Noch andere dergleichen

[224] Du Aufgang aus der Höh, du, der du alles lenckst,

Was ist und werden soll, von Ewigkeit gedenckst,

Des Herzens Abgrund prüfst, gerecht und klug regierest

Und allzeit wunderlich, doch stets zum Besten führest,

Mein Vater und mein Gott, ich ehre dein Gericht

Und murre wider dich aus blöder Boßheit nicht,

Indem ich durch den Schlag die große Lieb empfinde;

Du stäupest hart und scharf und doch noch zu gelinde,

Im Fall ich rechnen will, wie oft und wie verstockt

Mein böser Wandel dir den Eifer abgelockt.

Ich fiel, du hobest mich; ich sanck, du fingst mich wieder;

Du schencktest mir die Schuld, ich stärckte meine Brüder,

Und kam von neuem hin und ward auf kurze Reu

– Was thut die Langmuth nicht! – der Angst von neuem frey,

Und fing von neuem an, die Flammen, so jezt lodern,

Mit Boßheit, Ärgernüß und Frechheit auszufodern.

Jezt drückt mich deine Hand, jezt schwiz ich in der Noth

Und rufe, doch umsonst, um Rettung oder Tod.

Es ist verdienter Lohn, es sind gesuchte Plagen,

Es graut mir vor mir selbst, ich schäme mich zu klagen

Und weis nicht mehr wohin. Mein Schöpfer denck an dich,

Und leidet es dein Ruhm, so überhebe mich

Des allzu bittern Kelchs, du Brunnquell aller Güte!

Vergiß doch nun nicht erst dein väterlich Gemüthe.

Vielleicht gewinnt es jezt den leichten Eigensinn,

Womit ich dir bisher so oft entlaufen bin.

Wie leichtlich wird ein Mensch durch Schein und Welt betrogen!

Hat Satans Nez und List mein Herze dir entzogen,

So gönn ihm nicht den Raub, es kommt dich theuer an;

Du weist wohl, was dein Sohn und deßen Blut gethan.

Ich bin der böse Knecht, ich bin der gröbste Sünder,

Doch gleichwohl bin ich auch noch eines deiner Kinder:

Komm, zeuch, ich folge dir, besprenge, mache rein,[225]

Was Adams Schuld befleckt. Die stummen Thränen schreyn,

Ihr Waßer löscht den Zorn und dämpft der Rache Flammen.

Gott, bistu, was du bist, so kanstu nicht verdammen

Und ewig grausam thun; ich weis, du thust es nicht.

Verstelle, wie du wilst, dein holdes Angesicht,

Ich laße doch nicht ab zu hofen und zu bethen;

Mein Glaube trozet dich, du kanst nicht niedertreten.

Schlag immerhin erhizt, so lang es dir gefällt;

Der Streich ersparet mir die Schläge jener Welt.

Ich will, und sollt ich auch verzweiflungsvoll erbleichen,

Den Kampf der Seeligkeit durch solchen Kampf erreichen.

Mein Heiland, hilf mir flehn, mein Heiland, sprich ein Wort,

Mein Heiland, reiß mich doch bey guter Zeit noch fort

Und hole deinen Knecht aus diesem bösen Leben,

Das fast dem Tode gleich; du hast dich mir gegeben,

Nimm jezo mich davor, ich bin der Erden satt,

Die noch vor meinen Fuß viel tausend Schlingen hat.

Es ist genug! Spann aus! Ich dürfte mich verlieren,

Die Wollust sucht mich hier in Masquen zu verführen,

Der Laster schöne List umringt mich mit Gefahr,

Wie bald folgt Fleisch und Blut der allgemeinen Schaar!

Die Ehrsucht zieht uns auch mit gold- und seidnen Stricken,

Die, hängt man einmahl fest, noch mehr als Eisen drücken.

Ja, wenn auch eußerlich nichts zu befürchten scheint,

Verführ ich mich in mir, ich bin mein ärgster Feind,

Ich fliehe von mir selbst und kan mir nicht entrinnen.

Mein Heiland, sage mir, wo soll ich Trost gewinnen?

Sonst nirgends als in dir und deiner Gnadenschoos.

Ach, mache doch den Geist der schweren Bande los;

Ich fleh wie dazumahl der Schächer an der Seite:

Ach Herr, gedenck an mich und sprich doch auch nur: Heute.

Quelle:
Johann Christian Günther: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 2, Leipzig 1931, S. 224-226.
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