die Freundin nicht abzuweisen …

Rufe den Priester – entgegnete Benno – Ich kann – nicht mehr – italienisch – sprechen … Armgart – mein Cherub! Helft, helft mir –! … Fort! – … Und – Beide! – …

Du wirst leben, Freund! betheuerte Bonaventura, in der That noch in Hoffnung auf die große Kraft, die soviel Erregungen zu ertragen fähig war … Wie könntest du bei diesem Entschluß verharren? …

Ich riß mich – von meinen – Fesseln los und gelobte, sie – nie wieder – anzulegen! … Ich sehe dich, Schwester –! … Mag die Selbstanklagen, die wilden Worte nicht – hören … Friede! – Friede! – Friede! … Mein – Gefühl für diese Mutter war – wie der angesammelte Schatz meiner unerwiderten Liebe zu allen Menschen der Erde … Was hab' ich ihr – nicht alles hingegeben … Als diese heiligen Flammen verloderten, sah ich nur die Asche[256]  – Berechnung – Eigenwille – List, Rache, Haß … Hab's – lange ertragen – … Abgerechnet – nun mit – ihr und – ihrem Schatten – … Stille – nur Stille – um – mich her … Ich – ersticke – noch – vor – südlicher – Luft –! …

Bonaventura und Armgart erbebten … Sie sahen zehn Jahre eines Lebens voller Qualen, eines Lebens ohne Willen, eines Lebens der Gebundenheit und eine furchtbar ausbrechende Reue … Wie sollten sie helfen –! … Eben mußte auch die Fürstin heraufgekommen sein – Wieder wurde es im Bibliothekzimmer unruhig … Man hörte das Schluchzen und laute Reden italienischer Frauenstimmen …

Benno bat mit stummem Blick, die Thür nicht zu öffnen … Die Kraft seines Blicks stand in wunderbarem Contrast mit dem ersichtlichen Zunehmen seiner Schwäche …

Ich will gehen, Freund … sprach Armgart athemlos … Laß' sie ein, sie, denen du jahrelang ihr Glück gewesen bist …

Benno hielt krampfhaft ihre Hand fest und ebenso die des Erzbischofs … Die Frauenstimmen verhallten wieder und nun sagte Bonaventura, er wolle gehen und sie beruhigen, Benno würde inzwischen selbst auf einen andern Entschluß kommen …

Nein … Nein –! … sprach dieser und fuhr in kurzen Unterbrechungen fort: Priester! … Wenn der letzte – Wunsch eines – Sterbenden – dir heilig ist, bewahre mich vor diesen Klagerufen! … Die Todten[257]  – hören noch lange – hören die Klagen um – ihr – Abscheiden … Angiolina, auch du vernahmst – den Ruf der Mutter –! … Abgerechnet – Stille – Stille – wie im Walde – die Blätter – rauschen – an unserm – schönen – Strom – Armgart! – Laßt – – mich – …

Im Hinblick auf Hüneneck, Drusenheim und Lindenwerth schien sein Bewußtsein zu erlöschen … Erschöpft sank Benno in die Kissen zurück …

Bonaventura fragte Armgart, ob sie die Kraft behalten würde, eine Weile allein beim Freunde auszuharren, bis er den Vicar schicken würde …

Armgart verneigte bejahend das Haupt …

Bonaventura verließ durch die hintere Thür das Zimmer, machte einen Umweg durch mehrere der Gemächer und kam in den Empfangssaal zu den Aerzten und den Brüdern, die er glücklicherweise allein fand … Er bedeutete sie, leise und unbemerkt mit dem Priester und dem Sakrament zum Lager des Kranken zu treten … Dann ging er ins Nebenzimmer, aus dem die wildesten Weherufe der Frauen erschallten …

Quelle:
Karl Gutzkow: Der Zauberer von Rom. Roman in neun Büchern, Band 8, Leipzig 1860, S. 236-258.
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Der Zauberer Von ROM (9)
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Ebner-Eschenbach, Marie von

Meine Erinnerungen an Grillparzer

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Autobiografisches aus dem besonderen Verhältnis der Autorin zu Franz Grillparzer, der sie vor ihrem großen Erfolg immerwieder zum weiteren Schreiben ermutigt hatte.

40 Seiten, 3.80 Euro

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Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

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Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

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