Ein Traum

Ich kam an eine dunkle Höle, da schliefen die vergangnen Zeiten und die großen Geister der Vorwelt einen tiefen Schlaf.


Und sie konten nicht erwachen ob sie auch wollten denn sie waren gebant an diesen finstern Ort, und umgeben mit Nacht und Schlummer.


Und sie machten allerlei gewaltsame Bewegungen, und wollten sich aufreißen aus dem Schlummer; aber des Bannes Kraft hielt sie in schwerer Betäubung gefangen.


Als ich näher hinzutrat vernahm ich ein gewaltiges Brausen wie der wilden Winde wenn sie heulend ihre Häupter an Felsen zerstoßen.


Und ich ward gewahr daß es die Schicksale dieser Zeit, die Begebenheiten der Gegenwart seien, die so gewaltig an der Höle vorüber rauschten.
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Aber in das Ohr der Schläfer drang nur schwach das verworrne Brausen ihrer Stimen. Sie hoben die Häupter, rieben die schweren Wimpern, und strekten Sehnsuchts voll ihre Arme nach dem Leben aus.


Gewaltig und immer gewaltiger rauschte drausen der Umflug der Zeiten, mächtig war ihr Fortschreiten immer ängstlicher strebten die Geister der Vergangenheit zu erwachen, vergeblich! Des Zaubers Kraft umschlang sie fest und fester, sie sanken zurück zum betäubenden Schlummer.

Quelle:
Karoline von Günderrode: Gesammelte Werke. Band 1–3, Band 3, Berlin-Wilmersdorf 1920–1922, S. 29-30,68-69.
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