An seine Braut

[263] Deine Schönheit, kluges Herze,

Ist kein schlecht und flüchtig Gut,

Das uns mit verbothnem Scherze

Zu den Sünden Vorschub thut,

Wenn sich unsrer Lüste Kraft

An geschminckter Haut vergaft.


Da ich dich recht kennen lerne,

Klag ich meine Thorheit an,

Die bey manchem Unglückssterne

Mir die Augen aufgethan

Und die Blüthen junger Zeit

Mancher Delila geweiht.


Deine rein- und wahre Liebe

Macht den Anfang meiner Reu.

Packt euch fort, ihr bösen Triebe

Der verbuhlten Tyranney!

Marianens Tugendglanz

Windet mir den Unschuldskranz.


Dies Gemüthe soll auf Erden

Meines Ehstands Himmel seyn

Und mir unter viel Beschwerden

Zuflucht, Rath und Trost verleihn,

Bis ihr treuer Abschiedskuß

Auch den Tod erleichtern muß.


Ach, was blüht mir vor ein Glücke,

Da mich so ein ehrlich Kind

Unter Feinden, Gram und Tücke

Sonder Eigennuz gewinnt;

Da sie mir den Schwur gethan,

Fang ich erst zu leben an.
[264]

Nehmt, ihr Stunden, nehmt doch Flügel,

Nähert mir das holde Licht,

Das mir auf der Lippen Siegel

Völligen Besiz verspricht;

Melde dich, gewüntschter Tag,

Da die Keuschheit scherzen mag.


Warthe nur, du schöner Engel,

Mit gelaßner Zuversicht!

Hab ich als ein Mensch gleich Mängel

Hab ich doch die Falschheit nicht;

Gottes Aug und meine Hand

Bürgen vor den Unbestand.


Sollt ich auch in schlechten Hütten

Mich um Salz und Brodt bemühn,

Wird der Umgang deiner Sitten

Dennoch mich zur Wollust ziehn;

Die Gesellschaft deiner Brust

Macht die gröste Noth zur Lust.


Meine Freundin, meine Taube,

Meine Schwester, ja mein Ich,

Liebe, leide, schweig und glaube,

Das Verhängnüß beßert sich,

Und sein Rathschluß crönt forthin

Kurze Qual mit viel Gewinn.

Quelle:
Johann Christian Günther: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 1, Leipzig 1930, S. 263-265.
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