Als er seinem harten Schicksal nachdachte

Wie kanstu doch so viel vergebens klagen

Und unerhörte Seufzer thun?

Ach, las einmahl die Augen ruhn

Und thu dir selber weh, die Schläge stumm zu tragen.

Du siehst ja wohl einmahl, verworfnes Menschenkind,

Daß Glück und Gott nicht mehr der Unschuld Freunde sind.


Du wurdest ja mit Angst zur Angst gebohren,

Die dir ein blutig Morgenroth

Schon in der Mutter Schoos gedroht,

Der Mutter, die durch dich so Wuntsch als Kraft verloren.

Ach, wäre dort dein Geist im ersten Bad erstickt,

So würd er jezt nicht erst durch Thränen hingerückt.


Dich, blaßer Mond, und euch, erzürnte Sterne,

Euch, deren Einfluß, Trieb und Macht

Mein Elend zeugt und auch belacht,

Beschwör ich bey der Noth, wodurch ich fluchen lerne:

Sagt, weil doch euer Licht in alle Winckel fällt,

Sagt, ob auch die Natur noch solch ein Stiefkind hält.


Bin ich allein zum Ärgernüß erschafen,

Und steckt mein Wesen voller Schuld?

Wie hat der Himmel noch Gedult,

Und warum säumt sein Zorn, mich plözlich hinzurafen,

Nachdem die Erd an mir ein solch Geschöpfe nährt,

Das ihm zur Schande lebt und sonder Nuzen zehrt?


Jedoch ich weis, er kennt mein treu Gemüthe

Und sieht des Herzens Neigung an,

Die keinem schlimm begegnen kan,

Obgleich sein ärgster Feind ihm in die Hand geriethe:

Es fehlet als ein Mensch und darum, weil es fehlt,

Vergiebt es jedem gern, den gleiche Schwachheit quält.
[67]

So bistu denn auch da nicht mehr zu finden,

– Dir, dir, Erbarmung, ruf ich zu –

Da, wo der Armen Trost und Ruh

Sich sonst gemeiniglich mit fester Zuflucht gründen?

Ach, hat dich irgend auch der Himmel, der mich plagt,

Nur mir zur lezten Qual aus seiner Schoos gejagt?


Sey, wo du wilt, du must mein Leid erfahren,

Das fast ein jedes Element

So gut als mich das Unglück kennt.

Die Seufzer müßen sich mit Luft und Winden paaren,

Die Erde fühlt die Last, von Thränen wächst die Fluth,

Und meiner Güter Rest entführt die wilde Glut.


Und mag's doch seyn. Ich will es nicht mehr rühren,

Nachdem mich auch kein Freund mehr klagt.

Der Schall, so alles wieder sagt,

Mag, was mich quält und drückt, in Wald und Wüste führen.

Ich zieh vielleicht bald nach, um bey so langer Pein

Nicht mehr ein Ärgernüß der tummen Welt zu seyn.

Quelle:
Johann Christian Günther: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 2, Leipzig 1931, S. 65-68.
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