[An Frau Herbst (?)]

[287] Madame,


Hätten meine Gedichte so viel Feuer als Dero gestriger Wein, so würden sie Ihren Augen so würdig seyn, als ich vor meine Aufführung nicht einen geringen Vorwurf verdiene. Jedoch da ich an Ihnen und der Mademoiselle Tochter gestern Frauenzimmer vor mir gehabt, die so wohl Verstand als Artigkeit besizen, so ist mir lieb, daß ich mich vor Leuten blos gegeben, die die Schwachheiten anderer beßer zu beurtheilen wißen als der geistliche Pöbel. Übrigens ist meine Muse Ihnen den grösten Danck schuldig, denn durch die Gedult, so Sie sich nehmen wollen, meine schlechte Arbeit zu lesen, wird sie erst angefeuert, etwas Beßeres zu verfertigen, welches auch mit nechstem bezeugen soll, mit was vor Respect ich sey,

Madame,

Dero ergebener

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Quelle:
Johann Christian Günther: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 4, Leipzig 1935, S. 287-288.
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