Die Henne und der Smaragd

[123] Des Glückes hämscher Eigensinn

Wirft viele Schätze dieser Erden

Unwürdigen Besitzern hin,

Durch Reichthum lächerlich zu werden.


Wo findet beides sich zugleich:

Geld und Verstand zu edlen Thaten?

Vielleicht im tausendjährgen Reich,

In Wahrheit nicht in unsern Staaten.


Aus eines Bischofs Schatz verlor sich ein Smaragd,

In dem ein helles Grün mit reinen Farben spielte,

Den, wegen strahlenreicher Pracht,

Ein jeder, der ihn sah, für unvergleichlich hielte.


Dies Kleinod fand ein weiblich Thier,

Das von dem leichten Volk, so sich in Federn kleidet,

Des Kammes kronengleiche Zier,

Die Wachsamkeit (die Phyllis nie beneidet)

Und treue Dummheit unterscheidet;

Das blinde Gütigkeit von guten Männern borgt,

Und Junge fremder Art, als seine Zucht, versorgt.
[123]

Was that die Henne hier? Sie fand.

Sie fand; und finden ist die Kunst von vielen Erben;

Doch beider Fund wird übel angewandt:

Denn jene scharrt den Stein in Sand,

Und diesen kann ihr Gut kein wahres Glück erwerben.


Die Fabel von dem Huhn und von dem Diamant

War mir und dir und tausenden bekannt.

Mein Freund! den Einwurf kannst du sparen.

Sie war bekannt vor tausend Jahren:

Ihr ändert nur mein Reim die äußere Gestalt;

Und keine Wahrheit wird zu alt.


Quelle:
Friedrich von Hagedorn: Sämmtliche poetische Werke, Leipzig o.J, S. 123-124.
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