Bey Erblickung seiner Vaterstadt

[8] Nach so viel überstandnem Kummer

Empfind ich nun, daß diese Ruh

Noch sanfter, als ein Mittagsschlummer

Bey schwülen Sommertagen, thu.

Mein Worms ergötzt mich schon von Ferne;

Wie wird erst die Entzückung seyn,

Kehr ich beym Glantz der Abendsterne

In seinen Mauren jauchtzend ein?


Wofern mich nicht die Sinnen trügen,

So seh ich dich, mein Ithaka!

Wo ich, gewindelt in der Wiegen

Zuerst das holde Tagslicht sah;[8]

Wo oft mein Vater voll Erbarmen,

In seinem Leben zu mir kam,

Und mich von meiner Mutter Armen

Mit liebesvollen Worten nahm.


Mein Hertze saget mir im Stillen,

An diesem Flus, an diesem Feld,

Wo Ströme gelben Weines quillen,

Und Ceres Frucht die Scheunen schwellt,

An diesem Schmeltz beblümter Triften,

An allem was die Gegend hat,

Selbst an den Thürmen in den Lüften

Erkennst du deine Vaterstadt.


O seyd gegrüst, ihr Bangionen,

Der Friede kehre mit mir ein,

Der Friede müsse bey euch wohnen,

Und fest an euch gefesselt seyn.

Und du, o Thurn, dort in der Mitte!

Wie ist mir? ach! mein Hertze bebt – – –

Ist, oder ist dies nicht die Hütte,

In welcher meine Mutter lebt?


Hier wars – – Ich kenne noch die Stelle, – –

Wo einst mein Lebewohl erscholl.

Du Thüre, du geliebte Schwelle,

Du sahest meine Thränen wohl.

Du sahst mich noch am Ecke weinen,

Mit Reu und Sehnsucht rückwärts sehn.

O Hütte, leben noch die Meinen?

Und darf ich auch zu ihnen gehn?


Was frag ich? ist mir ihr Gemüthe

Nach so viel Jahren nicht bekannt?

Zählst du die Proben ihrer Güte,

So zählst du auch des Rheines Sand.

Doch schwör ich hier bey Hayn und Matten,[9]

Bey allem was nur heilig ist,

Ja selbst bey meines Vaters Schatten,

Daß mir ihr Wohlthun nicht vergist.


Nun endigt euch, ihr bittern Stunden,

Ihr süssern Tage fahet an,

Nun ich mein Vaterland gefunden,

Nun ich die Meinen küssen kann.

O Vorsicht, wirft dein heilger Wille,

Mir noch ein Jahr zu leben, zu,

So gönne mir in sanfter Stille

In ihrem Schoose Fried und Ruh.


Du prüftest mich durch schwere Zeiten;

Nun kennstu ja mein junges Hertz.

Vier Jahre voller Bangigkeiten,

Gefahr, Angst Kranckheit, Unmuth, Schmertz,

Des Todes Wurm im Eingeweide,

Melancholey in Geist und Sinn,

Die rissen Hoffnung, Trost und Freude,

Selbst alle Lust zu leben, hin.


Was dort der fromme Held erlitten,

Sturm, Ungewitter, Näß und Schnee,

Wie Winde wieder Winde stritten,

Litt ich nicht minder auch zur See.

Auch konnt ich auf des Wassers Flächen,

Die grausen Ungeheuer sehn;

Auch hört ich Mast und Segel brechen,

Sah Schiff und Schifvolck untergehn.


Einst, als von Stürmen hingerissen,

Mein Schif bald nach den Wolcken gieng,

Bald in des Abgrunds Finsternissen,

Bedeckt mit Wassern, krachend hieng;

Als ich dem werthen Vaterlande

Entfernt den letzten Seegen gab,[10]

Und sieben Meilen von dem Strande

Nun nichts mehr wünschte, dann ein Grab:


Da spaltete mit raschen Rossen

Der Geist der See der Tiefe Schoos,

Kam, als ein Strom, hervorgeschossen,

Und machte mich des Kummers los.

Sohn, sprach er, wahrer Sohn der Tugend,

Halt in Versuchung nur Bestand,

Ich liebe dich und deine Jugend,

Und schencke dich dem Vaterland.


Du solst dem nahen Tod entgehen,

Die Syrten werden dir nichts thun;

Die alte Mutter wirst du sehen,

Und in der Brüder Armen ruhn.

Dies Meer, muß es gleich Laster strafen,

Soll nie das Grab der Tugend seyn.

Ja, ja, dort seh ich dich schon schlafen

Auf jenem Ufer an dem Rhein.


Da hör ich dich auf hellen Saiten

In dem berühmten Maulbeerwald,

Mein Lob aus Danckbarkeit verbreiten,

Daß das Gehöltze wiederschallt.

Da kannst du dein beglücktes Leben

Der Schaar der schönen Künste weyhn,

Um, wenn du einst wirst Abschied geben,

Im Tode noch beweint zu seyn.

Quelle:
Johann Nikolaus Götz: Gedichte. Stuttgart 1893, S. 8-11.
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