[Hab ich mich einmahl vergangen]

[42] Hab ich mich einmahl vergangen,

Mach ich es doch wieder gut,

Da mein stumm und still Verlangen

Deiner Schönheit Opfer thut,

Deiner Schönheit am Verstande,

Die sich auch durch Mienen zeigt,

Und die ungewohnten Bande

Machen, daß mein Herze schweigt.


Schweigen will ich mit dem Munde,

Da das Herz nicht reden darf;

Das Verhängnüß dieser Stunde

Handelt etwas gar zu scharf;

Ich soll reimen und nicht wißen,

Was sich diesmahl reimen soll.

Fülle nur mit deinen Küßen

Die gesuchte Strophe voll.


Küße sind der Weg zum Lieben

Und der Geist der Poesie;

Blindlings wird man oft getrieben,

Daß uns eine Schönheit zieh.

Schönheit, Bäume, Graß und Nelcken,

Welche Lenz und Jugend zieht,

Müßen nach und nach verwelcken,

Bis der Baum voll Mandeln blüht.


Blühn schon einmahl diese Früchte,

Ach, so ist es warlich aus,

Und des Alters Schaugerichte

Sind ein erlner Blumenstrauß,

Welcher Mund und Augen locket,

Aber, wenn er tragen soll,

So wie die Granaten stocket,

Die nur sind zum Ansehn voll.
[43]

Mag's doch seyn! Ich will verehren,

Was ich nicht genießen kan;

Wiltu meine Lieder hören,

O so hör auch dieses an,

Daß der Strahl von deinem Glanze,

Welcher dich vor andern ziert,

Auch den Ruhm von meinem Kranze

Mit sich auf die Nachwelt führt.

Quelle:
Johann Christian Günther: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 1, Leipzig 1930, S. 42-44.
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