Wünsche, aus einem Schreiben an einen Freund

[27] vom Jahre 1733.


Um diese Pilgrimschaft vergnüglich zu vollenden,

Die mich von der Geburt bis zur Verwesung bringt,

Darf Ehre, Schein und Wahn nie meine Seele blenden,

Die nicht mit Träumen spielt, und nach dem Wesen ringt.

Es sei mein Ueberfluß, nicht vieles zu verlangen;

Mein Ruhm, mein liebster Ruhm, Vernunft und Billigkeit:

Soll ich ein mehres noch, bald oder spät, empfangen,

So steh' ein Theil davon zu andrer Dienst bereit.


Die Gegend reizt mich noch, wo bei den hellen Bächen

Und in dem grünen Hain sich Ruh und Freiheit herzt.

Dort konnt' ich mit mir selbst vertraulich mich besprechen,

Wo keine Falschheit lacht, und keine Grobheit scherzt.

Dort lebt' ich unerreicht von Vorwitz und von Sorgen;

Durch keinen Zwang gekrümmt, durch keinen Neid berückt;

Der stillen Wahrheit treu, der Welt, nicht mir, verborgen,

Und, Lust der Einsamkeit! genug durch dich beglückt.
[27]

O wie vergnügen mich, wo die kein Schwätzer störet,

Die Werke, deren Ruhm die Meister überlebt;

Die Alten, deren Geist die späte Nachwelt lehret;

Die Neuern, deren Witz den Alten nachgestrebt!

Dann will die Dichtkunst mich durch ihren Reiz ergötzen,

Der in die Seelen wirkt, und Herzen edler macht,

Den, zu der Wahrheit Schmuck, in wunderschönen Sätzen

Homer, Virgil, Horaz, so glücklich angebracht.

Oft lehret mich Plutarch die Helden unterscheiden,

Oft läßt mich Theophrast der Laster Thorheit sehn,

Oft hilft mir Tacitus der Großen Stolz entkleiden,

Das räthselhafte Herz der Menschen zu verstehn.


Freund, sei mit mir bedacht, die Kenntniß zu vergrößern,

Die unsern Neigungen die beste Richtschnur gibt;

Sonst wirst du den Verstand, und nicht das Herz, verbessern,

Das oft den Witz verwirrt, und nur den Irrthum liebt.

Vermehren Kunst und Fleiß nicht unsrer Seele Würde;

Ach! so verführt uns leicht der Zug zur Wissenschaft.

Was nützt Belesenheit, was die Gedächtnißbürde,

Die Schreib- und Ruhmbegier aus tausend Büchern rafft?


Wer dies von Weisen lernt, sein eigner Freund zu werden,

Mit der Versuchung nicht sich heimlich zu verstehn;

Der ist (ihr Großen, glaubt's) ein großer Mann auf Erden,

Und darf Monarchen selbst frei unter Augen gehn.

Die Wollust darf ihn nicht aus Bergkrystallen tränken,

Die Schmeichler kriechen nicht um seinen Speisesaal:

Doch Freiheit kann der Kost Kraft und Gedeihen schenken,

Und die fehlt Fürsten oft bei ihrem Göttermahl.


Du schönstes Himmelskind! du Ursprung bester Gaben,

Die weder Gold erkauft, noch Herrengunst gewährt,

O Freiheit! kann ich nur dich zur Gefährtin haben,

Gewiß, so wird kein Hof mit meinem Flehn beschwert.


Nichts wähl' ich außer dir, als, deiner zu genießen,

Ein unverfälschtes Herz, ein immer heitres Haubt,

Wo aus zu großem Glück nicht Stolz und Wahn entsprießen,

Noch ein zu großes Leid mir Muth und Kräfte raubt.[28]

Ich seufze wahrlich nicht um seltne Stufenjahre:

Wer wohl zu sterben weiß, stirbt allzeit gnug betagt.

Nur wünsch' ich, daß ich nicht in meine Grube fahre,

Eh' ich dem Laster schon den Handel aufgesagt.


Darf ich mir noch ein Glück zum letzten Ziel erlesen;

So stell' im Scheiden sich bei mir kein Schrecken ein:

Und wie bisher mein Schlaf des Todes Bild gewesen;

So müss' auch einst mein Tod dem Schlummer ähnlich sein!


Quelle:
Friedrich von Hagedorn: Sämmtliche poetische Werke, Leipzig o.J, S. 27-29.
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