Du und Sie

[82] Galathea, wohin flog sie, die goldne Zeit,

Da du, ohne Lakey und Putz,

Abends, einzig geschmückt mit deinen Grazien,

In der Fallje1 geschlichen kamst?

Froh bey meinem Salat, den in Ambrosia

Deine Reize verwandelten,

Warfst du damahls dich selbst, fröhlicher Laune voll,

In des glücklichen Jünglings Arm,

Der, betrogen von dir, gänzlich sich dir ergab.

Damahls schenkten die Götter dir

Rang und Schätze noch nicht; aber an ihrer Statt,

Was ein Mädchen unschätzbar macht:

Einen lachenden Witz, herzliche Zärtlichkeit,

Eine Brust, wie die Milch so weiß,

Und zwey Augen, verliebt, groß und verführerisch.

Wer mit solchen entzückenden

Reizen wäre kein Schalk? Holdester Gegenstand

Meiner Liebe, du warst es auch![82]

Und ich liebete dich, Amor vergebe mir's!

Darum, wahrlich! nicht weniger!


Diesem Leben voll Lust gleichet ihr jetziges

Reich mit Ehren gekröntes nicht!

Jener Schweizer, Madam, weiß wie das Schneegebirg',

Und breitschultrig, wie Herkules,

Der, in ihrem Pallast, lügend, am Thore sitzt,

Ein symbolisches Bild der Zeit,

Schreckt mit drohendem Blick, jetzo der lächelnden

Amoretten und Grazien

Leichte Truppen hinweg. Schüchtern umflattern sie

Jene Balken von Zedernholz

Ihres Alkovs nicht mehr. Ehemahls schlüpften sie,

Einem Schwarme von Tauben gleich,

Oft durch's Fenster hinein; scherzten und trippelten

Um ihr jugendlich Bettchen her.


Wahrlich, gnädige Frau, diese lebendigen

Persianischen Teppiche;

Dieses Silbergeschirr, manches Praxiteles

Kunstwerk; diese hellglänzenden

Kabinette, worinn Frankreich die sinischen

Künstler alle beschämete;

Diese Betten von Mohr; diese japanischen

Prunkgefäße, zerbrechliche

Wunder menschlicher Kunst; diese demantenen

Ohrgehänge, Gestirnen gleich

Stralenstreuend bey Nacht; dieser bezaubernde

Staat und Hochmuth zusammen ist

Eines Kußes nicht werth, den du mir Glücklichen

In der Jugend gegeben hast.

Fußnoten

1 Fallje ist ein schwarzes, langes und weites, seidnes Tuch, welches das Frauenzimmer an vielen Orten z.B. zu Mannheim über sich wirft, und das Haupt und den größten Theil des Leibes, ausser den Augen, damit bedeckt, wenn es im Negligee Jemand besuchen, oder in die Kirche gehen; unterweges aber doch von Niemand leichtlich erkannt seyn will.


Quelle:
Johann Nikolaus Götz: Gedichte. Stuttgart 1893, S. 82-83.
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Wenige Wochen vor seinem Tode äußerte Stramm in einem Brief an seinen Verleger Herwarth Walden die Absicht, seine Gedichte aus der Kriegszeit zu sammeln und ihnen den Titel »Tropfblut« zu geben. Walden nutzte diesen Titel dann jedoch für eine Nachlaßausgabe, die nach anderen Kriterien zusammengestellt wurde. – Hier sind, dem ursprünglichen Plan folgend, unter dem Titel »Tropfblut« die zwischen November 1914 und April 1915 entstandenen Gedichte in der Reihenfolge, in der sie 1915 in Waldens Zeitschrift »Der Sturm« erschienen sind, versammelt. Der Ausgabe beigegeben sind die Gedichte »Die Menscheit« und »Weltwehe«, so wie die Sammlung »Du. Liebesgedichte«, die bereits vor Stramms Kriegsteilnahme in »Der Sturm« veröffentlicht wurden.

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