Zilia an Edgar

[79] O Edgar komm! ich wein auf Islands Küste,

Mein müder Blick durchirrt das weite Meer,

Doch, er durchspäht umsonst die Wasserwüste!

Mein Edgar kehret nimmer nimmer mehr.


Ich weine einsam am verlaß'nen Strande

Vom rauhen Nordwind stürmisch nur umsaust;

Und Nebel sinken zum beeisten Lande

Das schäumend wild die hohe See umbraußt.


Nur Tannen wiegen sich im hohlen Winde,

Der Wiederhall seufzt mit am Meeresstrand

Und lange Nacht umringt, wie Grabesschlünde,

Mit dunkeln Trauerschatten Meer und Land.


So muß ich Alles mit mir trauern sehen,

Mein Leben gießt in allen Schmerz sich hin,[79]

In Aller Trauer werd' ich mit vergehen

Wie sich im Meer die Tropfen Thau verziehn.


Drum komm! ich fühle meine Kraft entfliehen,

In Träumen lös't sich mein Bewußtseyn auf.

Der bleiche Lebensfunke wird verglühen,

In tiefen Schmerzen hört mein Daseyn auf.

Quelle:
Karoline von Günderrode: Gesammelte Werke. Band 1–3, Band 1, Berlin-Wilmersdorf 1920–1922, S. 79-80.
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