Zweiter Band

Aber ich war nicht ruhig – nur stumpf. Ich mied Würzburg und eilte nach Engelau ohne irgendwo auf der ganzen Reise zu verweilen. Ich wollte es nie wieder verlassen und ward durch den herzlichen Empfang meiner Untergebenen in diesem Vorhaben bestärkt. Was hatte ich in diesen zwei Jahren der Abwesenheit gewonnen? Schmerz und bittre Erfahrung; weiter nichts! Nur Benvenutas Gesundheit hatte sich sehr gebessert; sie war blühend und kräftig und gewährte mir die Beruhigung, daß die Reise für sie nicht umsonst gewesen sei. Tödtliche Pein mit einiger Verlegenheit gemischt verursachte es mir, daß ich als Gräfin Astrau aber – ohne Gemal heimkehrte. Meinem Arzt, meinem ehemaligen Vormund und allen Personen, welche direct oder indirect nach ihm fragten, sagte ich: er könne unser Klima nicht gut ertragen und sei außerdem mit Arbeiten beschäftigt, welche ihn an Italien fesselten. Man begriff das einigermaßen, man beklagte es für mich .... und[1] bald war nicht mehr davon die Rede. Was mich am meisten an ihn erinnerte war ein Schmerz am Herzen, der mich in jener Nacht vor Arabellas Fenster ergriffen hatte, und der seitdem nie ganz mehr wich. Er war aber durchaus körperlich; seelisch – war ich mehr erstarrt und durchkältet als durchschmerzt. Ein Stückchen vom Faden der Ariadne war mir in die Hand gefallen – und fiel ebenso hinweg .... das war Alles. Sollte ich mich grämen? – Warum? – Ich wußte ja daß der Gram etwas ebenso Vergängliches sei.

Wie nun das Leben hinbringen? Der Sommer verging ganz gut. Der ländliche Aufenthalt war mir neu. Die grünen Wiesen, die schönen Bäume, die üppigen Kornfelder, die Viehheerden, die demüthige und doch nicht armselige dörfliche Umgebung contrastirte so auffallend mit Venedigs Wasser- und Marmorwelt, mit seiner zerfallenden Herrlichkeit und seiner grandiosen Armuth, daß der Genuß des Contrastes mir interessant war. Ueberdas gab es eine Menge Geschäfte, die ich einmal wieder in der Nähe übersehen oder von deren gutem Fortgang ich mich überzeugen mußte. Es gab zu loben und zu tadeln, zu berichtigen und anzufeuern, zu helfen und zu rathen. Es war eine Wiederholung der Heimkehr aus England – nur[2] unter günstigen Umständen, und daher ohne jenen Sporn den ein bestimmtes Ziel der Thätigkeit gewährt. Schwierige Verhältnisse keiner Art lagen mir zu überwinden oder zu entwirren vor. Die Geschäfte gingen ihren höchst geregelten Gang. Meine Schulen gediehen, meine Baumpflanzungen wuchsen. Zuweilen stiegen Gedanken in mir auf als müsse ich den gemeinen Mann auf meinen Gütern unerhört beglücken. Fragte ich mich jedoch ernsthaft welche Sorte von Beglückung ihm denn beizubringen sei: so beschränkte sie sich auf Arbeit und auf einen Sparpfennig für die Noth. Dafür sorgte ich mit wahrer ausdauernder Theilnahme und zu jeder Zeit; und nie haben mich meine Verstimmungen dagegen gleichgültig gemacht.

Als der Herbst mit seinen Tagen voll Regen und Sturm und mit seinen langen Abenden kam, sah ich indessen ein, daß ich nothwendig andere Beschäftigungen brauche; und um meine Gedanken an eine bestimmte Disciplin zu gewöhnen, beschloß ich förmlich ernsthaften Unterricht zu nehmen. Ein Cursus etwa der Chemie, Physik oder Astronomie schien mir aber gar nicht ernsthaft genug, sondern wie die Männer gebildet werden, mit alten Sprachen und mit Mathematik: so wollte auch ich es anfangen. Ohnehin hatte ich in meiner ersten Jugend[3] kläglich wenig gelernt! Späterhin war mir auf meinen Reisen allerlei angeflogen, was ich mit Geschicklichkeit mir aneignete, wie Sprachen der fremden Länder, Kenntniß ihrer Geschichte, ihres Bodens, ihrer Literatur. Allein jede Beschäftigung in dieser Richtung oder mit meinem ganz hübschen Talent zur Malerei, schien mir kein genügendes Joch um den Sturm meiner Gedanken und Träumereien zu bändigen. Ich hatte so oft sagen hören welch eine Grundlage aller tiefen Bildung die alten Sprachen wären – hatte in England gesehen wie sie auf integrirende Weise zu der so ganz praktischen Erziehung gehören – daß ich mir Wunder was für Vortheile davon träumte. Ich vergaß nur den ungeheuern Unterschied zwischen einer unentfalteten Jünglingsseele, die bereitwillig den Keim aufnimmt, welcher in ihrem frischen Erdreich aufgehen soll und kann – und zwischen mir. Ich war uralt an Lebenserfahrung und Kenntniß; Leid und Lust, Schmerz und Glück, Verlust und Gewinn, welche sich für Andere über fünfzig und sechszig Jahre ausbreiten, hatten sich für mich mit so beklemmender Schnelligkeit gedrängt, daß ich mir bei fünfundzwanzig Jahren sagen mußte: glück- oder leidbringende äußere Ereignisse hätten sich für mich erschöpft. Obwol ich eine namenlose und bodenlose[4] Leere in mir fühlte – obwol ich mir vorkam wie die Wüste über welche wenigstens das Weltmeer fluten muß um sie zu beleben – obwol mir manchmal zu Sinn war als hätte ich noch gar nicht gelebt und nichts gehabt: so hielt mir meine Vernunft doch immer eine und dieselbe ermüdend langweilige Predigt: Dir sind die guten und bösen Schicksale bereits zu Theil geworden welche dem Menschenleben zugemessen sind; drum halte Dich ruhig; räume die Trümmer aus dem Innern fort, vergiß Dich selbst, sei Andern nützlich und lerne daß es eine Menge Dinge zu thun giebt die weit ersprießlicher sind als mit Gebilden der Phantasie zu schwelgen.

Also: die Trümmer meines Innern wollte ich aufräumen mit Mathematik und alten Sprachen. Zu meinem Geburtstag machte ich mir selbst das Festgeschenk zweier Lehrer, welche sich entschlossen sich auf drei Jahr in Engelau zu vergraben. Herr Becker hatte so eben seine philologischen Studien vollendet und da sich ihm nicht gleich die gewünschte Stelle an der Universität zu Kiel darbot, so nahm er die in meinem Hause an, die ihm wenigstens Muße zu eigenen Studien ließ. Er war sehr jung, sehr lebhaft, ein glühender Bewunderer des Alterthums, das er in Leben und Kunst, Institutionen[5] und Religion als das Ideal vergötterte zu dem die Menschheit hinstreben müsse – ein einseitiger Verächter alles Neuen (nämlich der letzten zweitausend Jahre) – kurz ein Mensch der nichts kannte als seine Wissenschaft, und die Ueberzeugung hegte durch ihre Verbreitung müsse die Welt zu ihrer wahren Gesittung erhoben werden. Dies hatte den großen Vortheil für mich daß er gern zu mir kam, weil er seinen Aufenthalt bei mir als die erste Stufe zur Gräcisirung der nordischen Barbaren betrachtete; und daß er mir mit dem zwiefachen Feuer der Jugend und der Begeisterung Unterricht gab.

Herr Müller, der Mathematiker, war ein ältlicher Mann, welcher fünfunddreißig Jahr sich abgequält hatte der Schuljugend eines Gymnasiums seine Wissenschaft insoweit beizubringen, als dieselbe ein Ingrediens der nothwendigen Examina ausmachte, welche man zu bestehen hatte. Die unendliche Gleichgültigkeit mit der Herr Müller seinen Unterricht an unendlich gleichgültige Schüler ertheilte, hatte ihn nach und nach dermaßen zerstreut gemacht, daß er sich nicht mehr bei ihnen in den nothwendigen Respect zu setzen vermogte. Mit einem winzigen Jahrgeld wurde er entlassen, und da ich ihm die Zusage machte es nach drei Jahren zu verdoppeln, so sah er sich veranlaßt[6] meinen Vorschlag, auf Zureden seiner Freunde anzunehmen. Sie waren bemüht ihm eine sorgenfreie Existenz zu sichern. Er für seine Person fühlte sich sorgenfrei sobald er von dem Verkehr mit den bösen Buben – wie er die Gymnasiasten nannte – befreit war. Die Leibesnahrung und Unterkunft machte ihm keine Sorgen; er lebte von Kaffee und Brot und war, Dank dieser strengen Diät und seinem sterilen Studium zu einer so mumienhaften Ausdörrung gediehen, daß er die Bedürftigkeit des lebendigen Lebens nicht mehr empfand. Er war so genügsam und so wolwollend, daß ihm Welt und Menschen vortreflich und nur im Betreff der Gymnasialjugend etwas mangelhaft erschienen. Ein Fortschritt – Einer! war freilich für die Welt zu machen und stand ihr bevor .... sobald die allgemeine Formel für die Primzahlen gefunden sei! Was ihr aber dann noch zu ihrer Vollkommenheit und Glückseligkeit mangeln könne, das – gestand er unbefangen – sehe er nicht ein. Seine Seele war auf der Jagd nach dieser Formel. – In seinem beschränkten Berufsleben war es ihm nie vorgekommen, daß Jemand zum Vergnügen Mathematik studirt habe. Er betrachtete mich wegen dieser Neigung als ein von Gott begnadigtes Geschöpf. Meine Aufmerksamkeit und Ausdauer freuten ihn[7] so sehr, daß er mich nach seiner Weise herzlich lieb gewann, und Selbstliebe und Eifersucht lagen ihm so fern, daß er mir zuweilen den Wunsch aussprach: zum Lohn meiner Achtung für die erhabenste Wissenschaft, der ich hoffentlich mein ganzes Leben widmen würde, verdiene ich die Ehre – die allgemeine Formel für die Primzahlen zu finden, und mein unsterblicher Ruhm werde ihn mehr beglücken als sein eigener.

Ich hatte also zwei Lehrer wie man sie sich nicht besser wünschen kann, und überdas den festen Willen möglichst viel von ihnen zu lernen. Im schneidendsten Contrast zu meinem vagabondirenden Leben in Venedig, wurde das gegenwärtige mit einer zuchthausmäßigen Pünktlichkeit Stunde für Stunde eingetheilt, und von sieben Uhr früh, wo ich aufstand – bis zwölf Uhr Abends, wo ich schlafen ging – gab es keine Minute, welcher nicht ein Geschäft zugetheilt gewesen wäre: denn auch die Erholungen bekamen ihrer Regelmäßigkeit wegen einen Geschäftsanstrich. Mein Haus kam mir wirklich vor wie eine Strafanstalt, während es für Herr Becker und Herr Müller, und für eine junge musikalische Gesellschafterin ein ganz angenehmer Aufenthalt war: dermaßen kommt Alles auf die Deutung an, welche wir den Zuständen geben und[8] auf die Gesinnung mit der wir in sie hineintreten. Aber ich wollte es nun einmal so! ich wollte meine Thätigkeit nicht vergeuden noch versplittern, sondern sie auf einem Punkt sammeln um sie gleichsam zu einem Pfeil zu machen, der von der gespannten Bogensehne des Gedankens geschnellt, das Ziel in der Mitte treffen mußte – das Ziel nach dem ich nun schon so lange rang, das mir stets in andrer Form erschien, und das ferner denn je von mir zurückwich sobald ich der Form scharf ins Auge sah – das Ziel jedes Menschen, sein glühendstes Bedürfniß, nach welchem er heimlich seufzt oder laut schreit, und um welches er herum irrt wie um ein unentdecktes Land, das der Schiffer mit Magnet und Compaß nicht aufzufinden weiß – – das Glück!

Ich studirte mit großem Eifer, aber ohne eigentliche Vocation! Ich lag heimlich bei mir selbst auf der Lauer ob nun nicht bald ein genußvoller Zustand eintreten werde. Dadurch wurde natürlich die unbefangene Hingebung getrübt, und die übertriebene Erwartung die ich mein Lebenlang von jedem Ereigniß gehabt hatte, verließ mich auch hier nicht. Immer war mir zu Muth als stände ich an jenem Brunnen in welchem nach einer Fabel die Wahrheit sitzen soll, und als schöpfte ich mit[9] der größten Anstrengung nichts als Wasser heraus! – Auch jezt war ich wieder auf Verfolgung der Göttin begriffen.

Während dieses unfruchtbaren Bemühens dachte ich doch zuweilen an Otbert und Arabella – mit Neid. Mogten sie in einem Wahn befangen sein, so war derjenige der Liebe doch der süßeste von allen. Bald nach dem Ausbruch der Julirevolution war Otbert nach Paris gegangen. Die fiebernde Aufregung der Gemüther und die tobende Gährung aller Zustände waren ihm eine zauberische Lockung. Wie ein geübter Schwimmer, der seiner Kräfte sicher ist, ließ er sich bald von dieser, bald von jener Welle heben, schaukeln, fortziehen, und fand ein eigenthümliches Behagen an ihrem Gebraus und Gewirbel. Die religiösen und socialen Fragen mit deren Lösung diejenigen sich beschäftigten, welche auf dieser Basis eine neue Ordnung der Gesellschaft aufführen wollten, interessirten ihn aufs Höchste. Mit einer Wärme gab er sich dem St. Simonismus hin, als sei er bereit ein Apostel, ein Märtyrer der neuen Lehre zu werden; und mit einer Leichtigkeit wandte er sich ab sobald der Reiz des Neuen erschöpft war, als habe es sich nicht um Ueberzeugung sondern um Persiflage der Sache gehandelt. Er selbst hätte nicht genau bestimmen können ob er[10] wirklich ergriffen war oder nur das Ergriffensein spielte um es als Mittel zu irgend einem Zweck zu gebrauchen: denn bald wollte er als ein Propagandist neuer Ideen populär werden, bald suchte seine Eitelkeit ihren Genuß in dem Nimbus des Außergewöhnlichen, bald begehrte er nichts weiter als in Feuer gesetzt zu werden, gleichviel wodurch! gleichviel für wen! um nur nicht der grauen Monotonie zu verfallen. Sehr flüchtige Briefe, die er mir nur schrieb um mich von seinen pecuniären Verhältnissen zu benachrichtigen, deuteten mir das an. Ich hatte ihm bei unsrer Trennung die Hälfte meines Einkommens bestimmt. Es schickte sich nicht anders – so schien es mir – da ich seine Frau war und, mit ihm zusammenlebend, das Ganze mit ihm wenn auch ungetheilt genossen haben würde. Aber mein Schicklichkeitsgefühl ward in diesem Punkt durch seinen gänzlichen Mangel daran verletzt. War es die gemeine Gesinnung oder die kindische Nachlässigkeit die sich darin aussprach – genug, es peinigte mich in seiner Seele, daß er von seiner Frau gar nichts begehrte als Geld! und immer wieder Geld! Der St. Simonismus kostete ihn unglaubliche Summen. Später waren es die ausgewanderten Polen. Dann unterstützte er legitimistische Bestrebungen. Noch später warf er sich[11] zu einem Träger des Socialismus auf. Immer hatte er das Bestreben in der jedesmal herrschenden Richtung bemerkt zu werden; und da jede derselben ihre sehr materielle Seite hatte für welche nur wenig Adepten bereit waren Opfer zu bringen, so zeichnete er sich zwischen denselben um so mehr aus. In seinen Briefen berührte freilich nur ein Postscript von zwei Zeilen den fraglichen Punkt; allein es war sehr klar, daß die Briefe überhaupt nur des Postscripts wegen geschrieben waren. Daher beantwortete ich sie mit der trockensten Kürze, und fühlte mich nie veranlaßt eine Frage nach Arabella an ihn zu thun.

Kaum zwei Jahr nach unsrer Trennung erhielt ich aber von Arabella selbst einen Brief – und zwar aus Hamburg. Sie bat mich in wenig Worten, jedoch dringend, zu ihr zu kommen; sie sei auf dem Weg nach der Heimat. Dieser Weg schien mir ein seltsamer Umweg. Ich riß mich von meinen Studien los und fuhr nach Hamburg. Gott! wie fand ich sie! Zwischen Melancholie und Schwindsucht schwankte ihr armes Leben an einem seidnen Faden hin und her. Ich war fassungslos bei ihrem Jammeranblick. Sie sagte:

»Du findest mich auf dem Heimweg .... zum Grabe, Sibylle. In meiner Familie sterben wir[12] Alle vor dem dreißigsten Jahr. Ich habe das oft an Otbert gesagt! ich dachte er würde mir vergönnen die wenigen Jahre bei ihm, d.h. glücklich zu verleben. Aber nein! Du hast mein Glück mit Dir aus Venedig entführt. O Sibylle! warum bliebst Du nicht in Venedig? So wie Du fort warst hörte Otberts Liebe zu mir auf. Er brachte mich bald darauf nach Paris .... aber er dachte nicht mehr an mich. An Dich dachte er .... oder an die großen Welterschütterungen .... oder an sonst etwas! wer kann sagen woran Otbert denkt! nicht an mich – das wurde mir allmälig klar – doch unter welchen Qualen .... magst Du daraus schließen, daß ich endlich ihn verließ und hieher kam um Dir Astralis zu bringen. Nun bin ich fertig und nun – lebe wol.« –

»Ich nehme Astralis, aber ich nehme auch Dich mit mir, Arabella! rief ich mit einem namenlosen Wehgefühl. Glaubst Du denn daß ich Dich Deinem einsamen Leid überlassen könnte?«

»Ich glaube es nicht: ich will es! sprach sie bestimmt und kalt. Glaubst denn Du daß Deine Nähe mir lieb ist? Ich sage Dir mir ist nichts lieb als der Tod, und Du bist es weniger noch als tausend Andre, denn mit Dir .... zog mein Glück aus Venedig fort.«[13]

Das war ihre fixe Idee und daher war sie bitter und feindlich gegen mich gestimmt. Ehedem in London hatte sie mir schon den Vorwurf des Verraths an der Freundschaft gemacht: er war ungerecht! doch dieser war gradezu unsinnig. Trübe übersann ich unser seltsames Schicksal, das sich zweimal feindlich durchkreuzte, während wir im Herzen Freundinnen waren; – denn Arabella hatte immer Vertrauen zu mir, und ich hatte sie immer lieb. Sie lehnte sich an mich, und ich freute mich ihrer. Trotz unsrer Verschiedenheit paßten wir zusammen .... aber Otbert schleuderte uns wie ein unheilvoller Komet so weit auseinander, daß jede fernere Berührung eine Anstrengung und daher schmerzlich sein mußte. Ich drang deshalb nicht heftig in Arabella mich nach Engelau zu begleiten, obwol ihr Vorsatz mir trostlos vorkam in Hamburg zu bleiben und dort ihr Ende zu erwarten. Ein Arzt in Paris hatte ihr gesagt sie würde den Herbst im Norden nicht überleben.

»Und der ist nah, ich fühl' es! sagte sie. Drum wollte ich zuvor Astralis in Sicherheit bringen.«

»Willst Du Dich aber wirklich schon jezt von dem Kinde trennen?« fragte ich.

»Ja! denn wenn ich es vor Augen habe, so wird mir das Leben nicht leichter und nur der Tod[14] schwerer. Ueberdas fürchte ich die Ansteckung meiner Krankheit für Astralis. Sie wird also in jeder Beziehung besser bei Dir als bei mir aufgehoben sein.«

Ich war Arabellen behülflich in einer Vorstadt Hamburgs eine kleine Gartenwohnung zu finden, die sie mit ihren treuen irischen Dienstboten bezog. Ich begleitete sie dahin. Als sie in ihr Zimmer trat, das zu ebner Erde lag und die Aussicht auf ein schlichtes Gärtchen bot, ergriff sie eine nagende Erinnerung.

»Auf Torcello war es anders! rief sie. O Sibylle! hättest Du denn nicht in Venedig bleiben können?«

So unbeschreiblich war ihr Einfluß auf mich, daß ich mir selbst egoistisch und grausam erschien; und er rührte nur daher, weil sie ganz und rücksichtslos in einem einzigen Gefühl lebte. Mogte sie Anderen tadelnswerth erscheinen – mogten Moral und Sitte ihr Benehmen verwerfen – mogte ich selbst sie in dieser Beziehung nicht rechtfertigen: mir kam diese Einheit des Wesens, welche von einer und derselben Idee lebt und stirbt, doch so majestätisch und wunderbar vor, daß ich mehr Achtung vor ihr als vor mir empfand. Denn sie hatte eine Kraft die mir gänzlich fehlte: sie hielt fest was sie einmal hielt.[15]

Ich brachte einen geschickten Arzt zu ihr und beschwor sie sich seiner Behandlung zu unterwerfen, und sie versprach es bereitwillig. Er sagte mir aber Tags darauf, daß ein fast ununterbrochenes Fieber ihre Kräfte aufzehre und daß sie es wisse.

Selten habe ich eine so melancholische Scene erlebt, als die unsers Abschieds. Arabella hatte meine Heimreise auf den vierten Tag festgesetzt und mich gebeten Astralis bei ihr abzuholen, damit die Kleine durch die Fahrt von dem dumpfen Gefühl der Trennung zerstreut würde. So geschah es. Als ich bei Arabella eintrat führte sie mir Astralis reizend geschmückt entgegen und sagte gelassen:

»Dieser Engel soll bei Gott und bei Dir für mich um Verzeihung beten.«

»Sprich nicht so .... aus Barmherzigkeit!« rief ich gequält mit erstickter Stimme.

»Gut, gut! sagte sie immer ganz gefaßt. Ich schenke Dir Astralis. Sie hat nichts als die Existenz, keine Eltern, kein Vermögen! ich kann ihr nichts hinterlassen als ein Paar Diamanten, denn nach meinem Tode fällt meine Rente an Lord – gh zurück. Verlasse sie also nicht und sorge dafür, daß sie in meiner Religion erzogen werde. Versprich mir das, Sibylle, und dann .... laß uns scheiden.«[16]

Ich gab ihr mein Versprechen, nahm Astralis auf den Arm und stand unschlüssig ob ich gehen ob ich bleiben solle mitten im Zimmer. Da fiel sie mir feurig um den Hals, umarmte und küßte mich.

»O Du bist gut! rief sie; – aber geh! geh! ich kann Deinen Anblick doch schwer ertragen.«

Ich wandte mich rasch der Thür zu. Da rief sie – – oder nein! ein herzzerreißender Schrei rang sich aus ihrer Brust:

»Astralis!«

Ich flog zu ihr: »O komm' mit mir, Arabella.«

»Nein nein! geh! unterbrach sie mich wieder gefaßt. Mir war nur eben als berühre mich der Tod eiskalt. Geht! geht!«

Sie küßte noch einmal mich und das Kind, sank dann matt auf einen Stuhl, sah durch das Fenster zum Himmel auf und sang den Anfang eines Liedes das sie sehr liebte: »'T is the last rose of the summer.« O wol war es die letzte Rose ihres Lebens, die ich jezt mit mir forttrug! – –

Am Abend desselben Tages war ich wieder in Engelau. Während der Fahrt hatte ich nur einen Gedanken! Zwei Menschen kannte ich – unter so vielen nur zwei! – welche, seitdem sie über sich selbst zum Bewußtsein gekommen, nie um eines Strohhalms Breite von dem Gegenstand abgewichen[17] waren, der ihre Seelen in der Grundtiefe ergriffen hatte: eine Sünderin war die eine zu nennen, und der andre ein Narr. Arabella war es und mein alter Mathematiker! Wenn dies das Resultat der Thorheit ist, so behüte mich, Gott! vor dem der Weisheit, denn diese zwei Menschen – sie mißachtet, er verhöhnt, kamen mir ehrwürdiger vor als alle die, welche aus ihrer kläglichen Eigenschaft vergessen und sich zersplittern zu können, eine Tugend zu machen wußten. Namenloses Grauen vor dem Zwiespalt in welchem der Mensch durch das Leben geschleudert wird, zerarbeitete mir die Seele. Wer da festhält kommt aus dem Gleichgewicht nach Außen, so daß die Leute hohnlächelnd mit dem Finger auf ihn weisen; – wer nicht festhält kommt aus dem innern Gleichgewicht indem er in Conflict mit seiner jammervollen Bedürftigkeit und seiner unabweislichen Ueberzeugung geräth. Wie ein zerschellter Nachen von den Wellen an die Küste geschleudert und von der Brandung wieder zurückgetrieben wird: so flogen meine Gedanken auf und ab, hin und her, und fanden nirgends, nirgends Ruhe.

Ein Brief von Astrau erwartete mich in Engelau – ein ganz widerwärtiger Brief, in welchem er Arabellas plötzliche Abreise von Paris eine ihrer[18] »weltbekannten Excentricitäten« nannte und sich mit weitläuftiger Erbitterung über die unsinnigen Ansprüche der Frauen ausließ, welche von einem Mann immer und ewig nichts weiter begehrten, als daß er ihr Liebhaber sei – etwa ein romantischer, idyllischer oder heroischer Liebhaber, aber vor Allem der. Dadurch würden die Frauen zu einer so marternden Last, daß der Mann aus Verzweiflung in scheinbare Härte verfallen müsse um seine Freiheit und Thätigkeit dem Weltleben und dessen grandiosen Interessen gebührend zuwenden zu können. So häuften sich am Ende die Mißverständnisse. zu einer unübersteiglichen chinesischen Mauer – und das sei lediglich die Schuld der egoistischen Beschränktheit des Weibes. – Dieser Brief kam mir vor als werfe Astrau sich in die Maske des Zorns um sich gegen eigene und fremde Vorwürfe zu panzern. Aber es war mir entsetzlich, daß er gegen Arabella Vorwürfe aussprach, während sie sich keinen einzigen – ja keine einzige Klage über ihn erlaubt hatte. Als Antwort meldete ich ihm die Lage der Dinge und fügte schließlich hinzu:

»Ich bin so ganz der Ansicht, daß einem Mann Größeres zu erfüllen obliegt, als zu den Füßen des Weibes die Rolle eines romantischen Liebhabers[19] zu spielen, daß ich auf dem Punkt sein würde einen solchen Mann zu verachten – wenn nicht zum Unglück Du selbst Dich mir gegenüber in eine solche Rolle geworfen hättest: folglich stehe ich Dir zu nah um Dich beurtheilen zu können. Unser Urtheil über einen Menschen begehrt ebensowol wie das über ein Kunstwerk die gebührende Perspective. Ich bin also gar nicht mit jenen Frauen über welche du klagst, einverstanden und bin gern bereit sie mit Dir egoistisch beschränkt zu nennen. Nur sind die Männer dieser Frauen gewöhnlich in ihrer Art ebenso egoistisch beschränkt; denn nachdem sie deren Wahn geflissentlich hervorgelockt und genährt haben – nachdem sie sich in Schaustellung aller Rasereien der unsinnigsten Leidenschaft gefallen haben – sind sie plötzlich der Sache überdrüssig, die ihnen nicht Ernst war, und begehren vom Weibe es solle nun auch der Komödie satt sein. Aber das hat die Sache für wahr gehalten und findet sich nicht so leicht in den Irrthum. Daher die Mißverständnisse! – O wollte Gott daß Ihr verständet ein Weib zu lieben ohne Euch zu deren Liebhaber zu machen! dann würden Treue und Friede, Achtung und Zutrauen zwischen uns walten. Aber zu jenem gehört Wahrheit und Wärme des Gefühls; und[20] zu diesem – – Du wirst besser als ich wissen was dazu gehört.«

Umgehend antwortete mir Astrau:

»Die Welt kehrt sich um! Emancipationsideen dringen sogar bis zu Deiner ultima Thule und Du bist ganz dazu geschaffen deren Priesterin in Beziehung auf das Weib zu sein. Welch einen Fluch hat denn aber Gott auf uns gelegt, daß das Geschlecht welches die Freude und Wonne des unsern sein sollte, sich allmälig zu einer Caricatur zu verbilden droht, von der wir uns mit Schreck und Widerwillen abwenden müssen! Wir müssen auswandern und Euch die Herrschaft Europas überlassen – dann wird beiden Theilen geholfen sein. Auf der einen Seite überfällt uns eine Arabella und will im Liebesrausch uns ersticken; von der andern tritt eine Sibylle uns entgegen und theorisirt, philosophirt, dogmatisirt und systematisirt, daß uns der kalte Schweiß auf der Stirn perlt über diese Scene aus der »verkehrten Welt«. Vertiefe Dich nicht in diese Farce, die Du für ein Drama hältst, meine arme Sibylle! Du hast große Neigung und Talent dazu une froide raisonneuse zu sein. Auf deutsch läßt sich das gar nicht ausdrücken; uns fehlte bisher die Sache, also auch die Bezeichnung; aber Du[21] wirst gewiß ein Wort dafür finden. Bis dahin muß ich Dich so nennen. Wäre Dein Kopf ebenso kalt wie Dein Herz es ist, so würdest Du einsehen daß Eure Räsonnements nicht die Grundordnung der Natur hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Mann und Weib aufheben können. Wir spielen nicht Komödie mit Euch – wie Du behauptest – weil wir in einer Epoche unsers Lebens voll leidenschaftlicher Glut zu Euren Füßen liegen; sondern es macht sich in uns die Sphäre des Gefühls geltend, aus der wir uns allmälig in die der Intelligenz hinein arbeiten, für die wir hauptsächlich bestimmt sind. Ihr aber bleibt in der inferiören des Gemüths und verfolgt innerhalb derselben den Kreislauf Eurer Entwickelung, der Euch bestimmt den Reiz Eures Daseins als Liebende und Geliebte, die Würde desselben als schöne und heitere Mütter zu finden. Jede andre Entwickelung streitet mit dem Gesetz, das Gott in Eure Natur gelegt hat, und dieser Widerspruch rächt sich an Euch selbst durch Mißmuth und Unzufriedenheit, welche Ihr umsonst hinter hochtrabenden Redensarten und Bestrebungen zu verbergen sucht. Ja, diese letzteren machen Euch immer elender, denn sie bringen Euch um Euer Glück und um Eure Glorie: Ihr werdet nicht[22] geliebt! – Ich gestehe Dir aufrichtig die Vorstellung peinigt mich daß Astralis bei und von Dir erzogen werden soll. Ich mögte das Kind für mich in Anspruch nehmen, sobald der traurige Fall eintreten sollte, daß es seine arme Mutter durch den Tod verliert. Freilich würde das eine Umgestaltung meiner Lage mit sich bringen auf die ich vor der Hand nicht eingerichtet bin.« – – – Es folgten Auseinandersetzungen derselben, die mir deutlich zeigten, daß sie verwickelter denn je sei.

Ich war fest entschlossen ihm unter keiner Bedingung Astralis anzuvertrauen und hatte außerdem die Ueberzeugung daß er sie nie ernsthaft begehren würde. Daher schickte ich ihm eine ziemlich bedeutende Summe und schrieb ihm dazu: er möge sie zu der Einrichtung verwenden, die er zu machen habe wenn Astralis zu ihm käme. Ich wußte sehr gut daß er sie für ganz andre Zwecke verwenden würde, aber ich suchte fast vor mir selbst Vorwände um sein Verfahren zu bemänteln. Indessen brauchte ich doch die Vorsicht Arabella zu bestimmen, daß sie mir in einem rechtsgültigen Testament die Erziehung, Bildung und Versorgung ihrer Tochter anvertraute. Auf den ersten Theil[23] von Astraus Brief antwortete ich mit ungeheuchelter großer Ruhe:

»Du nennst mich froide raisonneuse. Dieser Vorwurf hat mich getroffen. Ich glaube selbst daß keine Harmonie zwischen meinem Kopf und meinem Herzen ist. Ich habe mich von der Wiege an mit Träumereien und Phantastereien abgemattet, gegen welche jede Wirklichkeit armselig war – und dann habe ich diese Wirklichkeit mit dem Verstande durchforscht und das Sinnenleben wie das Gefühlsleben unvollkommen und daher unbefriedigend gefunden. Dies gebe ich zu. Aber was beweist es? – weiter nichts als daß ich unvollkommen bin. Die arme Arabella blindlings versunken in das Gefühls- und Sinnenleben ist in andrer Art ebenfalls unvollkommen; und Du fühlst Dich so verletzt und beklemmt durch die weibliche Unvollkommenheit, deren thörichte und übertriebene Richtungen wir versinnlichen, daß Du vor derselben in eine neue Welt entfliehen mögtest. Ich habe hierauf nur mit einer einzigen Frage zu antworten: bist Du vollkommen? – – Genug der dürftigen Persönlichkeiten! ich rede jezt nicht von Dir und mir, sondern von Mann und Weib. Du hältst dieses für ein inferiöres, jenen für ein superiöres Wesen. Warum? – Weil[24] hier mehr dunkles Gefühl, dort mehr klarer Verstand herrscht. Wer hat festgesetzt daß der Verstand etwas Göttlicheres sei als das Gefühl? – der Mann. Warum hat das Weib diesen lächerlichen Ausspruch angenommen? – weil in der Welt materielle Stärke dermaßen auf der materiellen Schwäche lastet, daß im zwölften Jahrhundert des Christenthums christliche Theologen noch darüber disputiren konnten: ob das Weib eine Seele habe. Zwölf Jahrhunderte der humanisirendsten aller Religionen – und noch eine solche Frage! – Die Seele, insofern man darunter den unsterblichen Theil des Menschen begreift, ist im Lauf von sechs andern Jahrhunderten dem Weibe, ich mögte fast sagen – octroyirt worden. Versteht man aber den erkennenden, bildenden, selbstthätigen Geist, die Intelligenz darunter – ja, dann stehen wir auf dem Punkt der alten Scholastiker. Das Weib als eine Unmündige behandelt, kann sich nicht als eine Mündige benehmen. Es unterwirft sich und vegetirt so hin in dumpfen Gefühlen, welche häufig zu unbändigen Leidenschaften aufflammen, und welche durch eine verschrobene, hohle, prunkende Erziehung wol geschwächt, jedoch nicht gelichtet werden können. Ach ja! das Weib unsrer Tage ist[25] eine kläglich unvollkommne Erscheinung; – aber durch den Mann unsrer Tage wird es warlich nicht in Schatten gestellt, nur durch die einseitige Richtung in welche es gezwängt wird. Und ebenso geht es dem Mann! in der handwerkernden Beamten- in der pedantischen Gelehrtenwelt mögen wol Studien genug zu Hause sein, aber was hat mit denen die Intelligenz zu thun? Oder wohnt sie etwa in den Köpfen der Soldaten die in Parade aufmarschiren? der Virtuosen, die von den vierundzwanzig Stunden des Tages zwanzig ihren Fingerübungen widmen? der Journalisten, die ihre Zeitungsartikel aus Klatschereien, Lügen und Träumen zusammenschmieden? der Philosophen und Menschenbeglücker von denen die Welt strotzt, während dieselbe Welt nie ärmer an Weisheit und Glück war als eben jezt? der Künstler die zu Tausenden in den Akademien und Ateliers herum vagabondiren? – Du wirst nicht behaupten daß in diesen verkümmerten, leeren, dürren Geschöpfen der Geist zur Entfaltung gekommen sei. Sie sehen auf das Gefühl herab, während sich die Weiber vor dem Verstande scheu zurückziehen. So bleibt jeder Theil in seiner Einseitigkeit, und ohne Verschmelzung beider Elemente ist für keinen Theil an Vollkommenheit zu denken, und ebenso[26] wenig an die wahre heilige Gemeinschaft, die der Schöpfer zwischen den beiden Geschlechtern gewollt hat, indem er die eine Hälfte zum Vertreter der Intelligenz, die andere zum Vertreter des Herzens bestimmt hat. Das sind zwei Stralen die von demselben Licht ausgehen – und dies Licht heißt göttliche Liebe. Schmelzen sie zur Einheit zusammen, so stellen sie das Abbild jenes Urbildes dar. Ihr verhöhnt Gott und lästert die Natur wenn Ihr sprecht das Weib sei ein inferiöres Geschöpf. Laß Dir Eine nennen in der vollen Glorie wie Gott und die Natur sie gewollt haben, und dann sprich: ist der Mann superiör? – nicht blos der, welcher neben ihr steht; nein! der allergrößte, den die Welt aufzuweisen hat? – Gewiß nicht! Heloise darf neben einem jeden stehen. Diese Schönheit, diese Liebe, dieser Geist, diese Entsagung, diese Treue, diese Weisheit, dies Marterthum, diese lichtvolle Klarheit, diese flammende Glut, diese standhafte Ausdauer über allen Schmerz, alles Elend, alle Zeit hinweg, dieser Stralen- und Dornenkranz von Seligkeit und Jammer, den Abälards finstre Liebe auf ihre Stirn drückt – bildet das Alles nicht ein geistig bewegtes Leben von solcher Entwickelung und solcher Intensität daß einem das Herz – der Mutterschooß dieses[27] Lebens – als ein Weltmeer von Macht und Tiefe erscheint. Nein, Otbert! ich bin sehr unvollkommen und meine arme Arabella ist es auch und Millionen unsers Geschlechts sind es mit uns; aber wir sind es weil wir auf einer embryonischen Stufe unsrer Entwickelung stehen – nicht weil uns die Fähigkeiten zu einer höheren mangeln. Deine Bemerkung daß ein Geist der Unzufriedenheit und des Mißbehagens sich in uns rege – ist vollkommen richtig: die Chrysalide erwacht, fühlt sich in Haft und Dunkel, und strebt nach Befreiung und Licht. Aber Deine Behauptung, daß dies Bestreben uns um das Glück bringe geliebt zu werden – hat mich herzlich lachen gemacht, weil sie so sehr nach deutschem Spießbürgerthum schmeckt. Es muß wirklich namenlos schwer für einen Deutschen sein den Philister auszuziehen, da es sogar Dir, einem Dichter! einem Cosmopoliten! nicht gelingt. Um bei Heloisen stehen zu bleiben, so vernichtet sie Deine Behauptung; und ich frage Dich: würde es Dir nicht eine größere Genugthuung sein ein Weib wie Heloise geliebt zu haben, obwol sie lateinisch und griechisch verstand, als ein Dämchen unsrer Tage, welches statt dessen die hergebrachten Theetisch-Phrasen versteht. Bist Du denn auch, mein armer Otbert,[28] mit des Philisters fixer Idee von der versalzenen Suppe behaftet? Ach, gieb sie auf! schon deshalb, weil heutzutag auch des Philisters Frau viel zu gebildet, elegant und bequem ist um sich mit Suppenkochen zu beschäftigen. Glaube mir – wenn Ihr doch so sehr an dieser gebenedeiten Suppe hängt – Heloise würde sie Euch eher kochen, als Philisters-Frau; denn eine Königin fühlt sich durch Mägdedienst nicht erniedrigt, weil sie ihres Königthums gewiß ist; aber die Magd sträubt sich, weil sie für etwas Besseres gelten mögte als was sie ist.«

Diesen Brief beantwortete Astrau nicht. Bis er bei ihm anlangte mogte er Arabella, welche die eigentliche Veranlassung unsrer Correspondenz gewesen war, bereits ganz vergessen haben. Sie starb im Spätherbst desselben Jahres. Das Leben hatte ihre Kräfte zu sehr aufgeregt um sie nicht zu verzehren, als sie keinen Gegenstand fanden an dem sie sich üben konnten. Sie starb an Erschöpfung in ihrem achtundzwanzigsten Jahr. Zu der Zeit wußte Astralis schon nicht mehr, daß sie eine andre Mutter gehabt als mich. Sie wuchs zwischen uns auf als mein italienisches Pflegekind – wie meine Hausgenossen sie nannten.

Ereignisse gab es in jener Zeit gar nicht, also[29] keine äußere Veranlassung zu Glück oder Unglück. Mein Schwiegervater brachte alljährlich im hohen Sommer vier Wochen bei mir zu. Dann gab ich zu seinem Empfang und zu seinem Abschied zwei große steife langweilige Diners, zu denen sich meine wenigen Nachbarn zwei bis drei Meilen weit herbemühten. Ab und an mußte ich auch ihre Einladungen annehmen, was denn freilich eine große Plage war; denn zwei Stunden brauchte ich zur Hinfahrt, zwei Stunden saß man an der Tafel, eine Stunde trank man Kaffee und ging man im Garten spazieren, und zwei Stunden währte die Heimkehr. Das gesellschaftliche Landleben in Norddeutschland ist auf einen ceremoniösen, steifen Fuß gesetzt, der Alles erdrückt was man Vergnügen nennen könnte. Da man sich nie anders als in Galla und bei Tafel sieht, so tritt man nie aus einer förm- und feierlichen Stimmung zu einander heraus. Möge man zehn Jahr im sogenannten nachbarlichen Verkehr gelebt haben – dennoch kommt man immer wie Fremde zusammen. Das Familienleben wird dadurch gehegt, spricht man, und das ist gewiß ein großer Vorzug. Ich leugne es nicht! ich sage nur daß jene Geselligkeit mir schwerfällig erschienen ist und höchst reizlos.

Mein Verkehr war lebhafter mit den Personen[30] zu denen ich als Herrin von Engelau in Beziehung stand. Wie das zur Zeit meines Vaters gewesen war, so richtete ich es wieder ein: an jedem Sonntag speisten meine beiden Pfarrer, mein Arzt, mein Gerichtshalter, und etwa ein oder zwei Pächter mit ihren Frauen und Töchtern bei mir. Das war kein eleganter und kein geistreicher Zirkel; aber er war hausbacken praktisch. Ich lernte durch ihn Verhältnisse, Zustände, Ansichten und Bedürfnisse kennen, die mir sonst fremd geblieben wären – was immer ein Mangel ist; und hauptsächlich lernte ich Theilnahme gewinnen für das Leben im kleinen Zuschnitt, an welchem man, wenn man es größer und weiter gekannt hat, so leicht wie an etwas Geringem und Kleinlichen vorübergeht – und das ist ein großer Gewinn. Man kommt durch ihn zur Erkenntniß der einzigen Gleichheit, welche zwischen den Menschen etwas Andres als ein Phantom ist: zu derjenigen, daß, welchen Platz der Mensch auf der socialen Leiter einnehmen möge, Licht und Schatten wird ihn immer umgeben, und immer werden sich Licht und Schatten ungefähr die Waage halten. Das soll nicht heißen, man dürfe nun gleichgültigen Auges auf Leid und Elend und Armseligkeit blicken. Nein, im Gegentheil! es ist eine dringende Auffoderung, so viel an uns ist[31] den Mangel an gleicher Vertheilung von Licht und Schatten zurecht zu rücken, damit dieser nicht jenes überwuchere – denn der Schatten wird ohnehin nimmer fehlen.

Was ging mir ab um mich in diesen friedlichen Verhältnissen glücklich zu fühlen: freiwillige Beschränkung – denn ich war nicht vernünftig! Resignation – denn ich war nicht fromm! Ich sprach zu mir selbst: Du erfüllst Deine Pflicht, Du thust das Gute, Du suchst es in Andern zu wecken und zu fördern – warum giebt Dir das denn nicht Befriedigung? Wo das Leben ein klarer stiller reiner Bach ist, sollte da der Durst nicht aus dessen Wassern gelöscht werden können? – – O mit welcher heimlichen trostlosen Verzweiflung that ich mir nicht tausendmal diese und ähnliche Fragen. Ich vergaß nur daß ich meine Befriedigung nicht da suchte wo ich sie hätte finden können, weil ich fortwährend von einem idealen Glück träumte – und meinen Durst mit einem Nectartrank stillen wollte, der freilich aus meinem Bach nicht zu schöpfen war.

Inzwischen lernte ich fleißig und gern – wenigstens in den beiden ersten Jahren. Da waren mir die Sachen noch fremd genug um mich durch den Reiz des Unbekannten zu locken. Geheimnißvolles[32] Licht spielte über der untergegangenen schönen Alterthumswelt, wie über vergrabenen Schätzen blaue Flämmchen tanzen. Aber je mehr ich die Schwierigkeit des Studiums überwand, desto mehr schwand auch jener Reiz. Ja, ich las mit großem Vergnügen Homer und Sophokles; ja, ich folgte mit tiefem Interesse der antiken Weltanschauung – allein mit dieser nämlichen, gleichsam unpersönlichen Freude, hatte ich auch Shakspeare, auch Dante gelesen. Der Horizont welcher sich um die Geschichte der Menschheit wölbte wurde weiter; aber mein blödes Auge kehrte immer wieder zu dem eigenen zurück, den es, trotz dessen Enge, nicht überblicken lernte. – Und dann erschrack ich auch vor dem ungeheuern, titanischen Ringen des Geistes zu allen Epochen, in allen Religionen, unter allen Formen, welches – was Glück spenden und Glück genießen betrift – so geringe Resultate gehabt hat. Jeder Mensch muß sein eigenes Leben von der Wiege bis zum Sarge durchleben; Einer wie der Andre muß die Befangenheit der Kindheit, den Rausch der Jugend, die Erkenntniß reiferer Jahre, die Hinfälligkeit des Alters willenlos erleiden, und die Freuden, Leidenschaften, Erfahrungen und Schwächen, welche mit diesen vier großen Epochen verbunden sind, willenlos annehmen.[33] Er kann sie ein wenig modificiren und ordnen – darin besteht sein freier Wille! – aber er kann nicht heraus aus dem Bannkreis der Natur. Wenn er Alles liest was über das Glück geschrieben ist – Alles thut was Andre gethan haben um glücklich zu sein – Alles studirt und bewundert, wodurch Andre das Glück erstrebt oder erlangt haben: so hilft das gar nichts, sobald er nicht seine volle ganze Seele mit in den Kauf giebt und daran setzt. Es ist mit dem Glück wie mit dem Reich Gottes von dem geschrieben steht: »Siehe, es ist inwendig in Euch.« Und eben darum verhilft uns die ganze majestätische Erscheinung einer vieltausendjährigen Weltgeschichte nicht dazu.

Bei der Mathematik war mir nun vollends zu Muth wie dem Fisch auf dem Trocknen! Ich, die immer auf den Grund der Dinge losging, die sich nicht abfertigen ließ mit der äußern Erscheinung sondern den Lebenspunkt in ihr suchte – ich hatte mir von der Mathematik ich weiß nicht welche Grunderkenntniß alles Daseins versprochen – ich weiß nicht welche Wissenschaft, die mir das Räthsel der Natur, den Zusammenhang zwischen dem Endlichen und Unendlichen, offenbaren würde; – und statt dessen fand ich eine Methode, welche die Auffindung[34] der quantitativen Verhältnisse der Dinge erleichtert. Indessen – ich hatte mir vorgenommen drei Jahr lang Mathematik zu treiben; und ich that es – aber immer matter und matter. Hätte mein guter alter Müller nicht seine Bewunderung und Freude der ersten Zeit allmälig in Wolwollen für mich verwandelt, so vermuthe ich, daß er sich mit gänzlicher Nichtachtung von seiner ignoranten und oberflächlichen Schülerin abgewendet haben würde.

Die Tage vergingen; mit ihnen die Zeit sehr schnell, zu schnell. Ich habe nie begreifen können warum die Menschen so oft freudig sagen: Schon wieder sechs Monat vorüber! man merkt gar nicht wo die Zeit bleibt! – – Ist denn das ein Vorzug daß sechs Monat wie sechs Stunden vergangen sind? Im Gegentheil! ein Mangel ists, eine Leere! – Nichts hat Epoche gemacht, nichts ist geleistet, nichts erstrebt worden; keine ernste Mühe, kein hoher Genuß bezeichnet die Tage. Ein Winter ist durchgemacht, etwa wie die Pflanzen im Gewächshause, in gemüthlicher Ungestörtheit. Ist es das was den Menschen erfreuen soll? – Wol giebt es Perioden, die einen merkwürdigen Anstrich von Monotonie haben; aber unter ihrer stillen Hülle ist die Menschenseele in großer, rastloser Thätigkeit,[35] und hören sie auf, so zeugen die Resultate von derselben – wie die wegschmelzende Schneedecke das grüne Saatfeld zum Vorschein bringt, das während der kalten starren Winterruhe sich festgewurzelt hat. Eine Zeit die uns nichts bringt, nichts gewährt, oder die wir so wenig zu nützen und auszufüllen verstehen, daß weder ihre Gegenwart noch ihre Erinnerung anders in unsrer Seele zählt, als eine Aneinanderreihung von Tagen – ist mir immer als eine verlorne erschienen. Und so kamen mir jene Jahre vor. Das wollte ich zuweilen nicht in mir aufkommen lassen. Ich rechnete mir vor, was ich gelernt, was ich gethan; dann zog ich die Summe und die war: Nun ja! aber was geht das mich, meine innerlichste Bedürftigkeit, an? – Ich trieb Spiegelfechterei mit der Annehmlichkeit so Manches zu wissen, was Anderen viel Kopfbrechens koste, und was ich Alles so hübsch zu lesen, zu begreifen, zu erklären verstände; und wenn ich mir Mühe gab so recht damit einher zu stolziren, verfiel ich in ein bittres trauriges Lachen, das mich fragte: Also ist es mit Dir schon zu dem letzten Stadium bettelhaften Dünkels gekommen, daß Du zu Papierfetzen greifst um Dir daraus einen Staatsrock zu schneidern? – Oder ich überdachte das sogenannt Gute was ich geleistet,[36] woran die Menschen so viel Vergnügen zu finden pflegen. Nun ja! ich hatte mich der Glücklichen und Unglücklichen, der Verabsäumten und Verwahrlosten angenommen; ich hatte in meinem Kreise Keinem das Leben schwer – Manchem es leichter gemacht; ich hatte vielleicht einige Veranlassung mit mir zufrieden zu sein; o mein Gott! das machte mich erst recht traurig – denn wo lag die Befriedigung wenn nicht in jenem Bewußtsein? – Ich verfiel in einen fürchterlichen Zwiespalt, weil sich mir die Frage aufdrängte: Ob nicht das Böse und das Unrecht einen größeren Reiz gewähren indem sie in eine Spannung versetzen, welche man bei Verfolgung des Guten nicht findet? und ob die Stürme welche Kampf und Widerstand mit sich führen, nicht einen größeren Aufschwung des inneren Lebens erzeugen, als so ein negativer Friede; – denn Schwung, der war es doch hauptsächlich, der Trank der Begeisterung! nach dem ich lechzte; und war der zu theuer erkauft durch die Region der Gewitter in welche sein Rausch uns zu schleudern pflegt? – – –

Und während dies Alles in mir tobte, wühlte, grollte, arbeitete – nahm ich Lectionen der Mathematik und andrer vortreflicher Dinge, die mir ein Greuel waren! und gab meiner armen Benvenuta[37] Lectionen der englischen Sprache, die ihr wiederum ein Greuel waren. Die Schulmeisterei riß dermaßen in meinem Hause ein, durch mein Beispiel angespornt war Jeder so eifrig zu lehren und zu lernen, daß mir Astralis als die Einzige von uns welche noch nicht den Wissenschaften oblag, beneidenswerth erschien; und daß ich dem Himmel dankte mich nur auf drei Jahr und nicht auf drei Jahr und drei Tage den Studien angelobt zu haben. Denn in diesen drei Tagen hätte ich ohne Zweifel närrisch werden müssen und meine Umgebung mit mir, meinte ich.

Letzteres war aber mit nichten der Fall. Herr Becker und meine Gesellschafterin Fräulein Mathilde hatten sich durch Philologie und Musik die Seele nicht absorbiren lassen, sondern sich mit einander verlobt – was mir, obgleich Beide blutarm waren, unendlich vernünftig und erfreulich vorkam. Ich fragte ihn lächelnd, ob er nicht fürchte daß sein Apostelamt der Gräcisirung in den Schatten treten würde neben den Pflichten des Hausvaters. Er entgegnete ebenfalls lächelnd: ihn wolle jezt bedünken als sei die Familie eine eben so trefliche Schranke gegen Barbarei als das Griechenthum, und er wolle es lieber auf beide Weisen versuchen[38] – worin ich ihn mit Aufrichtigkeit und Theilnahme bestärkte.

Sogar Herr Müller hatte bei mir einen Fortschritt wenn nicht in der Wissenschaft doch so zu sagen im Menschenthum gemacht, indem er sich ganz unsäglich für die polnische Revolution, ihre Anhänger, ihre Auswanderer, interessirte. Der Grund war nämlich – Copernicus! Er fand es nicht zu viel wenn ganz Europa diesen Mann in seinem Volk geehrt hätte, und aufgestanden wäre zu dessen Wiederherstellung. Mit dem unsterblichen und unvergleichlichen Verdienst dieses Mannes könne Keiner in die Schranken treten, denn er habe durch sein System, worin die Erde sich um die Sonne drehe, doch zuerst Ordnung in die Welt gebracht und diese gleichsam erst auf die Füße gestellt. Er seines Theils könne nicht begreifen, daß die Menschen bei einem so grundfalschen Princip wie die Bewegung der Sonne um die Erde, nicht ihrerseits in die größten Verkehrtheiten verfallen, und etwa auf allen Vieren umhergewandelt oder auf den Köpfen umhergehüpft seien. Freilich wisse man auch nicht was in den germanischen, hercynischen und sonstigen Wäldern passirt sei! und daher sei es ein Greuel des Undanks nicht vor einem Volk auf den Knien zu liegen, das einen Copernicus[39] geboren. Das System ging dem alten wunderlichen Mann über Alles, und von allen menschlichen Empfindungen war es nur die Dankbarkeit, welche seine mumificirte Seele vor gänzlicher Abtödtung rettete. Mit einiger Freude nahm ich wahr, daß dies Gefühl bei mir in ihm wach geworden sei. Sah ich mich überhaupt in meinem Kreise um, so konnte ich mir nicht verhehlen, daß mehr oder weniger alle Menschen die ihn bildeten sich in ihrer Weise entwickelt hatten; und nur ich selbst machte eine Ausnahme. Bei den günstigsten äußern Bedingungen fehlten mir nach wie vor Glück, Ruhe, Sammlung – Alles was nothwendig ist um jene schätzen und genießen zu können.

Der Gedanke daß meine drei Studienjahre zu Ende gingen mit dem nächsten November, bereitete mir einerseits ein unsägliches Wolbehagen; – wie erlöst kam ich mir vor! Jedoch auf der andern überschlich mich ebenso namenlose Angst womit dann – ich sagte nicht die Zeit, denn die blieb leer! aber die Stunden, aber die Tage, auszufüllen sein mögten. Nur nicht mehr lernen und lesen! – war ein Hauptwunsch; nur nicht mich langweilen! war ein zweiter. Wol fielen mir Reisen ein; doch wohin? mit unbesieglicher Bestimmtheit lockte mich kein Ort und keine Stätte in der weiten Welt. Sollte[40] ich mich selbst, und Benvenuta und Astralis mit mir ins Blaue herum schleppen? Darin lag für mich keine Erquickung, und vielleicht ein Nachtheil für die Kinder; also war ich entschlossen in Engelau zu bleiben – nur hätte ich gern Men schen um mich gehabt, verschieden geartete, verschieden gebildete Menschen, die das Leben verstanden – nicht ihr Fach, ihre Wissenschaft, ihre Kunst, u. dgl. mehr. Ich setzte mich eines Tages plötzlich hin und schrieb:

»Meister Fidelis, wo sind Sie in der Welt? Wie oft seit Jahren thue ich Ihnen in Gedanken diese Frage, und wie traurig war mir's oft, daß Sie mir nie darauf geantwortet haben. Vielleicht haben Sie's gethan in derselben Weise wie ich Sie fragte; aber die Geister, durch die Körper von einander abgesperrt, können sich nicht verständlich machen und in trauriger Einsamkeit schleicht Jeder dahin und wähnt sich vergessen. Sie haben es schlecht auf dieser Welt, die Geister! wie Sennen auf Bergeshöhen kommen sie mir vor; durch Klüfte und Abgründe sind sie unüberwindlich von einander getrennt, und von ihrem Dasein zeugt nichts als der schallende Laut den sie zuweilen ausstoßen wenn ihnen die Seele übervoll ist. Ob übervoll von Lust oder Leid, von[41] Angst oder Jubel, von Jammer oder Seligkeit – das hört man nicht heraus! O Fidelis, was ist das aber für eine unharmonische Welt in welcher die Frage ohne Antwort, und der Grundton ohne Terz bleibt. Statt in majestätischen Harmonien zu erklingen, verursacht sie uns eine Art von gellendem Ohrensausen, aus welchem Dissonanzen häufiger aufkreischen als Melodien emporschweben. Da bin ich ja bei der Musik angekommen, von der ich mit Ihnen zu reden habe. Ich bitte, schaffen Sie mir einen tüchtigen Musiklehrer für meine Tochter, der außer den erfoderlichen Kenntnissen und Fertigkeiten eine musikalische Seele habe. Das ist selten, ich geb' es zu! Zum Handwerk und Broterwerb durch Musik braucht man weder eine musikalische noch sonstige Seele, nur gleisnerische Geschicklichkeit. Aber ich weiß nicht .... es ist etwas so Ausdörrendes, Saftloses in diesen Geschicklichkeiten, daß ich mich fürchte sie meiner Tochter quasi einimpfen zu lassen! Die mit ihnen behafteten Menschen kommen mir vor wie die Chinesen: petrificirt in ihrer wundersamen Geschicklichkeit, daher unerquicklich wie alle Curiositäten, welche stets einen linden Beischmack von Monstrosität haben. Also schaffen Sie mir einen Lehrer nach meinen Andeutungen, lieber Meister, und[42] schreiben Sie mir einmal. Vielleicht ermuntert mich das. Meine vereinsamte Seele verfällt immer tiefer und tiefer in einen murmelthierartigen Winterschlaf, aus dem es nur für das Thier, nicht für den Menschen ein Erwachen giebt. Wird der Mensch kalt und müde bei seiner Winterwanderung, und läßt er sich gehen an die Erschöpfung: so schläft er ein – und stirbt. Ich suche mich zu vertheidigen gegen diesen Tod; allein es wird mir schwer. Helfen Sie mir! und leben Sie wol.«

Nach Rom schickte ich diesen Brief an die Adresse unter welcher ich Sedlaczech seine Pension seit unsrer Trennung in Venedig beständig zahlen ließ. Ich wartete lange auf die Antwort. Endlich kam sie – und zwar aus Hamburg. Er selbst brachte einen jungen Italiener und fragte an, ob er ihn nach Engelau begleiten dürfe. Meine Erinnerungen waren so stumpf und grau, daß ich mich kaum mehr seiner Verbannung durch Otbert entsann. Ich lud ihn ein so schnell wie möglich zu kommen, und er kam an dem für mich so ereignißreichen Tage Aller Seelen. Er wurde sehr gefeiert; er war so wichtig für Engelau, denn er war mein und meiner Tochter Geburtstag. Sie wurde acht Jahr alt, ein schönes Kind mit den guten Augen und dem[43] lieben Herzen ihres Vaters, aber still und verschlossen wie ich selbst es gewesen war. Am Morgen gab es Gesänge und Blumenkränze, am Abend Musik und Tanz. Ich hatte mich ein wenig ermüdet gegen zehn Uhr in mein Cabinet zurückgezogen, als plötzlich die Thür geöfnet ward und Sedlaczech eintrat.

»Da sind Sie! sprach ich bewegt. O Fidelis! Gott segne Ihren Eintritt in dies Haus, das Haus meiner Väter und meiner Kindheit!«

»Er segne diesen Tag!« entgegnete er und drückte meine Hand innig zwischen den seinen.

Ich kehrte in den Salon zurück um den Italiener Herrn Mezzoni zu begrüßen. Philologie und Mathematik sollten morgen auswandern, und statt ihrer zog die himmlische Kunst unter mein Dach; das stimmte mich sehr heiter, ja sogar fröhlich. Doch diese seltene Stimmung entschwand als Sedlaczech fragte:

»Graf Astrau ist doch nicht krank?«

»Er ist wol – so viel ich weiß! entgegnete ich .... und weshalb sollte er denn krank sein?«

»Weil er am heutigen Tage unsichtbar ist.«

»Er lebt schon seit Jahren in Paris« – erwiderte ich ruhig, aber ich fühlte daß ich erbleichte.

Verlegen darüber etwas Unpassendes gesagt zu[44] haben, fiel der arme Sedlaczech um dies Gespräch abzubrechen auf etwas ebenso Unpassendes.

»Heute vor dreizehn Jahren war Ihr Vermälungstag« – brachte er fast stotternd hervor.

Wol hatte ich daran gedacht, und meine ganze Kindheit und Jugend, und mein ganzes Schicksal voll seltsamer Einsamkeit waren auf diesem Gedanken an mir vorüber gerauscht und hatten mich während des Tages trübe gestimmt. Jezt vergaß ich es einen Augenblick in der Freude Sedlaczech wiederzusehen und er, er selbst mußte mich daran erinnern.

»Schon dreizehn Jahr den bewußten Traum des Lebens zu träumen .... ist fast zu viel, erwiderte ich kalt. Ueberdies ist dreizehn eine schlimme Zahl. Mir graut vor diesem Jahr.«

Man beruhigte mich damit daß das vierzehnte beginne und die böse Dreizehn überwunden sei; und bald darauf trennten wir uns. Du bist ein Novemberkind, vergiß das nicht! – sprach ich zu mir selbst, als ich mein Cabinet wieder betrat, das ich vor einer Stunde so fröhlich verlassen hatte. Der Monat ist ein Symbol Deines Lebens: die Sonne sendet wol zuweilen einen Stral herab, allein er geht unter in Wolken und Nebeln und sie selbst steigt nicht hoch genug um das wüste[45] Grau zu überwinden. Abwärts, abwärts sinkt sie in den ersterbenden December hinein .... da erlischt sie im Eise.

Am andern Morgen reiste Herr Becker ab, nach Paris. Ich fühlte mich verpflichtet ihm nach der tödtlichen Langenweile der drei Engelauer Jahre die Erholung dieser Reise zu verschaffen. Er wollte freilich von der Langenweile nichts wissen, und es ist auch ganz richtig: wenn man sich verliebt langweilt man sich nicht. Um desto größer war aber seine Freude, und sie contrastirte lebhaft mit den Thränen welche Fräulein Mathilde wegen der Trennung vergoß. Indessen auch diese versiegten. Sie war ein gutes Geschöpf; doch glaube ich daß sie binnen Jahresfrist im Stande gewesen wäre Mezzoni ebenso gern zu heirathen als Becker. Aber Mezzoni verabscheute sie, eben um diese ihre negative Natur, die ihn auch über ihr Clavierspiel zu der Bemerkung veranlaßte: Ihm sei dabei zu Muth wie zwischen den Perlfabriken seiner Heimat – (er war ein Venetianer) – so glatt, kalt und sauber gehe da Alles von statten. Zwei Jahr später bewerkstelligte sich endlich Mathildens Verheirathung und Beckers Anstellung, und ich denke sie leben in friedlicher Ehe. – Der alte Müller ließ sich in Eutin nieder und widmete sich mit erneutem[46] und gänzlich ungestörten Eifer der Forschung nach jener bewußten Formel. Ich trug sorgsam all meine mathematischen Bücher in die Bibliothek und begrub sie dort zwischen ihres Gleichen. Die Stöße Papiere aber die mich mit meinen Arbeiten angähnten, begrub ich noch viel sorgsamer in den Flammen meines Kamins. Wie sie dort als ein Häufchen zerstiebender Asche lagen, sagt' ich ganz laut zu mir selbst: Da sind drei Jahre meines Lebens in Rauch aufgegangen .... und um zu diesem Resultat zu kommen hab' ich die Existenz eines Gymnasiasten – jugendlichen Uebermuth abgerechnet – durchgemacht. Welch ein Unsinn! – – –

Als ich mit Sedlaczech allein war, erzählte ich ihm ausführlich und aufrichtig wie ich mit Otbert gelebt, und warum wir uns getrennt. Er kam mir noch immer – und in Engelau mehr denn je! – als eine Autorität vor und es gewährte mir Erquickung mich an eine solche zu wenden, da grade sie mir seit meinem zehnten Jahr gefehlt hatte. Die kränkliche Mutter, der zärtliche Paul, der gleichgültige Otbert, ließen mich gewähren – aus sehr verschiedenen Gründen, welche aber für mich die nämliche Wirkung hatten. Mein Schwiegervater würde vielleicht versucht haben mich zu dominiren, wenn wir mehr zusammen gelebt hätten;[47] allein grade ihm würde es schwerlich gelungen sein, weil ich nur kühle Achtung, keine warme Verehrung für ihn empfand. Und mein Onkel der Bischof, für den ich letztere im hohen Grade hegte, mied mit zarter Vorsicht jede persönliche Autorität um nicht unwillkürlich die geistliche hinein zu mischen. So hatte ich Niemand als mich selbst und meine eigene Zustimmung und Abmahnung, woraus ich mir das Tribunal meiner Handlungen zusammensetzen konnte; – und wie bestechlich .... im besten Fall wie einseitig, ist ein solches.

»Wie glauben Sie denn daß Ihre Zukunft sich gestalten werde?« fragte Sedlaczech.

»Da giebt es zwei Wege, entgegnete ich. Entweder ich verfalle in die schaale Routine des Lebens, welche die Eigenschaft besitzt die Leute – wie man es nennt zu conserviren; nämlich so wie Leichen sich in manchen Gewölben mit dem Anschein von Leben erhalten; und dann kann ich es zu grauen Jahren bringen .... vor denen der Himmel Alle behüten möge die er liebt! Oder solche Existenz ohne Reiz, ohne Nerv, ohne erhebende Gedanken, ohne beseelende Idee, ohne Leidenschaft – führt eine Atonie sämtlicher Kräfte herbei .... welche bald gänzliche Auflösung zur[48] Folge hat. Acht bis zehn Jahre geb' ich mir noch. Dann ist meine Tochter erzogen, dann bin ich fertig, dann werd' ich vielleicht erfahren zu welchem Zweck ich gelebt habe; – denn bis jezt, das gesteh' ich Ihnen, begreif' ich es nicht. Das Leben aus Instinct fortzupflanzen, welches mir meine Eltern aus Instinct gegeben haben, scheint mir keine erschöpfende Bestimmung zu sein, und alles Uebrige: diese Gesetze nach denen – diese Pflichten für welche – diese Genüsse um welche man lebt: entsprechen so wenig unsrer Natur, sind so sehr das Product eines künstlich zusammengesetzten Zustandes, daß man sich selbst verkünsteln muß bevor man sich an sie gewöhnt.«

»Wer kann sagen: ich begreife das Leben! erwiderte Sedlaczech. Niemand! Das ist eben die Sache Gottes. Wir aber, die wir es nicht können, sollten die Hände davor falten, weil es eine Hieroglyphe ist, die ein göttliches Geheimniß verbirgt.« –

»Immer die Fabel von der verschleierten Isis!«

»Ja! aber auch immer im Fabelkleide die urewige Wahrheit.«

»O Meister! rief ich, wie sind Sie nur zu Ihren unumstößlichen Ueberzeugungen gelangt.«[49]

»Als ich in meine Seele hinein blickte fand ich sie dort vor; denn sie sind uns eingeboren.«

»Nimmermehr!« rief ich.

»Doch! unterbrach er mich sanft. Als die Engel in Menschengestalt zu jenen Zeiten von denen nur Legenden uns erzählen, auf der Erde umher wandelten, hatten sie ein geheimnißvolles Wort, kraft dessen sie augenblicklich zu ihren Gestirnen und ihren Himmeln emporsteigen konnten. Die Menschenseele weiß auch von einer solchen Bannformel mit der sie sich über den Staub hinaufschwingen kann, und die ist ihr eben eingeboren, ohne Unterschied der intellectuellen Gaben – Allen! sie heißt: Glaube und Liebe! – der Glaube einer ewigen Einheit anzugehören, die ihrer Essenz nach nichts Andres als eine Vollkommenheit sein kann: das ist der Schöpfer! .... die Liebe, welche uns die Vielheit, das Geschöpf, als unsers Gleichen, als Gefäß seines unerforschten Willens, als Symbol seiner Idee zeigt.«

»Das ist genug für erhabene Menschen, entgegnete ich traurig; – nicht für mich. Diese gleichsam unpersönliche Gemeinschaft mögte ich die der Heiligen nennen .... und die Heiligen, Fidelis, über welche Dornen und Kohlen sind sie gewandelt ehe sie dahin gelangten. Lesen Sie doch[50] die Bekenntnisse des heiligen Augustin, der heiligen Theresia! ist nicht jede Zeile, jedes Wort in ihre Thränen getaucht, von ihrem Herzblut überrieselt? wie sich eine wunde Brust aus unsrer harten nordischen Luft in eine südlichere flüchtet: so haben sie ihre Herzen einer Region zugewendet, deren Aether feiner als unser derber irdischer ist, den die kaum vernarbten Wunden nicht ertragen wür den. Sie tragen eine Glorie, ja! aber deren Stralen sind verwandelte Dornen.«

»War Christus nicht von seinem Herzblut überrieselt auf dem Weg zu Golgatha? – Sie fürchten das Leid zu sehr, Sibylle!«

»Ich fürchte es nicht! ich weiß nur aus unseliger Erfahrung, daß es uns nicht fördert und nicht hilft – und darum meid' ich es« .... – –

»Das heißt Sie lassen es fallen anstatt es reifen zu lassen.«

»Das Leid pflegen .... ist Mißverstand.«

»Es reifen lassen .... grenzt an Weisheit! sprach er lächelnd. Es lebt sich dann durch alle Phasen durch und aus; es gestaltet sich zuweilen zu einer köstlichen Essenz – wie starker Wein, das Leben kräftigend, wie Rosenöl, es mit Balsamduft durchhauchend. Zuweilen wird es freilich auch zu einer sehr, sehr bittern Frucht, durch die man nichts gewinnt[51] als – eine schmerzliche Warnung oder Erfahrung. Doch gleichviel! bei dieser inneren Arbeit ist der Boden so zergraben und gelockert, daß er fähig ist ein neues Samenkorn zu empfangen. Wird aber die Frucht hastig und unreif abgerissen – wie Sie es thun – so ist die ganze Entwickelung gewaltsam unterbrochen, und ringende Kräfte reagiren schädlich .... ja feindlich, weil sie nicht ihren natürlichen Gang gehen durften. Sie stocken, und es wird daraus das Allertraurigste was den Menschen befallen kann und was ich versetztes Leid nenne: Bitterkeit. Hüten Sie sich davor, theure Sibylle.«

»O Meister! rief ich bewegt und mit feuchten Augen, wie thun Sie mir wol! bleiben Sie nur immer bei mir! bei Ihnen fühl' ich mich zu Hause und bei meines Gleichen; denn Sie denken, empfinden und sprechen wie ein Mensch – während ich so lange! so lange! nur sprechen höre vom Standpunkt aus, den Beruf oder Gelehrsamkeit oder Verhältnisse zur Pflicht und zur Gewohnheit machen. Das ist natürlich .... ach, es mag sogar respectabel sein! aber .... ich kann's nicht aushalten – ich kann es nicht! All dies kluge Wissen, all dies brave Thun kommt mir vor wie der Teich Bethesda, dessen Gewässer stagniren und[52] ohne Leben und Wirksamkeit sind bis ein Engel über sie dahin rauscht und sie segensvoll macht. Nach diesem lebendig machenden Geist schmachte ich – und von Ihnen weht er mich an. Bleiben Sie hier.«

»Und wenn Graf Astrau kommt?« .... – –

»Er wird nicht kommen! Käme er aber, so würde er ein Gast unter meinem Dach sein gleich Ihnen – und das Gastrecht meines Hauses genießen wie ein Fremder – und nicht wie Sie, mein Freund.«

»Ich werde bleiben so lange ich kann! entgegnete Sedlaczech nach einigem Schweigen und mit gepreßter Stimme. Kann ich nicht mehr so« .... –

»So sind Sie frei – das versteht sich! unterbrach ich ihn. Aber jezt .... bleiben Sie bei mir. Und glauben Sie mir: es ist Ihre Pflicht! wo der Mensch die heilsamste Wirsamkeit übt – ist sein Platz. Es ist nicht Jedem gegeben wolthätige Lebensluft um sich zu verbreiten. Trockne, dürre, harte Seelen hauchen Stickstoff aus, worin das Leben erlischt, das in ihre Atmosphäre geräth. Aber Sie entzünden das bereits halb erstorbene« .... –

»Wozu dies Alles! unterbrach er mich unruhig. Ich kenne ja Ihre Art: heute fanatisiren Sie sich für einen Menschen der Ihnen ein Prophet zu sein[53] scheint, und binnen drei Wochen sind Sie seines falschen Prophetenthums überdrüssig, klagen ihn der Täuschung, sich selbst des Irrthums an, und geben sich einer ebenso übertriebenen Schwermuth hin als Ihre Freude übertrieben war.«

»Mit Otbert war es allerdings so,« antwortete ich beschämt.

»Und nicht mit ihm allein, sondern mit Allen und Allem was Sie je ergriffen haben.«

»Wolan es ist so! rief ich entschlossen, denn meine Seele will Ruhe finden in dem was sie liebt, und findet statt dessen Unruh, Angst, Verzweiflung – weil die Gegenstände ihrer Liebe wesenlos an ihr vorüber und in das Nichts hinein schweben dem sie angehören. Ich kann das nicht ändern, weder meine Sehn sucht noch meinen Schmerz kämpfen. Beide sind gleich groß, gleich gewaltig. Wie jene Halb-Verdammten des Dante befinde ich mich in einem beständigen Wirbelwind. Das Unbekannte lockt mich mit den süßesten Verheißungen, die in dem Bekannten ebenso sicher untergehen, wie eine gewisse flammende Morgenröthe einen Tag voll Regen bringt. Zwischen jenen Chimären und dieser Nichtigkeit stehe ich auf einem so ungewissen Punkt wie der Krater eines Vulkanes ist! ich habe ihn nicht gewählt, nicht gesucht! ich bin durch[54] meine angeborne Richtung zu ihm hingeführt worden .... und Sie machen mir Vorwürfe! ist das gerecht?«

»Ja, ich mache Ihnen Vorwürfe, Sibylle! Wer klar genug über sich selbst ist um die Richtung zu erkennen in welche seine Natur ihn drängt – wer dieselbe unablässig verfolgt: dem ziemt keine Klage wenn deren letzte Consequenzen ihm begegnen – denn er sollte auch über sie allmälig klar werden und sie als Bedingungen der Existenz annehmen. Ein Ringen aus der Unvollkommenheit zur Vollkommenheit – das ist das Leben; das ist das Ziel des Menschen; dahin muß er streben durch Licht und Schatten, in Sieg und Niederlage, durch handeln und denken, mit Kreuz und Schwert; darin muß er seine Seligkeit suchen – denn seine Bestimmung ist Seligkeit. Nur muß zuvor mancher herbe Kelch geleert werden, der auf ewig geheiligt ist weil ihn der Allerheiligste nicht verschmäht hat. Aber Sie .... lassen ihn fallen! Aber Sie .... mögten in der Vollkommenheit geboren sein und bequem die Seligkeit als Hausmannskost genießen in Ihrer olympischen Trägheit!«

»Ja! denn ich bin mir bewußt sie nimmermehr verdienen zu können!«

»Verdienen? Wer spricht von verdienen .... ich[55] gewiß nicht, Sibylle! die Seligkeit kann nicht verdient – sie muß errungen werden. Sie verdienen wollen wäre Knechtes- und Miethlingswerk, von denen geschrieben steht: »sie haben ihren Lohn dahin.« Der Freie ringt. Das braucht kein sichtbarer Kampf zu sein voll Getümmel und Geschrei; – er kann ebensowol in tiefer Stille entschieden werden und der erbleichenden Lippe nicht eine Klage entlocken. Der Eine ringt .... und die Erde bebt, die Völker zittern, die Welt droht aus ihren Angeln zu gehen; – der Andre ringt .... und die Thräne eines Dankbaren fällt auf seine Pfade, und der Segen eines Geretteten folget ihm nach. Dieser ringt um sich zu verstehen – Jener um sich zu beherrschen – Der, um sich zu entwickeln – und Der nach Weisheit! und Der nach Brot! und Der nach Ruhm! Alle .... auf ihre Weise, nach ihren Einsichten, mit ihren Kräften, welche so verschieden sind wie die Individuen selbst. Aber sie ringen, das heißt sie sammeln ihr ganzes Wesen auf einen Punkt, von wo sie den Zug ins gelobte Land beginnen – vielleicht, wie Moses, es nie erreichend! – Und auch Sie müssen ringen, Sibylle, sonst werden Sie untergehen.«

»Und wohin – wohin soll ich ringen?« rief ich.

»Zu Gott!« sagte er sanft.[56]

Himmlisch mild wie der Schlußaccord einer Hymne fiel dies Wort und diese Stimme in mein Ohr. »Zu Gott!« wiederholte ich leise, und mein Gesicht sank in meine Hände, und mit tausend Thränen brach ich in mir selbst zusammen und ihre heiße Flut hob den starren Frost unter dem mein Herz seit Jahren eingeschrumpft war. Als ich aus diesem Paroxismus wieder zu mir selbst kam und mich ganz bewildert umsah – war Sedlaczech fort! – –

Hatte ich eine Vision gehabt? – hatte unter Orgelton und Glockenklang eine Stimme zu mir geredet? – Ich war doch jeden Sonntag in der Kirche gewesen und hatte ein Paar hundert Predigten gehört und hatte außerdem manches ernste gute Wort über religiöse Dinge mit meinen Pfarrern – und nicht blos mit ihnen! – geredet, und nie war mir so zu Muth gewesen. Nie bebte meine Seele vor ihrem Wort und dennoch ihrem Wort entgegen! Nie stand ihnen der Mosisstab zu Gebot, der aus dem Felsen Wasser schlug! – Und jezt kommt ein Mensch, sagt das Allereinfachste, das Allernatürlichste, was ich, was Jeder ebensogut oder besser hätte sagen können – schöpft es aus dem warmen tiefen Quell seines Herzens – und bewegt mich so .... aber so, daß ich zu mir selbst sprach:[57]

Vielleicht ist der Engel über den Teich Bethesda dahin gerauscht, und die Blinden und Lahmen, welche jezt in ihm baden, werden genesen! – Vielleicht ist Ostertag gekommen .... der Morgen der Auferstehung. – O welche Gotteskraft ist im Menschen .... wenn er ein göttlicher Mensch ist! – – –

Das Leben bekam jezt eine andre Färbung, als ob ein wärmerer, farbenreicherer Himmel einen kühlen und eintönigen verdrängt habe. Freilich war nicht mehr jeder Stunde ihre unveränderliche Bestimmung wie von einem Fatum zugewiesen. Freilich waren meine Beschäftigungen willkürlicher und unregelmäßiger. Ich trieb nicht mehr die Eintheilung der Zeit bis zu pedantischer Genauigkeit. Eben daher ward mein Leben mannigfaltiger weil Stimmung und Neigung des Augenblicks befragt wurden, weil der Tag nicht wie die Musik einer Spieluhr mechanisch abgearbeitet wurde. Was war das nur für ein unsinniger Einfall sich dermaßen in ein Extrem zu sperren? fragte ich mich selbst ganz verwundert – und bedachte nicht, daß ich mir diese Frage wol schon zwanzig Mal vorgelegt hatte und immer aus einem Extrem in das andre geschwankt sei. Jezt wollte ich auf der schönen klaren Mitte bleiben. Ein stiller Geist kam über mich. Mir[58] ward woler denn je. Ich weiß nicht was für friedliche Anklänge voll süßer Melancholie aus den Tagen meiner Kindheit, aus der Erinnerung an meine Todten, mich anwehten! Sedlaczech war der Repräsentant jener Vergangenheit! unwillkürlich sah ich ihn von dem Kreise geliebter Geister umringt; unwillkürlich reihte ich ihn einer andern Ordnung der Wesen an. Ich hegte ihn mit zärtlicher und ehrfurchtsvoller Pietät in meinem Hause, wie den Barden aus den Tagen der Väter in den Ossianischen Gesängen. Ich sagte ihm das.

»Bin ich wirklich so sehr alt und ehrwürdig?« fragte er lächelnd.

Ich mußte ihn auf diese Frage einmal gründlich betrachten. Nach einer Pause sagte ich:

»Das Genie hat kein Alter, und Sie haben ein merkwürdiges Antlitz, Meister Fidelis – als hätte die Natur bei dessen Bildung mächtig tiefsinnige Gedanken gehabt, und als hätten Sie diese Gedanken alle errathen, alle ausgeführt.«

Dies war ganz richtig! die Züge waren fest geschnitten und fester noch ausgebildet. Flammenfinger schienen magische Zeichen auf seine Stirn geschrieben – Elfenfinger deren strenge Furchen geglättet, und den Abglanz ihres eigenen Schimmers über sie gebreitet zu haben. Die graden[59] starken Augenbrauen, der festgeschlossene Mund zeugten von unüberwindlicher Entschiedenheit; aber wenn diese Lippen sich im Lächeln oder im bewegten Sprechen lösten, so legte sich ein schmerz- und seelenvoller Schmelz weich und fast zitternd über sie. Das Auge ruhte unter der Felsenstirn in tiefer Höle wie ein farbenspielender Diamant, der sein Licht nach innen wendet und nur zuweilen dessen Reflex nach Außen blitzen läßt.

»Sind Sie eine Jüngerin Lavaters? fragte er scherzend; und glauben Sie an dessen Physiognomik?«

»Ich glaube an die Urmacht der Natur. Ist der Mensch nicht der Aus- und Abdruck der in ihm wohnenden, ihm uranfänglich eingehauchten Idee: so ist er ein Larvenbild, und dieses ist von einer wahrhaften Gestalt zu unterscheiden. Ich glaube daß Genius und Größe nicht wie Zieraffen aussehen und sich geberden; und glaube daß im Zieraffen ebensowenig Größe und Genius stecken. Ich glaube daß ein Engel nicht aussieht wie ein Teufel – daß ein Teufel die Maske eines Engels vornehmen und Diejenigen täuschen kann die gedankenlos mit ihm umgehen und sich täuschen lassen wollen – und daß der unbefangen beobachtende Blick sie unterscheidet. Und ich glaube endlich daß unser in dieser Beziehung ursprünglich scharfer Blick[60] stumpf wird, weil er die allgemeine Sitte mitmacht den Menschen nach dem Rock zu beurtheilen. Und Rock nenne ich nicht blos seine Kleider – sondern die ganze Form unter der er zur Erscheinung kommt, und die von den gekräuselten Haarspitzen bis zu den viereckigen Schuhspitzen conventionel ist.«

»Wäre es nicht ein unerhörtes Unternehmen, entgegnete Sedlaczech, aus einem modernen Schuh auf das schöne Gebilde eines menschlichen Fußes mit seiner feinen und festen elastischen Gliederung schließen zu wollen? Und wie der Schuster mit unserm Fuß, so verfährt der Mensch mit dem Menschenantlitz.«

»Aber dem unbezwinglichen Herzens- Geistes- und Leidenschaftsleben bleiben dennoch immer Canäle geöfnet in denen es sich ausströmt und ausstralt. Und ich meine auch nur daß der Grundzug einer Natur, die Hauptrichtung eines Characters erkennbar sind – etwa so wie Beethovens Antlitz die sturmbewegten und durchfurchten Züge eines Titanen an Macht und Tiefsinn nicht verleugnen kann – und Rafael nicht die liebende Anmuth seiner Seele.«

»Ich bin ganz Ihrer Meinung! sagte Sedlaczech, und da ich finde daß die Hauptrichtung eines Menschen die einzige ist, welche bei seiner Beurtheilung[61] von Wichtigkeit ist, so freut mich stets die Wahrnehmung, daß sie sich zwischen den kleinen verwickelten Zickzacklinien der Zufälligkeiten Platz macht.«

»Wenn Sie mich nicht kennten, Fidelis, sprach ich gedankenvoll, was würden Sie über meine äußere Erscheinung sagen?«

»Das ist schwer .... fast unmöglich! .... Vielleicht würde ich sagen: eine schöne schicksalträumende Walkyre! – Vielleicht .... eine Somnambule, so ahnungsvoll, aber befangen und gebunden; eine immense Seele – aber leer.«

Fräulein Mathilde hatte dem Gespräch zugehört in ihrer Weise, d.h. jedes meiner Worte als einen Orakelspruch bewundernd. Als ich jezt ernst und sinnend schwieg, nahm sie gekränkt das Wort und rief lebhaft:

»Herr Sedlaczech! besinnen Sie sich! wie können Sie die Gräfin eine leere Seele nennen! sie ist ja so voll Güte und Wolwollen! Ich hätte gemeint daß Sie auf Ihren Reisen mehr Menschenkenntniß erworben haben müßten.«

»So wird man verkannt – und gar von seinen Freunden!« rief ich scherzhaft und abbrechend. Aber zu Sedlaczech sagte ich später:

»Sie hatten ganz Recht, Fidelis! statt zu leben[62] – träume ich mir Schicksale, und ich suche die Seele durch Handlungen der Güte und des Wolwollens zu füllen – denn sie ist leer.«

Er schwieg. Ueberhaupt schwieg er viel, und ich hätte doch gewünscht er möge viel sprechen. Ich fragte ihn auch einmal weshalb er so wortkarg sei? er habe doch Gedanken vollauf.

»Worte sind nicht die eigentliche Sprache meiner Gedanken; antwortete er. Ich bin so daran gewöhnt die besten und tiefsten in Musik auszusprechen, daß ich, wenn ich reden soll immer jene Unbeholfenheit fühle mit der wir uns in einer fremden Sprache ausdrücken. Ueberdas habe ich nicht jene Gabe der Unterhaltung, die man nur im Verkehr mit der großen Welt entwickeln kann.«

»Ganz Recht, Fidelis: mit der großen Welt, in der alle Menschenbildungen ihren Platz einnehmen, sich durch einander drängen und bewegen, und jede auf ihre Art die Sprache verstehen und handhaben. Da muß der Gedanke schnell und beweglich, der Ausdruck fein, schmiegsam und doch präcis sein, und immer wechseln je nach dem Verständniß Desjenigen mit dem man eben redet. Dazu gehört ein erstaunlicher Scharfblick und eben so erstaunliches Wolwollen. Die große Welt bietet zu diesen Uebungen einen vortreflichen Tummelplatz.[63] Aber ihre Fractionen, diese Masse von kleinen Welten welche sich sämtlich nur darum groß finden und nennen, weil sie für die wirklich große weder Maßstab noch Ahnung noch Verlangen haben: die sind recht eigentlich dazu geschaffen den Menschen um die edle Gabe der Sprache zu bringen. In der eleganten Welt – welch ein frivoles Gezwitscher! in der gelehrten Welt – welch ein pedantisches Dociren! in der literarischen – welch ein babylonisch verwirrter Wortschwall! Wer sich nur in einer derselben bewegt und mit ihrer Redeweise unwillkürlich auch ihre Gedankenrichtung annimmt, wird in den andern so unverstehend und unverständlich sein, wie ein Kamtschadale zwischen Hottentotten und Botokuden. Und es kann unsereinem wol begegnen in eine derselben hinein zu gerathen! .... aber Ihnen, Meister, Ihnen steht die ganze große Welt geöfnet.«

»Was hilft das einem schüchternen Menschen? ich bin schüchtern – meine Seele ist's! Das mag mit meinem Schicksal, mit meinen Fähigkeiten zusammenhängen. Meine Gedanken und Empfindungen kommen mir so beschränkt, alltäglich und armselig vor wie Nachtviolen, die unschönen grauen Blumen, die nur dann zu duften wagen, wenn die Nacht mit ihren ewigen Gestirnen heraufzieht;[64] dann verschwinden sie unbemerkt unter den goldnen Sternen. Meine Nacht – ist die Musik. Sie breitet ihren Sternenmantel über mich und in ihrem Schutz öfnet sich unbefangen meine Seele.«

»Ihr inneres Leben mögt' ich kennen, Meister, sagte ich gedankenvoll. Es muß gleich dem Karfunkel sein: mystisch und licht.«

»Ist nicht jedes innere Leben so?«

»O nein! so ist es! statt der Mystik – Verwirrung, und statt des Lichtes – farblose Wässrigkeit!« rief ich.

»Sie sind sehr hart, Gräfin Sibylle!« sprach er.

»Nur gegen mich, Fidelis! meine Bemerkung galt hauptsächlich mir! .... aber freilich nebenbei manchen Anderen. Denken Sie doch nur: der bewußte Geist, der die Persönlichkeit genau bestimmt und ausprägt – der macht licht. Und die Inspiration, die Begeisterung, die Gefühlsströmungen von Andacht und Liebe, welche jene Persönlichkeit durch- und umfließen und sie im unbewußten Zusammenhang mit dem Ganzen, mit dem All zeigen – die sind mystisch. Glauben Sie wirklich daß dieser hochheilige Tag und diese tiefheilige Nacht eine alltägliche Erscheinung in unsern verschrumpften, verfinsterten, engen, matten Seelen sei?«

»Ich glaub' es nicht, erwiderte er sanft, und[65] daher glaub' ich auch nicht daß sie in mir zu finden sind. Aber ich denke so Einer wie Sie ihn meinen muß Beethoven gewesen sein! frei im Geist, wie ein ächtes Kind Gottes; und im Einklang mit den Gestirnen, den Elementen, seinen Geschwistern! In der Symphonie seines Daseins, welche unter der Hand Gottes dahin gerauscht ist, bildet sein Geist die ewig lichte, sonnenschöne Melodie, die auf dem Zusammenbrausen unirdischer Ströme – auf dem Zusammenklingen unirdischer Glocken – auf einer Unendlichkeit von Harmonien ruht, die alle in der Urtiefe seines Wesens wiederhallen und neugestaltet aus ihr emporquellen.«

Wenn Sedlaczech durch den Gegenstand hingerissen sprach – wenn er gleichsam das Wehr öfnete und die Flut der Empfindung nicht länger hemmte – wie veränderte sich dann sein Gesicht, sein Ausdruck, seine Stimme! Die Stirn wurde so transparent, daß man meinte hinter ihr die Gedanken weben und walten zu sehen; – das hagre bleiche Antlitz war erfüllt und erwärmt von der Ueberfülle der Seele; – die kalte monotone Stimme klang und vibrirte wie ein tonreiches Instrument das erst jezt seinen Meister gefunden. Ebenso war es auch wenn er spielte. Ich würde geglaubt haben, daß jene Veränderung nur für mein Auge[66] mit ihm vorgehe, wenn nicht Fräulein Mathilde mich überrascht und neugierig gefragt hätte, ob ich dieselbe bei vielen Menschen außer bei Sedlaczech wahrgenommen habe; was ich verneinte.

»Welch ein herrlicher Schauspieler hätte er werden müssen, setzte sie hinzu, da er im Stande ist seine Mienen und Bewegungen so in Uebereinstimmung mit seinen Worten zu bringen.«

Sie war mir immer ziemlich einfältig vorgekommen, die gute Mathilde! jezt fand ich sie gradezu dumm: sie konnte wähnen daß er absichtlich diesen und jenen studirten Ausdruck annahm! – Und wenn ich es recht bedachte machte sie keine Ausnahme von der Regel; denn in der Regel betrachtet die Gewöhnlichkeit die Zeichen und Gepräge des Außergewöhnlichen wie Jonglerie, Kömödie und Maskenspiel, wel che aufgeführt werden um Staunen und Aufmerksamkeit zu fesseln. Das kann sie nun einmal durchaus nicht begreifen – abgesehen von allem Uebrigen was sie ebenfalls nicht begreift! – daß der Außergewöhnliche sich gehen läßt in der Sorglosigkeit seiner Natur, statt zu schwimmen in ihren bodenlosen Ansprüchen von Bemerkt- und Begafftwerden.

Zwischen Sedlaczech und Mezzoni entwickelte sich Mathildens bis dahin etwas seelenloses Talent.[67] Letzterer spielte wunderschön das Violoncello, Ersterer die Geige, Mathilde den Flügel; damit wurden herrliche Sachen von Haydn, Mozart und Beethoven ausgeführt. Oder Mezzoni und Sedlaczech spielten auf zwei Flügeln – oder endlich dieser allein! Ich liebe nicht das Piano; Holz bleibt Holz! hat das Holz eine Seele, so ist sie darin eingesargt, während sie um die Saiten vom Bogen berührt, mit Schmetterlingsflügeln schwirrt und wirbelt. Aber wenn er spielte so war es kein Holz, überhaupt kein Piano mehr, sondern ein niegehörtes Instrument, das er nach eigener Erfindung behandelte. Ich Ungeschickte mußte immer zuhören! ich hatte es auf dem Piano nie bis zur Mittelmäßigkeit, und auf der Harfe nur so weit gebracht um meinen Gesang zu begleiten. Jezt wurde ich zuweilen meiner passiven Theilnahme überdrüssig und begann meine Stimme wieder zu üben, woran ich stets Vergnügen gefunden hatte. Dadurch kamen wir auf die Vocalmusik und nun in Sedlaczechs geliebtes Fach – den Kirchengesang. Er verstand es seine Liebe, seine Bewunderung, seine Andacht uns Andern einzuflößen, und ohne daß Einer von uns eine wahrhaft schöne oder glänzend ausgebildete Stimme gehabt hätte, wurde es uns doch möglich durch Fleiß, Ausdauer und[68] Ernst von den altitalienischen Kirchenmusiken Manches vierstimmig auszuführen. Mit ihren Worten voll übermenschlicher Klage und Sehnsucht – voll göttlicher Verheißung und Barmherzigkeit – den Psalmen und Propheten entnommen – von Palestrinas, Leos und Durantes glaubensstarken Seelen in die mächtige Sprache ihres Genius übertragen, der sich von allen Qualen, Sünden und Leidenschaften der Welt in dem geweihten Born eines unantastbaren Glaubens frischbadete: machte diese Musik mir einen ganz unerhörten Eindruck. Ich kam mir wie geadelt vor indem sie über meine Lippen ging. Die dumpfen Aengste meiner Seele lösten sich auf in dieser Ruhe welche das Leben und den Tod überwunden hat und von den Wonnen des Paradieses nichts erwartet – als dessen unzerstörbaren Frieden. Immer war mir dabei zu Muth wie einem sterbensmüden Pilger, der erschöpft im Schlaf gefallen ist und der in seines Traumes seligen Visionen nicht merkt, daß sein Leib auf steinigem Boden liegt und seine Füße von Dornen bluten. Ich begann nie anders als mit Andacht; ich schloß nie anders als in Extase. Dieses Ringen zwischen Körper und Seele – diese Uebermacht der letzteren mit der sie sich schauernd, bebend, die flammendste Kraft zusammenfassend, allendlich in[69] den Aether einer Region schwingt, die ihr im gewöhnlichen Zustand versagt bleibt – diese Extase, welche uns in einzelnen, in den höchsten Momenten von Glück, von Liebe, von Opfer, über uns selbst emporrafft: nie empfand ich sie reiner und stärker, weder vorher noch nachher, als eben bei jener Musik. Daher lebte und webte ich in ihr. Nach meiner excentrischen Art ging Alles neben ihr unter. Der Tag hatte nur Werth für mich weil er den Abend und mit ihm meinen Hochgenuß brachte, der bis tief in die Nacht hinein fortgesetzt wurde. Mezzoni und Sedlaczech dachten ebenso wenig als ich an das Aufhören. Fräulein Mathilde dachte wol zuweilen im Stillen daran, betrachtete aber die Sache zu sehr als eine trefliche musikalische Uebung, die ihr in Zukunft, als Lehrerin vielleicht, zu gut kommen könne, um sie nicht mit Eifer obgleich ohne Andacht zu treiben. Unser Auditorium störte oder befeuerte uns nicht, denn wir hatten keines. Ich hatte ein Musikzimmer neben dem Salon eingerichtet in welchem wir uns Abends Alle versammelten – auch die beiden Kinder und Benvenutas Gouvernante und Hofmeister. Aber die ersteren gingen früh schlafen, und die letzteren, zwei leidenschaftliche Schachspieler, blieben immer im Salon vor ihrem Schachbrett und kümmerten[70] sich so wenig um Palestrina als wir uns um Philidor. Ich hatte freilich versucht meine Sonntagsgesellschaft durch unsre Musik zu entzücken; aber das gelang nicht! Der geistliche Theil hörte nicht ohne Erbauung wenn auch ohne Vergnügen zu; der weltliche kämpfte mühsam mit Schläfrigkeit; er war nicht daran gewöhnt zu diesem ernsten Gedankenkreis sich zu erheben. Fräulein Mathilde mußte spielen und singen, oder Mezzoni eine Scene aus einer Opera buffa oder die Barcarolen seiner Heimat vortragen, was er mit unbeschreiblich guter Laune und Gewandtheit that: das war ihnen angenehmer, erheiternder, gleichsam mehr ein Sonntagsvergnügen voll Contrast mit ihrem Alltagsleben. – – –

Wieder vergingen die Tage ungezählt und unbemerkt; Winter und Sommer; und wieder ein Winter und noch ein Sommer. Ich war wol nicht glücklich, aber ich vergaß daß ich es nicht war – und damit war viel gewonnen nämlich etwas Beruhigung! denn das suchen, sehnen und jagen nach Glück ließ nach, und daher war mir das Leben nicht länger ein heißer Kampf oder eine lähmende Last. Ich forschte nicht, ich fragte nicht. Ich glaube zum ersten Mal seit ich geboren, gewährte mir die Gegenwart wie sie eben war stillen[71] Genuß. Ich hätte vielleicht Zuwachs, Vermehrung und Erhöhung desselben gewünscht, doch gewiß nicht um den Preis irgend einer Veränderung. Die alten Astrologen sagten: diejenigen sind unfehlbar unglückliche Menschen, deren Stern bei ihrer Geburt unter dem Horizont gestanden hat; das Glück wird auch stets unter demselben bleiben. So ging es mir! mein Glücksstern warf nur höchstens eine zarte Dämmerung in meinen Horizont herein; er selbst schwang sich nicht so hoch empor. Mehr noch! wenn diese Mondaurora, wie ich sie nennen mögte, sich zeigte – so war fast mit Gewißheit darauf zu rechnen, daß sie Vorbote eines Ungewitters sein würde.

Ich hatte der Kirche von Engelau eine neue Orgel geschenkt, so groß und schön wie die Räumlichkeit es nur immer gestattete. Der Organist verstand durchaus nicht sie geltend zu machen; – Sedlaczech erbot sich sie einmal zu spielen damit ich ihre eigentliche Kraft und Fülle hören könne. Wir gingen eines Nachmittags sämtlich in die Kirche. Es war ein warmer milder Septembertag, ein letzter Gruß des scheidenden Sommers. Die uralten Ulmen, welche mit einem tiefen Schattenkreis den Gottesacker, die Heimat der Schatten, umgaben – zeigten schon manch welkes Blatt[72] zwischen ihrem fahlen Grün. Die Drosseln zirpten ihr Wanderlied und sammelten sich zur gemeinsamen Rückkehr in die Winterquartiere. Die Felder waren Stoppeln; die Wiesen noch grün, aber moos- und nicht mehr smaragdgrün. Das Laub der Hecken und Bäume war überall schon gelichtet. Nur die Eichen standen noch in voller Kraft und Frische, wie behelmte geharnischte Helden, bereit mit dem Feinde Herbst einen Kampf zu bestehen, während alle andern Bäume die Waffen streckten. Sie rührten mich, die alten Helden! sie sahen so kräftig und schön aus im Goldglanz der tiefstehenden Sonne, welcher sich mit zitterndem Geflimmer um die gewaltigen Aeste wob. Es hilft euch nichts, sagte ich und sah sie wehmüthig an, ihr müßt auch in den Staub! etwas früher, etwas später – aber er bleibt nicht aus .... der Tod! – Da fiel mir ein daß eben heute Heinrichs Todestag sei; und plötzlich zog an meiner Seele ein langer Trauerreigen vorüber: gestorbene Menschen und gestorbene Freuden und Hofnungen! gestorbene Leben der verschiedensten Art! und über ihnen Allen, von Heinrich bis auf Arabella, ein Tropfen meines Herzbluts ausgegossen, und mit ihnen .... verwest? .... verweht? – –

Hundertmal schon glaubte ich bemerkt zu haben,[73] daß Sedlaczech die geheimsten Regungen meiner Seele ahnte und mir dies Verständniß in einer Weise kund gab, die wiederum nur mir verständlich war. Jezt – begann er Mozarts Requiem. Die Trauerflöre verdichteten sich um meine Seele. »Dies irae« donnerte mich an, mich! nicht meine Todten. Aus dem Zornbrand der Welten waren sie bereits hinüber gerettet in die ewigen Hütten. Aber ich! aber ich! »Quid sum miser tunc dicturus?« – diese Figur wechselte unter Sedlaczechs Hand immer ab mit dem: »Nil inultum remanebit;« – und erfüllte mich mit unsäglichem Verzagen. Ströme von Traurigkeit ergossen sich um mich; schwarze Schaalen voll Schwermuth leerten sich über meinem Haupt. Für die Sünde für die Tugend hatte die göttliche Gerechtigkeit Strafe und Lohn; allein was konnte sie mit einem Wesen machen, das ihre höchste Gabe, das Leben! nicht gebraucht, und eigentlich nicht gelebt hatte? – Es vergessen! weiter nichts. »Quid sum miser tunc dicturus?« klagte die Orgel. Ja, ich war die Elende, die nichts zu sagen wußte, als das eine Wort, welches schon jezt der Fluch und das Schreckbild meines Daseins war: Nichts! und abermals: Nichts! Schwer mogte es sein mit Sünden und Verbrechen belastet zu erscheinen; jedoch aus[74] dem Munde dieser Beladenen wie inbrünstig ertönte es: »Recordare, Jesu pie!« Fleisch und Blut und ihre Sünden konnten nicht strenger gerächt werden, als ein Schattenleben, das in Nichts Verlockung und Genuß gefunden – in Nichts seine Rechtfertigung zu suchen hatte. Wer wird mich erlösen! ächzte ich in der schauerlichen Finsterniß welche sich in der Kirche verbreitet hatte.

»Salva me, fons pietatis!« klang es von der Orgel herab; und darin ließ Sedlaczech wie in ewiger Wonne die Töne verhallen. Wir verließen Alle tief er griffen die Kirche. Keiner sprach ein Wort. Der Mond ging langsam auf. Ich nahm Sedlaczechs Arm und schlug mit ihm den längern Rückweg durch den Garten ein; die Uebrigen gingen gradesweges nach Hause. Ich theilte ihm den gewaltigen Eindruck des Requiems auf mich mit:

»Wie ein Donnerruf des Gewissens klang es.«

»Ich denke nicht daß das Ihre mit so fürchterlicher Stimme zu Ihnen spricht,« sagte er mit seinem gewissen kalten Ton, der mir häufig das Wort auf den Lippen tödtete, weil er mehr zum Schweigen als zum Reden auffoderte.

Allein es war Sturm in mir gewesen; da gingen die Wellen noch hoch! ich fragte kurz:

»Wie kommt es, Meister, daß Sie, ein so innerlicher[75] Mensch, so wenig lieben von innern Zuständen zu sprechen?«

»Das dächte ich nicht! ich spreche darüber wenn ich grade in der Stimmung bin; aber ich habe sie freilich nicht immer und ich setze sie noch seltner bei Andern voraus. Was in uns vorgeht hat doch eigentlich nur für uns selbst Wichtigkeit, sobald es sich nicht durch das Organ der Kunst oder der menschenfreundlichen und gemeinnützigen That an den Tag legen läßt. Ich meide gern das Unnütze, am Meisten das unnütze Wort.«

»Wer sagt Ihnen daß jedes gesprochene Wort ein unnützes sei? es kann nicht Jeder große Thaten thun, nicht Jeder Kunstwerke schaffen, der doch ein hohes Streben und einen Schatz von Poesie in seiner Seele trägt: mir ist es ebenso wichtig wenn das im Wort zum Vorschein kommt als durch Handlungen.«

»Sie setzen innere Herrlichkeiten voraus – Perlen und Korallen unter den Wellen des Busens; ich leugne sie nicht! nur sind sie umschlungen von wüsten wirren Thier- und Pflanzengebilden, und abschreckende Ungeheuer verdecken sie oft gänzlich. Wenn der Mensch genau wüßte, wie es in der Seele seines Geliebtesten aussieht – so würde er sich von unüberwindlichem Schauer ergriffen fühlen.[76] Nicht von Abscheu, Entsetzen oder Verachtung – obgleich auch das vorkommen könnte! Nein! nur von Schauer über die maßlosen Zerrüttungen und Verwilderungen, über die stillen Unsinnigkeiten einer sogenannt schönen, edlen, reinen Seele. Es ist sehr gut daß die Brust mit ihrem gleichmäßigen stummen Wellenschlage die schauerlichen Geheimnisse der Tiefe zudeckt, und sehr verwegen sie durch irgend eine magische Beschwörung hervorlocken zu wollen.«

»Und doch glauben wir daß Gott die dunkeln Abgründe unsers Wesens kenne ohne sich von uns abzuwenden.«

»Gott ist barmherzig und gnädig: das ist die Essenz seiner Liebe. Bei dem Menschen aber geht in Gnade und Barmherzigkeit häufig die Liebe unter – die Liebe welche ihn beseligt hat.«

»Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde. Ich habe diesen Ausdruck der bilderreichen Sprache des Orients nie anders verstehen können, als daß ein Hauch seines Wesens auch uns beseele – auch uns befähigen solle den Reflex der göttlichen Liebe warm und licht in uns zu bewahren; folglich kann unsre Liebe in der Barmherzigkeit nicht untergehen, Meister Fidelis.«

»Gott ist barmherzig, der Mensch nur mitleidig,[77] theure Sibylle! nämlich der gewöhnliche Mensch von dem wir sprechen, der seine Selbstsucht mit sich herumschleppt, welche das Bild nach welchem er geschaffen ist in ihm verdunkelt. Der Heilige, der unselbstische Mensch, kann allerdings auch barmherzig sein, weil in ihm jene Flut göttlicher Liebe wogt, die ohne Anfang, ohne Steigerung, ohne Ende ist.«

»Ohne Ende! ja Fidelis, das ist das Wort des Geheimnisses unsrer Qual.«

»Es könnte auch das Wort: ohne Anfang! sein.«

Ich sah ihn befremdet an. Er hatte mit einem seltsamen Ausdruck gesprochen, wie bebend von zurückgehaltenem Schmerz.

»Ohne Anfang .... wie das Keimen und Aufblühen unsrer Gedanken, wie die Manifestation unsers Willens, wie die Entwickelung unsrer Neigungen – was Alles schon im Wiegenkinde zum Vorschein kommt! – fuhr er fort. Und so finden wir auch in uns Richtungen, Bestimmungen, Schicksale, die fertig und mächtig in uns aufstehen, und die – wenn wir zitternd fragen: Woher kommst du? – gelassen entgegnen: wir waren immer bei dir! –

»Glückseliger! rief ich; o dreimal Glückseliger, der ewig im Tempelhain seiner Gottheiten geblieben ist. Die Unseligen sind nur die, Fidelis, welche[78] einem ewigen Abfall unterliegen, und den Rubin, welcher nach jener Sage purpurflammend vom Himmel in die Kaaba fiel, vor ihren Augen in kohlenschwarz verwandeln sehen. Die sind unselig, denn sie können nicht lieben, nicht hoffen, nicht einmal leiden! sie wissen daß der Karfunkel der Liebe, der Hofnung, der heiligen Schmerzen, in eine todte Kohle sich verwandelt, weil etwas so Entzauberndes an ihrer Hand ist, daß dieselbe, wohin sie streift, Farben erbleichen, Blüten fallen, Licht erlöschen macht. Sie wissen daß das Ende kommt, die Harpye in deren Erwartung die Gegenwart zunicht wird so daß ein Chaos daraus entsteht worin nichts hausen mag und kann als Chimären. O Sie sind glücklich! was Sie auch bedrücken möge weil es ohne Anfang ist – es ist nicht so schwer als die Last der Erkenntniß .... daß Alles ein Ende hat!«

Ich ließ seinen Arm los, umschlang mit beiden Armen einen Baum und rief:

»Sehen Sie! der Baum erquickt mich! er hat keine Seele – drum weicht und wankt er nicht. Was Seele hat .... wankt! Irrthum, Täuschung, Wankelmuth, Verlust, Tod – umspinnt uns von Außen und Innen – die ganze Masse dieses Gewebes heißt Leben, und mit demselben sollen wir[79] uns befreunden indem wir Vernunft, Entschlossenheit, Resignation und Frömmigkeit zu unserm Trost herbeirufen. Aber es ist ja ein Elend sich zu trösten, Fidelis! es ist ja ein Elend abzufallen von unsrer Liebe, unsrer Zuversicht, unsrer Erinnerung, und dann mit gelassener Nüchternheit zu sprechen: Nun ja! ich hab' mich geirrt .... und irren ist menschlich! – Oder: Gott hat mir gnädig einen Ersatz meines Verlustes geschenkt! – Und so sprechen doch die Vernunft und die Frömmigkeit, und das wird von Andern sehr verehrt – während es mir jämmerlich vorkommt! Ich' hab es ebenso gemacht, mich auch beruhigt, mich auch getröstet – aber ich gehe an diesem Ersatz und diesem Trost zu Grunde .... denn jeder Wechsel ist ein Abfall .... und weiter nichts.«

Ich preßte meine Stirn an die Rinde des Baumes, als wolle ich mich durch äußern Schmerz gegen die Gedanken betäuben. Sedlaczech sprach langsamer:

»Eine immense Seele .... aber leer!«

»Das haben Sie schon einmal von mir gesagt! rief ich. Ich bin's ja nicht allein die so beschaffen ist wie ich es beklage! alle Anderen sind ja ebenso .... nur daß sie sich die Schmach zur Ehre rechnen, und die traurige Naturnothwendigkeit Product[80] ihrer Vernunft, Philosophie oder Religiosität nennen – zur Jämmerlichkeit die Lüge gesellend! Alle Anderen halten mir ja ebensowenig Farbe und Stich als ich mir selbst. Fände ich nur einen Menschen, einen Einzigen! der keinen Abfall begangen hätte, so würde mir der zum Eckstein werden an den ich meine Hütte lehnen könnte. Aber ich finde keinen in der ganzen Weltgeschichte von Adam an – denn Christus ist unsers Gleichen nicht! vor Dem liegen wir auf den Knien! unsre eitle Armseligkeit ist denn doch nicht eitel genug um sich neben Den zu stellen. Also ich finde keinen Einzigen, Fidelis! wie Einer ist sind Alle. Ich las heute früh einen Ausspruch Luthers: jeder Christ sei zum Priester berufen. So hieß der Commentar den ich dazu machte: Und diese Priester haben auch ihren gemeinsamen character indelebilis: den Abfall. Welch ein Priesterthum! welch eine Menschheit! – Es kommen nicht Alle zum Bewußtsein darüber, ich will es glauben – ich sehe es sogar; doch ich kann nicht mein Auge willkürlich dagegen schließen. Ich bin nun einmal in die Sphäre gerathen, die von Licht, doch gewiß nicht vom himmlischen, beleuchtet ist. Ich stehe in deren Centrum, und die Welt, die wie immer nichts weiß und noch weniger ahnt, nennt mich einen Engel. Ja, ich bins! immer fragend[81] und die Frage verneinend – immer gestaltend und die Gestaltung wieder zerstörend – immer isolirt, weil ich – ich weiß nicht durch welche Mächte aus dem Zusammenhang geschleudert bin und in dem gesammelten Stückwerk keine Einheit finde – bin ich so recht das Bild eines abgefallnen Engels: ich stelle mich Gott gegenüber und frage ihn und meistre ihn: Warum hast du mich so geschaffen? Sollte ich Tochter des Staubes sein – wozu denn dieser Durst nach Ewigkeit? Ist aber Etwas in mir für die Ewigkeit bestimmt – wozu diese Wirbel und Wolken von Staub, die mich so betäuben und verwirren, mich in solchen Strudel reißen, daß mich vor Zeit und Ewigkeit ein Ekel anwandelt.«

»Sibylle!« rief Sedlaczech wie um mich zur Besinnung zu bringen; – »Sibylle!«

»O ich bin sehr besonnen! unterbrach ich ihn; – aber ich will reden! ich will einmal sagen wie mir zu Sinn ist, und diese Last meiner Gedanken in eine fremde Brust wälzen! Wir haben ja keine Priester zu denen wir beichten können. Unsre Geistlichen sprechen: das sei sündiger Mißbrauch. Ich weiß es nicht! aber das weiß ich: ich bin in Euren Kirchen in solchen Stimmungen gewesen, daß wenn ich einen Priester im Beichtstuhl sah, ich mich hätte vor ihm niederstürzen und[82] schreien können: »Rette mich .... denn ich verderbe.« Möglich daß er mich nicht gerettet, nicht beschwichtigt hätte! – aber schon diesen Schrei auszustoßen an geweihter Stätte im Schutz und Schirm des Altars, wäre eine halbe Seligkeit gewesen. Es kann eine unerhörte Erlösung und Befreiung, eine wahre Seligsprechung in einem solchen Wort liegen, und jeder Mensch bedarf derselben wenigstens Einmal in seinem Leben; – denn Einmal wenigstens thürmen sich um Jeden die Schrecknisse dermaßen auf, daß er schreien muß: rette mich, denn ich verderbe! – Wir haben keine Priester; wir müssen diesen Jammerzustand allein abmachen, in uns selbst, mit uns selbst .... eine geschlagene, gequälte, verzweifelnde Seele und ganz allein! wer im Stande wäre dies Alleinsein im vollen Umfang zu ermessen – müßte wahnsinnig werden! aber wir sind nun einmal von vollkommner Unvollkommenheit und können ihn daher nicht ermessen. Und dann hängt die Seele auch an einem Faden, nur von Seide und über einem Abgrund – und das ist ihr Instinct von Gott; das ist grade genug um sie in ihrem Leid zu erhalten .... ganz allein! Freunde sollen wir um Rath ansprechen: das soll uns stärken, anfeuern, erfrischen – so sagt man. Hat die verzweifelnde Seele Freunde? gewiß nicht![83] es wäre dann nie so weit mit ihr gekommen. Sie ist und bleibt allein! Wendet sie sich einmal in ihrer tiefsten Noth an Einen, dem Friede, Kraft und Klarheit die Weihe des Priesters gegeben haben, so wendet der sich entsetzt und schaudernd von ihr ab – wie Sie es thun, Fidelis! .... so mögte er ihre Klagen ersticken, weil er nicht helfen kann und nicht mit ihr leiden mag – wie Sie, Fidelis.«

Ich hatte mit fieberhafter Glut und Hast geredet. Meine verschlossene Natur, durch die erschütternde Musik aufgewühlt, zugleich für und wider die Gewohnheit des Schweigens ringend, hatte diesen Ausbruch nicht unterdrücken können. Es mag ergreifend sein Zeuge einer solchen Haltungslosigkeit zu werden, wo man sonst immer gefaßte Sammlung gesehen. Sedlaczech wenigstens stand mit einem ganz unbeschreiblichen Ausdruck von Desolation vor mir; und als ich sein früheres Wort nachsprach:

»Dies sind die stillen Unsinnigkeiten einer edeln Seele vor denen Sie so große Furcht haben!« – –

Da sank er wie zerbrochen auf seine Knie und flüsterte leise:

»Aber sehen Sie denn nicht daß Sie mich vernichten?«[84]

Als ich ihn so erblickte, im stillen kühlen Mondlicht, auf den Knien und doch nicht vor mir kniend – nahmen meine Gedanken eine andere Wendung und ich fragte:

»Können Sie noch beten, Fidelis? so wie damals – Sie wissen was ich meine.«

»Noch kann ich es!« sprach er ganz, ganz leise und erhob sich langsam.

Ich nahm wieder seinen Arm, und wir gingen schweigend dem Hause zu. Als wir uns näherten ging auf der Terrasse eine Männergestalt auf und nieder, die mich frappirte, weil das vor den Fenstern meiner Zimmer nie zu geschehen pflegte; und als wir ganz nah waren ging sie in den erleuchteten Salon wie um uns dort zu empfangen. Ich ging hastig die Stufen zur Terrasse hinauf, trat ein – und stand vor Otbert. Diese unangenehmste aller Ueberraschungen, so plötzlich folgend auf die heftigsten Emotionen, traf mich wie ein eiskalter Luftzug an einem glühend heißen Sommertage. Jener Schlag auf das Herz, den ich vor Arabellas Fenster empfunden, berührte mich abermals aufs Heftigste und ich sank leblos in Sedlaczechs Arme. Alles gerieth in Aufruhr: – aber es währte nicht fünf Minuten, so hatte ich meine Besinnung und folglich auch meine Kräfte wieder, und ich grüßte[85] Otbert höflich und befremdet. Er beobachtete mich mit scharfen fast lauernden Blicken, suchte aber sehr ungenirt, vertraulich, ganz wie zu Hause zu sein, und sagte mir die größten Schmeicheleien über mein gutes Aussehen. Es muß für meine Hausgesellschaft ein merkwürdiges Schauspiel gewesen sein dies Wiedersehen von zwei Eheleuten, die nach mehr denn fünfjähriger Trennung in den ersten Stunden von nichts sprachen als von Fieschis Attentat gegen König Louis Philipp, das im Lauf des Sommers statt gefunden hatte. Die gewohnte Abendstunde hatte sie Alle versammelt und ich merkte ihnen – Sedlaczech ausgenommen – ihr Unbehagen an. Astralis war nicht wol und kam daher nicht zum Vorschein. Benvenuta hatte Otbert gänzlich vergessen, und hielt sich in scheuer Ferne von ihm.

Gleich nach dem Thee verschwand Einer nach dem Andern. Da wandte ich mich freundlich aber eisig an Otbert und fragte ihn welcher Umstand ihn nach Engelau führe. Er sprang auf, ergriff meine Hand und rief lebhaft:

»Die Sehnsucht Dich zu sehen, Sibylle!«

Ich ließ ihm meine Hand mit tödtender Gleichgültigkeit und erwiderte:

»Lieber Otbert, Eines merke Dir: Komödie wird[86] nicht mehr gespielt – und jezt wollen wir schlicht und verständig über den Zweck Deines Kommens reden; – denn Du hast einen Zweck.«

»Traust Du Dir wirklich so wenig Attractionskraft zu, Sibylle?«

»Du selbst hast mich gelehrt wie wenig Veranlassung ich habe mir die geringste zuzutrauen.«

»Erinnere mich nicht an meine Thorheiten, theure Sibylle! ein Weib mit allen Tugenden und Grazien so reich geschmückt wie Du, bleibt auf die Dauer der einzige Magnet für einen Mann. Nimm mich auf! rief er mit einem Gemisch von Zärtlichkeit und Unterwürfigkeit; – nimm mich wenn auch nicht gleich zu Gnaden auf! laß mich ein Noviziat bestehen .... aber hier, bei Dir!«

Ich betrachtete ihn mit seltsamen Empfindungen. Er war immer derselbe schöne eitle Otbert, er wollte immer gefallen und – merkwürdiger Weise! er gefiel mir auch noch immer, jedoch so wie etwa ein Kunstwerk zweiter Ordnung, das in unsrer Seele Raum läßt für die Kritik, uns gefallen mag. Von warmen vibrirenden Lebensfibern so wie einst, regte sich nicht eine einzige für ihn.

»Otbert! sagte ich sehr gelassen, ich nehm' es Dir nicht übel, daß Du in Deine Schauspielerkünste verfällst! sie sind Dir genugsam zur zweiten[87] Natur geworden um Dich glauben zu machen ich sei noch zu täuschen – ich! die einen tiefen Blick in Deine Coulissenwelt gethan. Ich habe nicht das geringste Talent und folglich auch nicht die geringste Lust zur Schauspielerei: Du bist zu klug um das nicht längst erkannt zu haben – was ist also Deine eigentliche Absicht? Nimm Dich zusammen und sprich die Wahrheit.«

»Ich habe sie Dir gesagt: ich will Dich sehen und bei Dir leben.«

»Bei mir und nicht mit mir ist peinlich.«

»Es lebt ja Deine ganze Hausgesellschaft nichts weniger als peinlich, sondern sehr ungenirt bei Dir, mit Dir – .... ich weiß nicht was Du da für spitzfindige Unterschiede machst!«

»Ich kann sie Dir erklären: meine Hausgenossen leben unbefangen und zufrieden bei und mit mir innerhalb der Verhältnisse in denen wir zu einander stehen sollen. Du und ich hingegen – wir leben innerhalb eines schiefen, zerrissenen Verhältnisses. In der Ehe bedeutet mit einander – die Intimität der Liebe – also Glück; bei einander – Schein, Lüge, Rücksichten, Zwecke .... was weiß ich! also – ein äußerliches, unbefriedigendes und deshalb auf die Dauer peinliches Thun und Treiben. Spare es Dir und mir.«[88]

»Das heißt mit andern Worten: geh!« rief Otbert mit aufwallender Empfindlichkeit.

»Wenn Du das fühlst – weshalb bist Du gekommen?«

Fast mit Haß im Blick entgegnete er ruhig:

»Um meine Tochter zu holen.«

»Deine Tochter? und bei mir?« fragte ich gedehnt.

»Nun ja, Astralis! wen sonst?«

»Astralis ist Arabellas Tochter und ich habe der heimgegangenen Mutter den Eid abgelegt Mutterstelle bei ihr zu vertreten, bei dem verwaisten Kinde, welches sie mir in ihrem Testament zu Erziehung und Versorgung anvertraut hat.«

»Das Alles ist ganz gut .... allein der Vater hat nähere Rechte – und ich nehme sie in Anspruch.«

»Astralis Flowrence lautet der Taufschein meiner Pflegetochter. Arabella hat sie mir als ihr verwaistes Kind übergeben. Ob Du der Vater bist, ob ein Andrer es ist, kümmert mich nicht.«

»Ah jezt spielst Du Komödie! rief Otbert; Du weißt sehr gut daß ich und kein Andrer Astralis Vater bin.«

»Ich habe gesagt: es kümmert mich nicht; und das ist mein voller Ernst.«[89]

»Wie? die Gattin hab' ich in Dir verloren und mein Kind soll ich durch Dich verlieren? das ist ja aber himmelschreiend.«

»Ja es ist entsetzlich welch Unrecht Du zu erleiden hast!« sagte ich mit kaltem Spott, stand auf, schellte, und zu dem eintretenden Kammerdiener:

»Der Herr Graf befiehlt sein Zimmer, das grüne.«

Astrau verbeugte sich kalt und förmlich und folgte dem Diener; ich ging todtmüde in mein Cabinet. Am andern Morgen ließ er mich um ein Gespräch bitten. Heute hatte er die Taktik verändert. Nicht schauspielerisch sondern cynisch griff er mich an.

»Ich habe Dir einen Vorschlag zu machen, begann er. Ueberlaß mir meine Tochter und ich lasse Dir den Herrn Sedlaczech.«

Ich hatte mir vorgenommen von eiserner und eisiger Unbeweglichkeit zu sein und es wurde mir auch gar nicht schwer es durchzuführen. Ich erwiderte:

»Glaubst Du Rechte an Astralis beweisen zu können, so wende Dich an die Gerichte, welche ich alsdann zur Anerkennung der meinen auffodern werde. Was Herrn Sedlaczech betrift, so bedienst Du Dich eines unstatthaften Ausdrucks. Er ist hier nach seinem Belieben.«

»Das bezweifle ich nicht; – auch nicht, daß[90] sein Belieben das Deine ist. Nur ich bin in diesem Bunde nicht der Dritte.«

»Ich darf sagen, daß dies auch keinesweges mein Wunsch ist.«

»Du trotzest mir?«

»Wer in seinem Recht zu sein glaubt, spricht sich dem gemäß aus, ohne dem andern Theil trotzen oder ihn beleidigen zu wollen. Beides sind Waffen des uneingestandenen Unrechts.«

»Wir kommen von unserm Thema ab. Du benimmst Dich hier wie eine Königin .... Deiner Scholle, was beiläufig gesagt einen Anstrich von landjunkerlicher Krähwinkelei hat, die mich sehr belustigt. Du hast Dir einen vollständigen Hofstaat organisirt; ich lasse das gelten – nur nicht den böhmischen Trabanten.«

»Werde ich allendlich den Zweck Deines Kommens erfahren?« fragte ich unmäßig gelangweilt.

»Eine wunderliche Frage in dem Munde einer Gattin! freundlich und liebevoll, mit den theilnehmendsten Gesinnungen komme ich, und werde wie ein Fremder aufgenommen. Man empfängt mich nicht, man spaziert zwei Stunden im Mondschein mit dem Günstling, man läßt mich bei dem Hofstaat und der Langenweile, man kehrt endlich heim und begrüßt mich mit Verstörung und Ohnmacht[91] und sucht zuletzt hinter hochmüthigem Fremdethun innere Unruh zu verbergen. Ist das die Art einen Gemal zu empfangen?«

»Ich konnte Dich nicht empfangen weil ich Deine Ankunft nicht wußte, und ich ging mit Sedlaczech – was sehr oft geschieht – weil ich mich ungestört mit ihm unterhalten wollte« .... – –

»Und worüber, ich bitte!«

»Ueber Dinge welche ich mit Dir nicht besprechen kann.«

Astrau wurde leichenblaß; ich weiß nicht ob er in diesem Augenblick Zorn und Eifersucht nur heuchelte oder wirklich empfand. Wahrscheinlich wußte er selbst es nicht! aber ich glaube daß er aus beleidigter Eitelkeit in der That gereizt wurde. Ingrimmig stieß er die Worte aus:

»Das ist allzu frech!«

»Wer mich geflissentlich beleidigt hört auf mein Gast zu sein!« sagte ich aufstehend.

»O ich begehre auch nicht Dein Gast zu sein – ich bin Dein Gemal.«

»Du bist mein Gemal .... allerdings! was weiter?«

»Was weiter? ich will wachen daß meine Rechte nicht gekränkt werden.«

»Die Rechte auf meine Person hast Du durch[92] Deine Schuld verloren. Die Rechte an meinem Vermögen habe ich nie geschmälert, sondern dessen Einkünfte mit Dir getheilt. Also: was weiter?«

»Dermaßen versteinert bist Du also in der Sünde, daß nichts Deine eiserne Stirn erröthen macht!.... Oder begreifst Du wirklich nicht meinen Verdacht? Schon vor Jahren habe ich Dir gesagt daß dieser verhaßte Sedlaczech Dich liebe und ich habe auf seine Entfernung gedrungen. Ich komme wieder – und finde ihn tiefer in Deiner Gunst als je. Und das soll ich ruhig ertragen?«

»Du wirst es müssen.«

»Er soll fort .... auf der Stelle!« rief Otbert wild.

»Er bleibt .... oder ich gehe und mein ganzes Haus geht mit mir« .... – –

»Ihm nach? und in die weite Welt zum allgemeinen Scandal – nicht wahr?«

»Du läßt mich nicht ausreden! oder ich gehe mit meinem ganzen Hause, wozu auch Sedlaczech gehört, zu meinem Schwiegervater nach Hannover, unter dessen Aegide ich den äußern Schirm gegen Deine Brutalität finden werde, vor welcher die innere Schutzwehr meines Selbstgefühls mich nicht behütet.«

Dieser Entschluß kam ihm unerwartet. Er wußte[93] wol, daß mein Schwiegervater ihn nicht leiden konnte, mir dringend die Heirath mit dem »hirnlosen und leichtsinnigen Verschwender«, wie er ihn nannte, abgerathen hatte und mir auch jezt Rathschläge nicht zu seinen Gunsten geben würde. Daher suchte er mich von einer andern Seite anzugreifen.

»Also die Emancipirte ist inconsequent genug, hinter einem siebzigjährigen Greise sich verschanzen zu wollen!« sagte er höhnisch um mich in ein neues Gebiet zu locken.

»Bleiben wir bei der Sache! entgegnete ich streng. Du hast die Wahl: entweder Du bleibst hier unter den Bedingungen die man an einen Gast machen kann – oder übermorgen um diese Zeit steht dies Haus leer und ich bin auf dem Wege nach Hannover. Du weißt, Otbert, ich thue was ich sage.«

»Ah Du bist ein königliches Weib! rief Astrau abermals eine andre Maske ergreifend. Du bist zum herrschen geboren. Befiehl! befiehl auch mir, Sibylle! was willst Du?«

»Bleiben!« sprach ich kurz.

»So bleib' auch ich .... im grünen Zimmer!« sagte er mit einem kleinen Seufzer, den ich nicht[94] Lust hatte zu beachten. »Darf ich die Kinder sehen?« setzte er hinzu.

Ich ließ sie rufen. Er überschüttete sie mit Liebkosungen, namentlich Benvenuta. Das mißfiel mir. Sollte diese Verleugnung seines väterlichen Gefühls eine Schmeichelei für mich sein, so war sie schlecht gewählt, denn das göttlich schöne Kind Astralis lag mir ebenso am Herzen wie Benvenuta Genau so wie in der ersten Zeit unsrer Bekanntschaft fand ich jezt Otbert: – verschroben von Eitelkeit. Und dieser Mann hat dich fangen können indem er deiner eigenen Eitelkeit schmeichelte! sprach ich zu mir selbst; welch eine unerhörte, erbärmliche Schwäche.

Otbert blieb; allein er trug nichts zur Annehmlichkeit unsers Lebens bei. Er war einen andern Schauplatz und andere Anregungen gewohnt als er in Engelau finden konnte; er verlangte sie von uns, wir konnten sie ihm nicht geben: das versetzte uns sämtlich in Unbehagen; Jeder von uns empfand einen Mangel. Unsre Lectüren geriethen in Stocken, denn er wollte vorlesen und fand keine Bücher nach seinem Geschmack. Unsre Musik verstummte, denn er erklärte er sei zu sehr Laie um an diesem überernsten Styl Vergnügen zu finden. Mezzonis Barcarolen ließ er gelten – aber nicht[95] lange, denn er ertrug es auf die Dauer nicht Zuschauer und Bewunderer zu sein. Zuweilen las er einige seiner Gedichte vor; das war am angenehmsten! sein schmiegsames Organ, sein Feuer im Vortrag, hoben die Schönheit der Verse noch mehr hervor. Nahm er Bewunderung und Interesse bei uns wahr, so versetzte ihn das in die liebenswürdigste Laune; er begann zu erzählen wo und wie er das Gedicht gemacht; er kam auf tausend Dinge die freilich nicht zur Sache gehörten, aber sehr unterhaltend waren. Er kannte Paris wie ich Engelau. Mit allen Sommitäten der Politik, der Gesellschaft, der Literatur, des Theaters, der Fremden – mit Allem und Jedem was in irgend einer Beziehung Ruf und Namen hatte – verstand er sich in Berührung zu bringen; – ob in die intime, funkensprühende mit der er ein wenig prunkte, sei dahin gestellt. Aber er konnte einen Tag mit den religiösen Ceremonien der Jünger des Père Enfantin beginnen, ihn durch die Ateliers der Künstler, die Kammern und ein diplomatisches Diner führen, und ihn in den rococo Sälen des Faubourg St. Germain oder in dem Dachstübchen eines socialistischen Weltverbesserers beschließen. Das unterhielt uns natürlich sehr, und auch ihn – so lange er davon erzählte und mit[96] seiner Person und durch seinen Vortrag dabei glänzte. Aber ein Magazin von Wissen, Studium und Erkenntniß, das ihn in der Stille genährt – oder einen Heerd an dem er in der Stille sich gewärmt – hatte er sich nicht daraus gebildet. Von Schätzen umgeben lechzte er, wie ich, nach einem unbekannten noch höheren, noch erschöpfenderen Gut: und das war eben der Punkt in welchem ich mich noch jezt ihm verwandt fühlte – ganz wie sonst. Jedoch nur in dem Punkt selbst! sein verlangen und streben, sein ringen und thun waren schnurstracks den meinen entgegen. Ich achtete seinen Charakter nicht, aber seine Seele flößte mir Theilnahme ein – und diese war mit im Spiel gewesen, nicht blos die Eitelkeit! als ich mich von ihm fesseln ließ. Diese Entdeckung gewährte mir einen großen Trost. Es ist dem Menschen unendlich angenehm wider Erwarten in sich selbst bessere Motive seiner Handlungen zu finden! Er ist niemals so versöhnlich als wenn es gilt mit sich selbst sich zu versöhnen.

Astrau war aber nicht immer und nie lange in muntrer Laune: das Damen-Auditorium war ihm nicht glänzend genug. Der armen Mathilde gab er zuweilen beißende Antworten.[97]

»Welch ein Vorrath von Erinnerungen für's Leben!« rief sie bei einer seiner Erzählungen.

»Da haben Sie gleich Ihre Speisekammer im Sinn in die Sie täglich gehen und sich regelmäßig ein Stück Brot, ein Stück Fleisch und ein Stück Kuchen holen würden; und an Sonn- und Festtagen gäb' es ein Glas Wein dazu: nicht wahr, Fräulein Mathilde?« fragte Astrau spöttisch.

Sie erröthete und wurde verlegen; vergaß es aber bald wieder in ihrer Harmlosigkeit. Benvenutas Gouvernante ging es übler! sie war eine vortrefliche Person – jedoch sehr häßlich und sehr vielwissend – Beides ein Greuel für Astrau; umsomehr da sie von ihrer Häßlichkeit keine Ahnung hatte und auf das Wissen einen großen Werth legte, wie alle Menschen bei denen es größer ist als der Verstand. Bei Otbert war es grade umgekehrt, und daher der Disputationen kein Ende zwischen ihnen, obgleich sie ihm gegenüber beständig im Nachtheil und er schonungslos war. Mit wahrer Todesverachtung kämpfte sie für Geist und Gaben, Herrlichkeit und Würde, Befähigung und Berechtigung ihres Geschlechts, welches Astrau angriff weil er sie nicht leiden konnte und mir dabei einige Nadelstiche zu versetzen hofte. Gott weiß wie er erfahren hatte daß Madame Schütz – (so[98] hieß sie und sie war Wittwe) – Gedichte mache und zwar recht hübsche. Er bat ihm einige mitzutheilen und obzwar ich ihr dringend davon abrieth, widerstand sie nicht der Lockung. Eines Abends gab er ihr das Heft höchst verbindlich zurück und sagte mit der größten Freundlichkeit: er habe nur zwei kleine Fehler an diesen sämtlichen Gedichten entdeckt; der erste, daß sie überhaupt gemacht – der zweite, daß sie Gedichte genannt worden wären. Die arme Schütz war aus der Fassung. Ehe sie Zeit hatte etwas Ungeschicktes vorzubringen sagte ich geschwind und auch höchst freundlich:

»Und Deine Kritik, lieber Otbert, hat gar nur einen einzigen kleinen Fehler; nämlich den, daß ein Dichter sie macht.«

»Dieser Rivalität glaube ich ohne Unbescheidenheit überlegen zu sein!« rief er spöttisch.

»Die wahre Ueberlegenheit ist nachsichtig, lieber Otbert, und reicht die Hand um weiter zu helfen. Die unächte – sucht in den Staub zu drücken.«

»Das ist excellent! sagte er lachend. Glaubst Du wirklich daß diese Gedichte den meinen gefährlich werden könnten?«

»Ich sprach nicht von Deinen Gedichten, nur von Deiner Gesinnung.«[99]

»Vermuthlich trittst Du nächstens mit einem Bändchen Gedichte vors Publikum, und brandmarkst im Voraus jeden der sie nicht bewundert mit neidischer Gesinnung.«

»Darauf entgegne ich wie jener Gelehrte, den Johannes Falk fragte ob er dichte? – Nein! so gemein hab' ich mich Gottlob nie gemacht.«

»Vor Dir muß man die Waffen strecken! sagte Otbert verbindlich. Du bist wie gepanzert.«

»Man muß es sein wenn man mit Euch in die Schranken tritt.«

»Dann muß man aber auch noch mit Göttern und Dämonen in Verbindung sein, die einen solchen Panzer schmieden.«

»Ganz und gar nicht! man braucht nur seine Eitelkeit abzulegen. Da uns das eher möglich ist als Euch: so sind wir dann im Vortheil.«

»Mit Dir ist auf keine Weise zu streiten! die Verblendung für Dein eignes Geschlecht – hinter der sich natürlich die über Dich selbst verbirgt – ist allzu kolossal! der Mann soll eitler sein als das Weib! .... unerhörte Behauptung, da Ihr nur lebt, webt, athmet und denkt in Bezug auf Eure Eitelkeit oder in deren Genuß – da Ihr von der Schleife an, die Ihr an Euren Busen steckt, bis[100] in Eure Leidenschaften, ja, Tugenden hinein, unter deren Scepter steht!«

»Ganz richtig! dies behaupten, mein lieber Otbert, heißt aber nicht das Gegentheil für den Mann beweisen. Nachdem ich also den Vorwurf dieser großen Sünde für mein Geschlecht angenommen, nehme ich auch eine Tugend für dasselbe in Anspruch, die es sich, an lange Unterwerfung, ja Unterdrückung gewöhnt, angeeignet hat – Selbstverleugnung: die Fähigkeit hinter das Geliebte zurückzutreten. Dies Geliebte, Otbert, braucht nicht immer ein Mann, nicht immer ein Kind zu sein. Es kann auch eine Ueberzeugung, ein Glaube, eine Liebe, eine Idee sein. Wo die herrscht – ist die Eitelkeit todt.«

»Ob sie nicht Ideen hatten, und für diese sterben wollten? – spricht Platens Mopsus neben seinen zwölf todten Kindern. Du willst daß das Weib für Ideen lebe! Er vervollkommnet Deine Weltanschauung, theure Sibylle.«

»Er persiflirt sie .... und das unterhält mich sehr. Es wäre gar langweilig wenn man ernste Dinge immer mit feierlichem Ernst, und nicht zuweilen mit jenem Humor betrachten wollte, den ihre Uebertreibung oder ihre Kehrseite in jedem aufrichtigen Gemüth hervorlockt.«[101]

»Du nimmst also auch den Humor für Dein Geschlecht in Anspruch? ein humoristischer Mann gilt bisjezt für einen halben Phönix! Indessen .... die elektrische Schnellkraft, die aus dem Gebiet der Empfindung in das der Ueberlegung hinüberspringt – die sich mit überraschendem Schwung aus den Rosenwolken der Gefühle auf die Gletscherspitze der Ironie oder in den klaren Aether der Betrachtung erhebt – deren bedürft Ihr dazu nicht. Ihr macht Verse, plaudert von Emancipation, raucht Cigarren und findet das ungemein humoristisch .... während man es in der That burlesk nennen müßte! Diese Verschrobenheit ist eben eine Folge des Emancipationsprincips, das jezt in der Welt grassirt.«

»Otbert! eine Welt die Ihr, Ihr Männer! durch Eure Civilisation so verschroben, so materialistisch gemacht habt, daß Weiber wähnen können durch dichten und durch rauchen einige Stufen ihrer Entwickelung zu erklimmen – kommt mir lächerlich vor, und so öde, so hohl, daß sie nicht dauern kann. Und wenn die Weiber Rauchclubs stifteten, es würde ihnen zu ihrer Emancipation ebensowenig, als Euch Eure Jagd-Spiel- Jockey- Rauch- Schach- und sonstige Clubs zum Fortschritt helfen. Lange Meditationen, tiefe innere Sammlung, ruhige fragende vergleichende Einkehr in sich selbst, müssen[102] jeder höheren Entwickelung vorhergehen. Davon ist jezt bei Männern und Weibern keine Spur! sie sind zerfahrner, haltungsloser, äußerlicher denn je. Vielleicht werden die Weiber zuerst darüber zum Bewußtsein – und somit zur Besinnung kommen, daß ihre Emancipation nicht mit Cigarren und dergleichen Unsinn, sondern mit der gleichmäßigen Ausbildung ihrer Innerlichkeit, mit der Pflege ihrer Pflichten und ihrer Rechte beginnen müsse. Warum sie zuerst? weil in ihnen große Kräfte sich dunkel regen. Wenn die licht werden« .... – –

»So tritt eine Regeneration ein, nach der auch alle socialen und religiösen Emancipationen streben und drängen! Nun sprichst Du ächt sibyllinisch, theure Sibylle! d.h. Du sprichst aus was Jeder ohnehin sagt, ohne es zu verstehen. Bei der Möglichkeit der Weltumgestaltung muß auch der ewiglebendige Weltgeist, der alle Regenerationen hervorruft: die Vernunft, in Anschlag gebracht werden.«

»Hat Christus mit der Vernunft die alte Welt aus ihren Angeln gehoben?« sagte zu meinem Erstaunen Sedlaczech, der sich fast immer fern von unserm Kreise und Gespräch Abends im Musikzimmer aufhielt. »Die großen Regenerationen die über das Menschen geschlecht vom Anbeginn gekommen,[103] sind durch zwei Mächte bewerkstelligt, welche mit der Vernunft so wenig zu thun haben als die Sonne mit einem chinesischen Feuerwerk – durch Glaube und Liebe. Wo der Glaube und die Liebe sein werden, da wird die segnende Kraft sein welche rettet was die Schwäche verwahrlost – die Schwäche, dies Symptom des Verfalls einer Epoche, welche heutzutage durch den ganzen Aufwand von speculativer Vernunft nur bemäntelt werden soll.«

»Jezt werde ich versuchen meine Niederlage zu bemänteln indem ich mich von dem Felde der Discussion in die Freistatt der Kunst flüchte und Herrn Mezzoni bitte um seine liebliche Composition von: Ah senza amare;« – sagte Astrau.

Er wollte immer nur necken und ärgern. Wir waren keine Gegner bei denen er es der Mühe werth hielt sich in voller Ueberlegenheit zu zeigen: diesen Eindruck beabsichtigte er zu machen.

Aber das war Alles nichts weniger als angenehm, und die Aussicht er könne den Winter in Engelau zubringen, im höchsten Grade störend. Ich ließ eines Morgens seinen Kammerdiener, seinen Geschäftsführer und Vertrauten zu mir bescheiden, und da erfuhr ich denn nach unendlichen Umschweifen und verwickelten Redensarten, daß der Herr Graf[104] in Folge seiner Großmuth und Munificenz, die von Anderen zur Ungebühr gebraucht und mißbraucht worden sei – die nächste Aussicht auf St. Pelagie gehabt habe. Also eine vollkommene Zerrüttung seiner Finanzen? – Auf diese Bemerkung antwortete Monsieur Alphonse durch ein trostloses Achselzucken. Mit Mühe preßte ich ihm die Summe der Schulden ab; sie war enorm. Dennoch mußte ich sie bezahlen – das sah ich ein! – um Otberts unheimlichen Aufenthalt in Engelau zu beenden; und andrerseits war es mir ebenso klar, daß sich dies Ereigniß noch zehn Mal wiederholen und ich durch diese unsinnige Ehe das Vermögen meiner Tochter ruiniren könne. Ich begriff jezt daß er sich zu einer Art von Execution bei mir mache, wie sie sonst säumigen Schuldnern von Gerichtswegen ins Haus gelegt wird. Nur sein erstes drohendes Auftreten hab' ich nie begreifen und nur vermuthen können, daß er irgend eine Schuldhaftigkeit bei mir voraussetzte, bei der er mich würde fassen und durch sie genug einschüchtern können um mir gleichsam meinen Ablaß von ihm zu erkaufen. Da er seinen Verdacht nicht bestätigt – und mich in Betreff seiner Tochter entschlossen fand ihm nicht nachzugeben: so stand er von seinem anfänglichen Verfahren ab, und ließ[105] uns dafür sämtlich seine üble Laune empfinden. O wie oft dachte ich an Scheidung! Aber ich wußte vorher, daß er mir eine Komödie voll Verehrung u.s.w. vorspielen würde, hinter welcher sich sein Entschluß verbarg sich von einer reichen Frau nicht zu scheiden. Um meines Vermögens willen hatte er mich ja doch nur geheirathet: diese Ueberzeugung stand fest in mir, und machte mich so kalt, daß ich beschloß unser Verhältniß als ein kahles Geschäft zu behandeln.

Als ich ihn eines Tages in dieser Absicht zu mir bitten ließ, bekam ich eine Staffette aus Hannover, die mich an das Sterbebett meines Schwiegervaters rief. Auf der Stelle war ich entschlossen dem Ruf zu folgen und befahl den Dienern die nothwendigen Vorkehrungen zu treffen. Zu Astrau sagte ich: ich setzte voraus daß er mich nach Hannover begleiten würde. Er willigte sehr verbindlich ein. Alphonse hatte ihm bereits unser Gespräch mitgetheilt. In dem Augenblick wo mir eine große Erbschaft bevorstand hätte ich ihn mit mir nach Sibirien nehmen dürfen – dermaßen abhängig war er vom Gelde, er! dem die geringste sittliche Fessel unerträglich war. Binnen zwei Stunden waren die Anordnungen gemacht, und ich nahm von den Kindern und Hausgenossen Abschied. Sedlaczech[106] kam mir fürchterlich verändert vor, fast entstellt. Ich hatte es schon bemerkt in diesen letzten Wochen; aber nie so wie heut.

»Erkranken Sie nur nicht in meiner Abwesenheit, Meister!« sprach ich beklommen.

»Wann kehren Sie zurück?« fragte er hastig.

»Das kann ich nicht bestimmen.«

»Können Sie bestimmen, daß Sie überhaupt zurückkehren werden?«

»Ja! wenn ich nicht sterbe.«

»Halten Sie es nicht für besser sich mit Graf Astrau zu versöhnen?« sagte er noch hastiger, noch murmelnder, wie Jemand der sich mit Ueberwindung eines Auftrags entledigt.

»Hat Graf Astrau Sie um seine Fürsprache ersucht?« fragte ich und ein unbeschreibliches Gemisch von Zorn und Trauer quoll in meiner Brust auf.

»Nein,« sagte er verlegen.

»Nun, lieber Meister, dann haben Sie eine Gehirnentzündung! lassen Sie mich bei meiner Heimkehr Sie genesen finden,« sprach ich und gab ihm meine Hand, die er nach seiner Weise drückte und gefaßt sagte:

»Jezt hoff' ich es.«[107]

Ich stieg in den Wagen und Astrau setzte sich zu mir. Sein erstes Wort war:

»Leugnest Du noch immer daß Herr Sedlaczech Dich anbetet?«

»Ich habe das nie geleugnet!« sagte ich gefaßt; denn als ich diese Frage stellen hörte war es mir unmöglich eine andre Antwort zu geben.

»Und das rührt Dich nicht?« fragte er, immer in einem halbspöttelnden Ton, der mich verletzte.

»Lassen wir die Geheimnisse meines Herzens so unberührt als die des Deinen, entgegnete ich eiskalt, umsomehr da sie für Dich nur Nebensache sein können! die Hauptsache ist für Dich .... mein Vermögen.«

»Ich finde Dich sehr undankbar, daß Du meine Entsagung nicht anerkennst.«

Es wurde mir schwer nicht zu lächeln als ich sprach:

»Ich will glauben daß Du großmüthig sein kannst! – Uebrigens bin ich nur gerecht gegen Dich und mich wenn ich behaupte daß Du es in diesem Fall nicht bist. Ich bin Dir gänzlich gleichgültig! um mich zu gewinnen hattest Du Dich in eine künstliche Wärme hinein gearbeitet, die genau in dem Augenblick verdampft war, als Du Dein Ziel erreichtest. Meine Eitelkeit könnte sich dadurch[108] verletzt fühlen – allein ich habe ja eine ähnliche Schuld gegen Dich begangen – so sind wir quitt. Es würde Dir ebenso unmöglich sein Liebe für mich zu erzwingen, als mir – sie zu erwiedern. Es giebt Frauen deren Widerstand lockend ist, weil Trotz, Scheu, Eigensinn, kurz etwas Positives ihn begründet. Aber meine unendliche Gleichgültigkeit ist ganz negativ und wirkt demnach nur lähmend auf Dich. Und jezt laß uns von Deinen Geschäften reden.«

»Meerweib! Amphibie! froide raisonneuse! rief Otbert mit künstlichem Zorn, Du machst einem Mann das Blut in den Adern gefrieren! mir graut vor Dir!«

»Da Du mir das Alles schon Einmal oder ein Paarmal gesagt hast, so begreif' ich nicht warum Du nach Engelau gekommen bist.«

»Weil ich hofte Dich verändert zu finden.«

In diesem Kreislauf bewegte er sich. Die Reise ging rasch durch Tag und Nacht vorwärts. Ich fand meinen Schwiegervater noch am Leben; ein Fieber zehrte ihn auf, aber er war bei voller Besinnung, und sagte mir den Inhalt seines Testamentes, das ganz zu Benvenutas Gunsten war und ihr für dies enorme Vermögen Vormünder bestimmte.[109]

»Ich kenne Dich, und wußte daß ich Dir durch diese Bestimmung nur eine Last abnahm,« sprach er freundlich.

Astrau zu sehen, was dieser sehr wünschte – Gott weiß warum! – kostete ihn Ueberwindung.

»Ein schlechter Nachfolger unsers guten Paul! sagte er später. Laß Dich scheiden, arme Sibylle.«

Dieser Rath war fast sein letztes Wort. Er entschlief vor Erschöpfung. – – –

Astrau war ebenso unzufrieden mit dem Testament als ich zufrieden. Bei den Geschäftserörterungen die jezt mehrfach zur Sprache kamen, drang ich denn auch auf die seinigen, und fand die Angaben des Kammerdieners bestätigt. Ich erklärte ihm ich sei bereit diesmal seine Schulden zu bezahlen, aber auch entschlossen mich für die Zukunft gegen eine ähnliche Zumuthung zu verwahren. Was kümmerte ihn die Zukunft! war er doch für die Gegenwart wieder frei. – Natürlich nahm er die Sache auf als geschähe mir der größte Gefallen durch seine Abreise nach Paris, die er ersehnte; und als lasse er mir Astralis aus besonderen Rücksichten für Arabella, die mich zu ewiger Dankbarkeit im Namen meiner Freundin verpflichteten. Mit der größten Kälte trennten wir uns. Ich fühlte mich grenzenlos gedemüthigt an einen[110] Mann geschmiedet zu sein, dem ich ein äußerliches Interesse widmen mußte ohne ihn zu achten oder zu lieben. Ach »die ewige Fessel« – dies Wort der Bethörung welches Arabella einst mir zuwarf, wie seltsam hatte es sich bewährt! nicht um Otbert – nein! .... um mich selbst hatte ich sie geschlungen! – Und was war das für ein unbegreiflicher Einfall von Sedlaczech ich solle sie noch fester ziehen .... von ihm der mich anbetete. – –

Nun ja, ich wußte es! Otbert hatte es ausgesprochen und seitdem sprach auch ich es aus! aber ich hatte es schon länger gewußt, ohne bestimmen zu können wann, wie, wodurch. Meine Mathematik ließ mich hier im Stich, und ohne ihre Hülfe wußte ich daß Sedlaczech mich anbete – lange, o schon sehr lange! vielleicht – immer! Welch eine Labung lag in dem Gedanken – immer! gleich war es mir als baue sich am heißen, leeren, bestaubten Lebenswege ein Kapellchen auf und ein mächtiger Baum breite seine grünen kühlen Aeste schattig darüber aus. Auf diesem Plätzchen voll himmlischer Andacht und voll irdischem Wolbehagen war es zugleich selig und süß zu ruhen, und wie das Loretto-Häuschen von Engeln getragen schwebte es mir vor und winkte mir als holdselige Freistatt in die ich von der öden langweiligen[111] Landstraße fliehen durfte. Solch ein reizendes Bild zauberte mir das arme kleine Wort immer herauf. Wol sträubten sich meine Erfahrungen und Zweifel dagegen! .... was half es? – wie heilig lag die Kapelle da! wie frühlingslieblich wehten die grünen Zweige in denen die Vögel sangen und die Morgenlüfte rauschten und die Goldfunken der Abendsonne blitzten! – – –

In dieser Stimmung kehrte ich nach Engelau zurück! Freudig wäre ich wol stets empfangen worden; jezt wurd' ich es doppelt da ich allein kam. Obzwar Keiner mir diesen Grund sagen konnte, fühlte ich ihn dennoch bei Allen im Hinterhalt. Sedlaczech sah verklärt aus vor innerem Jubel.

»Ich habe nicht geahnt daß Sie sich so freuen könnten, lieber Meister!« sagte ich.

»Ach, ich bitte um Verzeihung!« entgegnete er und in seinem Blick, seiner Stimme, seiner Bewegung erlosch urplötzlich das Freudenlicht. Er war wieder der stille verschlossene kühle Mensch als den er sich gewöhnlich zeigte.

Das Leben ging alsbald wieder fort im gewohnten Gleis der kleinen Pflichten und der friedlichen Beschäftigungen. Der Todesfall meines Schwiegervaters und Astraus Erscheinung hatten keinen umgestaltenden Nachhall. Die Musik trat wieder[112] in ihre früheren Rechte. Ich erklärte, nachdem wir uns bis dahin dem Kirchengesang der Alten gewidmet hätten, würde ich in diesem Winter nichts singen als Compositionen von Sedlaczech, und er mußte seine Psalme und seine Pastoralmesse vierstimmig für uns setzen. Seine Musik war gleich seiner Seele: ernst und geheimnißvoll wie ein Dom, der die Klagen, Kämpfe, Schmerzen und Aengste des gesamten Menschengeschlechts wiederhallt. Nur die Feier der Heiligen Nacht machte eine Ausnahme: wie eine himmlische Vision von Fra Angelico kam sie mir vor. Der ganze Himmel mit seinen Engeln, Glorien und Paradiesen öfnete sich über der Erdennacht der Welt und der Seele, die mit mystisch seligem Schauer die Offenbarung der Liebe empfing. Das Halleluja das am Schluß die Hirten, die Magier und die Könige sangen – die Armuth die Weisheit und die Macht! – und in das die Engel wie aus seliger ferner Höhe herab einstimmten, war ein Meisterwerk der Idee wie der Ausführung nach. Sedlaczech componirte den Text immer selbst, immer lateinisch und möglichst bibeltreu, und die feierliche majestätische Sprache, die man nie in einer Opernarie, nie in einer Chansonette, Romanze oder Bolero gehört, verstärkte den religiösen Eindruck außerordentlich indem sie die[113] Ausdrucksweise beseitigte, welche profane Gedanken mit sich bringen. Diese Vigilie der Heiligen Nacht wurde unser Aller Lieblingsmusik.

»Wo ist Ihnen diese Vision aufgegangen, Fidelis?« fragte ich ihn eines Morgens als wir allein im Musikzimmer waren.

»In Venedig,« sagte er.

»In Venedig? als wir zusammen dort waren?«

»Ja! aber erst in Rom wurde sie mir klar genug um sich in Tönen fassen zu lassen. Bis dahin .... umrauschte mich ein melodischer Strom, dem keine Einzelheiten abzugewinnen waren.«

»Es müßte von hohem Interesse sein zu erfahren wo und wie die Ideenkeime großer Kunstwerke oder großer Thaten sich einer Seele bemeistert haben. Es müßte uns wichtige psychologische Aufschlüsse geben.«

»Und würde uns zu tausend Trugschlüssen veranlassen! rief er lebhaft. Der Geist Gottes, der alles gute, edle und schöne Thun hervorruft, weht wo er will und meistens ohne irdische Spuren. Wir können ihn nicht locken, nicht bannen; nur ihm folgen! aber am wenigsten ihn zersetzen.«

»O Fidelis! rief ich mit einem jener Ausbrüche von Schmerz die mich zuweilen überwältigten – wenn ich Sie sehe und höre – fest, klar, eins[114] mit sich selbst, nicht forschend, grübelnd, deutelnd, Ihre Kräfte verschwendend, sondern sie sammelnd zum bewußten Ziel – sehen Sie, Fidelis! so komme ich mir vor wie jene unseligen Adepten der vergangenen Jahrhunderte, welche grade wie ich das unbekannte Gut suchten und darüber das bekannte verloren. Schätze von Gold und Diamanten warfen sie besinnungslos in den verlockenden Schmelztiegel! – Freuden, Pflichten, Gesundheit, ja sogar Vernunft und Leben, opferten sie dem Wahn ihrer Goldmacherei! In Rauch lösten sich die Herrlichkeiten auf, oder schrumpften über dem schmelzenden Feuer und durch die zersetzenden chemischen Versuche zu Materien ein, welche ihren Erwartungen durchaus nicht entsprachen. Aber das Alles störte nicht den Reiz der Alchymie, nicht die rastlosen, verzehrenden Anstrengungen um den Stein der Weisen zu entdecken, der die Schätze der Erde und das Geheimniß des Lebens verlieh. Ich bin ein solcher Adept – nur nicht für irdische Dinge! die himmlischen Güter mögte ich unermeßlich und unendlich besitzen!«

»So wenden Sie sich mit Hingebung, aber nicht mit Fragen denselben zu.«

»Der Rath ist gut – nur kann ich ihn nicht befolgen! meine Seele ist auf die Frage gestellt.«[115]

»So entschließen Sie sich .... zu leiden.«

»Geh unter, weil du nicht schwimmen kannst! – o wie oft hab' ich so zu mir gesprochen!« – sagte ich und bittere Thränen traten mir in die Augen.

»Ich sage nicht: Geh unter! ich sage: Kämpfe!«

»Aber wofür denn? aber weshalb denn? rief ich in Verzweiflung. O Fidelis! Sie haben so recht die starre Kälte der Glücklichen! ein frommer Mensch sind Sie und ein großer Künstler .... doch kein Freund, denn Sie geben mich gleichgültig auf.«

Ich verstummte weil er plötzlich vom Flügel aufsprang und in heftigster Bewegung etwas entgegnen wollte. Aber mit ungeheurer Selbstüberwindung faßte er sich, schwieg, setzte sich wieder und spielte den Trauermarsch aus Händels »Samson,« der für den todten Helden erklingt. Als er ihn durchgespielt sagte er:

»Sie wissen wol daß ich Ihr Freund bin.«

Ich kann's nicht beschreiben, nicht einmal andeuten welch einen erschütternden Eindruck er auf mich machte! Er fürchtet in mir eine Dalila; – dieser Gedanke erfüllte plötzlich meine ganze Seele; – und er will sich gegen sie waffnen und wird gewaffnet bleiben. Ich hätte diesen Willen ehren sollen. Ich weiß auch daß alle Frauen Zeter![116] über mich schreien werden, weil ich es nicht that; daß sie sagen werden: Also doch Koketterie, trotz all der Kälte! – Aber ich weiß ebenfalls daß sie Alle es ebenso gemacht haben würden wie ich, nur vielleicht aus andern Motiven. Ich dachte: mein Gott! wenn der Mann dich liebte, so lange, so immer .... das wäre doch eine Versöhnung mit dem Unbestand des Lebens, eine Errettung aus dieser Leichengruft des ewigen Zweifels! – Und dachte ich ferner: Wenn er dich liebt – was wirst du thun? – so war nie die Antwort: Ihn wieder lieben! – sondern immer: Ihm danken, o Gott! danken, wie man für das Leben – wie das Geschöpf dem Schöpfer dankt. – – – Ach! als ob die Liebe sich mit einem auch noch so glühenden Dank begnügen könnte! als ob sie nicht verkümmern oder verzweifeln muß wenn sie nicht volle Erwiderung findet!

Seiner einfachen ernsten Antwort entgegnete ich an jenem Morgen nichts; aber er kam mir vor stärker als Simson, den er wie seinen Schutzpatron anrief, und es regte sich in mir etwas von jener diabolischen Neugier der Eva, welche um jeden Preis Dasjenige wissen will, was eine höhere Macht vor ihr verbirgt. Indessen imponirte er mir viel zu sehr und es widerstrebte auch meiner[117] Natur zu sehr in Koketterie ihm gegenüber zu verfallen. Ich zeigte ihm eben nur wie sehr ich an ihm hing, ihm vertraute, auf ihn rechnete, mein Leben mit ihm eingerichtet hatte; und er nahm das hin mit dem größten Dank, mit dem tiefsten Ernst, wie Jemand der sich mit seinem Loos zu bescheiden sucht, nicht mehr verlangt noch erwartet – aber in seinem verschwiegenen Busen und hinter seinen stummen Lippen eine ganz andre Sehnsucht trägt. Wendete sie sich zu mir? – Ich wußte es nicht! – Oft flüsterte mir mein guter Genius zu: Laß ruhen was ruht! wecke nicht das Schlummernde! Du hast es jezt besser denn je! halte dich still! – Aber nein! dagegen stand ein andrer Geist auf und sprach: Im Traum verrinnt dein Dasein und mit ihm das Glück, das du immer verlangt und nie gefunden nie genossen hast! aus der elektrischen Berührung einer starken flammensprühenden und zugleich tiefgesammelten Seele kann dir eine Metamorphose erblühen: versäume das nicht! – Ueber diesen Zwiespalt fiel ich in Unruh und Beklommenheit, und die wirkte dermaßen auf Sedlaczech, daß er in eine weit heftigere gerieth. Etwas fieberhaft Gespanntes und Aufgeregtes überfiel ihn; endlich hieß es er sei krank und könne nicht sein Zimmer verlassen. Mezzoni sprach von Heimweh,[118] von Abzehrung, von nordischem Winter: mich überfiel Todesangst bei dem Gedanken er könne abreisen wollen. Ich schickte ihm den Arzt; der empfahl ihm Ruhe, calmirende Mittel, Bewegung, Zerstreuung – im Grunde .... nichts! denn es sei keine Gefahr vorhanden nicht einmal Krankheit. Mezzoni sprach aber immer vom nordischen Winter, der einen schwächlichen Menschen tödten könne. Ich versicherte ihn Sedlaczech sei durchaus nicht schwächlich. Er meinte man könne es werden. Das war richtig. Ich verbrachte einen qualvollen Tag.

Am nächsten Morgen ließ ich Sedlaczech zu mir bitten, wenn's ihm möglich sei. Er kam; aber er sah geisterhaft aus. Entschlossen fragte ich sogleich das was ich ahnte:

»Ist's wahr, daß Sie nach Italien wollen?«

»Ich denke das wird am Besten für mich sein« – entgegnete er nach einer Pause in der er sich zu dieser Antwort Kraft gesammelt hatte.

»Warten Sie bis zum Frühling, Fidelis, dann wollen wir Alle fort – nach der Schweiz, nach Italien .... wohin Sie wünschen, bat ich mit Thränen.

»Mein Wunsch kann keine Richtschnur für Sie abgeben, theure Gräfin!« sprach er sanft.

»O doch! doch! lassen Sie mir die seltne Freude, daß ich Ihren Wunsch erfüllen darf! ich habe[119] wenig Menschen, Fidelis, ach! ich mögte sagen keine – wenigstens keine Freunde, deren Wünsche mein Leben bestimmten. Gönnen Sie mir doch dies Glück.«

»Mein Wunsch ist .... jezt und allein zu gehen!« entgegnete er noch sanfter.

»Und fühlen Sie nicht daß ich fürchterlich allein sein werde, wenn Sie gehen?«

»Nicht so wie ich.«

»Daß mir ein belebendes und beseelendes Princip fehlen wird, welches die Nähe eines treuen und verständnißvollen Freundes, der Ihr Herz und Ihren Charakter hat, in mein hinfälliges Wesen bringt?«

»Nicht so wie mir.«

Mir war als bräche er mit entschloßner Hand mein Herz entzwei. Ich wurde kalt und starr, mein Blut wie Eis, und so sagte ich:

»Wolan, Meister, gehen Sie und .... beten Sie.«

»Wenn ich kann,« sprach er tonlos.

»O Sie können! – beten können Sie .... aber nicht lieben, Fidelis!«

Er wich einige Schritte zurück, sah mich fest an und fragte mit einem furchtbaren Ernst:

»Sie wissen also wirklich nicht daß ich Sie liebe?«[120]

»Wer beten und glauben kann – der kann auch lieben! – ich wußte es, Fidelis!« rief ich und sank auf die Knie, überwältigt von ich weiß nicht welcher Macht, welcher Freude, welcher Angst, welchem innerlichen Jauchzen und Weinen, das mich mit heißem Dank in den Staub warf.

»Heiliger Gott! was nun?« sagte er und preßte die gerungenen Hände gegen seine Stirn.

»Nun bleiben Sie hier, Fidelis! nun bleiben Sie bei mir, immer – o immer! immer!« sagte ich, stand auf, und ergriff sanft seine Hände, die ich auseinander löste indem ich hinzu setzte: »Nicht mehr in Qual dürfen sie gerungen sein, nur gefaltet in liebender An dacht, wie sich das für Sie geziemt.«

»Und Sie verzeihen mir? fragte er ganz, ganz leise. Sie kennen meine Gefühle und nennen sie nicht Thorheit .... nicht Vermessenheit .... nicht Wahnsinn? – wie ich selbst so viel tausendmal sie genannt! – Sie verbannen mich nicht von Ihrem Angesicht .... darf ich es glauben?«

»Warum wollten Sie zum ersten Mal in Ihrem Leben zweifeln?« sagte ich.

»Weil dies eine Gewißheit sein würde, welche mich weit .... weit über alle Grenzen und Schranken des Daseins hinweg in die Seligkeit heben[121] würde! .... Weil es eine Himmelfahrt bei lebendigem Leibe wäre! .... – O Sie sehen wol, Sibylle, daß man daran zweifeln muß, so lange man nicht rasend ist.«

»Bleiben Sie immer bei mir, Fidelis! entgegnete ich mit unbeschreiblicher Rührung. Ich kann's Ihnen nicht sagen wie glücklich Sie mich machen!«

Er sank vor mir nieder mit der nämlichen extatischen Geberde mit der ich einst im Dom zu Würzburg ihn auf den Knien gesehen, und dieselbe Ueberfülle der Empfindung stralte von seinem Antlitz aus. Und wie damals meine kindische Seele – so ward jezt die bewußte Seele gleichsam angedonnert von der Ueberlegenheit, welche die seine über sie hatte, blos darum .... weil er liebte. Klein und unwürdig erschien ich mir selbst, und mit unsäglicher Trauer sprach ich:

»Fidelis! ich bin Ihrer nicht werth.«

Er hörte nicht auf mich; er blieb in seiner Stellung, nahm meine Hände und sagte:

»Ja, ich liebe Sie mit einer Liebe von der ich nicht weiß ob sie mir den Himmel ob die Hölle bringt .... aber ich liebe Sie! – nicht jezt nicht früher, nicht seit dieser oder jener Zeit .... nein, immer! eingeschreint in meiner Seele, wortlos, maßlos, grenzenlos, wie Sie es nie verstehen[122] noch begreifen können, weil Sie nur den Maßstab der andern Männer haben, welche Sie zur Abwechselung liebten! ich, ohne Wechsel, nur Sie! nur Sie!«

Er sprach beinah flüsternd, wie man eben ein Geständniß macht, und doch mit einem solchen vibrirenden Nachdruck, daß mein Herz erbebte, und von diesem Beben aus ein leises Zittern durch meinen ganzen Körper rieselte. Wenn Geister unsichtbar an uns vorüberschweben, mag ein solcher Schauer die Folge ihrer unirdischen Nähe sein. Ich sagte:

»Stehen Sie auf, Fidelis! Sie sind außer sich .... und sprechen Sie nicht so heftig – ich bin nicht daran gewöhnt.«

Er stand auf, sank in einen Lehnstuhl und entgegnete fast mitleidig:

»Das glaube ich gern! Arme Sibylle, so wenig sind Sie an die Sprache tiefer, das Leben durchglühender Empfindung gewöhnt, daß Sie vor deren Ausdruck erschrecken .... während mir kein andrer zu Gebot steht. Und so werden wir ewig wie auf zwei Planeten fern von einander bleiben, weil uns die unausfüllbare Kluft trennt, welche lieben von nicht lieben scheidet. Ich liebe Sie, ohne jene Zwischenspiele der Sinne, der Gedanken, der[123] Phantasie, welche alle Menschen mehr oder weniger mit gutem Gewissen sich erlauben: daher ist meine Liebe von andrer Kraft, von andrer Sehnsucht, von andrem Schwung, und von einer Intensität, welche Vernichtung, Wiedergeburt und ewiges Leben in sich schließt.«

Er hielt immer meine Hand; ich kann nicht sagen daß er sie drückte, nein! er hatte sie nur in der seinen begraben. Seine mächtige, ausgearbeitete, wunderschöne Hand, die ganz Nerv war, hielt mich wie an einem ehernen Anker. Er kam mir als der Herr meiner Seele vor. Wie der Magnet beim Nordlicht zittern soll, so zitterte ich .... denn zum ersten Mal in meinem Leben stand ich einer Leidenschaft gegenüber – der Leidenschaft eines Mannes, welcher unangetastet durch die Welt, die Jugend und den Frühling seines Lebens gewandelt war, und jezt, in dessen Sommer, mit all' ihren Gewittern und Gluten, mit ihren langen Sonnentagen und ihren tropischen Sternennächten, mit ihrer unendlichen Fülle und unermeßlichen Sehnsucht mir entgegen trat. Gott weiß welche Himmel sich mir öfneten! Gott weiß welch ein Paradies sich vor mir erschloß! Ich werde ihn lieben! blitzte es wie mit Stralen und Flammen auf mich herab.[124]

»Ich liebe Sie!« stammelten die Lippen fast tonlos, fast gedankenlos, als Echo eines innern Traumes hervor.

Mit einer elektrischen Vehemenz umschlang mich Fidelis; aber im nämlichen Augenblick ließ er den Arm wie gelähmt sinken und sagte, mir tief ins Auge sehend:

»Das ist nicht wahr, Sibylle! .... Eine immense Seele .... aber leer!«

»Sie wollen mich lieben! rief ich, und zweifeln daß jener Strom der Empfindung, der Sie so reich macht, in meine Brust hinüber wallen könne? – daß jene Gluten die in Ihnen flammen in mir ein homogenes Element finden können? – Aber, Fidelis, wogt die Liebe denn so ins Blaue ohne Ziel hinein? erfaßt und umschlingt sie nicht ihren Gegenstand mit dem tiefen unabweislichen Bewußtsein ihres Rechts und ihrer Macht, welches in jedem unräsonnirten primitiven Gefühl liegt? – Ist meine Seele leer, so lieben Sie mich nicht .... sonst müßten Sie darin den Reflex einer Sonne finden.« – –

Er sank zu meinen Füßen hin und fand keine Worte mehr. – – – Er blieb. – Das Leben bekam eine wunderbare Färbung. Ich stelle mir vor daß es den Opiumessern so erscheinen mag ....[125] wie durch einen rosenfarbenen wehenden Schleier! Fidelis hatte ganz Recht: mir fehlte der Maßstab für seine Empfindungsweise. Mir war dergleichen nie vorgekommen, nie in mir, nie außer mir. Diese Intensität der Leidenschaft, die ein ganzes Menschenleben absorbirte, ließ andre Kräfte, andre Gaben, andre Fähigkeiten .... eine andre Organisation voraussetzen.

»Wie sind Sie so ganz anders als die Uebrigen!« sagte ich zuweilen mit ungeheucheltem Erstaunen.

»Ja, ich bin's! sagte er einmal; denn es leben sich Alle in Bruchstücken ihres Daseins zu Tode, von frühster Jugend an. Das that ich nicht. Von diesen Tropfen am Nectarbecher des Lebens fühlte ich mich nie angelockt.«

»Erzählen Sie mir den Gang Ihrer innern Entwickelung, Fidelis! ich kenne Sie so lange, aber immer verschlossen schweigend.«

»Schweigend? hab' ich nicht mein Herz in Ihre Hände gelegt? spricht meine Seele nicht zu Ihnen in Rhapsodien der Liebeslust und Klage? gießt sie nicht ihre tiefsten, traurigsten, süßesten Mysterien in Gedanken und Tönen, in Wort und Musik, wenn auch nur dithyrambisch vor Ihnen aus? – Was soll ich in der Vergangenheit wühlen? und[126] doch ist sie mir lieb und heilig – denn Sie waren da, ewig da! als Kind – lieblicher denn alle Kinder, und dann urplötzlich dies Kind verwandelt in ein Weib, und mir entrückt in jene Ferne und jene Heiligkeit die es mit der Himmelskönigin theilt – den Regenbogen zu ihren Füßen, den Morgenstern zu ihren Häupten – meinen Sinnen und Gedanken wie meinen Augen entrückt! und dennoch mit mir in heiliger Gemeinschaft, denn das reinste Band welches unsre Sinnenwelt mit einer übersinnlichen verknüpft – denn die reinsten Schwingen welche Gott uns gab um zuweilen aus der Region des Staubes in die des Aethers aufzufliegen – wurden mein Theil! die Kunst nahm mich unter ihren Sternenmantel und ihre heiligen Gestirne verdeckten mir die Dunkelheit meiner Wege, und ihre Sphärenmusik verbarg mir die unendliche Oede meiner Tage – bis allendlich mit einem Accord die Sonne mir aufging und mein Schöpfungstag anbrach.«

»Und keine Erinnerung aus der Kindheit senkte ihren balsamischen Thau in dieses flammende, dürstende Herz, mein armer Fidelis?«

»O, rief er mit wildem Schmerz, wozu dies Zerwühlen der Vergangenheit, Sibylle!«

»Ich bin eifersüchtig, Fidelis.«[127]

»So wahr Gott über uns ist: in meiner Vergangenheit war nur das Weib das auch in meiner Gegenwart ist, und kein andres, Sibylle.«

»Kein andres Weib und keine andre Liebe?«

Das Feuer in seinen Augen, die Farbe auf seinen Wangen, die Bewegung in seinen Zügen verschwand. Er legte die Arme auf die Lehne des Sophas und den Kopf auf die Arme indem er langsam die Worte der Apokalypse sprach:

»Ich habe wider dich daß du verlässest deine erste Liebe.«

Bei dieser Bewegung schob sein Aermel sich zurück und ich sah daß er einen Goldreif über dem linken Handgelenk trug.

»Was für ein Amulet tragen Sie da?« fragte ich und berührte mit dem Finger den Reif.

Statt zu antworten reichte er mir die linke Hand; ich betrachtete den Reif. Zwei Steine bildeten sein Schloß: ein Rubin, warm und glühend wie ein Tropfen Bluts, und ein wunderschöner Saphir, der wie ein Stern oder wie ein Auge beruhigend daneben lag. Ich weiß nicht was für eine melancholische Symbolik aus diesen schönen Steinen mich ansprach! ich fragte traurig:

»Also doch ein Abfall, Fidelis?«

Immer noch schweigend richtete er sich auf, zog[128] aus dem Busen an einem schwarzen Bande ein goldnes Medaillon auf dem jene apokalyptischen Worte eingegraben waren, und drückte es auf nachdem ich sie gelesen hatte. Ein liebliches Miniaturbildchen kam zum Vorschein, ein süßes Köpfchen überflutet von blonden Locken und einem schwarzen Schleier, unter welchem zwei göttlich schöne dunkelblaue Augen, tief und stralend wie Saphire mit einem Ausdruck hervorblickten, der zittern machte – solch eine Glut und solche Schwärmerei schmolzen in ihrem Feuer zusammen. Ich fand eine unbestimmte Aehnlichkeit mit Fidelis, ungefähr wie eine Tochter ihrem Vater ähnlich sieht.

»Ah Fidelis! es ist also doch ein Weib in Ihrer Vergangenheit!« rief ich mit Schmerz.

»Eine Mutter ist kein Weib,« entgegnete er und legte die Hand beruhigend auf mein Haupt.

Ich drückte sie dafür an meine Lippen und sagte:

»Ich weiß es ja längst daß Du anders bist als wir übrigen Menschen, und dennoch erfüllt es mich immer wieder mit Andacht und Rührung! – Aber erzähle mir von Deiner Mutter.«

Fidelis verwahrte wieder das Bild im Busen, knöpfte sorgsam den Hemdärmel über dem Goldreif zu, damit kein profanes Auge seine Reliquien entweihe, und sagte:[129]

»Von meiner Mutter! .... Ich kannte sie nicht; ich wußte nichts von ihr; ich wuchs auf in dem kleinen Städtchen Aussig in Böhmen bei meinem Pflegevater der für meinen Oheim galt und der Organist an der dortigen Kirche und ein tüchtiger Musiker war. Ich hatte eine wilde selige Kindheit. Ich verbrachte sie mit Musik und mit Wanderungen durch die romantischliebliche Gegend. Die Kunst und die Natur, und deren gemeinsame Mutter die Schönheit, theilten seit meinen frühsten Jahren den Cultus meiner Seele. Es war etwas in mir das Thränen in mein Auge trieb und mich auf die Knie warf, wenn ich ergreifende Musik hörte, einem Sonnenuntergang oder einem Gewitter zusah, oder einen Frühlingsmorgen auf den grünen, nußbaumbeschatteten Abhängen der Ruine Schreckenstein verlebte. Denn immer trug die Schönheit, welcher Art sie sei, für mein Auge eine Glorie; sie war mir heilig. Nie vergesse ich den Moment als ich zum ersten Mal das Kleinod und den Stolz von Aussig, das Altargemälde von Carlin Dolce sah! Ein kleiner Madonnenkopf ists im dunkelblauen Schleier. Eine Thür schließt sich sorgsam über dem Gemälde, das in einem Schrein von weißem Alabaster wie in einem Wandschränkchen über dem Altar verborgen ist und nur bei großen[130] Festen oder wenn Reisende und Fremde es begehren, zum Vorschein kommt. Eine fremde Gesellschaft ließ sich das Bild zeigen; ich war aus Neugier ihr gefolgt. Als sich die Thür aufthat, sank ich auf die Knie, und murmelte andächtig mein Ave Maria! Als ich fertig war bemerkte ich zu meinem Erstaunen daß ich allein kniete, und daß eine lange dürre blonde Dame aus der Gesellschaft mich streng und mißbilligend ansah. Ich stand auf und schlich erröthend bei Seite, hörte aber wie die Dame mit scharfer Stimme sagte:

»Bemerktet Ihr den fanatischen Ausdruck des Knaben? ist es nicht unerhört daß solcher heidnische Götzendienst in unsrer aufgeklärten Zeit und in unsrer Nähe noch existirt!«

»Es ist sündhaft Kinder für die Heiligenverehrung dermaßen zu fanatisiren,« bemerkte ein fetter Herr mit großer Salbung.

Obwol ich nur die Worte, nicht den Sinn verstand, machten sie mir einen starken Eindruck. Später sind sie mir oft eingefallen. Götzendienst ist: wenn die Form statt der Idee angebetet wird, wenn die Formel mehr gilt als der Inhalt, wenn die verknöcherte Gestalt ohne Geist jene Huldigungen empfängt, welche ihm gebühren. Demnach trieb ich damals keinen Götzendienst.[131]

Meine Pflegemutter, eine sanfte zärtliche Seele, und mein Pflegevater ein rechtschaffner warmherziger Mann, waren beide wahrhaft fromm und erzogen mich in wahrer, inniger Andacht und Liebe zu unsrer heiligen Kirche. Was in ihnen milde erquickende Frömmigkeit war, wurde in mir, zufolge meiner wilden schwärmerischen Natur, flammender Glaube, inbrünstige Andacht. Dies religiöse Element entsprach vollkommen der Richtung und dem Bedürfniß meiner Seele, und die Pflegeeltern nährten es sorgsam in mir. Sie hatten keine Kinder und liebten mich zärtlich, verwöhnten mich weit über meinen Stand, hatten unbegreifliche Nachsicht mit mir. Ich sollte in die Schule gehen; ich that es nicht, es langweilte mich so sehr – der pedantische Lehrer, die gedankenlose Bubenschaar, die kahlen Wände der Schulstube, diese gräßlichen braunen Bänke und Tische! – Menschen und Dinge kamen mir so unerhört häßlich vor, und draußen die Sonne, die Berge, der Fluß, die Vögel, die Schmetterlinge – ach Alles! so schön, so wunderschön! – Lesen hatte ich früh bei der Pflegemutter gelernt, der Legenden wegen die ich zu lesen wünschte, weil sie nicht immer Zeit hatte sie mir zu erzählen. Auch rechnen lernte ich bei ihr um ihr behülflich zu sein bei den Wirthschaftsrechnungen,[132] die der Vater nicht immer correct finden wollte. Bis zum schreiben bracht' ich es endlich auch noch – hauptsächlich durch den Gedanken angefeuert, Noten copiren und den Text darunter setzen zu können. Weiter nichts! freilich auch Clavier- Orgel- und Geigenspiel und den Generalbaß; aber in der Schule galt das nichts, sondern ich für einen dummen und trägen Buben. Es liefen Klagen über mich ein; doch die Eltern meinten das müsse Schuld der Lehrer sein, denn Alles was sie mich lehrten lerne ich mit Fleiß, Ausdauer und Geschick. Es machte sich endlich so, daß ich im Winter mit Leidenschaft die Musik trieb, so daß ich ganz mager und abgezehrt wurde, und im Sommer mich davon erholte, meine Kräfte übte und meine Nerven stählte, indem ich wiederum mit Leidenschaft in Berg und Thal, stromauf, stromab umherschweifte. Tagelang blieb ich fort! nach Tetschen pilgerte ich, und nach Teplitz. Einmal durchwanderte ich die sächsische Schweiz; auf Prebisch-Thor hatte ich ein furchtbares Gewitter; – in Schandau gesellte ich mich zu böhmischen Musikanten und setzte die ganze Bande durch mein Geigenspiel in Erstaunen. Liebe Erinnerungen – das! Geld hatte ich nicht viel auf meinen Wanderungen. Der Vater schenkte mir nie Geld: ich[133] mußte es mir mit Notenschreiben verdienen; aber die Mutter gab mir zuweilen ein blankes Fünfkreuzerstück. Damit zog ich ins Weite. Sie sorgten auch nie um mich! sie hatten Vertrauen zu mir und ich rechtfertigte es. Ich kehrte heim an dem Tage, zu der Stunde, die ich ihnen vorher bestimmt hatte. Aber ich selbst ließ mir nichts vorschreiben! es mußte Alles nach meinem Willen gehen, jedoch blieb ich meinem einmal gegebenen Wort mit einer unerschütterlichen Festigkeit treu. Die Freunde und Nachbarn sprachen zuweilen ihr Erstaunen gegen meine Pflegeltern über meine seltsame Art aus, und fragten was aus mir werden solle. Dann sagte die Mutter immer mit unbeschreiblicher Zärtlichkeit: »Was Gott will!« und der Vater meinte: »Ein tüchtiger Musiker.«

Zu Letzterem war ich fest entschlossen. Musik! Musik! ich begriff nichts Anderes, und begriff auch sie wiederum in meiner Weise. Die Seele welche ich der Natur und dem Weltall lieh, sprach zu mir in Musik. Ich hörte Musik auf den Wellen der Elbe, im Rauschen der Bäume, im Summen der Insecten – Musik am hohen heißen Sommermittag wenn tiefe Stille und Schwüle über der Natur brütete – Musik an Winterabenden wenn der Sturm pfeifend und sausend wie ein ungestümer[134] Eroberer daher tobte – Musik in lauen Frühlingsnächten wenn ein süßer wilder Schauer wie ein träumerisches Erwachen der Leidenschaft, wie ein ätherischer, entzündender Kuß, die Natur durchrieselte. Die Berge hatten eine Stimme für mich; sie hieß Musik. Ja die Sterne wandelten für mich am Firmament im harmonischen Reigen einher, und ich hörte Musik wenn ich zu ihnen emporsah. Aber gleichsam nach Innen mußte ich lauschen um all jene Musik zu verstehen. Meine Seele mußte jene ungeheuern Harmonien in sich aufnehmen und verarbeiten, und sie mir dann in ihre Sprache übersetzt mittheilen. Mein Pflegevater rieth mir meine musikalischen Gedanken aufzuschreiben; ich that es auch nach den Regeln der Composition, die ich fleißig bei ihm studirte. Doch das waren schwache, matte Exercitien, und fand sich einmal eine musikalische Idee dazwischen, so war sie nichts als eine Reminiscenz. Die kleine kindische Seele hörte nur die gewaltigen Schwingen des Genius der Musik um sich rauschen und klingen; sie zeigte nur Verständniß, nur Befähigung. Die Schöpferkraft liegt nicht in der Sphäre der Kindheit. Unsinn ist es sie von ihr zu erwarten, Missethat – sie erzwingen zu wollen. Wer nicht mit sich selbst gerungen hat, kann auch nicht mit dem Genius[135] ringen, ihn bannen, ihn zu Red' und Antwort zwingen, ihm das Zauberwort ablocken wodurch er seinen Gebilden die Weihe ertheilt, und welches er nicht auf die erste Bitte und an den Ersten Besten verschwendet. Wer bestimmt ist die Weihe zu empfangen muß andre Wege gehen als die Talentvollen, die Begabten, welche bei ihrem ersten Erscheinen ein Paar Rosen um sich her streuen und dann mit leeren Händen weiter ziehen. Ihn muß eine Göttin, die einzige, die ewige Göttin alles Lebens und alles Seins, die Liebe, in ihre Arme nehmen und an ihrem Busen muß sie ihn groß ziehen und nähren mit zwei Quellen die ewig strömen: mit Schmerzen und mit Meditationen. – – Ich lebte bis zu meinem fünfzehnten Jahr unbändig, seelig und phantastisch dahin.

Da trat eine vollständige Revolution ein. Mein Pflegevater und mein Beichtvater, Pater Melchior, verkündeten mir: ich sei für den geistlichen Stand bestimmt. Dabei kam es für mich zum ersten Mal klar und deutlich zur Sprache, daß meine geliebten und geehrten Pflegeltern eigentlich gar nicht mit mir verwandt waren. Ich weiß nicht welche von diesen bei den Nachrichten mich tiefer erschütterte. Nur das weiß ich, daß ich auf der Stelle in mir selbst sprach: Beides gilt mir nichts! ich werde[136] nicht Geistlicher und ich bleibe ihr Kind! – Mit herzzerreißendem Schmerz stürzte ich zu meiner Pflegemutter. Ich schrie, ich weinte, ich schluchzte: ich sei ihr Sohn, ich wolle es bleiben; sie solle nicht leiden daß man mich ihr raube! und Geistlicher wolle ich nicht werden, sondern Musiker. Sie suchte mich zu beschwichtigen indem sie mit mir weinte und mit Liebkosungen mich tröstete: ich sei ihr Fidelis; wenn nicht ihr Sohn .... doch immer und ewig ihr herzeigener Fidelis! sie habe mich groß gezogen an ihrer Brust! Gott habe ihren Sohn zu sich genommen und dafür mich in ihre Arme gelegt, und so viel Thränen habe sie geweint um seinen Tod und um mein Leben, daß etwas ebenso Heiliges als die Mutterliebe für mich daraus zusammengeschmolzen sei.

»Nun so rette mich, Mutter, rette mich von dem geistlichen Stande!« flehte ich.

»Deine Mutter hat es so bestimmt, Fidelis!« entgegnete sie sanft und traurig.

Ich war wie wahnsinnig. »Was ist das für eine Mutter die mich erst ins Leben gestoßen hat und mich nun in den Tod .... in mehr als den Tod! stoßen will. Ich weiß von keiner Mutter!« schrie ich.

Mein Pflegevater sprach mir mit Ernst zu;[137] Pater Melchior mit linder Güte. Ich ließ mir auch all ihre Ermahnungen und Tröstungen gefallen; gingen sie aber auf den fraglichen Gegenstand über, so geberdete ich mich wie ein junges Pferd auf den Steppen der Ukraine, das eingefangen werden soll. Ich, lernen? ich, studiren? ich, ein heiliges Amt regelmäßig verwalten und es nie verlassen? ich, im geistlichen Gehorsam meinen Obern mich unterwerfen? thun, treiben, denken, lehren, wie sie gebieten? – Nimmermehr! Ich wollte in die Welt.

»Ich will ja nichts Böses und nichts Verbotenes in der Welt thun! – aber ich will und muß in die Welt, sagte ich so recht in kindischer Weise; – und wenn mir das nicht erlaubt wird, so laufe ich heimlich fort.«

Mein Entschluß schien so fest, daß man mir Ruhe gönnte. Allein nach kurzer Zeit kündigte Pater Melchior mir an ich solle ihn nach Prag begleiten, wo man mich zu sehen und zu sprechen wünsche. Abermaliger, heftiger Widerstand, der doch zulezt überwunden ward! während dieses Kampfes bildete sich mein Entschluß fest aus die Flucht zu ergreifen, wenn mir keine andre Rettung übrig bliebe. Das machte mich ruhig, und[138] ich fuhr mit Pater Melchior nach Prag, erwartungsvoll aber gewappnet.

Dort geleitete er mich in ein ernstes stilles alterthümliches Gebäude, dessen Pforte sich uns geheimnißvoll öfnete; dann über einen einsamen Hof, durch lange hallende öde Gänge, in ein düstres, unschönes Gemach: ich stand im Sprachzimmer eines Klosters. Ich fühlte mich einer Ohnmacht nah: die Luft war so beklommen .... die Wände so dunkel .... und das Gitter, das fürchterliche Gitter und der braune Vorhang hinter demselben erfüllten mich mit Vorstellungen von Kerker und Grab.

»Wenn ich hier eingesperrt werden soll, so renne ich mit dem Kopf gegen die Mauer!« sagte ich fassungslos zum frommen Pater Melchior, der sanft entgegnete:

»Was fällt Dir ein, Fidelis! Hier lebt Deine Mutter und sie wünscht Dich zu sehen.«

Indem rauschten schleppende Gewänder jenseits des Gitters, der Vorhang wurde zurückgezogen, und eine Klosterfrau in der Ordenstracht der Karmeliterinnen stand mir gegenüber.

»Hier ist Fidelis,« sagte der Pater.

Sie neigte ihr Haupt zum Gruß, zum Dank, und er verließ das Sprachzimmer. So wie ich[139] diese Frau sah flog meine Seele ihr entgegen und ich liebte sie. Ich stürzte wie zerschmettert am Sprachgitter nieder, ich rang die Hände, ich breitete meine Arme gegen die starren Eisenstäbe aus und stammelte schluchzend, athemlos:

»O meine Mutter .... Du meine wahre, meine wirkliche Mutter – wie lieb' ich Dich!«

Welch ein Antlitz schaute auf mich herab! Sibylle, dies holde kleine Gemälde entzückt Sie und spricht Sie an wie ein verkörperter Sonnenstral. Nun stellen Sie sich vor daß dies himmlische Wesen durch ein Läuterungsfeuer nach dem andern hindurch gewandelt, nicht verzehrt sondern verklärt davon geworden ist, und endlich wie von einem andern Gestirn, und aus einem andern Licht auf uns herabschaut: so war sie.

»Fidelis!« sagte sie und immer wieder und wieder: »Fidelis!« – und mit ihrem zarten Finger durch das Gitter schlüpfend berührte sie segnend meine Stirn, und zärtlich meine Wange, mein Haar; und dann faltete sie ihre Hände, die aus den dunkelbraunen weiten Aermeln ihres Ordenskleides weiß heilig und rein wie Taubenflügel hervor leuchteten und sagte: »In Deine Hände, o Herr! befehl' ich ihn.«

O Sibylle! ganz unirdisch sah sie dazu aus![140] solche Augen hat man nicht in der Welt! solche Augen sind der Spiegel einer höheren – und höhere Gestalten wandeln stralend an ihnen vorüber, und ihr Wiederschein wirft noch eine Verklärung auf uns herab. Und diese Stirn! sie mußte Kronen getragen haben, um durch die Wolken von Schmerz und den Schleier der Entsagung hindurch noch in solcher Majestät zu stralen. Ganz bewildert von extatischer Liebe rief ich:

»O Mutter wer bist Du? wo kommst Du her? bist Du eine Heilige oder eine Königin?« – –

»Ich bin eine große Sünderin, sagte sie mit gelassener heiliger Demuth; allein ich vertraue Dem, der in die Welt gekommen ist um die Sünder zu erretten und nicht die Gerechten – zu Dem ich flehe Tag und Nacht in heißen Gebeten, daß er eine Leuchte sei auf Deinem Pfade, Dich zu sich ziehe in Israels ewige Hütten, und die Versuchung und den Fall von Dir abwende .... in die ich gestürzt bin. Ich lebe für dies Gebet und für dessen Erfüllung.«

Ich verstand sie nicht recht; allein ich hörte nichts als Musik, und mein Herz pochte vor Freuden daß sie für mich bete.

»O meine Mutter! sagte ich, Dein Gebet ist[141] wie der Schild des Erzengels über mir: er beschirmt mich in allen Gefahren der Welt.«

»Thörichtes Kind! erwiderte sie, Du weißt nicht, was Du sprichst! Du hast noch keine Vorstellung von den Gefahren, welche Dir drohen, grade Dir, mit Deiner .... ach, mit meiner Seele! – und vor denen es keine Rettung giebt als Flucht – Flucht zu den Altären des Heils. Wende Dich zu ihnen, Fidelis, und ab von der Welt! tritt in den Dienst der heiligen Kirche, weihe Dich den göttlichen Dingen und bringe Deine Seele dar im ununterbrochenen Opfer.«

»Ich will auch meine Seele im Opfer darbringen, rief ich, sie soll nicht verloren gehen! glaube mir, meine Mutter! aber ich muß frei bleiben! ich kann nicht studiren, kann nicht lernen und nicht lehren – ich mögte lieber sterben, als Priester werden.«

»Thörichtes Kind!« wiederholte sie kopfschüttelnd.

»Ja! rief ich in einem Paroxismus von Todesangst; ich werde sterben wenn man mich gegen meinen Willen zum Priesterstande zwingt. Ich will in die Welt .... in die schöne freie weite herrliche Gotteswelt! ich will mir mein Brot verdienen! ich will so brav, so rechtschaffen, so fromm werden, daß Dein Herz, meine Mutter, keine[142] Sorge um mich haben soll .... aber Priester kann ich nicht werden! ich kann nicht! ich kann nicht!«

»Niemand zwingt Dich zu Deinem Heil, Fidelis! entgegnete sie resignirt und melancholisch. Du bist noch nicht reif zur Erkenntniß dessen was dem Menschen Noth thut: da wünschte ich daß Gott durch meine schwache Stimme Dich derselben entgegen führte. Aber Du willst sie nicht hören .... vielleicht kannst Du sie nicht hören .... Du bist noch so sehr jung! – – Wir wollen warten, Fidelis! die Gnade kommt zuweilen in einer Nacht, und ich bete daß Du derselben mögest würdig befunden werden. Der Herr sei mit Dir!« fügte sie mit unaussprechlicher Zärtlichkeit in Blick und Ton hinzu, berührte wieder meine Stirn und verschwand hinter dem zusammenrauschenden Vorhang.

Ich blieb noch eine Zeitlang allein in einem Mittelzustand von Betäubung und Berauschung; dann erschien Pater Melchior, dem ich den Schluß meines Gesprächs mittheilte, welchen er seinerseits bestätigte; – und noch am Abend desselben Tages saßen wir wieder auf dem Postwagen von Aussig. Ich – selig! denn ich hatte meine Mutter gefunden und meine Unabhängigkeit gerettet. Schöner denn je kam mir die Erde vor, namenlos herrlich Prag, das mir aus lauter Kirchen und Palästen[143] zu bestehen schien und das ich zu meinem Leid so schnell verlassen mußte. Und dies war doch nur Prag! wie mußte erst Wien sein, unsre Kaiserstadt, wo Beethoven lebte! oder gar London, wo Händel gelebt hatte und wo er sein Grabmal in der Westminster-Kirche zwischen Englands größesten und höchsten Männern hatte – er, ein deutscher Musiker! – Tausend phantastische Bilder liefen mir durch den Kopf, und nur ein Gedanke stand unwandelbar fest in ihm: ich wollte tüchtig und groß werden! meine Mutter sollte nicht umsonst für mich beten! – –

Mit rührender Liebe empfingen mich meine Pflegeltern, hörten meine Erzählung und den Ausspruch Pater Melchiors:

»Wir warten auf die Vocation.«

»Da wird gewartet bis in die Ewigkeit!« flüsterte ich ins Ohr der Pflegemutter und zog sie hinaus um sie mit Fragen über meine Mutter zu bestürmen – zwischen denen mir denn auch einfiel, daß ich gleichfalls einen Vater haben müsse, und wer und was und wo der sei? Auf die ersten Fragen entgegnete meine Pflegemutter nur Liebes, Gutes, Schönes – aber stets ganz unbestimmt; auf die letzten sehr bestimmt, fast hart, wie ich sie nie gehört:[144]

»Von dem weiß ich nichts, und Niemand weiß von ihm! – Armes Kind, Du lebst durch seine Sünde.«

Einen furchtbaren Eindruck machten mir diese Worte und dieser Ton auf den Lippen meiner guten zärtlichen Pflegemutter.

»O! rief ich, was hab' ich für ein verfluchtes Dasein! der Vater sündhaft und unbekannt, die Mutter im Kloster büßend! könnt' ich doch lieber sterben als solchen Gram und solche Schmach mit mir herumtragen!« .... – –

»Sprich nicht so, Fidelis! unterbrach sie mich liebevoll. Wie Du geboren bist – dafür hast Du nicht Rechenschaft abzulegen. Wie Du lebst – dafür, mein Kind! Sind Andre schwach gewesen, so nimm es Dir zur Warnung und sei um desto stärker; sind sie gefallen, so hüte Dich zu straucheln; haben sie gesündigt, so bleibe Du gottgefällig und gottgetreu.«

Wie Morgenthau nach einer versengenden schwülen Sommernacht fielen diese guten klaren Worte in mein Herz und beschwichtigten die Extasen welche dasselbe neben meiner Mutter und bei dem Gedanken an sie durchzitterten. Ich legte meine beiden Hände auf ihre Schultern, sah dankbar in ihre unaussprechlich guten Augen und sagte:[145]

»Mutter! Du bist meine Mutter, Du verstehst, Du tröstest, Du belehrst mich, Du weißt wie mir zu Muth ist! sie weiß es gar nicht, die betende büßende Heilige hinter ihrem Kerkergitter – aber .... ich liebe sie doch!«

»Liebe sie, Fidelis, ich gönne es ihr und Dir!« sagte meine Pflegemutter.

Mit grenzenlosem Eifer gab ich mich fortan dem Studium und der praktischen Uebung der Musik hin. Sie war meine Vocation und in jeder Weise wollt' ich mich für sie ausbilden. Da ich mir durch sie nicht blos den zukünftigen Ruhm – sondern für näherliegende Zeiten auch Unterhalt und Fortkommen verschaffen mußte, so versuchte ich Unterricht zu geben – und auch das gelang. Mein Pflegevater war karg mit Lob; aber er mußte mich loben. Mein Talent begann sich zu emancipiren, selbständig zu werden. So jung ich war hatte ich doch schon einen unwandelbaren Entschluß gefaßt und eine bestimmte Richtung ergriffen: das ist die Basis aller Selbständigkeit. Mein rastloser Fleiß und meine geliebten Arbeiten brachten mich über die unruhvolle Epoche des Eintritts in die Jünglingsjahre hinweg. All die drängenden gährenden Kräfte brauchte ich als Sporn für meinen Eifer,[146] als Stärkung für meinen Willen. Wie im Sturm ward ich vorwärts getrieben.

Mit Pater Melchior hatte ich häufige, lange Gespräche an denen ich aufrichtige Freude hatte, sobald sie sich nicht meinem in Frage stehenden geistlichen Beruf zuwendeten, was immer seltner geschah. Ich war nicht blos religiös, sondern durch und durch gläubig. Mit inbrünstiger Andacht hing ich an den Lehren der Kirche, und sie selbst, diese heilige Kirche war für mich den Einsamen, den Ausgestoßenen, so recht die heimatliche Freistätte auf Erden in deren Schooß ich die Gemeinschaft mit allem Geliebten fand. Mein Herz faßte all ihre süßen und tiefsinnigen Mysterien, ihre Wunder, ihre Opfer, ihre Gnadenmittel mit Liebe auf, und weil ich mich in Liebe ihnen hingab, so erquickten sie mich unsäglich und bildeten mir eine Himmelsleiter auf der ich schüchtern und selig heilige Boten wandeln sah, die mein armes dürftiges strebendes Wesen mit dem Allerreinsten und Allerhöchsten in eine ebenso geheimnißvolle als gewisse Verbindung brachten.

Aber Priester wollte ich nicht werden. Ich fühlte mich dazu nicht stark, nicht selbstlos genug. Er – unter dessen Gebeten das Sacrament des Altars sich vollzieht; er – in dessen Ohr Tausende von[147] Sündebeladenen, von Gramgebeugten das Elend und die Aengste ihrer Seelen durch die Beichte ausschütten; er – der über alle Trauer- und Freudenfeste unsers Lebens Worte des Heils und des Segens ruft und selbst ein Fremdling bleibt in den Wonnen und Schmerzen zu denen er weiht; er muß sich durch Gott selbst zu seinem erhabenen Amt berufen fühlen – und dieser Ruf war nicht an mich ergangen.

Das Alles erklärte ich dem Pater Melchior öfters mit dem Ton warmer Ueberzeugung und Wahrhaftigkeit, und ich durchdrang ihn dermaßen mit meiner Unerschütterlichkeit, daß er mir unaufgefodert die Zusage gab: er selbst wolle meine Mutter zu bewegen suchen ihren frommen Wünschen für mich eine andre Richtung zu geben.

So wurde ich siebzehn Jahr alt, als ich wieder mit Pater Melchior nach Prag berufen wurde. Mit gefaßter ernster Sammlung ging ich diesem Wiedersehen entgegen. Zu jedem Opfer der Liebe war ich entschlossen – nur nicht zu dem Einen. So stand ich vor ihr. Wieder erfüllte mich ihre Erscheinung mit wunderbarem Entzücken. Ich meinte sie schwebe auf Wolken; ich meinte in einer Glorie von Engeln ruhe ihr Haupt; – so ätherisch sah sie aus! – Es zog mich zu ihren[148] Füßen nieder. Sie blickte mich lange an, traurig, zärtlich, stumm.

»Das waren zwei schwere Jahre! sprach sie endlich mit bebender Stimme. Fidelis, hast Du denn nie mein Angstgebet gehört?«

»Ja, meine Mutter, und es hat mich stark gemacht! Du willst mein Heil .... laß es mich finden auf meinem Wege.«

In diesem Sinn hatten wir ein langes Gespräch, das uns Beide heftig erschütterte ohne den einen Theil zur Ueberzeugung des Andern hinüber zu ziehen. Ihre schwärmerische Seele war eine Opferflamme: und um so heißer wallte sie empor, als sie Buße dafür that, daß der Altar ihres Herzens nicht immer dem Höchsten geweiht gewesen war. Die klösterliche Abgeschiedenheit, ihre Einsamkeit mit traurigen Erinnerungen voll Reue und Leid, das ewig wache Liebesbedürfniß einer zärtlichen Seele, das heiße Verlangen zur innersten Versöhnung mit Gott und ihrem Gewissen zu gelangen, das eben so heiße ihr Kind gerettet zu sehen vor den, wie es ihr schien, unwiderstehlichen Verlockungen – dies Alles ungestört durch lange Jahre mit Thränen, Gebeten, Buß- und Andachtsübungen genährt, hatte meine Mutter in jene tiefe religiöse Schwärmerei versetzt, in welcher[149] Wesen wie sie vielleicht einzig und allein ihre Befriedigung finden können, weil sie zu schwach für den Kampf mit der Versuchung – und zu rein sind um ihr ohne Verzweiflung zu unterliegen. Für solche Wesen ist mit tiefsinniger Kenntniß des Menschenherzens die Freistatt des Klosters geöfnet, und diese Kenntniß ist es eben, welche unsrer Kirche den Stempel einer ganz göttlichen Liebe aufprägt, denn man kann den Menschen nicht kennen wenn man ihn trotz seiner Sünden, seiner Fehler, seiner Schwächen nicht liebt. Ihre Kirche, Sibylle, belehrt den Menschen, die unsre liebt ihn. Ihre Kirche stellt ihn auf seine Füße, giebt ihm die Bibel die Tausende nicht lesen und Zehntausende nicht verstehen, und spricht: nun mache deinen Weg. Die unsre behält ihn an der Hand sorgsam warnend und beschirmend, tröstend und erquickend, durch das Bewußtsein der Gemeinschaft ihn rettend von dem trostlosen Verzagen, das für Manchen aus dem Gefühl seiner Vereinzelung und Nichtigkeit quillt. – – Aber eben weil jenes Bewußtsein damals so lebendig in mir war, konnte ich mich nicht auf den Standpunkt meiner Mutter stellen. Mir war die Welt ein Tempel, und rein aber frei und ohne Priesteramt wollte ich in ihm dienen.[150]

»Fidelis! sagte meine Mutter, unsre erste Liebe ist Gott und unsre letzte Liebe ist auch Gott – allein .... die Liebe für die Götzen liegt zwischen beiden. Ich hatte mich früh dem Herrn gewidmet, war im Kloster erzogen und wollte den Schleier nehmen. Da riefen mich weltliche Feste ins Haus meiner Eltern. Den Vater ängstigte mein früher Entschluß; ob er wolüberlegt sei sollte sich erproben bei den Freuden und Feierlichkeiten, die zur Vermälung meiner beiden Brüder statt fanden. Dieser Glanz, dieser Jubel, dieser Reich thum, diese Schönheit, diese Weltherrlichkeit betäubten mich. Ihre trügerischen Wellen von Goldschaum und Blumenstaub schlugen über mein bethörtes Herz und mein besinnungsloses Haupt zusammen. Es giebt immer Menschen welche unsre Schwäche zu benutzen wissen. Der Versucher fehlte auch mir nicht .... und meine Schwäche nicht ihm! – Er war gefesselt durch unzerreißbare Bande .... und meine Seele, von der Liebe zu Gott zur Anbetung des Götzen hingerissen – ward vergiftet! – Sieh, Fidelis! so bist Du geboren! – und daß ich es Dir sage und vor Deinem unschuldigen Auge mich mit unabwaschbarer Schmach bedecke, geschieht um Dir ein Beispiel zu geben, welche unwiderstehliche Bethörung in dem Anhauch des üppigen Weltlebens[151] liegt, weil es zu keiner höheren Richtung Deines Wesens als zu Deinen Sinnen und Deiner Eitelkeit spricht. Die priesterlichen Gelübde sind Helm, Panzer und Schild gegen sie: der Gehorsam giebt dem übermüthigen Sinn die heilsame Demuth; die Armuth erhält den Leib in Nüchternheit und Abhärtung; die Keuschheit giebt ihm eine heilige Kraft – denn, wer sich selbst bei dem Reiz der Sinne überwinden kann, der kann die ganze Welt überwinden, und die Engel dienen ihm, mein Sohn.«

Langsam glitt sie hinter dem Gitter auf ihre Knie und hob die Hände gefaltet zu mir empor.

»Meine Mutter! entgegnete ich feierlich, steh' auf. Ich will Dir die Gelübde thun in denen Du eine Rüstung meiner Seele zu ihrem ewigen Heil erblickst. Ich gelobe Gehorsam gegen göttliche Gebote; Armuth .... und wenn ich von den Schätzen der Könige umgeben wäre; und Keuschheit. Ich gelobe es Dir feierlich vor dem Angesicht Gottes! .... aber Priester werd' ich nicht! ich muß frei sein.

Mit einem Lächeln voll seliger Beruhigung entgegnete sie: »Wen der Herr so weit geführt hat, den führt er auch noch einen Schritt weiter in das Tabernakel hinein! – Sei gesegnet, Fidelis![152] und nimm und trage dies zum Gedächtniß dieser Stunde.«

Den Goldreif hieß sie mich an- und nie ablegen.

»Der Karfunkel ist Dein Herz und der Saphir ist mein Auge; es wacht darüber! sprach sie. Und dies Bildchen zeigt mich Dir wie ich war vor achtzehn Jahren, ehe ich verlassen hatte meine erste Liebe. O Fidelis! verlasse Du die Deine nicht.«

Und abermals rauschte der Vorhang zusammen, und abermals kehrt' ich aufgewühlt in den Grundtiefen meiner Seele zu meinen Pflegeltern zurück. Aber nun war es aus und vorbei. Nun hatte ich Alles gethan was ich für die Wünsche meiner Mutter thun konnte; ferneren Bitten und Eindringen, deren Andeutung in manchem ihrer Worte lag, fühlte ich mich nicht gewachsen. Ich wollte fort – und ich ging fort! ich floh, heimlich, ohne Abschied! ich konnte nicht diese Herzzerreißungen des Abschieds ertragen. Ich fühlte unbestimmt das Bedürfniß mich zu sammeln und nicht zu zerfließen. Daß ich mir würde mein Brot verdienen können, davon war ich so fest überzeugt wie von meinem Leben. Nach England wollte ich über Hamburg. Dies Alles schrieb ich in einem zärtlichen dankbaren Brief an die Pflegeltern, versprach ihnen Nachricht[153] und Wiedersehen, steckte meine 27 ersparten Gulden zu mir, packte mein Ränzelchen und ging in einer stillen Juliusnacht über die Berge meiner Heimat nach Sachsen hinaus.

Da gab es Krieg und Krieg, Beängstigungen und Hofnungen. Ich nahm Theil daran, aber nur oberflächlich. Andre Gedanken bewegten sich zu mächtig in mir. Man widerrieth mir nach Hamburg zu gehen: da wären die Franzosen, aber keine Schiffe für England. Ich ging nach Lübeck in der Hofnung eine Ueberfahrt nach Kopenhagen zu finden, und mir dort weiter zu helfen. In Lübeck las ich am Tage meiner Ankunft in den Zeitungsanzeigen, in Holstein auf dem Lande werde ein Musiklehrer gesucht; wer dazu Neigung habe solle sich melden bei dem Cantor der Marienkirche. Das kam mir vor wie eine Weisung ruhigere Zeiten abzuwarten. Ich meldete mich – – und so kam ich hieher.«

Mit fieberhafter Bewegung, bald abgebrochen, bald bei einzelnen Momenten verweilend, hatte Fidelis gesprochen; Schweißtropfen perlten auf seiner Stirn und seine Lippen zitterten; der Doppelausdruck seines Gesichts, die geistige Kraft und die Macht der Leidenschaft, war noch nie so lebendig mir entgegen getreten. Hinter seiner äußern Ruhe und schüchternen Zurückgezogenheit mogte es,[154] wie hinter dem Nonnenschleier seiner schönen zärtlichschwärmerischen Mutter, nicht so gelassen zugegangen sein, als man es nach der ewigen Selbstbeherrschung glauben durfte, mit der er sich selbst im Zügel zu halten gewohnt war. Wol hatte ich ihn in der letzten Zeit von jenen Orkanen des Gefühls durchstürmt gesehen unter denen das Herz wie der Frühling nach Wiedergeburt ringt. Doch so wie heute sah ich ihn nie! Er lag am Boden, der Titane war gefesselt, überwunden und zerbrochen. Meine elende Seele erschrack vor ihm und vor seiner fürchterlichen Liebe, die gleichsam mit Gott um seine Seele rang. Also auch er, dieser Mensch von Stahl und Gold, war nicht unerschütterlich, harrte nicht aus bei dem Einen, kämpfte nur so lange es eben ging – und ergab sich dann! – Und wem? – Mir! – Einem Weibe das die Verwirklichung einer Chimäre suchte, und gänzlich unfähig war seine Liebe in gleichem Maß zu erwidern.

Er schwieg und ich schwieg auch. Ich dachte an meine Verblendung neben ihm in Venedig ein Bild meiner Phantasie, einen Otbert zu lieben! – ich dachte daran wie mein Herz seitdem so morsch, so hohl in diesen Enttäuschungen geworden sei, daß es wol noch sich nach Liebe sehnen, aber nicht[155] mehr sie empfinden, ja nicht einmal die seine begreifen könne. Ich hielt in diesen wenigen Secunden Gericht über mich – aber in dem Augenblick wo ich den Stab hätte brechen sollen warf ich mich in Todesangst in die aufschwellende Flut des Gefühls und dachte: Vielleicht trägt sie mich dennoch an ein lieblicheres Gestade! leiden ist nichts; – lieben ist Alles! –

»Nun weiter, Fidelis!« sprach ich sanft und nahm seine Hand.

»Es giebt nichts weiter, entgegnete er. Jezt wäre nur noch von den Resultaten meiner jugendlichen Entschlüsse und Bestrebungen zu reden, und die sind dürftig genug. Ich bin allerdings ein ziemlich tüchtiger Musiker, aber sehr fern von der früher geträumten Größe. Und was die Freiheit betrift von der ich mein höchstes Heil erwartete: so habe ich erkannt, daß ich derselben nicht fähig war. Eine Liebe – die unsinnigste und zugleich die göttlichste, hat mich unfrei gemacht! Sie war verboten .... aber zugleich durch eine solche Kluft von Unmöglichkeiten von mir getrennt, daß diese mich sicher machten. Wie auf den schwindelnden Brückenstegen des Hochgebirges fühlte ich mich: Hält dich der wankende Steg über dem Abgrund – wolan! so zeugt das von Muth, Macht und[156] Glück; trägt er dich nicht, so geht deine Schuld vielleicht in dem Sturz unter! – Aber weil ich mich von dieser Liebe umstrickt fühlte, so hatte ich keine feste Zuversicht zu mir selbst. Ich mißtraute mir und meinen Leistungen. Ich glaubte in ihnen allen die Fessel wahrzunehmen, die mich zu Zeiten dermaßen band, daß Kunst und Genie mir Puppenspiel und Fratze schienen, und ein Wort, ein Blick der Liebe – Wahrheit und Heil! Ich glaubte sie trügen den eisernen Reif, der sich zu Zeiten um meine Stirn und Brust schmiedete und sie unzugänglich für den labenden Anhauch aus einer höheren Welt, unempfindlich für die frischen Lüfte aus geistigen Regionen machte. Die stolze Jugendfreude an mir selbst, an der Welt und dem Leben ging mir unter, und ohne diese Freudigkeit – welche den tiefen Melancholien jeder schöpferischen Richtung die Waage halten muß – ist es schwer, wol gar unmöglich Ausgezeichnetes zu leisten. Meine Liebe machte mich schüchtern, und der Genius will auf einem sichern Boden die Grundlage seines Tempels gründen. In ein Meer von Verworrenheit und Wirrsal, von Anziehungs- und Abstoßungskraft, von Selbstbeherrschung und Erschlaffung, von Feigheit und Tollkühnheit bin ich durch sie gerathen, und tausendmal hab' ich gedacht: Wer doch[157] den Rath seiner Mutter befolgt und sich aus diesem Wellenstrudel zu dem Crucifix auf der Felsenklippe gerettet hätte! – Aber nichts da! Unüberwindlich lockte mich die Lorelei .... nur sie! Dieselbe Allmacht welche bewirkte daß sie mich unangetastet in ihrer Zauberwelt hielt, machte auch daß ich mich von ihr nicht losreißen konnte. Durch lange Jahre der Trennung herrschte sie! in den bittersten Erkenntnißschmerzen meiner Thorheit und Nichtigkeit herrschte sie! über meinem künstlerischen Thun und Treiben herrschte sie! über meine Entschlüsse, meine Richtung, meine Gedanken, meine Seele herrscht sie dermaßen, daß keine Vernunft, noch Kraft, noch Uebung stark genug waren – um ihr in meinem Herzen stumm zu huldigen und sie stumm darin zu begraben. Dies ist das »Weiter« wonach Sie fragen.«

Immer wenn Fidelis schwieg erschrack ich. Jezt wird er hoffen daß ich ihm etwas Aehnliches sage – dachte ich mit Herzpochen – ach, Du Unselige, weshalb hast du ihm ein Geständniß abgelockt? Veranlaßt eine Frau einen Mann zu solchem Vertrauen, so ist es ein Beweis daß sie bereits durch ihn gerührt ist. Erheuchelt sie die Rührung, so ist sie eine erbärmliche Kokette! Aber ich hatte sie nicht erheuchelt, nur ersehnt. Was ich eigentlich[158] wünschte war: unter dem Tropenhimmel seiner Liebe meine Erstarrung zu verlieren. Seine Wärme that mir wol, sein Schwung hob mich, seine Kraft labte mich – das Alles brauchte ich, fand ich bei ihm .... und wie auf mein Eigenthum legte ich meine harte kalte Hand darauf. Ich schauderte vor mir selbst. Um nur Etwas zu sagen, sagte ich ganz stupid:

»Sie verleumden sich indem Sie sich schwach nennen, Fidelis! Ihr ganzes Leben ist ja eine Kette aus Ringen von Erz.«

»Ein Gelübde kann man immer erfüllen – Gott allein weiß wie! – Aber die Kette selbst doch zuweilen als eine Kette zu fühlen: das eben beweist daß man schwach ist! Schwäche ist Knechtschaft .... und ich! ich! der nicht äußerlich gebunden sein wollte, bin innerlich Knecht – ich! der äußere Sclaverei mehr als den Tod fürchtete, bin nicht im Stande zu sagen: ich bin frei! Obgleich mir die weite Welt offen steht, obgleich ich vor Niemand außer vor meinem Gewissen Rechenschaft meines Thuns abzulegen brauche, obgleich meine Bedürfnisse noch geringer sind als meine Gewohnheiten, und Entbehrung mich nicht drückt – trotz all dieser Bedingungen der Freiheit bin ich nicht frei! – Sclav des Goldes, der Eitelkeit, der Sinnlichkeit,[159] des Ehrgeizes zu sein – hab' ich gemieden, denn das Alles lockte mich nicht, war unschön, kleinlich oder roh. Sclav der Liebe mußte ich werden – der Idee der Liebe! denn ich liebe kein Weib, sondern eine von den Schicksalsgestalten, welche hie und da ins Leben hinein gestellt werden, damit sich an und in ihnen, und für und um sie seltene Geschicke ausleben, Anderen zur Warnung oder zum Beispiel.«

»O Fidelis! wenn Sie mich so erkennen, wie können Sie mich denn lieben?« fragt' ich schmerzlich.

»Ich weiß es nicht! sagte er niedergeschlagen. Es ist etwas Gewaltiges in Ihnen. Dies rastlose Suchen, das durch kein Glück und keinen Genuß der Welt befriedigt – durch keine Polster des Glanzes, des Reichthums und des Behagens ausgeruht – durch kein Lernen, Wissen und Thun beschwichtigt – durch kein Schellengeklingel der Eitelkeit und Thorheit betäubt wird: das gehört keiner gemeinen Natur an. Sie haben eine ganz abgründliche Seele, so abgründlich daß Niemand deren Tiefe ermessen hat, denn kein Senkblei reicht so weit hinab. Was ist denn da unten, Sibylle? soll es ein ewiges Geheimniß bleiben? lagert sich diese Wolkenschicht über einem Sonnenhimmel oder, über der Leere? Sie sind klug, gut, tugendhaft,[160] großmüthig, menschenfreundlich – aber ohne Freude darüber, ohne Genuß daran. Sie sind ohne Schwäche und ohne Leidenschaft, Sie hassen nicht, Sie können verzeihen« .... – –

»Ja ja ja! rief ich in einem Paroxysmus von Schmerz: so bin ich! das kann ich! Aber ich kann Eines nicht .... ich kann nicht lieben! – ich handle nie aus vollem Drang und Trieb des innersten Lebens. Meine Phantasie malt mir das Gute und Schöne mit den bezauberndsten Farben vor; dann betrachte ich diese Gebilde mit der Reflexion, die Farben schwinden, aber die Ueberlegung sagt mir, auch die Pflanze ohne Blüte verdiene Pflege. Dem gemäß handle ich klug, gut wenn Sie wollen; aber .... ich behandle das wie ein Rechenexempel, welches ein richtiges Facit ergeben muß. Schwung der Seele macht allein glücklich. Er führt jene Stürme herbei welche diese verhüllenden Wolkenschichten, wie Sie sie nennen, zerstreuen. Mögen dabei Fehltritte und Schwachheiten vorkommen – sie werden schon ihren Rächer finden – es kommen auch wunderschöne, schmetterlingsartige Entwickelungen zum Vorschein und hauptsächlich: man fühlt sich unter Einfluß und Lenkung einer höheren Gewalt als unsre Klügelei ist! – Es ist vernichtend für einen ganzen Lebensweg[161] auf die Klügelei angewiesen zu sein! Die Menschen nennen es Klugheit, Tugend, Vernunft; – ich Fidelis – nenne es von Gott vergessen sein.«

»Wer geliebt wird ist nie ganz von Gott vergessen,« sagte er und kniete vor mir nieder.

»Das mag sein! – aber ich verstehe Ihre Liebe nicht;« entgegnete ich, wieder aus diesem fragenden Forschungstrieb, der mich wünschen ließ ein Herz wie ein anatomisches Präparat vor mir zu haben.

»Ich glaub' es!« entgegnete er entmuthigt.

– – – – –

So war denn nun ein fürchterlich qualvolles Verhältniß zwischen ihm und mir. Seine Erzählung hatte es in uns Beiden so recht zum Bewußtsein gebracht, daß ich ihn nicht liebe. Hätte ich sonst nicht überwunden von dieser unbegreiflichen Liebe in seine Arme oder zu seinen Füßen hinsinken müssen? hätte ich nicht den Lohn für die Treue und die anbetende Huldigung eines halben Lebens in die Extase einer Minute zusammendrängen können? hätte ich nicht diesem Herzen, das ich mit meiner ewigen Wissensqual durchgraben und aufgewühlt hatte, ein beseligendes Ausruhen an dem meinen gönnen sollen? – – Aber nichts von dem[162] Allen. Ich wußte nun daß und wie er mich liebe, und ich gestand mir ein, daß ich, so lange ich dies nur geahnt, mir eine größere Wirkung davon versprochen hatte – Beseligung, Verklärung, Offenbarungen die ich nicht empfand.

Fidelis verfiel in eine unsägliche Schwermuth. Tagelang kam er gar nicht zum Vorschein, oder wenn – so doch nur in den Stunden wo die ganze Hausgesellschaft um mich versammelt war. In der ersten Zeit nachdem ich ihm sein Geständniß entlockt und ihm dadurch Hofnung gegeben hatte, war es ihm Bedürfniß und Labsal gewesen den Goldstrom der Empfindung schrankenlos an mir vorüberfluten zu lassen; nun wurde er wieder sorgsam eingedämmt. Allein das kostet eine ganz andre Mühe als wenn der Damm nie weggerissen worden ist. Ich zitterte vor ihm; ich war unsinnig genug zu fürchten er könne mir in einem Ausbruch von Verzweiflung Vorwürfe machen daß ich ihn nicht damals abreisen ließ. Ich hätte mein Leben drum gegeben, wenn ich das Verhältniß wieder auf den Standpunkt hätte führen können wo es bei meiner Rückkehr von Hannover war, als ich mich unbestimmt hofnungsfreudig neben ihm fühlte. Ich fragte ihn einmal ob er jezt viel arbeite.

»Sehr viel,« entgegnete er. Doch ich hörte an[163] seinem Ausdruck daß er nicht musikalische Arbeit im Sinn habe.

Indessen nach und nach schien er doch wieder zu einiger Sammlung zu kommen, und der geliebten Musik mit Andacht sich zu widmen. Sie war ja seine erste Liebe! – Es währte nicht lange so brachte er uns einige Gesänge aus dem Salomonischen Hohen Liede. Als ich sie hörte rief ich:

»Fidelis! ich sehe den Karfunkel und den Saphir auf Ihrem Goldreif!«

»Nicht wahr?« fragte er und sah mich an.

»Aber sie sind auch noch mit Perlen überrieselt,« setzte ich hinzu.

»O, sagte er mit einem ganz unbeschreiblichen Ausdruck, Sie sind klug, Sibylle, so klug daß Sie das Gefühl nachfühlen ohne es wirklich zu fühlen. Das klingt etwas mystisch, nicht wahr? Ich bitte, halten Sie es der Nachwirkung des mystischen Salomonischen Liedes zu gut.«

Er selbst hatte wie immer den biblischen Text zusammen gestellt, aber nicht lateinisch – sondern zum ersten Mal deutsch. Mir traten die Thränen in die Augen über diese deutschen Worte. Sein Herz spricht darin – sagte ich zu mir selbst – zum ersten Mal hat es der Liebe Worte gegeben und das konnte nur in der Muttersprache sein.[164]

O ich begriff das Alles! ich verfolgte all diese Schattirungen mit Rührung, mit Freude; aber bei dem himmlischen Schluß des Gesanges, der so ganz auf Fidelis paßte:

»Ich schlafe, aber mein Herz wacht« – sagte ich: »Bei mir ist's grade umgekehrt: ich wache, und mein Herz schläft.«

Der Frühling war gekommen in seiner ewigjungen Lieblichkeit, mit seiner ewigneuen Erlösungskraft. Die winterliche Befangenheit schien sich zu lösen und vor den weichen Lüften zu schmelzen. Fidelis sah aus als habe er eine Auferstehung gehalten; ich faßte wieder etwas Muth zum Leben; da kam er eines Morgens zu mir mit der Erklärung: er müsse nun fort.

»Fort? jezt fort? aber weshalb denn jezt?« stammelte ich starr vor Erstaunen.

»Gerade jezt! entgegnete er mit einer himmlischen Liebe im Blick. Jezt ist es wieder uns Beiden möglich ohne Verzweiflung an einander zu denken – folglich ist die Trennung auszuhalten; meinerseits sag' ich nicht .... zu ertragen.«

»Meinerseits .... nicht auszuhalten! rief ich bewildert. Fidelis, ich komme um wenn Sie mich verlassen.«

»Nicht doch! nicht doch! Sie ertragen Schmerz,[165] Verlust, Täuschungen, Erfahrungen mit seltner Kraft. Sie haben früh gelernt sich zu fassen und zu überwinden, und das Schicksal hat Sie eine tüchtige Schule in dieser Richtung durchmachen lassen; ich sage mit Ueberzeugung: Sie werden es ertragen, meine geliebte Gräfin.«

»Ja, Fidelis, ja, ich werd' es ertragen! rief ich außer mir; aber wie Niobe, indem ich versteinere. O bleiben Sie bei mir! es ist in Ihnen ein Gemisch von Wärme und Kraft, von Energie und von Innigkeit, von Schwung und von Klarheit – welches um Sie eine eigenthümliche Atmosphäre voll Glanz und Frische verbreitet in der mir wol ist. Im tiefeinsamen Wald, im Hochgebirg, auf dem Ocean – da weht auch so ein wunderbar erfrischender Lebenshauch, so ein Aether der in unsrer engen schwülen kleinlichen Alltagswelt nicht wehen kann, und der sich daher in die Seelen der Auserwählten flüchtete, welche die großartigen Anlagen der Natur wie durch Mirakel auch großartig entwickelt und deren Tiefe, Höhe und Weite mit einer göttlichen Essenz von Liebe gefüllt und durchdrungen haben. Alle Menschen kommen mir vor wie Schatten .... aber Sie haben ein Sein. Sie können was Sie wollen – nicht heut und nicht morgen, sondern immer! Sie halten fest, Sie vergessen[166] nicht, Sie trösten sich nicht mit dem Endlichen darüber daß die Unendlichkeit nicht mit Händen zu greifen ist! Sie sind unüberwindlich wie die gefeyten Helden der Romantik! O lassen Sie mich leben von Ihrem Leben und bleiben Sie bei mir, Fidelis!«

»Aber siehst Du denn nicht, Du unseliges Weib, daß Du zehren willst vom Mark meines Lebens?« fragte er mit einem Ton der mich durchschauerte.

»Ja, ich seh' es,« sagte ich vernichtet.

»Nun dann werden Sie auch sehen, daß ich nicht bleiben kann, nahm er nach einer Pause das Wort. Ich liebe Sie – ich mögte aus Liebe den Athem meiner Seele und das Blut meines Herzens Ihnen geben – und Sie .... Sie mögten wie ein himmlischer Vampyr dies Herzblut saugen, diesen Seelenhauch trinken um .... ja warum? – um zu erproben ob ich Stich halte Ihren abstracten Vorstellungen von Unwandelbarkeit. Das ist Unsinn, Sibylle! Unsinn es zu begehren, Unsinn darauf einzugehen. Ich würde ewig in die Versuchung geführt werden den Blick Ihres schönen Auges, das Lächeln Ihres holden Mundes, jeden Händedruck, jedes Wort, jede Frage, jedes Zeichen von Theilnahme mit und nach mienem[167] Herzen zu deuten, und da ich Sie liebe, so wäre das ganz aber ganz unaushaltbar.«

»O bleib .... aus Erbarmen!« rief ich und fiel halb besinnungslos auf meine Knie und hob flehend die Arme zu ihm empor.

»Welch eine Folter! sagte er dumpf. Sibylle, wenn ich bleibe, so bleib' ich aus unheilvoller Schwäche der Liebe .... nicht aus Erbarmen.«

»Er bleibt! o Gott, er bleibt!« rief ich jubelvoll.

Er riß mich auf vom Boden und in seine Arme.

»Willst Du denn durchaus daß ich zu Deinen Füßen sterben soll?« fragte er mit erstickter Stimme.

»Nein nein! o nein!« jauchzte ich, bog seinen Kopf zu mir herab und küßte seine Stirn.

– – O ich unseliges Weib! armer Fidelis! – – – – – – –

»Lebewol!« sagte ich mit vernichtender Kälte.

»Sibylle!« schrie er mit einem Ton als würde ihm ein Dolch in die Brust gestoßen. Er lag zu meinen Füßen; er wollte meine Hand nehmen; ich zog sie zurück. Die Vergötterung, die Andacht waren dahin! geliebt hatte ich ihn nicht; – er war mir nichts mehr als ein ganz gewöhnlicher Mann. Auch an ihn glaubte ich nicht mehr! – »Erbarmen! nur jezt kein Lebewol! nur nicht in diesem Augenblick!« flehte er.[168]

»Lebwol, Fidelis! sagte ich mit unbeweglicher schauerlicher Kälte, die mein ganzes Wesen paralysirte; – lebwol! und kannst Du auch noch beten, Fidelis?«

Er stand langsam auf. Er trat von mir zurück mit einem unbeschreiblichen Ausdruck in welchem Zorn und Schmerz, Entsetzen und Liebe kämpften, und über welchen eine namenlose Wehmuth wie ein schwerer Trauerflor gebreitet war. So sagte er:

»Ob ich beten kann fragst Du? ich weiß es nicht, Sibylle! .... aber das weiß ich: Du – wirst es nie und nimmer können! – Lebwol.«

Langsam ging er der Thür zu. Auch ich war aufgestanden, hatte meine Arme um eine Säule geschlungen die einen Candelaber trug, und lehnte meine Stirn an den Marmor. Ich sah nicht mich um, nicht ihn an! ich sah nichts .... als jenen schwarzen Abgrund vor mir, in mir, in welchem Alles! Alles! untergewirbelt wird. Aber er blieb stehen. Er konnte nicht in Groll und Zorn von mir scheiden. Er wollte nicht daß ich den Dolch in seiner Brust sehen sollte. Er kehrte zurück, legte die Hand auf mein Haupt und sagte mit seiner tiefen von Empfindung vibrirenden Stimme:

»Sibylle! nicht für mich, aber für Dich, Du[169] ewiggeliebtes Geschöpf, werd' ich dennoch beten können. Lebwol.«

Er drückte meine Hand an seine Stirn und Lippen, und ich fühlte an dem eisernen und doch bebenden Griff der seinen in welcher Bewegung er war. Aber kein Wort, kein Blick, keine Regung verrieth ihm Theilnahme oder Trost. Da sagte er abermals mit jenem unsäglich schmerzhaften Ausdruck:

»Oh! Sibylle!« und verließ mein Zimmer. Er ging. Durch mein Cabinet, durch das Musikzimmer, durch den Salon hört' ich seinen raschen Schritt hallen – und verhallen. Dann hört' ich nichts mehr. Ich horchte .... horchte .... umsonst! .... nichts mehr! – Da machte es sich um mich herum wie eine ungeheure Leere zurecht. Ich glitt an der Säule nieder und ächzte:

Er kann beten, denn Er liebt! – aber ich nicht! Und der wilde Schmerz am Herzen, der mich bei großen Emotionen mit der Gewalt eines Starrkrampfs packte, bemeisterte sich auch jezt meiner.

Ich habe Fidelis nicht wieder gesehen.

– – – –

Jezt folgen zwei Jahr von denen ich eigentlich gar keine andre Erinnerung habe, als daß ich körperlich litt! Bei der geringsten Anstrengung einen[170] ganz lähmenden Schmerz! Ich lag auf dem Ruhebett und – litt. Die Kinder, die Geschäfte – Alles ging wie es ging! ich konnte mich um nichts kümmern, denn mir fehlte die Kraft meine Gedanken auf einen bestimmten Gegenstand zu richten. Mißachtet hatte ich immer das Thun und Treiben der Menschen; das war übel! – jezt verachtete ich mich; das ist am schlimmsten! Vielleicht war das die Eisscholle die mir auf dem Herzen drückte und in dessen Wunden immer scharf und frisch hineinschnitt. Ich kann nicht sagen, daß ich Fidelis verachtet hätte; aber ich bemitleidete ihn. Ich hatte den Sohn der Sterne zum Sohn des Staubes gemacht! ich konnt' es ihm nicht vergeben, daß er nicht stärker gewesen, daß er für und durch mich aus seiner Glorie herausgetreten war, zu der ich aufgeschaut hatte mein Lebenlang mit der einzigen wahren Andacht meiner Seele. Und andrerseits konnt' ich ihm nicht vergeben daß ich ihn verloren hatte, daß sein belebender, geist- und seelenvoller Umgang, daß die Nähe eines zuverlässigen, rücksichtslos ergebenen Freundes mir fehlte – daß ich ihn in meinem an Entbehrungen über reichen Leben auch noch entbehren mußte. Ich hatte nun gar nichts mehr; denn ich besaß nicht einmal das, was alle Menschen in ihr späteres Leben mitnehmen:[171] Erinnerungen. Sie waren todt oder welk, und mir fehlte die Gabe sie lebendig zu machen und meine arme Gegenwart mit ihnen zu schmücken.

War es eine Wiederkehr physischer, oder ein Zusammenraffen geistiger Kraft – genug, plötzlich überfiel mich die Angst ich könne in den nervosen Marasmus meiner armen Mutter versinken und mein Kind derselben innern Entwickelung oder Verwahrlosung – wie soll ich sie nennen! – Preis geben, die ich bei mir selbst für so schädlich erkannt hatte. Die Aerzte riethen mir überdas Veränderung der Luft und Umgebung, und ich fühlte mich durch diese acht Jahr eines ununterbrochenen Aufenthaltes in Engelau so ausgesogen, so zusammengeschrumpft, daß mir wie einem Kranken im abgesperrten Zimmer die Lebensluft ausging. Gespenster, Gespenster wohin ich blickte! Gespenster meiner Menschen, meiner Hofnungen, meiner Thaten, meiner Gefühle! Gespenster von Epochen, Tagen, Stunden, an diese Räume, an diese Localitäten gebannt, äußerlich mich umzingelnd, die innere Oede nicht füllend. Ich wollte fort um etwas Andres zu sehen als diese Gespenster und um den Kindern etwas Andres zu zeigen als die melancholische kränkliche Mutter. Ich wollte fort um meine Geschäfte welche sich in diesen zwei[172] Jahren durch Otberts wahnsinnige Verschwendung und meine Untüchtigkeit bedenklich verschlechtert hatten, zu ordnen. Ich selbst konnte es nicht. Ich übertrug also die Verwaltung meines Vermögens einer Vormundschaft von redlichen und verständigen Männern, welche das Recht meiner Tochter hauptsächlich gegen Otberts Foderungen vertheidigen sollten. Uebrigens theilte ich mein Einkommen nach wie vor mit ihm, und so trat ich meine Reise zu meinem Onkel dem Bischof an. – Sie that mir wol, die Bewegung, der Wechsel, die freudige Neugier der Kinder zerstreuten mich; der herzliche Empfang des geliebten und verehrten Greises erquickte mich. So gab es doch wirklich noch einen Menschen auf der Welt, der an mir Theil nahm, der sich für mein Wol ergehen interessirte! – Aber er war bereits fünfundsiebzig Jahr alt, und körperlich sehr schwach. Er konnte gar nicht sein Zimmer, kaum seinen Lehnstuhl verlassen: die Füße trugen ihn nicht mehr. Und doch keine Spur von Abgestorbenheit! sein Herz war frisch. Er hatte es immer für Andre, nie für sich in Athem gehalten, daher fehlte ihm auch jezt die Thätigkeit und Regsamkeit nicht, welche bei Denjenigen im Alter so leicht versiegt, welche ihr Herz mit selbstischen Bestrebungen überfüllt haben. Es wird ertränkt[173] im Durst der Ichsucht. Den kannte er nicht. Er schien Alles zu besitzen – für Andere. Was Jeder begehrte fand er bei ihm: Rath oder That, Gold oder Liebe.

Mir war in Würzburg als wehe ein linder Thauwind über die Eisgefilde meiner Seele. Zum ersten Mal seit meiner Trennung von Fidelis trat mir sein Bild ohne herbe Bitterkeit nur mit unsäglicher Wehmuth entgegen. Ich ging in den Dom zu jenem Platz am Pfeiler wo ich einst ihn beten sah. Ich fand ihn gleich. Er kam mir geweiht, geschmückt, erleuchtet vor, als sei ein Engel über ihn fortgeschritten. Ich bin's nicht werth ihn zu betreten, sprach ich zu mir selbst. Aber daneben sank ich zu Boden. Ich kann nicht sagen, daß ich kniete, daß ich betete; nein! ich lag nur da und ächzte stummen Jammer aus. Hier ahnte ihn zum ersten Mal das kindische Mädchenherz; aber unbewußt ging es an ihm vorüber und zu einem andern Mann. Hier fand das Weib ihn nach Jahren wieder, befähigt ihn zu erkennen und zu würdigen; aber es war verblendet, erkannte und würdigte ihn nicht, und ging abermals an ihm vorüber und zu einem andern Mann. Jezt war ich zum dritten Mal auf dieser Stätte, doch ohne ihn. Auch er, sogar er! war dem Fluch des Daseins[174] erlegen: der Schwäche. Dennoch blieb er das Altarbild in meinem Leben, aber – es war verschleiert.

An die Kirche zu der er gehörte, welche die Ihren liebt und nicht belehrt – wie Fidelis sagte – dachte ich viel. Eine geistige Gemeinschaft mit ihm, vermittelt durch Gebet, geheiligt durch Andacht, wäre mir süß gewesen. Ohnehin hatte ich Veranlassung mich mit ihr zu beschäftigen, denn ich vergaß nicht Arabellas letzten Wunsch Astralis in der Katholischen Religion zu erziehen; ich wollte sie in eine gute Erziehungsanstalt geben. Die der Damen vom Sacré Coeur zu Freiburg in der Schweiz wurde mir sehr gerühmt; das paßte zu meinem Vorhaben mich auf einige Jahre in der Schweiz niederzulassen, und Benvenuta in Genf oder Lausanne zu erziehen. Einstweilen aber bekamen Beide in Würzburg passenden Unterricht, denn ich konnte mich nicht entschließen meinen guten Onkel jezt zu verlassen, da die Aerzte mir sagten: das friedliche Erlöschen seiner Lebenskraft stehe täglich in Aussicht.

Nicht nur Sommer und Herbst, auch den ganzen Winter blieb ich bei ihm, und nicht blos aus Anhänglichkeit, sondern auch aus Interesse andrer Art: ich dachte an meinen Uebertritt zur Katholischen[175] Kirche, oder vielmehr: ich nahm diesen Gedanken wieder auf. Ich hatte lange Gespräche mit meinem Onkel über religiöse Fragen und Lehren; ich las mit Aufmerksamkeit Alles was diesen Punkt betraf, Controversen für und gegen; die alten Kirchenväter und die neuen Rationalisten der protestantischen Theologie; Lamennais und Schleiermacher, Fénélon und Strauß. Ebenso unsinnig wie ich im Studium der alten Sprachen und der Mathematik – Weisheit zu finden gewähnt hatte, wähnte ich jezt in der Theologie – Religion zu finden. Ich folgte ziemlich geschickt den Subtilitäten der Dialektik, welche wie auf dem gespannten Seil der Tänzer seine Schritte, vorsichtig und pünktlich ihre Beweise setzt. Kam nun aber der Augenblick wo der letzte Beweis dem fraglichen Punkt die Krone aufsetzen oder ihn zu Boden schmettern sollte, so faßte ich ihn gelassen ins Auge und sprach zu mir selbst: Also die sogenannte Wahrheit dieses Lehrsatzes ist bewiesen; nun gut! was man mir bewiesen hat glaub' ich aber nicht, und mir thut Glaube noth! – – Das war höchst richtig; nur bedachte ich nicht daß man aus Büchern freilich Ueberzeugungen, aber nimmermehr Glauben schöpfen kann. Glaube ist das Element in welchem eine liebende, schwungvolle, kräftige[176] Seele zugleich ihre Wiege, ihre Ruhe und ihre Nahrung findet. Da unsre Zeit einen unermeßlichen Mangel an Liebe, Schwung und Kraft hat, und da ich eine ächte und rechte Tochter unsrer Zeit bin, so war meiner Seele nichts so fern als grade der Glaube. Ich las und las unermüdlich weiter.

Gott, wie disputirte ich zuweilen mit meinem guten Onkel über die Mysterien und Wunder der Kirche. O wie oft sagte er gelassen:

»Kind! Du weißt nicht woher der Wind weht – nicht wie die Sterne der Milchstraße gehen – nicht woher der dürre Zweig die Rose treibt – nicht was das Leben ist – nicht wohin der Tod Dich bringt. Wenn Du das Alles wirst ergründet haben, dann sage: es giebt keine Mysterien! dann will auch ich zweifeln! bis dahin glaub' ich an sie. Was bedeutet denn das: Mysterien und Wunder verneinen? sehr wenig, mein liebes Kind! nur etwa dies: den Sternenhimmel leugnen, weil man die Nächte hindurch schläft; oder die Sonne leugnen, weil man in einer Nebelatmosphäre lebt. Die Verneinung, Kind, hat es immer nur mit Schatten, nicht mit den Wesen zu thun. In der Bejahung liegt ein Sein, eine Essenz, ein Leben; sie verfährt schöpferisch, wie die Wahrheit, wie die[177] Allmacht, wie die Liebe. Die Negation ist impotent, und ich meine daß nur dürftige Naturen, nur unvollkommne Charactere bei denen die kritisch forschende Richtung das Herzblut in Gehirn verwandelt hat, sich ihr hingeben können. Hast Du diese Richtung so wende Dich der Wissenschaft zu: da kannst Du ergründen und erkennen, und das kann Dir vielleicht eine gesunde, heilsame Nahrung sein. Die Religion bietet freilich ein ganz andres, höheres Labsal, allein nur glauben und lieben gilt in ihr, und dies beruht auf Intuition nicht auf Forschung.

»Welch eine Ungerechtigkeit des gerechten Gottes, rief ich heftig, mit dieser Intuition nur einige Auserwählte begnadet zu haben.«

»Meinst Du? sagte er mild. Nun, laß Dir doch einmal von dem geschwätzigen Alten eine Parabel erzählen. Ein Gärtner sprach zu seinem ältesten Sohn: In diesen Blumentopf habe ich den Kern einer köstlichen Frucht niedergelegt. Laß ihn keimen, treiben, wachsen im Stillen und in der dunkeln Erde; gieb ihm Wasser, gieb ihm auch Sonne und Schatten je nachdem er es bedarf; laß Dir Zeit, und es wird daraus der schönste Baum der Welt werden Der Sohn that nach des Vaters Gebot, ließ sich keine Mühe,[178] keine Zeit, keine Geduld verdrießen, und siehe! allendlich kam der Keim glänzend grün über der schwarzen Erde zum Vorschein, wuchs, trieb Blätter, ward ein Stämmchen, ein Stamm, ein Baum, immer ganz langsam und allmälig – und zuletzt .... der schönste Baum der Welt, der Orangenbaum! Wie freute sich der Sohn über diese Herrlichkeit! Laub, Blüten, Früchte – Alles war unvergleichlich! Schatten, Duft und Erquickung strömten in Fülle auf ihn nieder, und alle Tage seines Lebens dankte er dem Vater für dies segensreiche Geschenk und bat ihn es vererben zu dürfen auf Kind und Kindeskind; und der gute Vater Gärtner entgegnete freundlich: Dazu habe ich Dir eben den Baum geschenkt. – Für seinen jüngern Sohn hatte er desgleichen einen Kern in die Erde gesteckt; er gab ihm dieselben Lehren und Rathschläge und dieselben Verheißungen, aber dieser Sohn befolgte sie nicht! Wie? sprach er zu sich selbst, der ganze herrliche Baum soll in dem Kern stecken? wie ist das möglich? wie kann das zugehen? ich muß sehen wie das zugeht! – Um das Werden zu belauschen kratzte er sorgsam die Erde ab und beobachtete den Kern. Natürlich sah er nichts. Das langweilte den Knaben. Man muß ihm helfen! sprach er, begoß ihn übermäßig,[179] stellte den Blumentopf in die Sonne, dann auf den Heerd, grub auch die Erde um – kurz, er that alles Mögliche unnütze und nur nicht das Eine: er gönnte dem Kern nicht in der Stille und Dunkelheit zu keimen und Wurzeln zu schlagen. Was ist denn das? sprach unwillig der Knabe; so viel Mühe habe ich mir gegeben und es kommt und kommt nichts zum Vorschein! das muß kein ächter Kern sein! Er kratzte ihn heraus, betrachtete ihn rundum, stach mit einem spitzen Messerchen hinein, schälte die Oberhaut ab, und steckte ihn zuletzt unwillig wieder in die Erde. Aber all diese Experimente hatten den Kern getödtet. Er war saftlos und kraftlos zusammengeschrumpft. Der Knabe aber stand neben dem Blumentopf in dessen fetter guter Erde die Regenwürmer treflich gediehen, und klagte und zürnte daß sein Vater, der gute Gärtner, ihm einen tauben Kern gegeben habe, was doch eine himmelschreiende Ungerechtigkeit sei.«

»Ah! schrie ich, mein Vater, das ist allzu gräßlich, denn es ist ganz wahr: in der guten Erde meiner Natur gedeihen Würmer! der Kern, aus dem der schönste Baum der Welt hervorgehen sollte, ist verschrumpft. Kann er nie mehr grünen?«

Ich warf mich vor ihm nieder und legte den[180] Kopf auf seine Knie, während er sanft meine Stirn berührte und eben so sanft sagte:

»Hofnung läßt nicht zu Schanden werden! Bete, meine Tochter! Es ist viel Gutes in Dir; ein großer Durst nach Wahrheit und ein mächtiges Ringen; nur ist es zu himmelstürmerisch, zu sehr äußere Mittel verwendend. Denk' an den Kern des Orangenbaums, gönne ihm Stille, Schatten und Sammlung. Durch sie mußt Du den Mangel einer innerlich religiösen Erziehung zu ersetzen suchen; sie hat Deiner Kindheit und Jugend gefehlt. Die Lücke die dadurch in der Seele entsteht, kann in spätern Jahren nur durch gewaltige und meistens zerreißende Umwälzungen gefüllt werden.«

Ich sah das ein; aber auch, daß diese Einsicht mich um nichts förderte. Ich sollte beten, ich sollte in frommer Stille harren; – – ja, hätte ich das gekonnt, so wäre mir freilich geholfen gewesen. Ich sagte meinem Onkel was ich früher zu Fidelis gesagt hatte:

»Meine Seele ist auf die Frage gestellt. Der fragende Ton ist der unsrer Zeit. Es wird Alles zur Frage gemacht: Gott in seinem Himmel, die Macht auf ihren Thronen, die menschlichen Zustände in ihren Höhen und Tiefen – Glaube, Geschichte und Tradition. Aber so verwegen man[181] fragen, so geschickt und spitzfindig man antworten möge, welche subtile Erklärung oder stupide Negirung von Kanzel und Katheder erschallen mögen, wie man sich aufblase in dem Bewußtsein durch den Geist al pari mit Gott zu stehen und durch die Vernunft das Schöpfungswort der Welt, die Grundursach der Dinge erfaßt zu haben – dennoch, mein Vater, dennoch geht eine Geisterstimme über den majestätischen Wust unsrer Weltweisheit dahin und fragt ebenso heimlich als vernehmlich: Warum? Weshalb? Wohin? – Aber die Zwillingsstimme welche ihr sonst antwortete: Glaube, hoffe, liebe! ist übertäubt und verstummt durch die Lehren der Weltweisheit, welche doch für jene Fragen keine genügende Antwort haben. Und so hallt wie ein Klageruf voll unendlichem Weh jene Geisterstimme fort und fort, und unsre Hymnen an das Licht und an die Freiheit gellen unter ihr dahin. O mein Vater! die Erde war immer dunkel; – aber da wo an unserm Gesichtskreis der Himmel sie zu berühren scheint, schwebte sonst ein Genius im silbernen Gewande, mit goldnen Flügeln, mit einer Sonnenglorie ums Haupt, und bei seinen leisen Schwingungen quoll solch ein Strom von Glanz herab, daß die Erde davon verklärt wurde. Der Glaube war's. Nun heißt's ein[182] Popanz sei es gewesen und Eure Priester hätten ihn aufgestellt. Das ist nicht wahr! was sie Popanz nennen ist nur ein Spiegelbild der höchsten und allmächtigsten Sehnsucht in jeder Menschenbrust, und haben Eure Priester verstanden diesen Wiederschein in eine himmlische Form zu gestalten: so waren sie es werth Führer und Lehrer langer Generationen zu sein.«

»Wenn Du jezt dies Vertrauen zu unsrer heiligen Kirche hast, warum trittst Du nicht in ihre Gemeinschaft? – Welche Befriedigung kannst Du in der Deinen finden?«

»O nicht die geringste, mein Vater! der Protestantismus ist in meinen Augen keine Kirche, sondern das reflectirende, opponirende, kritisirende Element, welches scharfe Wache neben der Katholischen Kirche hält. Deren immanente religiöse Lebenskraft fehlt ihm gänzlich. Er lebt von der ewig regen und thätigen Verstandesrichtung im Menschen, und wird in dieser immer fortbestehen. Eine Kirche auf ein unantastbares durch fast zwei Jahrtausende unbewegtes Dogma gegründet, bildet er nicht! höchstens Kapellen stiften seine zahllosen Secten! die Einheit fehlt ihm, dies Symbol der Göttlichkeit! das Gehirn des Menschen ist seine Basis; die der Katholischen Kirche ist das Herz. Aber ich,[183] mein Vater, im Protestantismus geboren, in einer protestirenden Zeit zum Bewußtsein gekommen, ich habe eben nur die Fähigkeiten zu denen er den Impuls giebt: ich begreife Eure Kirche, ich knie vor ihr – allein .... ich glaube nicht an sie.«

Damit war Alles gesagt und mein Uebertritt unmöglich. Das sah mein Onkel auch klar ein. Er beklagte mich aufrichtig, doch ohne die geringste Beimischung von Verachtung oder Selbstüberhebung. Er hielt sich mir gegenüber als Katholik keinesweges für besser; nur für glücklicher. Und so betrachtete ich ihn auch, aber so veredelt durch inneres Glück, als ich verfinstert war durch innere Desolationen und Zwiespältigkeiten. Meine theologischen Studien setzte ich fort so lange ich in Würzburg war. Es fehlte nicht viel so hätte ich mich auf die orientalischen Sprachen geworfen, auf hebräisch namentlich um das Alte Testament in seiner wahren Sprache zu lesen, denn ich kannte genug fremde Sprachen und ihre Uebersetzungen um zu wissen, daß diese sich zu jener verhalten, wie eine Lithographie zu einem Oelgemälde.

Aber der Tod meines theuern Onkels gab meinem äußern Leben eine andre Richtung. In den ersten schönen Frühlingstagen entschlummerte er am geöfneten Fenster sitzend, durch welches Maiengrün,[184] Blütenduft, Vogelsang und der Gold- und Rosenglanz des Abendhimmels ihn überströmten. Die Kinder wollten sich eben zurückziehen und küßten ihm die Hand zur Guten Nacht. Wie immer segnete er sie zärtlich, lehnte sich zurück, schloß lächelnd die Augen – und war nicht mehr. Sein Antlitz schwamm in der Verklärung zu der seine Seele aufstieg. Ich erkannte sogleich daß er todt war. So himmlisch sieht das Leben nicht aus.

»Er ist bei Gott! – Auf Eure Knie, Kinder!« sagte ich, kniete mit ihnen nieder, und ein Strom von schwarzer Traurigkeit, nicht um den Tod, sondern um das Leben, wälzte sich schwer durch meine Seele. – – –

Am Vorabend meiner Abreise nach der Schweiz ging ich in den Dom zu der bewußten Stelle, und auf ihr vergaß ich für ein Paar Augenblicke die schauerliche Vereinsamung meines Daseins. Mich überfiel eine Sehnsucht ohne Gleichen nach Fidelis – nicht ihn zu sehen, ach! nur von ihm zu wissen. In solchen Momenten war mir zu Sinn als entdecke ich in mir ein ungeahntes Gestirn, in welchem ich die Bedeutung fand: Du hast Fidelis nicht geliebt, aber Du hättest ihn lieben können unter einem schöneren Schicksalshimmel! – Und[185] die bloße Ahnung von lieben können, war mir schon eine halbe Beseligung.

Bei meiner Heimkehr lag ein Brief von seiner wolbekannten Hand auf meinem Tisch, der nach Engelau adressirt und von dort hieher geschickt war. Nach drei vollen Jahren das erste Lebenszeichen von ihm! – also lebte er doch wenigstens noch! Die erste Empfindung war freudig; die nächste – namenlose Angst. Was konnte, was würde er mir sagen. Es zog sich eine furchtbare Schwüle um mich zusammen; ich ahnte einen niederschmetternden Wetterstral. War's Furcht, war's Demuth? genug, mein Instinct warf mich zu Boden und auf meinen Knien erbrach ich den verhängnißvollen Brief.

»Sibylle! Alles leiden, aber frei sein – war der Traum und der Wunsch meiner Jugend. Ich litt und war nicht frei. Die eine, die fürchterliche, die verzehrende Leidenschaft meines Lebens machte all meine Freiheit zunicht, und hat weder meinem Genius, noch meinem Herzen, noch meinem Character ihre volle Entwickelung gegönnt, wenn sie ihnen auch zuweilen Flügel gegeben hat. Es ist umsonst die Vergangenheit zu durchwühlen und zu sagen: Dies hättest du als Jüngling – jenes als Mann thun oder nicht thun sollen. Es ist gethan. Erkenntniß reift durch die That als[186] bittre Frucht heran. Ich kann innerlich nicht frei sein, so mag ich es auch äußerlich nicht sein – denn ein Magnet, der stärker ist als Vernunft und Wille zieht mich in der Freiheit allewig an – – und zu Ihnen. Ich widerstehe ein Jahr, ein Paar Jahr .... länger nicht. Wozu das aber? Sie lieben mich nicht; Sie werden höchstens einmal wünschen mich wiederzusehen um mir ein Wort des Trostes zu sagen – oder der Vergebung, oder des Mitleids – lauter Dinge vor denen ich zurückschaudere, weil sie mich so fürchterlich an meine Schwäche mahnen. Mich in der Welt herum zu schleppen mit diesem Dorn in der Seele wie bisher, vermag ich länger nicht. Das Gebet meiner armen Mutter wird im vollsten Umfang Erhörung finden: ich bin auf dem Punkt das Ordenskleid der Benedictiner zu Kloster Lilienfeld zu nehmen. Meine Mutter lebt noch immer – nur um zu beten. Mein Entschluß hat sie beseligt und ich denke sie wird nun bald ihre irdische Laufbahn vollendet haben. Leben Sie wol, Sibylle! sollten Sie meiner gedenken, so sei es in Milde. Hätte ich mich meinen Jugendträumen zufolge, die in tiefer Uebereinstimmung mit meinen natürlichen Gaben waren, einzig der Kunst gewidmet, so mögte Großes aus mir geworden[187] sein statt des jetzigen Stückwerks. Der Mensch entwickelt sich durch und um die Idee, die seiner Individualität zum Grunde liegt; bleibt er derselben treu, so hat er Freiheit, Macht, Muth, Energie, Alles was dazu dienen kann sie hervorzutreiben und auszubilden. Sie begehrt, braucht und verzehrt das Alles, und entfaltet sich dann zur höchsten Kraft und Schönheit in ihm, weil sie sich von den reinsten und besten Elementen seines Wesens nährt. Wird er aber seiner Idee untreu: so wird er schwach, abhängig von Zufälligkeiten, zwiespältig mit sich selbst; – und das ist mir geschehen. Aus Bruchstücken kann nichts Ganzes mehr werden! sie müssen bei Seite gebracht werden – und das thue ich mit mir selbst. Verzeihen Sie mir diese lange Auseinandersetzung, ich hielt sie für nöthig damit Ihre rastlosen Gedanken über mich zur Ruhe kommen könnten. Sibylle .... Gott segne Sie.«

Ich stand auf nachdem ich diesen Brief gelesen und sagte gelassen und ganz laut: Ja ja! der Mensch wird fertig mit seinen Qualen und seinen Wonnen! und was nach dem Zersetzungsproceß seines Wesens durch die Leidenschaft noch übrig bleibt, das wird in Sicherheit gebracht – bald bei der Gottseligkeit, bald bei der praktischen Thätigkeit;[188] im Kloster oder in der Welt! Es findet immer sein Plätzchen – und nur ich! nur ich ... finde keines.

Es schien mir eine Art von Unrecht gegen mich, daß Fidelis kampfesmüde gegen die Sehnsuchtsqual, sich hinter jene Mauern zurückzog, die ihn in stillem Bann hielten. Mit ächtprotestantischem Hochmuth sah ich eine Feigheit darin sich zu einer äußerlichen Scheidewand zu flüchten. Konnt' er sich nicht verlassen auf Gott und auf die eigne Kraft? Haha! auf die eigene Kraft! rief ich mit bitterm Lachen nach einer Pause. Armer Fidelis! vielleicht hat er sich aus Demuth und Weisheit in sein Ordenskleid gehüllt! – –

Unter den zahlreichen schlaflosen Nächten meines Lebens war dies eine der finstersten. Am andern Morgen fuhr ich mit den Kindern den Main entlang nach Frankfurt und dann weiter über Basel und Bern nach Freiburg, wohin ich für die Superiorin der Damen vom Sacré Coeur Empfehlungsbriefe hatte. Astralis war jezt grade neun Jahr alt. Es wurde mir sehr schwer mich von dem lieblichen Kinde zu trennen, aber Arabellas Wunsch bestimmte mich: sie sollte in ihrer Kirche erzogen werden, d.h. sie sollte sich nicht dermaleinst in der Welt zur Katholischen Kirche halten und[189] bekennen, sondern vielmehr schon jezt in der Kindheit jene religiöse Erziehung empfangen, welche den Menschen befähigt eine organische Pflanze auf dem Erdboden seiner Kirche zu werden. Nachdem ich Astralis jener Erziehungsanstalt übergeben, und um ihre neuen Verhältnisse kennen zu lernen einige Wochen in Freiburg zugebracht hatte, ging ich mit Benvenuta an den Leman um mir dort irgendwo ein Plätzchen zu suchen wo ich Hütten bauen könnte.

Das war aber unsäglich schwer wegen der verschiedenen Rücksichten welche zu beobachten waren. Pestalozzis großer Name hat der Schweiz eine pädagogische Berühmtheit verliehen, und bedeutende Institute zu Genf, Lausanne und Yverdun rechtfertigen sie. Ich wünschte mich in einer kleinen Villa bei Genf oder Lausanne niederzulassen und rechnete darauf alle Lehrer zu finden, welche Benvenuta nöthig hatte. Ich hatte mich in Bern, im Oberland und in den Ur-Kantons sechs Wochen – dann wieder in Freiburg aufgehalten; so kamen wir Anfang August aus der schönen frischen Berg- und Wiesenluft in die erstickende Hitze von Genf. Kein Landhaus, nicht einmal das einfachste Gartenhaus war für uns zu finden – Alles von Einheimischen und Fremden überfüllt. Wir wohnten im Hôtel des Bergues das eine wunderschöne[190] Aussicht auf den See hat; aber Benvenuta, ungewohnt des städtischen Treibens, des Gasthofs, der beschränkten Räumlichkeit, vielleicht hauptsächlich ihrer eigenen Einsamkeit in der Fremde, bat mich schüchtern aber mit heißen Thränen die Stadt zu verlassen, und am nördlichen Ufer des Sees nach einem Landhause zu suchen. Dort fand ich nun wol einige die mir sehr zugesagt hätten, aber zu fern von Lausanne und Genf um mir Lehrer verschaffen zu können. Am nördlichen Ufer war es übrigens noch heißer! von dem Rebgelände des Jorat prallten die Sonnenstralen auf das Ufer herab und reverberirten mit scharfer Blendung aus dem See. Der Aufenthalt in den kleinen Städten – so lieblich ihre Lage – und in deren Gasthöfen – so groß ihre Bequemlichkeit war – wurde mir und meiner Tochter ganz unerträglich. Mein Herzkrampf regte sich wieder – und halbtodt vor Ermattung und Anstrengung fiel ich förmlich in der kleinen kühlen Villa paisible, eine Stunde von Vevay nieder, welche durch ein glückliches Ungefähr zu miethen war. Vor der Hand mußte ich durchaus Ruhe und Erfrischung haben. Ich richtete mich ein und fühlte mich während der ersten drei Tage ganz behaglich – aber da erkannte ich, daß diese einsame Existenz wol für mich, doch nicht[191] für meine Tochter zu ertragen sei. Zum ersten Mal war sie ganz allein mit mir. Mezzoni war von Würzburg nach Italien, die Schütz nach Holstein zurückgegangen; Astralis in Freiburg geblieben! mit tiefer Anhänglichkeit umfaßte Benvenuta Lehrer und Gespielin – und urplötzlich fand sie sich von ihnen Allen getrennt und einsam bei ihrer melancholischen Mutter! – Sie gab sich unendlich viel Mühe ihre Traurigkeit zu bemeistern, und ich gab mir noch größere Mühe sie zu zerstreuen; ich übte sie nach der Natur zu zeichnen, übertrug ihr kleine häusliche Geschäfte und die Aufsicht über den Garten; überwand mich sogar genug um Musik mit ihr zu treiben – Musik die ich gänzlich verlassen hatte seitdem Fidelis abgereist war! – allein ich konnte weder ihren Tag noch ihr Herz genügend füllen. Sie war in dem Alter wo das Gefühl leicht eine krankhafte Färbung annimmt weil die Nerven in gereizter Spannung sind; – sie wurde im November vierzehn Jahr. Sie durchweinte halbe Nächte und härmte sich dermaßen ab, daß ich sie oftmals mit Thränen bat mir zu sagen was ihr fehle und was sie wünsche – es solle Alles geschehen. Da wünschte sie denn bald nach Engelau heimzukehren, bald ein Paar Lachtauben, bald einen Besuch von Astralis, bald eine Fahrt[192] nach Chamouny; häufig auch gar nichts. Armes Kind! sie wußte eben nicht was sie wünschen sollte. Ich hatte sie von je her mit Sorglichkeit und Liebkosungen überstürzt. Ich wollte durchaus sie sollte glücklich sein und nicht meine freudenlose ernsthafte Kindheit haben. Allein ich verweichlichte sie anstatt sie glücklich zu machen. Dazu kam noch ein großer Uebelstand: ich hatte eine namenlose Scheu sie in meine Seele blicken zu lassen, die von so manchem Erdbeben verwüstet war. Kinder jedoch sehen klar und scharf! und so strengte ich mich übermäßig an im Gespräch mit ihr stets auf meiner Hut zu sein um keine Bemerkung zu machen, die ihre junge reizbare Seele in Unruh hätte versetzen können. Das veranlaßte mich häufig meine Ueberzeugung nicht unumwunden auszusprechen, und dadurch verfiel ich oft in Widersprüche. Denn da ich meine wahre Meinung nicht gesagt hatte, so konnt' ich mich nicht immer besinnen ob ich sie halb oder dreiviertel – mit himmelblauer oder rosenfarbener Färbung ausgesprochen. Das befremdete und verstimmte das Kind – und mit Recht! aber ich konnt' es nicht ändern, weil ich mich selbst nicht ändern konnte.

Hätte Benvenuta die geringste Vorliebe für die katholische Kirche an den Tag gelegt: so würde[193] ich sie mit Astralis zusammen dem Institut zum Sacré Coeur anvertraut haben. Ich fragte sie darüber und mit kindlicher Pietät entgegnete sie: sie wünsche bei der Kirche ihrer Eltern und ihrer Heimat zu bleiben. Was diesen Punkt betraf durfte ich, meiner Ueberzeugung zufolge, mir keine Einmischung erlauben. Bei Fidelis hatte ich so recht gesehen wie ein heftiges Eingreifen der Eltern, sogar in der allerbesten Absicht, die Kinder in beängstigende Unruh und oft für ihr ganzes Leben in eine unheilvolle Richtung schleudert. Aber ich erkannte daß Benvenuta an meiner Seite, unter diesen Umständen, Eindrücke empfangen müsse, die ihr ebensowenig segensvoll sein könnten als für mich die lange Krankheit meiner Mutter gewesen war, und ich entschloß mich sie in eine Erziehungsanstalt in Ouchy bei Lausanne zu geben. Diese war nicht groß, nahm nie mehr als zwölf junge Mädchen auf, war auf einen höchst einfachen, häuslichen Fuß eingerichtet, lag inmitten eines herrlichen Gartens am See, und er füllte durch sorgsame Aufsicht und vortrefliche Lehrer meine Ansprüche. Benvenuta fand dort fröhliche Gefährtinnen; nicht nur Beschäftigung, sondern, durch Wetteifer belebt, auch Interesse für dieselbe; und endlich in der Einfachheit des Zuschnitts des Lebens eine höchst nothwendige[194] Schranke gegen übermäßige Verwöhnung, in die sie als einziges Kind und als Erbtochter eines reichen Hauses verfallen war.

Es kostete mich einen harten Kampf diesen Entschluß festzuhalten. Mir graute vor der grenzenlosen Einsamkeit die mich nach Benvenutas Abreise umgeben würde. Ich sagte mir, ich könne ja in der Villa paisible so gut wie in Engelau Gouvernante, Hofmeister, Lehrer für sie halten – diese Lieferanten des Bildungsproviants. Aber die Gespielen, die jugendlichen Gefährten bei Unterricht und Erholung konnte ich ihr nicht schaffen, und das bestimmte mich vorzugsweise. Zum neuen Jahr brachte ich sie nach Ouchy, und hatte die Freude, daß sie sich leicht in ihren fremden Umgebungen zurechtfand. Die Villa paisible war für das junge Wesen zu abgeschieden gewesen! Ich aber kehrte beruhigt dahin zurück und sah mich mit einem halb beklemmenden und halb wolthuenden Gefühl in gänzlicher Einsamkeit. – – – – – –

Ich hatte wieder einen Gegenstand gefunden, von dem ich Beschäftigung und Nahrung für meinen ewigarbeitenden Geist hofte. Im Canton Waadt herrscht die Calvinische Kirche, die sich an manchen Orten zu äußerst streng religiösen Secten, deren Anhänger dort Methodisten und Momiers genannt[195] werden, zugespitzt hat. Sie ziehen sich ganz von der Welt zurück, verschmähen nicht nur die geselligen Zerstreuungen dermaßen, daß Bälle und Schauspiele ihnen sündhaft erscheinen, sondern meiden auch geistige Unterhaltung, Musik, Lectüre, sobald sie nicht religiösen Inhalts sind und sich um Christus, um Gnade, Rechtfertigung, Erlösung und Genugthuung bewegen. Sie lesen nur derartige Andachtsbücher und hauptsächlich die Bibel, kommen nur mit Gleichgesinnten zusammen, und unterhalten sich in ihren Vereinigungen nur durch geistliche Gespräche, Bibelerklärung, Lesen von frommen und ascetischen Schriften – zuweilen mit einem geistlichen Gesang. Uebrigens sind es stille Leute, nicht besser und nicht schlechter als Andre, und etwas langweiliger und dafür weniger frivol. Am ganzen Leman, in Genf, Lausanne, Vevay, Montreux sind sie sehr zahlreich in allen Ständen und Classen, und ich war in der höchsten Spannung Menschen kennen zu lernen, die ihr Leben um einen einzigen Gedanken, das Sterben Christi, aufgebaut hatten. Es wurde mir auch möglich durch einen Arzt aus Montreux, den ich durch eine Krankheit meines Kammerdieners kennen lernte, mit ihnen bekannt zu werden, denn dieser Mann und seine ganze Familie war ganz methodistisch. Ich fand bei[196] ihnen die Lehrsätze mit einer Schärfe und Strenge ausgeprägt und festgehalten wie nur immer in der Katholischen Kirche – aber nach meiner Ansicht ohne die Consequenz der letzteren.

»Was hält denn Eure Dogmen aufrecht, was giebt ihnen Basis und Krone, da Euch die Autorität der Kirche und die Gemeinschaft des Glaubens fehlt?« fragte ich zuweilen; und erhielt immer die Antwort:

»Das Wort Gottes, die heilige Schrift, ist unsre Autorität. Was sie sagt und gebietet, nehmen wir an, was sie nicht sagt – verwerfen wir.«

»Aber kein Mensch wird geboren mit der Kenntniß der heiligen Schrift; sie muß ihm gedeutet und erklärt werden. Wer erklärt sie Euch?«

»Die lautre Milch des Wortes gewährt auch dem unmündigsten Geist eine leicht verdauliche Nahrung. Wir haben die Verheißung des Herrn: »Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter Euch.« Wir getrösten uns derselben und wissen, daß beschirmt vom heiligen Geist die Wahrheit wächst und gedeiht.«

»Eure eigene Autorität ist also Eure letzte Instanz?«

»Unsre Lehre ist es in Uebereinstimmung mit der[197] heiligen Schrift, wie sie uns von unsern Lehrern und Geistlichen überliefert wird.«

»Also haben Eure Lehrer doch für Euch die Autorität der Unfehlbarkeit! aber letztere ist gegen das Princip der Reformation, welche die Unfehlbarkeit antastete und verwarf.«

»Und eben deshalb besitzt ein Jeglicher in der heiligen Schrift die Leuchte, welche seinen Fuß auf den Weg des Friedens führt.«

»Also dennoch wie ich sagte in letzter Instanz Eure eigene Autorität, wie sie sich aus den Bedürfnissen und der Auffassung des Individuums herausbildet! rief ich. Mein Gott! ist die ein Anker für die unruhige schwankende Menschenseele?«

»Wir sind fest im Glauben und ruhen in Gott.«

»Wol Euch! sagte ich; es ist eine glückliche Gabe sich über alle Widersprüche hinweg in den Schooß des Glaubens flüchten zu dürfen.«

»Sie wird auf dem Weg des Kreuzes gefunden – in der Schule des Leidens, nennt es die Welt! Drum segnen wir die Trübsale und damit sie jeden Stachel für uns verlieren, gedenken wir des herben Leidens und Sterbens des Heilands unaufhörlich. Durch den Gedanken daß er sie mit uns getheilt hat, wandelt sie sich in Wonne. Halleluja! meine Seele lobe den Herrn!«[198]

Die Person mit der ich dies Gespräch und zahllose ähnliche hatte, war die Schwester des Arztes, eine Frau in meinem Alter, Wittwe und Mutter von sieben Kindern. Ihr Mann, ein wolhabender Kaufmann in Genf, hatte sich ums Leben gebracht in einem jener spleenitischen Anfälle, welche nicht selten durch religiöse Schwärmerei veranlaßt werden. Die Gegner der Methodisten behaupteten, er, ein Mensch voll Lebenslust und Kraft, geistvoll, mittheilend, regsam, habe nicht gewußt wohin mit all den Gaben, die nicht zum Vorschein kommen und nicht in ihrer homogenen Richtung verbraucht werden durften. Er verkümmerte bei den Predigten und Bibelerklärungen seiner Frau. Die graue Atmosphäre frömmelnder Andacht beklemmte zuerst und lähmte zuletzt seine Fähigkeiten; und als sein Geist ganz paralysirt war – gab er sich den Tod. Anders sprach seine Wittwe und deren Familie:

»Ihn drückten die Sünden und Uebertretungen seiner Jugend, denn ihm fehlte der Glaube an die Versöhnung und Genugthuung durch das theure Blut des Heilands. Wer schwach im Glauben ist welkt dahin wie eine Blume des Feldes.«

Diese gelassene Ergebung bei einem solchen Donnerschlag des Schicksals, der zugleich den äußern[199] Wolstand zertrümmerte, imponirte meiner Vernunft ohne mein Herz zu erquicken. Ich sah keine Thräne, hörte keine Klage, fühlte keinen Pulsschlag; halb erstarrt, halb gleichgültig ward ich neben diesen vom Stoicismus ihres Glaubens umpanzerten Seelen. Weicher, lieblicher, tröstender schien mir der Quietismus der Katholischen Kirche; es wehte in ihm ein wärmerer Hauch: die Liebe zum Heiland. Thomas a Kempis, die Guyon, Fénélon, haben zuweilen Worte wie Balsam so lind und labend, Worte in denen sie gleichsam durch Thränen lächeln und der Melancholie einen Anflug von rührender Grazie geben. Das Wort Fénélons auf die Frage: »Was würdest du thun wenn du nichts von Gott wüßtest?« – J'aimerais! – ist die bezeichnende Quintessenz dieser Richtung. Der protestantische Pietismus mit seinen Bibelstudien, Traktaten-Lectüre und reflectirenden Betrachtungen über Tod und Genugthuung des Heilands, hatte für mich einen dürren und herben Beischmack, als hätten sich seine Anhänger zur Frömmigkeit resignirt, anstatt daß dieselbe aus ihren Seelen quellen müßte. Es war keine Frische, kein Duft, keine Anmuth um sie; zuweilen etwas Respectables, in einzelnen Fällen etwas Imponirendes, häufig eine abstoßende Trockenheit und Kälte welche mit ihren salbungsvollen[200] Worten verglichen, letzteren den Anstrich von Heuchelei gaben.

Wie oft, wenn ich meinem verstorbenen Onkel zuhörte, hatte ich mit heißer Sehnsucht gesagt: O welche Erquickung mit diesem liebenden Schwung glauben zu können. – Aber den zuversichtlichen Glauben meiner neuen Freunde zu theilen hatte ich nie! nie gewünscht! Ich fühlte mein Herz würde durch ihn noch mehr brach gelegt werden, als es in meinem gegen wärtigen Zustand der Fall war. Unsre Freundschaft war auch nicht von Dauer; sie warfen mir philosophische und freigeisterische Ansichten vor, wogegen ich mich nicht vertheidigen konnte; – und ich ihnen Intoleranz und Inconsequenz, bei denen sie im Recht zu sein behaupteten. Ich sagte ihnen:

»Im Katholicismus setzt die Kirche – die gemeinsame Einheit im Glauben – eine unantastbare Schranke, vor welcher der Menschengeist sich beugen, oder sich daran brechen, oder sie überfliegen und dann von der Gemeinschaft abfallen muß. Im Protestantismus haben Individuen Schranken gesetzt nachdem sie selbst deren niedergerissen hatten. Ich sage nicht daß der geistige Horizont nicht beträchtlich dadurch erweitert sei; ich sage nur daß die Protestanten sich nicht wundern dürfen, wenn[201] im Namen dieser Geisteserweiterung und Geistesbefreiung Schranken weggerissen werden, welche sie um ihren Glauben aufgebaut haben. Der Schatz der christlichen Lehren ist ein lauterer Quell. Die Katholische Kirche hat ihn mit einem feierlichen, grandiosen Tempel überwölbt und ihre Priester zu dessen Hütern bestellt. Die schöpfen das Wasser, spenden und vertheilen es nach gewissem Maß und Gesetz an die Dürstenden, und wachen über dessen Gebrauch. – Der Protestantismus fand den lautern Quell in der Bibel enthalten, er verwarf die Tradition und gab den Zutritt zu demselben Jedermann frei. Der Priesterstand ward fortan unnütz, denn Jeder durfte schöpfen und Jeder nach seinem eignen Bedarf – viel der Eine, der Andre wenig, Dieser mit einem schönen Krystallbecher, Der mit einem unsaubern Eimer, Jener mit einer reinen – und noch Einer mit einer schmutzigen Hand. Wer von ihnen darf jezt behaupten er schöpfe das richtige Maß und mit dem richtigen Gefäß? Keiner oder Jeder. Die Katholische Kirche ist consequent: ein Priesterstand, Autorität und Glaubenseinheit. Den Protestantismus vermag ich nicht Kirche zu nennen, denn er ist ohne Priesterstand, ohne Autorität, ohne Glaubenseinheit. Dennoch gilt er für eine Kirche und herrscht als solche, aber nur durch[202] Widersprüche und Inconsequenzen. Um sie zu vertheidigen wirft er sich auf Gelehrsamkeit; um sie zu betäuben auf Fanatismus; um sie aufzuheben auf Rationalismus; und fällt dadurch immer mehr auseinander, wie seine zahllosen Secten das beweisen, die sich in Ermangelung einer Kirche jede ihr eigenes Betstübchen zurecht machen.«

»Wol uns wenn unsre Seelen in ihren demüthigen schlichten Betstübchen die Ruhe und Zuversicht im Herrn finden, welche Denen stets fehlen werden die in prachtvollen Domen papistischen Greuel treiben, und Jenen die in der Welt dem rationalistischen Baal huldigen.«

»Ja! wol Euch wenn Ihr neben der Ruhe im Herrn auch Demuth für Eure Seelen fändet! aber Ihr seid von geistlicher Hoffahrt besessen, die bei dem separatistischen Wesen fast unvermeidlich ist, denn die Abtrennung von der Gemeinsamkeit ruft stets ein Sichbesserdünken hervor. Ihr nennt das begnadigt sein, auserwählt sein; aber das ist doch weiter nichts als eine Art von Selbst-Heiligsprechung.«

Man wollte mir das Gegentheil beweisen; vielleicht bewies man es mir auch – ich hab' es vergessen! Dies Alles war nicht das was ich brauchte. Das unbekannte Gut, welches ich in jeder dem[203] Menschen gegönnten Richtung gesucht hatte, in der Welt, in den Gefühlen, in der praktischen Thätigkeit, in der geistigen Ausbildung, und immer umsonst! – ich suchte es jezt im religiösen Glauben – und ebenso vergeblich; und es war doch das einzige was ich brauchen konnte.

»Ihnen ist bei uns nicht zu helfen! sprach meine Freundin. Ihre Phantasie wird durch den Katholischen Pomp gefangen, und Ihr Verstand huldigt dem Rationalismus. Diese zwei Elemente ersticken den wahren Glauben.«

Es halfen keine Discussionen mehr! ich konnte ihr nicht anschaulich machen, daß nicht der Katholische Pomp sondern die Katholische Einheit mich anzog; nicht, daß ich den Rationalismus als ein Attribut steriler, dürftiger Naturen betrachtete, welche sich im Uebersinnlichen dermaßen unheimisch fühlen, daß sie es sinnlich sich erklären müssen; und endlich nicht, daß es mir unmöglich sei mich einer religiösen Gemeinschaft hinzugeben, so lange ich entweder äußerlich mit ihrer Form – oder innerlich mit ihrem Princip und mit meiner Anschauungsweise in Conflict gerathen könne.

So war mir der einsame Winter in der Villa paisible vergangen; fast täglich ging ich nach Montreux, und jeden Sonntag fuhr ich zu Benvenuta[204] nach Ouchy. Lectüre und Spaziergänge füllten meine übrigen Stunden. Im Junius mußte ich sie aber den Besitzern räumen. Ich besuchte Astralis in Freiburg, und hatte die herzliche Freude sie ebenso zufrieden, und geistig und körperlich in gesunden Elementen gedeihend zu finden, als Benvenuta. Beide waren kräftiger, munterer, frischer als bei mir. Otberts Behauptung fiel mir ein: jeder Mensch habe einen eigenen Lebensäther um seine Persönlichkeit, und dieser wirke entweder belebend oder vernichtend auf andre Persönlichkeiten. Der meine schien in der That verzehrender oder austrocknender Art zu sein. Es konnte Niemand so recht behaglich neben mir bestehen noch gedeihen.

Ich ging nach dem Berner Oberland um mir dort ein stilles Plätzchen zu suchen. Das ist schwer genug. Allüberall wimmelt es von Reisenden. Grindelwald schien mir am meisten von dieser Stille zu bieten. Der weite Kessel am Fuß des Wetterhorns von dem die Lavinen donnernd herabstürzen – die grünen Matten der Abhänge auf denen zahlreiche Heerden weiden – der nackte Fels der höheren Bergwände und der ewige Schnee ihrer Häupter – unten die blumigen duftenden Wiesen mit einzelnen Bauerhäusern, Sennhütten und Gehöften, mit Gärten und Obstbäumen übersäet – machen[205] das Thal von Grindelwald vielleicht nicht so malerisch und reich als das von Interlachen, Lauterbrunn und Meyringen; aber sie geben ihm den Character eines einfachen Hirtenlandes, der mich wolthuend ansprach. An Reisenden fehlt es freilich auch dort nicht! die beiden Gletscher, welche ihre Eisblöcke von den Bergen herab und auf den lachenden Teppich der Wiesen schieben, sind Merkwürdigkeiten welche die Touristen locken, ohne sie jedoch zu längerem Aufenthalt zu veranlassen.

Am unteren Gletscher, der über dem Quell der Lütschine einen saphirfarbenen Betthimmel von Eis wölbt, lag ein Bauerhaus zwischen einem Nußbaum und einer Linde. Wer kennt sie nicht diese malerischen Hütten des Berner Oberlandes, ganz von Holz, mit flachem, breitem, weitschirmendem Dach, mit zierlich geschnitztem Altan rund ums obere Geschoß laufend, mit frommen Sprüchen am Gesims des unteren; ein Brunnen daneben und zwei Schuppen: der größere für die Kuh und die Ziegen, für die Bienen der kleinere. Aus schönen Bildern oder aus der schöneren Wirklichkeit kennt Jeder sie und jenes Haus glich ihnen vollkommen. Nur war es ganz frisch und neu, und nie bewohnt gewesen; denn eine Engländerin hatte es bauen und einrichten lassen zu ihrer Villeggiatura;[206] aber sie war im Frühling gestorben ohne es je gesehen zu haben, und ihre Erben wünschten dringend es zu verkaufen. Ich widerstand dieser Lockung nicht: für einen mäßigen Preis brachte ich das trauliche Hüttchen an mich, und mit unbeschreiblichem Wolbehagen nahm ich auf der Stelle davon Besitz. Es war so recht in meinem Sinn und nach meinem Geschmack in Harmonie mit Umgebung und Bestimmung eingerichtet: das untere Stockwerk für Dienstboten und wirthschaftliche Räume; das obere für einen einsamen Menschen – vielleicht für zwei, wenn sie genügsam waren und sich liebten – und Alles mit der größten Einfachheit und Sauberkeit, die Wände nach Schweizersitte getäfelt mit braunem polirten Nußbaumholz; von demselben Holz Tische und Schränke; Vorhänge und Meublebezüge von hellem buntgeblümten Zitz – ein wahres Ideal von Einfach heit! Schlaf- Wohn- und Eßzimmer nahm ich sogleich für mich in Besitz. Das vierte Zimmer bestimmte ich für Benvenuta, wenn sie in den Schulferien mich besuchen würde.

Wie immer ging es mir Anfangs wol, denn ich genoß mit vollen Zügen den Zauber der Hochgebirgsnatur – aber nicht wie auf der Reise, sondern in einer selbstgewählten Heimat. Das war[207] mir neu! eine Eigenthumsstätte hatte ich in fremden Landen nie gehabt. Es würde mir vorgekommen sein als nähme ich Besitz von einer neuen Welt im Kleinen, wenn ich die Frage hätte beschwichtigen können, welche sich vorwitzig aus meiner Selbstkenntniß mir entgegendrängte: Wie lange wird der Reiz währen? wann wird er abgestumpft sein? Das störte meinen Genuß. Uebrigens gab ich mich lediglich meinen Gedanken und den Einflüssen und Eindrücken der Natur hin. Ich hatte so viel gelesen und so wenig Befriedigung davon gehabt, daß Bücher mich angähnten; ich verdankte das meiner eingewurzelten Thorheit: statt in ihnen die relative Wahrheit zu suchen und mir aus derselben einen Nahrungsschatz für eigene Meditationen zu sammeln, hatte ich nach der absoluten in ihnen geforscht und sie muthlos fallen lassen, als ich dieselbe nicht fand, nicht finden konnte. Immer wußte ich hinterher sehr genau was ich hätte thun, was meiden sollen, und meine ganze Erkenntniß bestand darin, daß ich mit immer klarerem Blick die Summe meiner Irrthümer überschaute, ohne ein einziges versöhnendes Resultat erspähen zu können. Durstend wie Keiner hatte ich mich in das Leben geworfen um mich an dessen Bächen und Quellen, Meeren und Strömen satt zu trinken.[208] Durstend wie Keiner sah ich es um mich herum rinnen und verrinnen .... wie Wasser, das man mit der hohlen Hand schöpft und das zwischen den Fingern hindurchfließt, bevor es die lechzenden Lippen erfrischt hat. Aber wo gab es denn noch zu schöpfen? zu welchem Brunnen konnte ich noch pilgern? – Die Einsamkeit, die Natur, die Dürftigkeit der Verhältnisse die mich umgaben und mich zu wolwollender Theilnahme auffoderten – sollten sie meiner Seele ihr Genügen bereiten? – – – Die Einsamkeit ist gut und nothwendig für mächtige Naturen die zum Bewußtsein über sich selbst, über ihr Ziel und ihre Mittel kommen wollen und einer erhabenen Bestimmung entgegen gehen. Sie ist der Concentrirung aller Gedanken auf einen Gegenstand günstig, und ist dieser ein großer, ein würdiger, so kann sie die ganze Seele unauslöschlich für ihn in Flammen setzen, die dann ausbrechen, wenn sie genug Nahrung gesammelt haben und der staunenden Welt ein neues Licht zum Himmel hinauf oder über die Erde hinweg anzünden. Aber für uns dürftige Menschen, die wir unser Ich zum Hauptgegenstand unsrer Betrachtung machen, taugt die Einsamkeit nicht, eben weil sie die Gedanken so concentrirt; sie macht uns sehr leicht egoistisch, einseitig und fanatisch. Größe und Genie[209] sind Könige in der Einsamkeit, denn sie ist ihr ihnen angebornes Reich: sie sind immer einsam. Aber die Masse der Menschen zählt nur als Gattung etwas, weil ihre Individuen der intensiven Kraft entbehren, welche ein eigenthümliches Leben erzeugt. Sie müssen in Schaaren leben; für sie ist die Einsamkeit ein Kerker oder ein Grab.

Ich fiel sehr bald in derselben der schwärzesten Melancholie anheim. Dies ungestörte Leben in der Natur, ohne ein beseelendes Gefühl, ohne eine beherrschende Idee, ohne jene glückliche physische Organisation die von ihren Elementen mit Wonne zehrt – überwältigte mich mit namenloser Traurigkeit; denn ich fühlte mich außer Zusammenhang mit ihr: sie brauchte mich nicht – wie konnte ich mich an sie schmiegen? Kein einziges der Bande womit sie den Menschen umschlingt und ihn heimisch und nützlich macht auf der Erde und ihm in diesem Bewußtsein süßen Genuß gewährt – kein einziges hielt mir Farbe! Nicht von den Todten zu reden, deren Erinnerung mir längst wie Schatten in der grauen Dämmerung entschwebt war; – nur von den Lebenden: von dem Gatten, von der Tochter, von dem Freund – was war ich ihnen und was waren sie mir? Mit keinem Einzigen von ihnen hatte ich verstanden mich in[210] das rechte Gleichgewicht zu setzen. Dem Einen war ich nur gleichgültig, dem Andern nur schmerzlich, und meinem Kinde entbehrlich. Sie hatten Alle sich von mir trennen können, und wir Alle lebten fort – in Freuden die Einen, in Qualen die Andern; aber wir lebten. Auch wir Gequälten lebten äußerlich ruhig genug! Wir standen alle Morgen auf, versäumten am Tage nie für unseren Lebensunterhalt zu sorgen, und gingen jeden Abend schlafen. Mit der Pünktlichkeit einer Uhr rollte sich die animalische Existenz mit ihren Functionen ab: sie allein hatte Bestand. Aber die Liebe, die Kraft, die Andacht, die Treue, der Glaube – diese Genien welche dem Menschen die Lehmhütte seines materiellen Daseins zu einem Tempel ausschmücken und lichten, in welchem er sich selbst geadelt und einer höheren Bestimmung würdig erscheint: sie hatten sich in mein Leben nicht wie ewige Gestirne, sondern wie zerplatzende Seifenblasen herabgelassen, und ich fühlte mich in das Nichts zerfließen, weil sie ins Nichts zerflattert waren. Ich verging an der allgemeinen Vergänglichkeit.

Und das Ende von dem Allen – war der Tod! und er konnte kommen heut, morgen – und ich mußte fort, und hatte nicht gelebt! fort mit meiner[211] weiten leeren Seele, die sich in dieser Welt des Unbestandes von nichts hatte fesseln lassen, und die nun vielleicht durch Aeonen ihren unerquicklichen Lauf fortsetzen mußte um das zu finden was sie ersehnte. Aber ist denn überhaupt für eine leere Seele, ohne Glaube und ohne Liebe, die Unsterblichkeit bestimmt? hat sie sich durch ihre Leere nicht als unwürdig derselben erwiesen?

O wie beneidete ich Diejenigen, welche den Tod lieben als ihren Erlöser und Befreier von dem Folterbette des Daseins! .... und wie viel mehr jene Anderen, jene Begnadeten, welche das Leben lieben, weil sie sich ihm trotz verzehrender Wonnen und Schmerzen gewachsen fühlen! Ich konnte keins von Beiden! – – – – – – –

Gott, welche Nächte durchwachte ich in dem Thal von Grindelwald! Das waren nicht die üppigen von Sorrent, nicht die phantastischen von Venedig, die meiner Jugend angehörten und durch deren Hofnungen, Träume und Erwartungen gelichtet waren. O nein! ich war nicht mehr jung, ich hatte zu früh, zu viel, zu verzehrend, zu gewaltsam gelebt, um nicht vor der Zeit alt zu sein! Jezt war eine Nacht wirklich für mich Nacht, dunkel, kalt und kerkerhaft. Nicht ihre süßen Geheimnisse erzählten mir die Sterne, sondern meine eigenen[212] traurigen Gedanken, Fragen und Geschichten knüpften sich an sie. Nicht in großen Harmonien umrauschten mich die Naturstimmen, die Nachts so vernehmlich vom Gebirg herabkommen, auf den Wipfeln der Bäume und auf den Wellen des Flusses säuseln, und in die Ferne hinein hallen; – denn sie klangen mir wie eine lange, unendlich lange, ewig wiederholte Frage .... ohne Antwort! und das macht müde. Aber dennoch war mir die Nacht lieber als der Tag mit seinem angstvollen Menschengewimmel, das nach nichts Anderem als nach Zerstreuung und Vergessenheit ringt! der Arme: nach der Leibesnothdurft eines Bissen Brotes, der Reiche nach Befriedigung imaginärer Bedürftigkeit. Darum verschlief ich die Tage, und die Nächte – verträumt' ich.

Im Herbst besuchte mich Benvenuta, und vierzehn Tage lang unterhielt sie sich vortreflich bei mir. Sie hatte mir so viel zu erzählen, daß sie meistentheils die Kosten der Unterhaltung trug. Ueberdas gefiel ihr das ganz ländliche Leben das sie an ihr geliebtes Engelau erinnerte. Ich machte große Spaziergänge mit ihr, besuchte mit ihr die Hütten der Landleute, meiner Nachbarn, mit denen ich auf einem viel freundlicheren Fuß lebte als mit den Nachbarn von Engelau – nicht nur[213] weil ich im Stande war ihnen zuweilen Hülfe und Beistand zu leisten, sondern hauptsächlich weil ich sie besuchen durfte ohne weiße Handschuh anzuziehen. Indessen nach vierzehn Tagen waren wir wiederum Beide von der Anstrengung erschöpft uns gegenseitig dieselbe zu verhehlen, und ich brachte sie nach Ouchy zurück. Besorgt fragte sie mich ob ich wirklich dem Winter in meiner einsamen Cottage zwischen Schnee und Gletschern trotzen wolle. Ich war dazu entschlossen; meine Gesundheit hatte sich in der frischen Bergluft, bei der höchst einfachen Kost und Lebensart sehr gebessert; dazu waren mir meine vier Wände behaglich, die ganze häusliche Einrichtung bequem; weshalb sollte ich diese Vortheile aufgeben für die ich in Lausanne oder Genf kein Aequivalent fand, da Geselligkeit und Umgang mich langweilten und abstießen?

»Und wirst Du Dich nicht zu sehr langweilen, so ganz .... ganz allein? meine arme liebe Mama!« fragte Benvenuta, mich zärtlich umschlingend und mit den guten Augen ihres Vaters mich ansehend.

»Nein geliebtes Kind! entgegnete ich wehmüthig und durch die Wehmuth die Vorsicht vergessend: – wenn ich ganz allein bin langweile ich mich noch am wenigsten.«[214]

»Ach! da bin ich Dir wol auch langweilig!« rief sie betroffen.

»Du bist mein Kind: das zählt nicht als Gesellschaft!« erwiderte ich lachend.

Aber solche kleine bedenkliche Aeußerungen fielen auf beiden Seiten doch bisweilen, und darum war es gut wenn wir nicht lange beisammen blieben.

Im October fiel schon Schnee und ich machte mich zu meinem Winterschlaf zurecht. – Die große Schaar der Reisenden hatte sich längst im Oberland verlaufen; nur einige Nachzügler kamen noch zuweilen nach Grindelwald, wenn ein schöner Tag und ein tiefblauer Himmel das Gebirg und die Gletscher in ihrer Pracht zeigten.

Es war um die Mitte eines solchen Tages. Ich war lange umhergestreift und hatte hier und da nach mei ner Gewohnheit in einigen Hütten eingesprochen um zu sehen ob und wie sich das arme Volk zum Winter einrichten könne, wo so mancher Verdienst und Vortheil wegfällt, den der Sommer mit sich bringt. Ich kehrte heim. In einiger Entfernung hinter mir gingen zwei Männer, ein Reisender und sein Führer. Durch die klare stille Luft drangen ihre Worte zu mir als der erste fragte:

»Wer ist die Dame die vor uns geht?«

»'s ischt die guti Fru vom Grindelwald,« entgegnete[215] der Führer, dessen Stimme ich kannte, denn ich hatte mich seiner Schwestern angenommen, die hier lebten – zwei brave blutarme Weiber.

Da ich nicht zweifelte daß nun der gute Aloys eine lange mich betreffende lobende Geschichte erzählen würde – und da ich es nie habe ertragen können mein Lob zu hören: so blieb ich am Wege stehen und sagte:

»Grüß Gott, Aloys! Ihr habt einen stärkern Schritt als ich: da geht nur erst vorüber ehe Ihr weiter von mir sprecht.«

Aloys zog seine Kappe und entgegnete unverzagt:

»Nichts für ungut, Fru! der Herrgott thut's auch hören wenn man ihn lobpreist.«

»Wohin geht's, Aloys?« fragte ich abbrechend.

»Ins Gasthaus zuerst, denn wir kommen von Meyringen, und dann zu den Gletschern! morgen früh nach Lautérbrunn über die Wengernalp, und Abends nach Interlachen; – von da gen Bern.«

»Glückliche Reise!« sprach ich und winkte dem Reisenden an mir vorüber und weiter zu gehen, was er mit einem etwas verwunderten Gruß auch that. Aloys folgte ihm.

Einige Stunden später machte sich ein großer Auflauf beim unteren Gletscher und es verbreitete sich die Nachricht ein Paar Engländer wären in[216] einen Spalt hinabgestürzt. Allmälig berichtigte sie sich dahin, daß ein Fremder einen höchst gefährlichen Sturz gethan und schwer verwundet aber noch am Leben sei. Nach einiger Zeit brachte man den Reisenden von heute früh besinnungslos getragen, und Aloys stürzte voran und zu mir mit der Bitte ihn bei mir aufzunehmen. Ich hätte es ohnehin gethan. Mein Gastzimmer war schon bei der ersten Kunde in Bereitschaft gesetzt. Als die Leute ihn bei mir untergebracht sahen, entfernten sie sich mit der tiefen Zuversicht: nun würde er schon wieder gesund werden und es könne ihm keine Pflege fehlen. Mich rührte dies Vertrauen, weil es mir ihre wolwollende Gesinnung bewies; aber zerbrochene Glieder und ein zerschmetterter Kopf begehrten ärztliche Behandlung. Ich schickte reitende Boten nach Unterseen, nach Thun und Bern. Bis aus Bern ein berühmter Wundarzt kam, vergingen über vierundzwanzig Stunden. Die beiden Andern waren früher da, und es erwies sich zu meinem nicht geringen Entsetzen, daß das rechte Bein und der rechte Arm an der Schulter gebrochen sei. Die Verwundung am Kopf war ebenfalls höchst gefährlich. Es war ein junger, schöner, gesunder Mensch, der vielleicht sterben – vielleicht Zeitlebens ein Krüppel bleiben konnte.[217] Mich erbarmten die Seinen .... seine Mutter, die ihn in frischer Jugendblüte entlassen hatte und Gott weiß wie und wann wiederfinden mogte. Ich gab mir das Wort ihn wie einen Sohn zu pflegen.

Wie er hieß, wer und woher er war – davon hatte Niemand die leiseste Ahnung. Von Luzern war er mit Aloys über den Brünig ins Berner Oberland gekommen und seinen Koffer hatte er von dort nach Genf geschickt. In seinem kleinen Mantelsack befanden sich so wenig Sachen und Geld als man zu einer Fußreise braucht – übrigens weder Briefe, noch Paß, noch legitimirende Papiere. Aloys meinte er habe ein kleines Portefeuille in der Brusttasche seiner Blouse getragen und dasselbe vermuthlich bei seinem Sturz verloren. Mich beunruhigte dies nur in dem traurigen Fall seines Todes. Blieb er am Leben, so würde er sich mit der Zeit schon legitimiren.

Er blieb am Leben; aber es war qualvoll, der Leib gemartert, der Kopf fast immer besinnungslos; und traten lichte Augenblicke ein, so waren sie von so unerhörter Schwäche begleitet, daß Gedanken und Gedächtniß sich nicht sammeln konnten. Außer meiner Mutter hatte ich nie einen Menschen so heftig, so lange, so in jedem Nerv vom[218] Scheitel bis zur Sohle leiden sehen. Aber er hielt es aus! der Körper ist eine wunderbar kräftige Pflanze so lange sie in der Jugend wurzelt. Wir hatten Alle schwere Zeiten! er – durch Leiden; wir – durch leiden sehen und nicht helfen können. Unter wir verstehe ich Aloys, den ich zu seinem speciellen Dienst bei mir behielt, mich und meine Dienstboten. Ich befand mich vielleicht von ihnen Allen am wolsten: ich vergaß mich selbst, und meine Tage waren mit etwas Andrem gefüllt als mit meinem erbärmlichen Ich. Ich konnte noch nützlich sein, noch einem Menschen zu demjenigen helfen, was eine so köstliche Gabe sein kann, wenn man sie zu benutzen versteht: zum Leben! konnte für Eltern ein Kind retten, vielleicht ein Einziges, vielleicht den letzten Trost einer elenden Mutter.

So vergingen Wochen und Monate. Um Weihnachten trat endlich wahrhafte Besserung ein; die Lethargie wich, die Besinnung kehrte zurück, Fieber und Phantasieen hörten auf. In den qualvollen Schienen eingezwängt konnte er nur seinen linken Arm brauchen und bedurfte daher einer Menge kleiner Dienstleistungen. Sein erstes Wort an mich das er mit Bewußtsein und mit dem Ton innigster Dankbarkeit aussprach, war:

»O! die gute Frau vom Grindelwald!«[219]

Der fieberhafte Schleier war also endlich von seinen Blicken genommen. Jenes Wort des Aloys war nicht das letzte welches er gehört – aber das letzte welches Eindruck auf ihn gemacht hatte; seine Erinnerung war bei demselben stehen geblieben und kam mit ihm zur Besinnung.

»Gott sei Dank! Sie erkennen mich!« sagte ich froh. – Mit erleichtertem Herzen konnte ich nun daran denken zum Neujahrsfest, das in der Schweiz den Platz unsers Weihnachtsfestes einnimmt, die Kinder zu besuchen. Am Tage vor meiner Abreise kündigte ich dieselbe meinem Kranken an, und fragte ihn ob in Genf oder Bern keine Briefe ihn erwarteten, die ich ihm mitbringen oder zusenden könne. Auf dem Postamt in Genf müßten deren wol einige sein – meinte er.

»Dann muß ich um Ihren Namen bitten, sagte ich lächelnd, damit ich die richtigen fodern kann.«

»Nicht einmal meinen Namen wissen Sie! .... und wo ist denn mein Paß geblieben?«

»Da ich kein Thorwächter bin der nach Paß und Namen zu fragen hat, so habe ich mich bisher um Beides nicht gekümmert. Was ersteren betrift, so glaubt der Aloys Ihr kleines Portefeuille sei bei Ihrem Sturz verloren gegangen.«[220]

»Darin war mein Paß und ein Creditbrief an einen Banquier in Genf,« sagte er besorgt.

»Trösten Sie sich! entgegnete ich lächelnd. Ein Paß ist Ihnen vor der Hand ganz überflüssig da Sie Grindelwald nicht verlassen können; – und ich gebe Ihnen mehr Credit als Ihr Banquier in Genf! – Aber den Namen muß ich wegen der Briefe wissen.«

»Ich heiße Graf Wilderich Wildeshausen, sagte er, und auf einem Schloß dieses Namens in Ostfriesland lebt meine Mutter, der ich gern Nachricht von meinem Unfall zukommen ließe.«

»Ich will ihr schreiben und ihr die Wahrheit nicht verhehlen, aber auch die Gewißheit Ihrer Genesung ihr geben!« unterbrach ich ihn lebhaft.

Er nahm meine Hand, küßte sie und fragte:

»Sie verlassen mich nicht? Sie kommen wieder?«

»Gewiß, in vierzehn Tagen komme ich wieder, und Sie werden während meiner Abwesenheit keine Pflege entbehren.«

»Aber Ihre Gegenwart!«

»Allerdings! denn eine Doppelgängerin bin ich nicht.«

Er lächelte. Es war mir eine stille Freude ein Lächeln auf diesem Antlitz zu sehen, das so lange von Schmerz und Krankheit zerstört war; mit dem[221] Lächeln ging das Menschliche wie eine Sonne über ihm auf; Leidensausdruck hat auch das Thiergesicht.

Tags darauf reiste ich ab, über Bern und Freiburg nach Ouchy. Ich hatte schon viel von meinem unbekannten Kranken an Benvenuta geschrieben, die sich wie alle junge Mädchen außerordentlich für das Geheimnißvolle interessirte. Jezt mußte ich ihr noch viel mehr von ihm erzählen; aber als sie erfuhr daß er ein ganz gewöhnliches Menschenkind – kein entthronter Fürst, kein Flüchtling, kein Verbannter, kein großer Künstler, Maler oder Dichter sei: nahm diese Theilnahme wenigstens um die Hälfte ab, denn es blieb nur noch die für sein Unglück, und die für seine Persönlichkeit fiel weg.

Ich schickte meinen Diener nach Genf, der sich Wilderichs Briefe und Effecten einhändigen ließ; und ich selbst schrieb an die Gräfin von Wildeshausen. Ich bekam jeden dritten Tag ein Bülletin seines Befindens von meiner Kammerfrau, die seit zwanzig Jahren in meinem Dienst und eine so zuverlässige Person war, wie man es unter diesen Umständen nur wünschen konnte; deshalb hatte ich sie zurückgelassen. Die Nachrichten lauteten befriedigend, und als ich wieder nach Grindelwald kam[222] fand ich Wilderich merklich besser und sehr erfreut über meine Heimkehr. Die Briefe die ich ihm mitbrachte erhöhten seine Freude, obgleich die letzten große Besorgniß ausdrückten veranlaßt durch sein langes Schweigen.

Ein Schreiben seiner Mutter an mich, das bald darauf anlangte, sprach mir den Dank eines sorgengedrückten, tiefbekümmerten Herzens aus. Wie sie wünsche anstatt dieses Briefes selbst zu kommen! wie ihre zahlreiche Familie und ihre Verhältnisse es unmöglich machten! Ich gab den Brief an Wilderich; er las ihn mit Thränen.

»Immer muß ich ihr Sorgen machen!« – sprach er bewegt.

»Das ist das allgemeine Schicksal der Eltern ihren Kindern gegenüber; entgegnete ich tröstend. Aber wie man um einen Sohn Sorgen haben könne – die abgerechnet, daß er sich Arme und Beine bricht – begreif' ich nicht. Unsre Welt ist für die Männer eingerichtet, nämlich so daß man durch ringen, stoßen, drängen, ja einiges boxen vorwärts kommt – und das verstehen die Männer, das können sie aushalten, das bekommt ihnen sehr gut. Eine Frau kann daran zu Grunde gehen und wird immer fürchterlich leiden. Darauf muß eine Mutter für ihre Tochter vorbereitet sein![223] die Chancen des Glücks sind unendlich viel seltner für sie.«

»Sie haben kein Herz für die Söhne weil Sie nur eine Tochter haben, gnädige Gräfin, sagte Wilderich. Ich denke mir daß das Kind der Mutter Sorge macht, und ein Sohn ist auch ein Kind.«

»So wird's wol am richtigsten sein, mein armer Wilderich! und eben deshalb sagte ich, Sie sollten sich nicht zu sehr um die Sorgen Ihrer Mutter quälen; denn die sind nun einmal dem mütterlichen Herzen eingeboren.«

»Mein Vater ist seit zehn Jahren todt, ich bin der Aelteste von acht Kindern, und meine Mutter muß uns mit einem sehr geringen Vermögen erziehen: das ist eine unsäglich sorgenschwere Aufgabe.«

»Ach! rief ich, ohne die Verwöhnungen des Reichthums erzogen zu sein ist ein außerordentlicher Vortheil! darin liegt der Sporn zur Entwickelung des Mittelstandes. Wenn unsre Zeit höhere Interessen als die des Materialismus, des Genusses in höchster Potenz, hätte: so könnte dieser Sporn der Unverwöhntheit zu etwas Tüchtigem und Großen treiben. Aber die Idee, welche der Mittelstand von den Bedürfnissen des Jahrhunderts, der Zeit und der Völker hat, ist folgende: Jezt sollen[224] mir die gebratenen Tauben in den Mund fliegen, welche bisjezt dem einen bevorzugten Stande zugeflogen sind! – An diese fixe Idee von den gebratnen Tauben und wie ihnen beizukommen sei, vergeudet er seine Kräfte, denn all seine liberalen Machinationen und seine schwindelnden Speculationen sind ja weiter nichts als Bestrebungen um den Traum von den gebratnen Tauben zu realisiren. Lassen Sie ihn fahren, Wilderich! er macht den Menschen nicht gut und nicht glücklich, sondern das, was er am meisten fürchten und fliehen sollte – gemein.«

»Sie sprechen wie eine reiche Frau, die Sie auch sind, gnädige Gräfin« .... – – –

»Lebe ich wie eine reiche Frau? unterbrach ich ihn. Wo sind Pferde und Wagen, Livreebediente, Sofas von Sammt, Vorhänge von Seide, goldene Spiegel? .... was Alles die erste beste Doctorsfrau in unsrer Heimat hat.«

»Sie leben dennoch wie eine reiche Frau: nämlich – unabhängig! und das ist der größte Vorzug des Reichthums.«

»Lieber Wilderich! der Reichthum knechtet die Seele und macht sie in zehntausend Fällen höchstens Einmal unabhängig.«

»Ach, gnädige Gräfin, Sie würden anders[225] sprechen wenn Sie nicht reich, und hingegen Mutter einer zahlreichen Familie wären! Ich habe vier Brüder: die beiden jüngsten sind schöne, prächtig aufgeweckte Kinder, die sich schon ihr Fortkommen in der Welt erringen werden. Aber die beiden andern sind arme unfähige Knaben. Was soll aus ihnen werden? In welcher Weise sollen sie es möglich machen ihren Stand, ihren Namen zu vertreten, da ihnen jedes Mittel dazu versagt blieb? Wären sie die Söhne einer unbemittelten bürgerlichen Familie, so wäre ihre Unfähigkeit ein stilles Unglück das eben nicht über die vier Wände ihres Hauses hinaus reichte; sie könnten ein leichtes Handwerk lernen, sich ihr Brot erwerben und Keinem zur Last fallen. Bei uns ist das anders! uns wird solche ein Unglück zur Schmach und zum Vorwurf gemacht! Da heißt es hier: »nichts als Dummköpfe sind diese Hochgebornen!« – da heißt es dort: »Wie diese sogenannt Vornehmen degeneriren und nichts als Blöd- und Schwachsinnige erzeugen, welche dennoch mit uns in die Schranken treten und sich gar über uns erheben wollen!« – Dieser Hohn ist schwer zu ertragen, gnädige Gräfin. Der Reichthum ist ein Bollwerk gegen ihn. Sie werden das nicht glauben, weil Sie nicht solche gemeine Brut gekannt haben; aber ich weiß[226] es: sie hat Respect vor Demjenigen, den sie beneidet.«

Wilderich schwieg ganz erschöpft und ich ganz erstaunt. Dies war unser erstes längeres Gespräch und ohne meine Absicht hatte es eine Wendung genommen die ihn so schmerzlich ergriff. Dies war eine neue Phase des Leides welches durch unsre Welt geht! Nach einer Pause rief Wilderich:

»O wie tausendmal hab' ich gewünscht lieber ein Taglöhner zu Wildeshausen zu sein, der unter körperlichen Anstrengungen sein Schwarzbrot gewinnt, als der Graf von Wildeshausen, dem es obliegt als Herr, als Haupt einer Familie für seine Untergebenen und seine Verwandten zu sorgen und dem dazu die Mittel fehlen!«

»Mein armer Wilderich, was sind das für unzeitgemäße Gedanken: für etwas Anderes sorgen zu wollen als für sich selbst!« entgegnete ich, die traurige Wahrheit hinter einem scherzhaften Ton verbergend um ihn von seiner Verstimmung abzulenken. Aber heftig und traurig fuhr er fort:

»Die Isolirung durch den Egoismus .... diese anti-aristokratische Richtung unsrer Zeit, welche das Individuum ohne positive Religion, ohne Liebe zur Heimat, ohne Anhänglichkeit an die Familie, ohne Respect vor Tradition, ohne Gefühl[227] für die Untergebenen, in den grauen Wust einer communistischen Menschenverbrüderung hinausstößt – durch philosophische Speculation dermaßen die Thatkräftigkeit abschwächt, daß wir der Praxis einer schlichten Lebensweisheit ich weiß nicht was für eine fade spitzfindige Theorie von Fortschritt, von Freiheit vorziehen, welche uns aber nicht fördert, nicht befreit – diese fürchterliche Vereinsamung des Menschen, ohne Gott, ohne Herz, ohne Kraft, ohne Basis, ohne Ziel – ohne irgend einen der großen Gedanken für welche es der Mühe lohnt zu leben oder zu sterben – o die eben ist es welche mir an der Seele nagt und nicht für mich, sondern für uns Alle mich martert.«

»Die Krankheit hat Sie ermattet, sagte ich. In Ihrem Alter muß man Zuversicht haben, Wilderich, denn ein halbes Jahrhundert der Wirksamkeit liegt vor Ihnen und wie wollen Sie derselben gewachsen sein, wenn Sie nicht daran gehen mit Zuversicht auf regenerirende Elemente! Die rückkehrende Gesundheit wird Ihnen das schöne Vorrecht der Jugend: die ewige Hofnung – wiederbringen. Ich begehre nicht daß Sie eine herrschende Mode mitmachen, und unsre Weltzustände rosenroth gefärbt betrachten sollen! aber Sie sollen nur nicht schwarz sehen wo höchstens ein sanftes[228] Grau ist. Grau, lieber Wilderich, ist immer das Chaos – und über dem Chaos schwebt immer der Geist Gottes.«

»Glauben Sie das wirklich?«

»Die Geschichte lehrt es.«

»Eine Lehre welche unser Herz oder unsre Erfahrung nicht bestätigen – ist für uns todt. Deshalb frage ich ob Sie aus Ihrer Seele oder nur nach Büchern sprechen.«

»Und wenn ich sagte: nicht aus meiner Seele!«

»So würden Ihre Worte eben nur todte Worte sein – wie fast alle sind die heutzutag gelehrt werden.«

»Da mögen Sie Recht haben! sagte ich immer mehr und mehr erstaunt. Aber was sind Sie für ein trauriger ernsthafter Mensch!«

»Ich bin's! denn in mir ist ein Chaos und ich weiß nicht ob der Geist Gottes darüber schwebt.«

»Kind! Kind! rief ich, Sie thun mir weh!«

»Sie sehen wol, gnädige Gräfin, daß man auch um einen Sohn Sorgen haben könne,« sagte er.

Auf dies erste Gespräch folgten viele derselben Art. Er hatte eine von inneren Kämpfen ganz zerarbeitete Seele. Ich kam zu der Ueberzeugung daß seine Krankheit eine große Wolthat für ihn gewesen sei indem sie den Geist in Schlaf gelullt.[229] Der Zwiespalt zwischen Glauben und Wissen, zwischen Altem und Neuem, zwischen Vergangenheit und Zukunft, welcher in unsrer Gegenwart keine befriedigende Lösung gefunden, hatte sich auch in ihm noch nicht zur Versöhnung durchgebildet. Er war ja noch nichts als ein deutscher Student! Er kannte noch nichts als seine Familie und die Schule; und was jene gepflanzt, hatte diese entweder zerstört oder in Frage gestellt. Jeder hohe Grad von Civilisation bringt eine solche Complication der Verhältnisse mit sich, daß die Einheit des Characters, die Uebereinstimmung zwischen Gesinnung, Wort und That, fast eine Anomalie genannt werden dürfte. Nun giebt es aber Menschen welche das Bedürfniß empfinden zur Aufrichtigkeit und Einheit sich zu entfalten, Menschen welche in der Lüge eine unwürdige Feigheit – in der Zersplitterung eine Schwäche sehen – Menschen welche nicht handeln, nicht sprechen und nichts thun können, sobald ihre Ueberzeugung sie nicht dazu auffodert, und welche sich nun darauf angewiesen finden die Widersprüche zu lösen oder zu leiden, welche bei ihrem Eintritt ins Leben aus jedem Verhältniß ihnen entgegen springen. Im Staat, in der Kirche, in der Wissenschaft, in der Gesellschaft – all überall Parteien, welche ihre Rechte,[230] ihre Wahrheiten, ihre Ansichten und ihren Standpunkt in ein System gebracht haben, das seiner Natur nach immer einseitig ist, folglich mit Consequenz durchgeführt eine gewisse starre Abgeschlossenheit erheischt, welche Demjenigen schwer fällt, der Recht und Wahrheit überhaupt, und nicht vom Standpunkt einer Partei sucht. Ein solcher Mensch war Wilderich: stolz, grade, aufrichtig, vom allerempfindlichsten Ehrgefühl, unfähig in diesem Punkt Concessionen zu machen, und daher jeden Augenblick in seinem vielleicht übertriebenen Begriff von Ehre tödtlich verletzt.

Er bekam einmal die Verlobungsanzeige seines Vetters mit einer Banquierstochter, und gerieth darüber in solche Trostlosigkeit, namentlich über ihren großen Reichthum, daß ich ganz ernsthaft ihn fragte ob er den Verstand verloren habe um über ein so alltägliches Ereigniß zu jammern.

»Wenn sie arm wäre könnt' ich's verzeihen, entgegnete er, aber reich – sehen Sie, das finde ich nichtswürdig.«

»Sie sind unsinnig, Wilderich! Aehnliches geschieht täglich in England, denn da ist die Aristokratie nicht blos stolz und würdig, sondern auch klug und praktisch, und versteht es frisches Blut und frisches Geld sich zu assimiliren. Dadurch ist[231] sie ein immergrüner Baum. Der deutsche Adel aber – von einer Aristokratie dürfen wir Norddeutschen schon gar nicht sprechen! – hat es nicht verstanden den Zufluß jener Lebenselemente sich offen zu erhalten; drum stirbt er ab.«

»Da sei Gott vor! rief Wilderich. Dann ginge ja die Ehre verloren! – Was fragt der Büreaukrat, der Industrielle, der Speculant, der Gelehrte – nach der Ehre! Nach ihrer persönlichen Ehre, oder daß ihnen die gebührenden Ehren widerfahren – o ja! danach fragen sie sehr! Aber die Ehre des Standes, der Genossenschaft kümmert sie nicht, denn sie haben keine Genossen, sie sind nicht von einer gemeinsamen Idee beseelt, von der Idee: die Besten sein zu müssen weil sie die Ersten sind. Sie sind nur durch ihr Interesse zusammengehalten, sei es für ihre Carriere oder ihren Geldbeutel, und ein solches Interesse ist nur äußerlicher Art. Jeder vertritt seine Person, seine Meinung, seine Stellung, und was ihn zuweilen zur Gemeinsamkeit schaart ist – Opposition gegen uns! das ist jedoch kein Lebensprincip. Wir aber vertreten die Idee der Ehre, und Individuen gehen unter, allein Principe leben ewig! drum kann der Adel nicht absterben, denn die alte Tradition kann nicht untergehen.«[232]

»Er hat aber keine Basis mehr in den Zuständen! versicherte ich unermüdlich. Ihm fehlen seine eigenthümlichen und wesentlichen Bevorzugungen und Verpflichtungen seitdem er seinen lebenskräftigen Character als Grundherrschaft verloren hat und als solche um die alten Rechte gekommen ist, die ehedem zwischen dem Herrn und den Unterthanen bestanden haben. Ihr seid Alle die ersten Bauern auf Euern Besitzungen und weiter nichts. Herren seid Ihr gar nicht mehr! die Regierung – das ist der Herr! die schreibt Euch aufs Genaueste Euer Verhalten vor Darüber müssen Sie sich keine Illusion machen: adlige Bauern, das seid Ihr.«

»Warum bemühen Sie sich so sehr mich herab zu stimmen? fragte Wilderich. Gönnen Sie mir doch wenigstens meine Idee und die Begeisterung für dieselbe! in der Wirklichkeit ist wenig genug wofür ich mich enthusiasmiren könnte.«

»Ich mögte nicht daß Sie Ihre Begeisterung so zu sagen schlecht unterbrächten. Ihre Gesinnung: »weil wir die Ersten sind müssen wir die Tüchtigsten sein,« ist durchaus aristokratisch, ist das Band zu der edelsten Gemeinschaft die nur zwischen den Menschen statt finden kann; aber verabsäumt nicht die Mittel, die im Stande sind Eure Gesinnung durch äußere Macht zu unterstützen.[233] Sie betrachten den Reichthum als ein Mittel zur Unabhängigkeit. Ihn zu erwerben ohne kaufmännische und industrielle Speculationen ist heut zu Tage unmöglich; Sie fühlen keine Neigung für dieselben, oder Ihre Stellung, Ihre Laufbahn gestatten sie Ihnen nicht; Sie finden ein schönes angenehmes Mädchen, deren Erscheinung Ihnen gefällt, deren Character und Bildung Ihnen zusagt – und Sie wollen sie nicht heirathen weil sie eine reiche Banquierstochter ist: lieber Wilderich, in dieser Ansicht finde ich mehr Subtilität als Zartgefühl.«

»Reiche Frauen sind mir überhaupt unerträglich! sagte er. Ich meines Theils werde nie ein andres Mädchen heirathen als aus einem guten alten Hause und ohne Vermögen« .... – –

»Wie das gewöhnlich bei uns Hand in Hand geht!« setzte ich lachend hinzu.

Was ich ihm dringend rieth – waren Reisen in fremden Ländern, zu fremden Völkern, um das deutsche Spießbürgerthum abzuschleifen, dieses kleben und klauben an Formen, deren Inhalt ausgestorben ist, diese Devotion vor dem Fremdländischen, diese Ueberschätzung der Magistergelahrtheit, diesen matten Dünkel auf Geist und Bildung.

»Das muß man gestehen, Sie sind nicht blind eingenommen für Deutschland! rief Wilderich. Haben[234] Sie denn je in der Fremde eine stolze Wallung bei dem Gedanken gehabt eine Deutsche zu sein?«

»Ja, eine sehr stolze!«

»Nun bei welcher Veranlassung?«

»Wenn ich eine Symphonie von Beethoven aufführen hörte .... dann war ich stolz, denn so aufgefaßt und so ausgedrückt ist nie der Geist des deutschen Volks als von ihm! Er hat ihn wiedergegeben den Tiefsinn in der Verklärung. Sonst aber erinnere ich mich keiner Veranlassung.«

»Und das sagen Sie so gelassen! ich würde darüber verzweifeln.«

»O all diese schlaffen Verzweiflungen muß man sich abgewöhnen! Man muß die Welt nehmen wie sie ist; und warum soll man nicht eben so stolz sein auf einen Genius der Symphonien componirt als der über Staatsökonomie schreibt?«

»Wenn man sich in der Welt wie sie ist zurechtfinden muß, warum denn, gnädige Gräfin, sind Sie in diese Einsamkeit geflüchtet, wo Sie durch nichts an dieselbe erinnert werden?«

»Weil ich mein Leben bereits verbraucht habe und zu nichts Tüchtigem mehr brauchbar bin – – als höchstens .... um die gute Frau von Grindelwald zu sein.«[235]

»Kann man mehr sein als gut?«

»O ja! man kanns auf dem rechten Fleck, zu rechter Zeit und Stunde, am rechten Ort sein. Die gute Herrin von Engelau, die gute Gattin, die gute Mutter zu sein: das wär' ein Lob. Jenes ist keins. Ich bin gut – was man hier gut nennt, nämlich wolthätig – weil ich es angenehmer für mich als das Gegentheil finde.«

»Ich verstehe Sie zuweilen gar nicht! entgegnete Wilderich. In Ihren Handlungen sind Sie ein hohes und edles Herz, in Ihren Worten – welche man schwer von Ihrer Gesinnung trennen kann, da Sie nicht lügen – haben Sie gar kein Herz.«

»Daraus sehen Sie daß ich die Kraft zum thun .... nicht die zum sein habe. Ich habe vielleicht weniger Unrecht gethan als Tausende meines Gleichen und dennoch weniger Befriedigung als eben sie.«

»Das ist unnatürlich!« rief er.

»Davon bin ich vollkommen überzeugt! entgegnete ich gelassen. Mein Dasein ist wie eine Tropfsteinhöhle: darin stehen allerlei schöne Sachen, Altäre, Kapellen, Heiligenbilder .... aber versteinert und in Finsterniß; und das sollte nicht sein.«

»Und warum ist es so?«[236]

»Weil der Geist der Liebe fehlt.«

»Das ist ja aber eine fürchterliche Gleichgültigkeit!« sagte er fast mit Entsetzen. Und wie kann man sie mit Ihrer Barmherzigkeit, mit Ihrem Mitleid in Einklang bringen?«

»Barmherzigkeit auf und über der Welt – von Ewigkeit zu Ewigkeit gehend – ist das Eine woran ich glaube.«

»Weil Sie sie üben!«

»Nein! .... weil ich ihrer bedarf.«

Ich sprach zwar immer wenn unsre Unterhaltung eine Wendung auf mich nahm in einem möglichst kalten Ton von mir selbst, aber er machte dennoch auf Wilderich Eindruck.

»Giebt es viel Frauen wie Sie?« fragte er einst.

»Ganz wie ich – vielleicht Keine! mir ähnlich – Unzählige! – Natürlich werden sie das aber nicht eingestehen. Verstand und Phantasie werden übermäßig entwickelt, und das Herz vertrocknet. Solch Mißverhältniß macht elend. Da soll nun die Oede durch Emotionen ausgefüllt werden: die Einen werfen sich in die Andacht, die Andern in die Studien und schönen Künste, noch Andre ins Weltleben mit seinen blasirenden Genüssen. Es muß immer etwas gethan werden! Natürlich läuft zwischen all dem unsinnigen und abgeschmackten[237] Thun zuweilen auch etwas Gutes mit unter – grade wie bei mir! – aber es ritzt Alles nur die Haut, höchstens die Nerven – nicht das Herz.«

»Gott! rief Wilderich, und an dies Geschlecht sind wir mit unsrer Liebe gewiesen!«

»Nun! entgegnete ich lachend, Eure Liebe wird es wol noch erwidern können! Und dann giebt es ja immer Ausnahmen, und die Geliebte, mein Wilderich, ist ein für alle Mal eine Ausnahme.«

That ich ihm wol oder weh? ich vermuthe das Letztere. Nichts – und auch ich nicht – war so wie er es geträumt, wie es seinen Idealen entsprach.

»Was soll ich glauben, lieben, hoffen, wollen – da neben dem Allen der Zweifel steht! rief er einmal in schmerzlicher Aufregung. War die Welt gut wie sie bisher gegangen ist – warum legt sie sich denn auf die andre Seite? War sie schlecht – wie hat sie so lange bestehen können? – O wie beneide ich die, welche an einen unbedingten Fortschritt glauben und daher im Stande sind aufrichtig mit der Vergangenheit zu brechen. Ich kann es nicht! ich finde nicht mehr Lebensweisheit, mehr Tugend, mehr Glück, mehr Freude in den Lehren welche unsre Tage beherrschen und unsrer Zeit als Richtschnur dienen und als Ziel vorleuchten[238] – als in früheren Epochen. Ich finde nicht daß die Menschheit hochherziger und kernhafter wird – nicht daß die Aufklärung sie klar macht über das was ihr Noth thut, über Bestimmung und Pflicht. Klüger wird sie insofern als sie mehr lernt, und zwar bis zum letzten Mann des Volks herab, und als mancher Aber- und Wahnglaube z.B. an Gespenster, Hexen und Zauberei schwindet. Dafür glaubt sie jedoch an politische, sociale, wissenschaftliche Charlatans – was doch ein sehr verdumpfender Glaube ist! und ob sie an Gott glaubt – das ist wol nicht unbedingt zu bejahen. Die Weltweisen sprechen zwar von einem Gott in der Geschichte, von einem Gott im eigenen Bewußtsein: das ist ein Gott ungefähr so wie ein Kartenkönig einen König von altem Schrot und Korn vertritt. Ich meine – Gott, den Lenker des Weltalls, den Vergelter des Guten und Bösen, den Vater der Barmherzigkeit, ohne dessen Willen mir kein Haar gekrümmt werden kann! Gott – wie der Mensch ihn braucht, zu welchem ich schreien kann in meinen Schmerzen, jauchzen in meinen Freuden, und zu dem ich den Glauben habe, daß er mich hört und erhört zu seiner Zeit! Gott – zu dem das Herz und der Blick emporfliegt bei großen Geschicken, weil es einen Dank[239] und eine Klage giebt, die man nur vor ihm aussprechen kann und weil diese Geschicke, so reich oder so schwer sie sein mögen, immer eine Stelle unbesetzt lassen in unsrer Seele, welche nur durch ihn auszufüllen ist. Glaubt die Christenwelt in dieser Weise ihrer Väter noch an Gott?«

»O Kind! rief ich gerührt, was kümmern Sie sich um den Unglauben der Welt, wenn in Ihrer Seele die ewige Ampel des Glaubens brennt? – Was wollen Sie mehr?«

»Ich will die Gewißheit nicht in Traum oder Irrthum dahin zu taumeln! Und der Zweifel der mich umringt macht mich irre an mir selbst.«

»Der Zweifel ist so alt als der Glaube! Petrus glaubte und Thomas zweifelte, und dennoch hat neben diesem Zweifler der Glaube des Petrus eine Kirche gestiftet von der geschrieben steht »daß die Pforten der Hölle sie nicht überwinden werden.««

»Nur ein Zweifler zwischen zwölf Aposteln! In unsrer Zeit ist's anders! da wohnen Schwankung, Unsicherheit und Zweifel wenigstens in eilf Köpfen unter zwölf.«

»Das beweist weiter nichts als daß jene Eilf eben nicht zu Aposteln bestimmt sind, obzwar sie sich wol dazu berufen finden mögen und sich ja auch Apostel der Wahrheit, der Freiheit, des[240] Fortschritts und des Lichts nennen – wie sich das für die Aufgeblasenheit geziemt. Glaubt doch unser Nachbar im Waadtland, der Schneider Weitling, eine sociale Weltreform predigen und einleiten zu müssen – warum sollen sich da nicht Andere an die religiöse machen?«

»Was haben Sie gegen den Schneider, da Hans Sachs und Jacob Böhme Schuster waren?«

»O gar nichts! ich meine nur – da alle hundert Jahr einmal das Mirakel eines Lichtes aus der Werkstatt hervorgegangen ist: so könnte ja auch wol einmal ein Irrlicht draus hervor gehen. Uebrigens hab' ich nichts weder gegen Reformen noch gegen Schneider. Im Gegentheil! da Staat, Kirche und Gesellschaft mir wenigstens in Deutschland vorkommen wie Adam nach dem Sündenfall, der seine Blöße kennt, sich schämt oder fürchtet, und nach einem Feigenblatt greift; so wäre wol sehr ein Mann zu ersehnen, der ein großartiges Gewand, einen neuen Purpur und Königsmantel ihnen umhinge.«

»Das ist es ja ebenfalls was mich so sehr irre macht! ich habe Augenblicke in denen ich mir selbst mit Aufrichtigkeit gestehen muß, daß viel abgenutzter und verbrauchter Plunder sich bei uns in[241] allen Ecken angesammelt hat und uns sehr zur Last fällt. Allein das Aufräumen ist eine schwierige Sache! das alte Gerümpel stürzt über den Haufen und reißt vielleicht noch Brauchbares mit um.«

Er konnte sich stundenlang in diese Gespräche vertiefen, bei denen es jedoch unmöglich war zu einem Abschluß zu kommen. Die Jugend braucht ihn nicht! im Gegentheil würde er ihr schädlich sein weil sie Gefahr liefe pedantisch und systematisch zu werden. Sie lebt sich zum Abschluß heran. Ob je ein Mensch die ganz klare und richtige Summe seines Strebens in sein Rechnungsbuch, und nicht zuweilen halb unbewußt ein X. für ein U. schreibt – ist die Frage. Indem wir leben wachsen wir in unser neues Wollen und Denken dermaßen hinein, daß wir uns nicht mehr genau besinnen wie es ehedem damit beschaffen gewesen ist. Zwanzig Mal denken wir: jezt sind wir zum Abschluß gekommen, jezt wissen wir was wir zu erwarten, zu geben, zu thun, zu meinen haben – und über's Jahr, oder über drei Jahr, oder doch ganz gewiß über zehn Jahr ist Alles anders. Und dann spricht man von Treue als von einer Tugend! Treue ist Gewohnheit mit Nothwendigkeit und Bequemlichkeit .... vielleicht sogar mit ein klein wenig Heuchelei vermischt.[242]

»Sie sind eine fürchterliche Frau!« rief Wilderich als ich einmal diese Aeußerung machte.

»Für Sie und Ihresgleichen mag es anders sein. Ihr Herz mag einen so starken und gleichmäßigen Schlag haben, daß seine Ermattungen und seine Fieber nur die Oberfläche bewegen ohne es im tiefsten Grunde zu erschüttern. Oder auch liegt es an einer großen Idee, deren Realisirung das Leben füllt, vor Anker und ist mit ihr still, fest und treu. Aber Treue gegen den Menschen – dazu gehört eben außer Ihnen noch ein Gegenstand, und wer bürgt Ihnen für den?«

»Mein Vertrauen.«

»Und wenn das nicht auf den Rechten gesetzt ward?«

»O! rief Wilderich, haben Sie denn nie einen Menschen geliebt?«

»In dieser Frage hat Ihr Instinct Ihnen die richtige Antwort eingegeben.«

»Und warum .... mein Gott, warum denn nicht?«

Ich zuckte die Achseln. »Auf manches Warum giebt es gar keine – oder die trostlose Antwort: Weil man es nicht verstanden oder nicht verdient hat.«

Wilderich nahm meine Hand, drückte sie lebhaft an seine Lippen und rief:[243]

»O Sie Himmlische! was kann bei Ihnen von verdienen die Rede sein! Auf Sie müssen alle guten Gaben wie Morgenthau und Sonnenlicht herab sinken.«

»Auf die fürchterliche Frau? .... wie Sie eben mich nannten! Sie verfallen in Widerspruch,« sagte ich spöttisch und zog meine Hand kühl zurück.

Er erröthete flüchtig und sah traurig zu Boden. – – – – So verging die Zeit. Wilderich hatte allmälig wieder den Gebrauch seiner Glieder erlangt; aber sein Gang sowol als seine Armbewegungen waren steif und schwer. Der Arzt rieth ihm nach Baden zu gehen. Er hatte gar keine Lust dazu. Er behauptete die Bergluft des Oberlandes sei viel heilsamer, viel gesünder, und die Bemerkung daß sie steife Glieder nicht geschmeidig mache, ließ er fallen. Er wollte eben nicht fort. Das fing an mich zu beängstigen. Wilderich war ein Mensch der sich aus Dankbarkeit für eine Frau fanatisiren konnte.

Benvenuta sollte mich in den Frühlingsferien besuchen. Ich benutzte das um ihm eines Tages zu sagen:

»Es ist zwar sehr unfreundlich einem Gast und einem Kranken die Thür zu weisen, aber es hilft nichts, lieber Wilderich, Sie müssen meiner Tochter[244] das Feld räumen! Ich habe in diesem engen Häuschen nur ein Gastzimmer.«

»Sie haben mich so lange geduldet aus übergroßer Güte; nichts als Beschwerden und Last habe ich Ihnen gemacht und doch mißbrauche ich Ihre Güte genug um nicht von selbst Ihr Haus zu verlassen! das wäre eine grenzenlose Unbescheidenheit – wenn« .... – – –

»Es ist keine! unterbrach ich ihn schnell. Sie fühlen sich noch nicht vollkommen hergestellt, und fühlen ebenfalls – was Sie auch von Beschwerden u.s.w. sagen – daß Sie mir nicht lästig sind: drum wollten Sie die trüben Winter-Erinnerungen und den Rest von Schwäche an demselben Orte in der schönen Frühlingsluft abbaden; das ist ganz natürlich.«

»Ich werde mich also im Gasthaus niederlassen; denn Ihre Tochter, gnädige Gräfin, muß ich durchaus kennen lernen! sie ist wol so ziemlich das einzige Geschöpf auf der weiten Welt für das Sie sich interessiren.«

»Von Ihnen, Wilderich, hab' ich diesen Vorwurf doch kaum verdient.«

»Es ist kein Vorwurf .... wenigstens keiner für Sie, sondern für Andere. Aber Ihre Tochter muß ich kennen lernen!«[245]

»Ich habe gar nichts dagegen,« sagte ich ein wenig befremdet, da ich nicht begriff welch Interesse er plötzlich an der unbekannten Benvenuta nahm, deren Porträt ihm nicht einmal sehr gefiel.

Er blieb also in Grindelwald nahm ein Zimmer im Gasthof und verbrachte übrigens seine Tage bei und mit mir.

Bald darauf kam Benvenuta. Sie war jezt in ihrem sechszehnten Jahr, und lieblich .... ach lieblich, wie man eben nur in dem Alter ist, frisch, blühend, rosig und doch so zart wie eine Purpurwolke am Morgenhimmel. Ihre frühere Kränklichkeit hatte sie wie es schien gänzlich überwunden. Ein lebhafter Wechsel der Farbe bei jeder Gemüthsbewegung – in welcher sie überdas immer schwieg – deutete auf eine feine reizbare Organisation und auf ein stilles tiefes Gefühl. Von der fliegenden Heftigkeit meiner jugendlichen Empfindungsweise war Gottlob! keine Spur in ihr. Ich glaube nicht ein holdseligeres Mädchen je gesehen zu haben. Sie war so recht ein junges Mädchen – unbefangen und doch schüchtern, schelmisch und doch blöde. Was weiter in ihr war – wer konnte es wissen? – –

Wilderich empfing Benvenuta mit stralender Freude. Ich verstand das gar nicht. War es[246] Dankbarkeit gegen mich? hatte sich seine Phantasie zuvor von ihr fesseln lassen? war es eine urplötzlich entzündete Liebe? Zuweilen glaubte ich eines dieser Motive in seinem Benehmen zu finden, zuweilen keines. Was er nur erfinden konnte um Benvenuta zu unterhalten, wendete er an. Zuerst ließ sie sich das nur gefallen; allmälig war es ihr angenehm der Gegenstand einer so unausgesetzten Huldigung zu sein. Ich erinnerte ihn täglich an seine Reise nach Baden; er behauptete sie täglich mehr entbehren zu können.

»In dem Fall würde Ihre Mutter doch sehr froh sein Sie nach all diesen überwundenen Gefahren wiederzusehen;« sagte ich.

»Allerdings! .... und ich auch die gute Mutter! entgegnete Wilderich. Allein ich bin überzeugt sie gönnt mir von Herzen daß ich jezt ein wenig die Schweiz genieße – und umsomehr da ich meine Zeit nicht verliere, sondern bei Ihnen perfect englisch gelernt habe! denn Zeitverlust ist nun einmal den Müttern ein Greuel.«

»Sie genießen aber gar nicht die Schweiz, lieber Wilderich, wenn Sie immer hier bleiben.«

»Kann man sie schöner genießen als hier? liegt mir nicht grade hier ihr characteristischer Zauber vor Augen: feierliche Majestät und idyllische Anmuth?[247] Dies Thal ist eine Wiege in der wie Zwillinge Gletscher und Wiese friedlich bei einander ruhen. Um unsre kleinen niedrigen Hütten halten die Titanen der Natur, die hohen Berge Wache, recht wie es sich ziemt für die Großen daß sie die Kleinen beschützen. Da oben donnern die Lavinen, hier unten summen die Bienen! – Und waren wir nicht gestern in Interlachen und vor drei Tagen in Lauterbrunn? – Wollen wir nicht morgen zum Rosenlaui-Gletscher, und ein andres Mal zur Handeck und auf das Faulhorn; und immer wieder hieher zurück unter dies gesegnete Dach? Nein, gnädige Gräfin, weder in der Schweiz noch in der Welt kann ich etwas Schöneres sehen.«

»Ich kann mir nicht helfen, Wilderich, ich bin eine ächte Mama: mir thut Ihre Zeitverschwendung leid!«

»Ach! die sogenannt verschwendete Zeit ist fast immer eine glückliche von der uns später für Nachwirkung und Erinnerung kein schöner Augenblick, kein seliger Athemzug verloren geht, von der ein erquickender Duft und ein melodischer Nachhall in der Seele bleibt.«

»Kind! was wissen Sie mit Ihren zweiundzwanzig Jahren von Erinnerungen?«[248]

»Wenn ich auch nichts weiß, so ahne ich doch ihren Zauber und ihre Macht.«

»Wie das jugendlich gesprochen ist! Von den Erinnerungen erwartet die Jugend allgewaltige Magie; aber auch von der Zukunft! .... und auch von der Gegenwart, nicht wahr? Ihre ungeübte und ungeprüfte Kraft erscheint ihr so maßlos und unerschöpflich, daß sie von keiner andern Empfindung als von unendlichen – sogar in der Erinnerung noch unsterblich! – wissen will. Aber! aber! die Kraft ist nicht übermäßig, mein armer Wilderich! sie hält nicht so fest wie der Magnet das Eisen; sie umschließt nicht so fest wie die Muschel ihre Perle! – Meistens ist sie ein Sieb; zuweilen eine Schaale von Porcellan oder Krystall, der nichts fehlt als daß sie einen kleinen feinen Riß hat, durch den ganz langsam, ganz unmerklich der Inhalt entströmt oder verfliegt. Nein nein, rechnen Sie nicht auf die Wonne der Erinnerung.«

»Und was hätte ich denn am Schluß meines Lebens um mein müdes Haupt darauf zu betten wenn nicht den Blumenpfühl der Erinnerung?«

»Und wer sagt Ihnen denn daß Sie am Schluß Ihres Lebens Ihr müdes Haupt auf einem Blumenpfühl betten müssen? – Es kann ja auch sein[249] auf den Dornen des Schmerzes oder in der Asche der Trostlosigkeit.«

Benvenuta nahm meine Hand, legte sie auf ihre Augen und sagte bittend:

»Mama, ich kann's nicht aushalten vor Traurigkeit wenn Du so sprichst.«

Zu gleicher Zeit sagte Wilderich mit Zuversicht:

»Nein, so elend ist und macht das Leben nicht! Sei es drum daß die Blumen fehlen, daß die Dornen ihren Platz einnehmen! .... aber Asche – nein! so lange mein Herz schlägt, und es kann ja nur mit meinem letzten Athemzug still stehen, lebt ein Funke in ihm, der es vor dem Zusammensinken in Asche bewahrt! sei es ein Glaube, eine Hofnung, eine Liebe – sei es noch Anderes was ich nicht kenne oder nicht zu nennen weiß! Der Mensch soll Leid und Schmerz haben damit er sich bei ihrer Bekämpfung stähle; aber umkommen .... so in der Asche von ich weiß nicht was für namenlosen Dingen – das soll er nicht, das ist nicht seine Bestimmung; und geschieht es dennoch, so geschiehts durch seine eigene Schuld.«

Benvenuta hatte ihren Kopf von meiner Hand allmälig gehoben, und sah mit einem Ausdruck von rührender klarer Zuversicht auf Wilderich. Ihre Gesinnung entsprach der seinen. Ein Blick auf[250] dies liebe unschuldige Gesicht machte mich schweigen; sonst schwebte schon die Frage an Wilderich auf meinen Lippen: wie er die Schuld vom Leben trennen – und wie er die Verschiedenheit der Individualitäten aufheben wolle, welche bewirke daß der Eine leicht, der Andre schwer, der Dritte gar nicht das Schuldbewußtsein von sich werfe. – Statt dessen sagt' ich:

»Um wieder auf unser eigentliches Gespräch zurück zu kommen, Wilderich: wann gehen Sie nach Baden?«

»Wenn Fräulein Benvenuta abgereist sein wird;« entgegnete er, nicht eben in froher Laune.

Benvenuta rief aber ganz vergnügt und freudig erröthend: »Mit der Einrichtung bin ich sehr zufrieden!«

Am andern Tage ritten wir zum Rosenlaui-Gletscher, den Benvenuta noch nicht kannte, und der unstreitig zu den allerschönsten Punkten gehört, welche die Schweiz aufweisen kann, denn er ist phantastisch – und das ist ihre Natur nur ausnahmsweise. Diese saphirfarbenen Eisblöcke, Eisgrotten, Eispfeiler, liegen da wie Trümmer einer wundersamen fremden Welt an deren Erstarrung man nicht glauben kann weil sie so schön ist. Man meint sie müsse sich wieder zu Tempeln und Hallen[251] auf den Wink eines geheimnißvollen Baumeisters zusammenfügen um dann der Tummelplatz von einem Elfengeschlecht oder von Elementargeistern zu werden. Es ist die schönste Ruine eines Undinen-Palastes von blauem Krystall, welche die Phantasie eines Märchendichters erfinden könnte. Von einer ungeheuern Gewalt ist sie in diese Scenerie hineingeschoben, die mit ihren scharfen Gebirgesspitzen, ihrem zerklüfteten Boden, ihren rauschenden schwarzen Tannen und brausenden milchweißen Bächen, ein ächtes Bild der wilden Bergnatur darstellt.

Benvenuta war ganz bezaubert und ich ganz erstaunt daß sie es war. Ich hatte sonst nie bemerkt daß dergleichen Bilder einen solchen Eindruck auf sie machten. Und doch konnte es nicht anders sein! in dem Kinde schläft die Seele, giebt sich nur in einzelnen aufblitzenden Regungen kund, die aber noch weiter nichts als Träume sind. Beobachtung und Wißbegier sind vorherrschend im Kinde: es will die Welt der großen Leute verstehen. Ist es später in die Jugend hinein getreten – aus der Vorhalle des Lebens auf dessen Tempelschwelle – dann wird es gedrängt das Räthselwort seiner eigenen innerlichen Welt zu suchen; dann braucht es seine Seele, dann schüttelt diese ihren Schlummer ab, erwacht – und mit diesem Erwachen geht[252] das Gefühl in ihr auf, diese Sonne um welche sich tausend Planeten der Gedanken drehen. Benvenuta war still nach ihrer Weise, aber ihre Augen stralten, und als ich sie auffoderte eine schöne Baumgruppe neben dem Gletscher zu zeichnen, sagte sie bittend:

»Ich muß heut' einen Feiertag haben, liebe Mama! es ist hier so sehr feierlich.«

»Wir setzten uns Beide auf das frische Moos und lehnten uns an den rauhen Stamm einer ungeheuern Tanne, deren mächtige Zweige ganz still über uns hingen wie zerrissene Trauerflöre durch welche der tiefblaue Himmel und der goldne Sonnenstral freudeverheißend schimmerten. Vor uns lag die Wunderpracht des Gletschers. Ringsum war Alles still, nur die Bäche brausten. Die ganze Natur hielt Mittagsruhe. Seitwärts von uns saß Wilderich mehr zu uns als zu dem Gletscher gewendet. Sein tiefes ernstes Auge schlug zuweilen glanzvolle Blicke zum Himmel auf und sank dann wieder nach Innen blickend unter die Wimpern zurück. Einmal sagte er:

»Als ich ein kleiner Knabe war erzählte mir meine Mutter: allüberall sei der unsichtbare große gute Gott. Wenn ich nun in der tiefen Stille der Mittags- oder Abendstunden, wo kein Lüftchen sich[253] zu regen scheint, doch die allerhöchsten und feinsten Wipfel der Bäume ohne bemerkbare Ursach sich sanft umbiegen sah, so glaubte ich in meinem kindischen Sinn sie beugten sich unter den Schritten Gottes, der unsichtbar über ihnen dahin wandele um zu sehen ob auf Erden Alles gehe wie es gehen solle; und hauptsächlich ob ein gewisser Knabe Wilderich auch seine Schuldigkeit thue. Das erfüllte mich mit so namenloser andächtiger Ehrfurcht, daß mir zuweilen helle Thränen langsam aus den Augen liefen und ich mir vornahm immer ein ungeheuer guter Knabe zu sein und Mann zu werden. Jezt streifen meine Blicke freilich mehr über die Erde und die Menschen hinweg, senken sich auf Bücher und Papier und allerlei nichtswürdiges Treiben, wo freilich die Schritte Gottes nicht wol zu erkennen sind. Kommt es aber einmal so wie heut daß ich in feierlicher Stille zu den sanftbewegten Baumwipfeln aufschaue, so wollen ihre leisen Beugungen mich noch immer fragen, ob ein gewisser Wilderich auch seine Schuldigkeit thue; und das stimmt mich ernst – ganz wie damals.«

»Und thut er sie?« fragte ich.

»Darauf ist schwer zu antworten.«

»Doch nur in dem Fall daß er sie nicht thut.«

»Wie unerbittlich hart sind Sie!« rief Wilderich.[254]

»Und ungerecht, Mama! rief Benvenuta lebhaft. Soll er sich denn selbst loben? – das würde Dir auch nicht gefallen!«

»Er soll eine aufrichtige Antwort geben! sagte ich. Ob das nun ein Selbstlob sein würde .... bleibe dahingestellt.«

»Sie haben eine bessere Meinung von mir als Ihre Frau Mutter, sagte Wilderich freundlich zu Benvenuta. Dafür muß ich Ihnen recht dankbar sein.«

»Mama scherzt nur, entgegnete sie erröthend. Wenn sie keine gute Meinung von Ihnen hätte würde ich ja auch keine haben.«

Sie sprang auf und pflückte schöne Genzianen, die wie dunkelblaue Sterne den Boden an manchen Stellen bedeckten. Wilderich half ihr; dann kam sie zurück und wand einen Kranz immer fröhlich mit ihm plaudernd. Ich saß unbeweglich auf meinem alten Platz. Es kam eine große Stille über meine Seele. Das Rauschen des Baches, der Duft des Tannenharzes, der Kräuter und des Mooses, der Sonnenstral der mich in sein Licht und seine Wärme hüllte – webten einen Schleier um mich, hinter welchem ich wie aus weiter Ferne Benvenutas und Wilderichs junge frische Stimmen zu mir klingen hörte; – aber aus der Ferne der[255] Zeit, nicht des Raums. Ich dachte sie könnten dereinst Beide glücklich mit einander werden, glücklicher als ich es je gewesen und wie ich es doch stets ersehnt. Und bei dem Gedanken an mich wollte diese uralte ewige Sehnsucht wieder ihre Geierkralle in meinen Busen schlagen. Aber wie man zuweilen im Halbschlaf sich beschwichtigt über einen bösen Traum, so sprach ich jezt heimlich zu mir: Laß das! denke nicht an dich selbst! das macht dir Schmerz. Die intenseste Sehnsucht und das intenseste Bewußtsein von ihrer Unerfüllbarkeit – das allein ist Schmerz .... die ächte Perle des Schmerzes, wogegen alle andern nur Glasperlen sind. Die Offenbarung der Liebe, so stralend und stark, daß sie momentan den Schmerz überflutet: das ist Extase! – Freude, Wonne, Entzücken, Seligkeit, sind keine Extase; sie müssen mit dem Schmerz versetzt sein. Er allein ist dein Erbtheil. Dir ward die dunkle Folie ohne den funkelnden Diamant .... aber die Kinder werden es vielleicht besser haben; denk' an sie.

Ich schlug langsam meine Augen auf und begegnete Wilderichs, die mit melancholischer Glut auf mich gerichtet waren während er mit Benvenuta plauderte und ihr die Genzianen zum Kranz reichte. Sie hatte ihren Hut abgenommen.[256]

»Setze Deinen Hut wieder auf! rief ich hastig. Die Sonne brennt, Benvenuta! das schadet Deiner Haut und Deinen Augen.«

»Du bist eitel für mich, Mama, und nicht für Dich, entgegnete sie lächelnd und gehorchend. Du sitzest hier seit zwei Stunden ohne Hut. Jezt da ich meinen Kranz vollendet habe kann ich ihn nicht tragen. Da muß ich ihn verschenken.«

Und mit rascher graziöser Bewegung setzte sie den Kranz auf Wilderichs glänzend braune Locken. Aber er nahm ihn ab und sagte:

»Verzeihung! wir Männer sehen mit Kränzen eigenthümlich ungeschickt aus, so etwas wie Ungeheuer. Finden Sie nicht, Fräulein Benvenuta? – Was Ihre schönen Hände geflochten haben muß zu Ehren kommen.«

Mit diesen Worten erhob er sich und setzte mir den Kranz auf

»Da Ihr Beide ihn verschmäht, so muß ich ihn freilich behalten .... und überdas erfrischt er mir angenehm die Stirn,« sagte ich.

»Mama! rief Benvenuta lebhaft, erlaubst Du mir den Versuch Dich so zu zeichnen? Du glaubst nicht wie Du schön aussiehst mit diesem dunkelblauen Kranz – ganz wie ein Bild der Melancholie, das ich einmal in einem englischen Album[257] gesehen habe. Die herrliche Tanne – Deine halb liegende Stellung – Alles ist so schön.«

»Gut! – ich gebe Dir eine Viertelstunde. Erlaubniß.«

Benvenuta schrie das sei unmöglich. Wilderich sagte:

»Fangen Sie nur geschwind an! ich werde nach meiner Uhr sehen und Ihnen sagen wenn die Frist abgelaufen ist. – Jezt ist es halb drei.«

Benvenuta machte sich emsig an ihre Arbeit. Mehrmals sah sie fragend zu Wilderich hinüber, der die Uhr in der Hand hielt und immer den Kopf verneinend schüttelte. Ich ließ ihr den Spaß, ich weiß nicht wie lange. Endlich sprang ich auf und sagte:

»Die Viertelstunden scheinen unter diesem Baum verzaubert zu sein.

»Ja, sagte Benvenuta lieblich, das hat ein guter Geist mir zu Gefallen gethan, denn die Zeichnung ist weit genug vorgeschritten um sie zu Hause vollenden zu können.«

»Warlich, ein guter Geist! rief Wilderich. Meine Uhr steht noch immer auf halb drei – ist also vermuthlich abgelaufen.«

»Die meine ist vier! sagte ich. Jezt zu Pferde.«

Während des ganzen Heimrittes bat Wilderich[258] Benvenuta um dies Bild. Sie wollte es nicht geben.

»Bedenken Sie doch welch eine dreifach liebe Erinnerung sich für mich daran knüpft, bat er: an Ihre Mutter, an diesen Tag .... und an Sie.«

»Genau so geht es mir auch!« entgegnete sie.

»Aber Sie haben dabei eine Erinnerung weniger.«

»Nicht doch! Sie waren der gute Geist der die Zeit still stehen hieß damit ich überhaupt das Bild vollenden könnte.«

Endlich vereinigten sich Beide darüber, daß Benvenuta das Original behalten und für Wilderich eine Copie machen solle. Zufriedengestellt langten wir in Grindelwald an. Da erwartete mich ein Brief aus Ouchy mit der Nachricht, daß die Vorsteherin des Instituts plötzlich an einer Brustentzündung gestorben sei. Ihre Tochter schrieb tief traurig an Benvenuta, welche mich sogleich mit heißen Thränen bat zu ihrer betrübten Freundin zurückkehren zu dürfen. Ich sagte ihr ich würde am nächsten Tage mit ihr abreisen und Wilderich, welcher Zeuge dieser Scene gewesen war erklärte: dann würde er nach Baden gehen. Sein Entschluß war mir sehr lieb! hatten er und Benvenuta Neigung zu einander, so mußte sich diese in der Ferne entwickeln und bestärken. Geschah das nicht,[259] so war die Trennung doppelt nothwendig, indem ein Zusammenleben aufhörte, welches durch seine Intimität unerfahrne Herzen in einen Traum von Liebe hätte verwickeln können.

Wilderich fragte mich nach meinen Plänen. Ich hatte keine vor der Hand. Er sah ganz verstört aus und bat mich um Erlaubniß mir aus Baden schreiben zu dürfen, was ich gern bewilligte. Ich zählte fast mit Gewißheit auf seine Werbung um Benvenuta. Die große Jugend und Unerfahrenheit Beider abgerechnet war es mir ein lieber Gedanke. Ich hatte Wilderich sehr lieb. Vielleicht sind uns immer die Menschen lieb denen wir wolgethan, so wie wir selten die leiden können gegen die wir ein Unrecht begangen haben. So paradox das klingen möge hängt es dennoch eng mit unserm Bedürfniß zusammen uns selbst achten zu können.

Wirklich fuhr ich am andern Morgen mit Benvenuta fort, und Wilderich begleitete uns bis Bern, wo sich unsre Wege trennten. Es war keine heitre Fahrt! Benvenuta schwamm in Thränen. Wilderich im Wagen ihr gegenüber sitzend, starrte sie stumm und beinah finster an. Ich, nur dann gesprächig wenn ich eine innere Auffoderung dazu empfand, war von Natur, durch Gewohnheit, Richtung und Schicksal schweigsam, konnte tagelang[260] schweigen und fühlte mich gar nicht berufen jezt gesprächig zu sein. Dieser Tag war so recht ein schneidender Contrast zu dem vergangenen! wir waren die nämlichen Menschen; wir befanden uns in einer der schönsten Gegenden der Welt; wir fuhren leicht und bequem durch die herrlichen Thäler von Grindelwald und Interlachen, am Ufer des Thuner Sees, und über die anmuthige Ebene von Thun nach Bern; – aber Niemand beachtete es, und Jeder wickelte sich in seine traurigen Gedanken einsam ein – während wir uns gestern in glänzender Heiterkeit und inniger Theilnahme einander nah fühlten. Solch ein Wechsel – ist leben! sprach ich heimlich. Aber es mußte halblaut gewesen sein, wie mir das in tiefen Gedanken zuweilen begegnete, denn Wilderich sagte:

»Jedoch ein trauriges Leben.«

»Der Wechsel ruht aus und erfrischt – heißt es.«

»Auch Sie?«

»Nein, mich nicht! im Gegentheil! mich zehrt er auf, mich verbraucht er stückweise – denn ich will immer etwas das ohne Ende sei! es brauchte nicht grade Glück .... es dürfte auch Schmerz sein .... und ohne Ende! Daß Alles ein Ende hat, das frohe Gestern, das trübe Heute, so Alles! Alles! .... das konnte ich eben nicht ertragen, und deshalb[261] habe ich wenig Ruhe genossen im Leben. Phantastische Sehnsucht schmachtete nach dem Unendlichen; frühe Erfahrung ließ mich überall das Ende sehen oder ahnen! Eine Hand streckte ich nach geliebten Chimären aus; die andre streute erblaßte Bilder gleichgültig in den Wind. Und dies Alles rührte daher weil ich nicht stark genug war das Leben wie es ist und wie Gott es uns gegeben hat – nicht blos zu tragen, sondern zu ehren.«

»Das Leben ehren mit seinem schaalen Wechsel, seiner dumpfen Verwirrung, seiner schreienden Ungerechtigkeit, seiner gekrönten Erbärmlichkeit – mit seinen Qualen der Leidenschaft und des Zweifels, der Sorge und der Schwäche – ist das möglich?«

»Das Leben ehren, Wilderich! denn so lange Ihre Augen offen stehen, Ihr Herz klopft, Ihre Hand sich regt – können Sie das Gute thun und das Schöne lieben! und dies nenne ich das Leben ehren wie Gott es uns gegeben hat.«

»Das Schöne lieben und das Gute thun,« wieder holte Wilderich ernst und sank in sein Schweigen zurück.

In Bern ging Benvenuta sogleich schlafen, und ich mit Wilderich auf die wunderschöne Promenade vor der Kathedrale, genannt die Plateforme, wo[262] man die herrlichste Aussicht auf die Jungfrau und ihre majestätischen Genossen hat. Es war um Sonnenuntergang und im stralendsten Glanz lagen sie da wie goldene Riesenpfeiler welche den Himmel tragen. Wir setzten uns auf eine Bank unter den Kastanienbäumen. Mein Auge hing an dem Farbenspiel der Berge; meine Seele flog unbestimmten Höhen und Fernen zu. Ich erschrack fast wie ein Nachtwandler den man bei seinem Namen ruft, als Wilderich mit bebender Stimme sagte:

»Gnädige Gräfin .... morgen sehe ich Sie nicht mehr, und meine Seele hat sich an Sie gewöhnt.«

Während er sprach sah er aber nicht mich, sondern die Berge an. Ich fühlte nun wol daß »sie« nicht die Berge waren; aber voll meiner Voraussetzung, daß zwischen ihm und Benvenuta eine Liebe keime, glaubte ich ihr gelte dies »sie«. Und als er nach einer Pause noch leiser und beklommner sagte:

»Werde ich Sie nie wiedersehen dürfen?« – – entgegnete ich liebevoll:

»Warum denn nicht, Wilderich! Aber versuchen wir eine Trennung von einigen Wochen; sammeln und besinnen Sie sich, überlegen Sie die Zukunft was Sie zu thun und zu bieten haben; – und wenn Sie nach vollendeter Badecur mich in Grindelwald[263] oder wo es sei besuchen: so wollen wir darüber sprechen. Jezt nicht. Es scheint mir noch zu früh, zu unreif.«

Ein ganz extatischer Freudenschimmer blitzte in seinem Auge auf und zu mir herüber, als er rief:

»Also wiedersehen! .... o gelobt sei Gott!«

Damit war unser Gespräch zu Ende, und Jeder von uns hing wieder seinen Träumereien nach – lange! lange! Ich hatte nun einmal die Gewohnheit mich nicht um die Zeit zu kümmern. Der starke Schlag der Uhr, die an der Kathedrale zehn schlug, machte mich auffahren. Es war ganz finster geworden.

»Warum erinnern Sie mich nicht an die Heimkehr, Wilderich!« rief ich schnell aufstehend und seinen Arm nehmend.

»Ich fühlte mich daheim in meiner Seligkeit,« sagte er.

»Hoffen Sie nicht zu viel, Wilderich! .... ich weiß ja nicht einmal ob Sie überhaupt hoffen dürfen.«

»O still! still! Sie sagten selbst: jezt nicht! – Einige Wochen voll himmlischer Hofnung liegen vor mir und dann – .... dann wird mir zu Sinn sein als würde ich von Rosenwolken zum goldnen Gipfel der Jungfrau emporgetragen.«[264]

»Welche Schwärmerei!« sagt' ich lachend.

»O lachen Sie nicht! bat er sanft; ich bin ja glücklich.«

»Ist Ihre Liebe wirklich so tief?« fragt' ich gerührt.

Er antwortete nicht, aber er nahm meine Hand die auf seinem Arm lag und drückte sie mit tiefer Bewegung an seine Lippen und an sein Herz.

In unserm Gasthof angelangt setzte ich mich an den Theetisch; Wilderich ging auf und ab im Salon mit einer Hast die beunruhigend war. Ich bat ihn sich zu mir zu setzen: er wollte nicht. Ich fragte dies und das: er antwortete zerstreut. Endlich sagt' ich:

»Sie sind ungeselliger Laune; also gute Nacht, mein Wilderich! gehen Sie schlafen!«

»Und morgen früh um fünf Uhr muß ich mit dem Zürcher Eilwagen fort ohne Ihnen zuvor Lebewol sagen zu können!« rief er.

»Desto besser! Abschied nehmen ist so traurig.«

Er kniete plötzlich vor mir nieder. Ich sagte kurz:

»Auf, Wilderich! diesen Ausdruck der Andacht nicht zum Spaß mißbraucht!«

»Zum Spaß? .... mißbraucht? – o meine Gräfin! selten mag wol ein Mensch mit so tiefem heiligen Dankgefühl niedergekniet sein – Dank für[265] das Erbarmen der Vergangenheit – Dank für die Huld der glückseligsten Hofnung. Sie haben mir das Leben gerettet! in langen Nächten haben Sie mich bewacht, in schweren Tagen mich gepflegt, immer ein Lächeln, einen Trost, eine unbesiegliche Geduld für mich gehabt, den Unbekannten, den Fremdling! – dann haben Sie mich gelehrt welch eine herrliche Gabe das Leben sei, weil wir darin das Gute thun und das Schöne lieben sollen – und allendlich haben Sie mir ein überirdisches Glück zugesagt! .... – Und dafür gäbe es einen übertriebenen Ausdruck von Dank und Andacht? – – O sehen Sie denn nicht daß ich nicht anders kann als vor Ihnen knien?«

Dieser junge warme Ausbruch des Gefühls that mir unsäglich wol. Ich sagte:

»O Wilderich! es ist doch wunderschön wenn das Herz den Regenbogen der Empfindung – und sei es nur auf Secunden! – über unser graues Lebensgewölk wirft.«

Er hatte sein Gesicht in meine Hände und auf meine Knie gelegt. Ich hob seinen Kopf empor; an seinen Wimpern hingen Thränen. Sanft legte ich meine Hand über seine Augen und sprach:

»Ich bin wie die Männer! ich kann in lieben Augen keine Thränen sehen.«[266]

Und ich bog mich herab um seine Stirn zu küssen. Aber eine fürchterliche Erinnerung schmetterte urplötzlich wie ein Wetterstral durch meine Seele. Ich lehnte mich zurück, ließ die Hand sinken und sprach ruhig:

»Und nun genug, lieber Wilderich! dieser Augen blick ist mir süß und freudig gewesen wie eine Frühlingsblume die man im Spätherbst unter welken Blättern findet. Ich wünschte sie nie zu vergessen. Leben Sie wol – bis zum frohen Wiedersehen!«

Ich gab ihm die Hand, und verließ den Salon. – Wie oft habe ich es später beklagt ihm jenen Kuß nicht gegeben zu haben! er hätte vielleicht Wilderichs Lippen gelöst und den wahren Zustand seiner Seele zur Sprache gebracht. Er kann Wunder thun – ein Kuß! kann die Herzen entsiegeln oder besiegeln die in Beklommenheit und Schwankung zitterten. Aber ich in der Verkehrtheit meines Herzens verstand nie! nie! das Rechte zu treffen. Am Abend des andern Tages war ich mit Benvenuta in Ouchy. Sie war unterwegs noch viel betrübter. Sie sprach gar nicht von Wilderich was mir unnatürlich vorkam, da sie ihm nicht Lebewol gesagt hatte; aber ich ließ sie gewähren, denn ich hatte Scheu etwas anzurühren oder aufzustören,[267] was vielleicht der Stille bedurfte um klar zu werden. Es ist unsäglich schwer ein junges Wesen zu verstehen, das sich selbst nicht versteht. Die Mütter behaupten freilich immer sie kennten ihre Töchter bis in die Seele hinein; ich mögte behaupten, daß sie durch immer neue und die allergrößten Ueberraschungen zu dieser Kenntniß gelangen.

Die ganze Erziehungsanstalt war durch den Tod der Vorsteherin in Auflösung. Deren Tochter Gabriele ein durch Geist und Bildung ausgezeichnetes Mädchen, war bei einundzwanzig Jahren noch nicht erfahren genug um den Platz der Mutter auszufüllen, und die Oberlehrerin genoß nicht eines so unbedingten Vertrauens. Ich war schnell entschlossen und bot Gabrielen an als Benvenutas Gesellschafterin zu mir zu kommen. Das erfüllte beide Mädchen mit Freude und Dank. Binnen acht Tagen waren die alten Verbindungen gelöst, die neuen geknüpft, und Benvenuta bat mit freudig überwallendem Herzen:

»Nicht wahr Mama, nun gehen wir geschwind nach Grindelwald zurück?«

»Es wird sehr eng für uns drei in der Cottage sein!« entgegnete ich um zu erfahren welche Sehnsucht sie dahin treibe.

»O, Gabriele und ich – wir werden uns schon[268] zusammen in einem Zimmer vertragen! wir sind daran gewöhnt. Ach Mama! es ist so lieb, so herzig in der Cottage von Grindelwald wie nirgends sonst.«

»Auch nicht in Deinem geliebten Engelau?«

»Nein! – nirgends!«

»Im vorigen Herbst gefiel sie Dir doch gar nicht besonders.«

Benvenuta wurde purpurroth und erwiderte verlegen und schüchtern:

»Jezt aber sehr! .... ich meine .... im Frühling sehr.«

»Es wird aber jezt nicht so munter dort sein, weil Wilderich fehlt;« sagte ich unbefangen, zum ersten Mal seit seiner Abreise seinen Namen aussprechend.

Sie erbleichte und schloß momentan die Augen, als habe sie eine heftige und schmerzliche Erschütterung empfunden. Ich sah daß sie unfähig war mir eine Antwort zu geben die arme Kleine! darum fuhr ich gelassen fort:

»Indessen wird er ja auch bald wieder kommen.«

»Ist es möglich!« rief Benvenuta durch namenlose Freude über ihre Schüchternheit emporgehoben.

»Wenn Du es wünschest – ist es gewiß! Wilderich kommt wohin es sei, sobald ich ihm nicht[269] ausdrücklich schreibe er solle nicht kommen; und dies würde ich nur in dem Fall thun, daß er Dir gleichgültig wäre und daß Du mir den Auftrag gäbest ihm das schonend beizubringen.«

»Wenn er kommt, Mama, so ist es mir ganz einerlei ob wir hier bleiben, oder nach Grindelwald oder sonst irgend wohin gehen! sagte Benvenuta wieder ganz blöde und erröthend. Aber glaubst Du wirklich daß mein Wunsch ihn wiederzusehen Einfluß auf sein Kommen oder Nichtkommen haben könnte?«

»Ich glaube es nicht – sondern ich weiß es! am Abend in Bern hat er es mir gesagt. Er wünscht innig Dich wiederzusehen um Deine Neigung gewinnen und Dein Herz fesseln zu können. Und dazu hab' ich ihm Hofnung gemacht.«

»O Mama! wie himmlisch gut bist Du!« rief Benvenuta und warf sich entzückt in meine Arme.

Gleich nach diesem Gespräch schrieb ich an Wilderich:

»Es ist so eben bestimmt worden, lieber Wilderich, daß wir für den ganzen Sommer nach Grindelwald gehen. Sie wissen also wo Sie uns finden und daß Sie uns willkommen sein werden, in dem Fall daß Sie Ihren Entschluß nicht[270] geändert haben. Zuvor müssen Sie aber fein ruhig Ihre vierwöchentliche Badecur abmachen. Den großen Festen des Lebens muß man gesund und kräftig entgegen gehen. Adieu, Wilderich. Eine Menge angenehmer Dinge die Sie vermuthlich wissen mögten, mag ich nicht schreiben, weil sie unendlich viel lieblicher zu hören und zu sagen – als zu lesen und zu schreiben sind. Gott mit Ihnen.«

In Grindelwald erhielt ich seine Antwort. Sie war kurz wie mein Brief, ein unterdrücktes Freudejauchzen, ein Herzpochen der Seligkeit. Ich gab das Blatt an Benvenuta. Sie las es, küßte es mit feierlicher Rührung, faltete die Hände darüber und sagte indem sie ihre schönen unschuldigen Augen thränenvoll zum Himmel aufschlug:

»Gott, wie danke ich Dir daß es wirklich wahr ist.«

Uebrigens sprach sie nach ihrer Art fast gar nicht von Wilderich weder mit mir noch mit Gabrielen; allein ich sah an ihren Beschäftigungen, daß er der Mittelpunkt ihrer Gedanken war. Mein Bild unter der Tanne am Rosenlaui-Gletscher machte sie im Original und in der Copie fertig, und alle Spaziergänge die Wilderich mit uns gemacht, suchte sie als die schönsten und liebsten auf.[271] Je näher der Tag seiner Ankunft rückte, um desto bewegter wurde sie.

»Ich glaube ich freue mich zu sehr ihn wiederzusehen! sagte sie am Morgen des Tages dessen Abend ihn bringen sollte. Wenn nur dem Dampfboot auf dem Thuner See kein Unglück geschieht.«

»Und wenn eins geschähe?« fragte ich.

»Dann wär' es aus und vorbei,« sagte sie so merkwürdig gefaßt, daß ich staunend fragte:

»Was wäre aus und vorbei, seltsames Kind?«

»O, ich weiß nicht was! .... ich denke nur .... Alles.«

»Beruhige Dich, Benvenuta! das Dampfboot wird friedlich seinen Weg machen und um acht Uhr Abends, wie er es geschrieben hat, wird Wilderich hier sein; sonst gewiß morgen früh.«

Um acht Uhr Abends war Wilderich nicht da; nicht um neun und auch nicht um zehn. Benvenuta war fast bewußtlos vor nervoser Unruh.

»Er hat in Interlachen weder Wagen noch Pferde bekommen können – wie das in dieser Jahreszeit bei großem Fremdenzudrang ziemlich häufig geschieht – morgen zum Frühstück ist er hier,« wiederholte ich wol funfzig Mal; aber ich selbst gerieth in fiebernde Aufregung und bat Gabriele Benvenuta zum Schlafengehen zu bewegen. Das geschah. Ich[272] aber warf mich halbtodt vor Erschöpfung auf die Chaiselongue die auf dem Altan stand, und lag dort gedankenlos von unerklärlicher Angst befallen bis gegen Mitternacht.

Rasche Schritte draußen auf dem festen Wege weckten mich aus meiner Lethargie. Ich sprang auf, bog mich über den Altan und fragte halblaut:

»Sind Sie es, Wilderich?«

»Freilich bin ich es,« rief er und sprang in großen Sätzen die Freitreppe zum Altan hinauf.

»Aber warum so entsetzlich spät?« fragte ich ganz matt und gab ihm die Hand.

»Der Maschine des Dampfboots geschah ich weiß nicht was für ein Unfall, der uns über zwei Stunden aufhielt. Dann fand ich kein Pferd in Interlachen. Um die Nacht dort zu bleiben fehlte mir die Ruhe; ich nahm einen Burschen der meinen Mantelsack trug, und wanderte zu Fuß von dannen. Eine unbestimmte Hofnung flüsterte mir zu, daß Ihre Gewohnheit tief in die Nacht hinein zu wachen Sie gewiß auf dem Altan festhalten würde. Da konnte ich Sie sehen, oder Ihr Kleid, oder das Licht in Ihrem Zimmer .... oder doch wenigstens die liebe Cottage! – – und so bin ich hier .... selig wie nie ein Mensch gewesen ist.«[273]

Auf der Brustwehr des Altans stand eine Reihe von Nelkentöpfen. Aber nicht steif an Stäbe gebunden war die schöne Blume, sondern lang und geschmeidig, wie es der Gebrauch in den Schweizer-Bauerhäusern ist, fiel sie mit ihren feinen Blättern graziös über die Brustwehr herab und bildete eine Art von Teppich oder Behang über derselben. Ich hatte mir einen Strauß gepflückt dessen gewürziger Duft mich erquickte, und während Wilderich hastig bis zur Athemlosigkeit sprach, drückte ich mein Gesicht ein Paarmal in die frischen kühlen Blumen, denn es lastete eine gewitterhafte Schwüle auf der ganzen Natur.

Als Wilderich schwieg nahm er mir plötzlich den Nelkenstrauß aus der Hand und bedeckte ihn mit Küssen. Ein namenloses Entsetzen kroch bei dieser leidenschaftlichen Bewegung wie eine Schlange an mich heran. Wir saßen auf dem Altan, der durch die Lampe im Salon und durch den überwölkten Sternenhimmel nur matt erleuchtet war, so daß ich Wilderichs Gesicht nicht deutlich sehen konnte; allein es giebt Momente wo man den Ausdruck eines Gesichtes fühlt ohne ihn zu sehen, und dies Gefühl war nicht beruhigend. Indessen gab ich seinem letzten Ausruf mit Fassung zur Antwort:[274]

»Wir wollen über diese Seligkeit sprechen, kommen Sie herein, Wilderich.«

Ich stand auf; aber er blieb sitzen, umschlang mich heftig und rief mit gepreßter Stimme halblaut:

»Nein nein nein! ich mag nicht sprechen.«

Ich wich zurück, ging in den Salon, trat an ein Fenster und sagte:

»Wenn Sie zu müde oder zu aufgeregt sind um noch heute ein ernstes Gespräch führen zu können, so wollen wir es auf morgen verschieben. Gute Nacht, lieber Wilderich.« Ich schloß das Fenster.

Er kam schnell herein. »Verzeihung, meine Gräfin! sagte er wieder mit seinem alten lieben innigtreuen Ausdruck. Draußen ist Gewitterluft; in mir ist ein wenig Fieber; ich bin die vergangene Nacht und den heutigen Tag durchfahren, zuletzt tüchtig marschirt, dann die Ungeduld, endlich die Freude! .... – – Hier sind auch die Nelken welche Sie draußen vergessen haben.«

Er gab mir den Strauß zurück, schenkte aus einer Caraffe voll Limonade, die immer auf einer Console stand, ein Glas ein, leerte es und sagte indem er sich zu mir setzte:

»Worüber befehlen Sie mit mir zu sprechen?«

»Nun, über das was Sie am meisten interessirt: über Ihr Glück.«[275]

»Darüber ist schwer zu sprechen, meine Gräfin!« entgegnete er sanft und gedankenvoll und verschränkte die Arme über der Brust.

»Vielleicht schwer mit mir; mit Benvenuta wird es Ihnen leichter werden.«

»Was könnte ich mit Ihrer Tochter über mein Glück zu sprechen haben? Sie wissen ja daß es einzig in Ihrer Hand liegt.«

»Ja .... als Mutter,« sagte ich bebend.

»Wie das – ich verstehe Sie nicht,« erwiderte er unsicher und fuhr mit der Hand über die Stirn.

»Sie werden mich sogleich verstehen wenn ich Ihnen sage, daß Benvenuta um Ihre Liebe weiß und sie erwidert,« entgegnete ich mit einer Entschlossenheit die aus einer innern Folterung entsprang.

Ein dumpfer Schrei rang sich aus Wilderichs Brust und bewußtlos sank er im Lehnstuhl zurück. Mir war zu Sinn als müsse der Himmel auf uns herabstürzen und uns alle drei begraben. Durch starke Essenzen weckte ich ihn aus seiner Ohnmacht.

»Ich will nicht leben wenn Sie mich nicht lieben!« rief er mit einem Ausdruck von unerhörter leidenschaftlicher Verzweiflung, und begrub sein eiskaltes Gesicht in meinen Händen.[276]

Ich war keines Gefühls, keines Gedankens, keines Wortes mächtig. Krampfhaft schlugen meine Zähne an einander; mein Herz klopfte so unbändig daß ich mich dem Ersticken nah fühlte. Ein Bild aus der Hölle umschwirrte mein Gehirn: der Mann den mein Kind liebte – liebte mich! – Aber die Todesangst um dies Kind lieh mir Worte:

»Wilderich! rief ich, dies Alles ist ein Traum, ein Alp, ein Unsinn! nicht wahr, lieber Wilderich, Sie lieben meine Tochter?«

»Meine Gräfin, sagte er traurig, wie käme ich dazu Ihre Tochter das liebe Kind .... aber doch ein Kind nur! – zu lieben. Ich bin ihr gut wie einer kleinen Schwester; ich beschäftigte mich mit ihr und interessirte mich für sie auf das Lebhafteste – weil sie Ihre Tochter ist, weil es Ihnen angenehm war uns in gutem Vernehmen zu wissen, weil es eine Verbindung zwischen Ihrem Herzen und mir war, weil ich ein Mittel darin sah Ihnen immer näher zu kommen – – o, Sie sehen wol aus diesen tausend »weil«, daß nicht ein Funke tieferer Empfindung sich in mir fand! Mein Herz ist kalt für Ihre Tochter; meine Seele weiß nichts von ihr! und wie könnte das auch anders sein .... neben Ihnen! Wer von uns bemerkt ein[277] niedliches Kind wenn eine Göttin tiefsinnig und geheimnißvoll durch unser Leben geht?«

»Aber dies Kind ist ein junges Mädchen, unterbrach ich ihn, das in der zarten Einfalt seines Herzens Ihre Freundlichkeit anders – und weit natürlicher gedeutet, und sich dieser Deutung mit tiefer warmer Innigkeit hingegeben hat.«

»Davor hätten Sie Ihre Tochter warnen sollen, gnädige Gräfin!« sprach Wilderich eiskalt.

»Aber, Unseliger! rief ich händeringend, ich deutete Ihr Wesen in dem Sinn meiner Tochter! Ich müßte rasend gewesen sein um Ihren Wunsch bei uns zu bleiben, mit uns zu leben, uns wiederzusehen – auf mich zu beziehen! Die Jugend paßt zur Jugend! Es ist unnatürlich in Ihrem Alter von einem sechszehnjährigen blühenden Mädchen sich wegzuwenden und zu deren Mutter hin, die zwanzig Jahr älter ist.«

»Ich habe nie nach Ihrem Taufschein gefragt, gnädige Gräfin!« sprach Wilderich immer eiskalt.

»Es ist unnatürlich, fuhr ich fort, gleich beim Eintritt ins Leben die Blüte und Kraft der Empfindung in einer Richtung zu verschwenden, die mit dessen eigentlicher und ernster Bestimmung nichts gemein hat. Die Liebe soll uns tüchtig[278] machen für die Mühsale die uns erwarten, indem sie unser Glück an ein bestimmtes Ziel knüpft: an ein gemeinschaftliches Leben mit einem geliebten Geschöpf, das uns ergänzt und vervollständigt.«

»Der Meinung bin ich auch, gnädige Gräfin!«

»Nun Wilderich, wenn Sie dieser Meinung sind, wie können Sie dann Ihre Liebe an eine Frau verschwenden, die durch Alter, Erfahrung, Verhältnisse und Richtung gänzlich derjenigen Sphäre entrückt ist, welche Ihrer in der Gegenwart und für die Zukunft harrt! Ich bin ermattet vom Leben – und Sie sind erwartungsvoll und dürstend nach seinen Gaben. Ich zweifle an dem menschlichen Glück – und Sie sehen es an diese Zweiflerin geknüpft. Ich glaube nicht an die Dauer der Liebe – und Sie lieben als müsse sie in Ewigkeit fortbestehen. Ich spreche nur von inneren Verschiedenheiten. Der äußeren mag ich nicht erwähnen. Sie würden erschrecken wenn ich sie Ihnen grell vor die Augen hielte.«

Ich hätte lange fortreden können; aber ich schwieg, denn Wilderich starrte mich wie geistesabwesend an. Er hielt seinen Kopf in beiden Händen, und zuweilen überlief ein Zittern seinen ganzen Körper. Als ich schreckenvoll verstummte sprach er matt und tonlos:[279]

»Es ist aber doch gräßlich so mißverstanden zu werden! nicht verstanden – ist schon traurig; allein so mißverstanden – das ist noch nie geschehen! Sie Gräfin, Sie mit Ihrem tiefen Blick und Ihrer ernsten Erkenntniß, Sie konnten nicht das schlichte Herz begreifen, das sich Ihnen zu eigen gab? .... O, das ist unnatürlich, meine Liebe ist es nicht! – Das Schöne zu lieben sei die Glorie des Lebens – lehrten Sie mich. Ich hab' es gethan .... weiter nichts.«

»O Kind! Kind! rief ich mit herber Trostlosigkeit, was hilft der Tiefblick der Erfahrung und der Erkenntniß, wenn er unser Herz nicht zu Rath zieht! das eigene Herz lehrt uns das fremde verstehen, und ich – Sie wissen es ja! – lebe in meinen Gedanken und Träumen, jedoch nicht mit meinem Herzen. Drum war ich nicht glücklich an der Seite des besten und zärtlichsten Mannes; – drum täuschte ich mich über Otbert in einem solchen Grade, daß ich an seine Liebe für mich glauben konnte; – drum erkannte ich nicht die mächtige flammende Liebe, die Fidelis für mich empfand; – drum wähnte ich daß Sie mit Dankbarkeit an mir und mit einer erwachenden Neigung an meiner Tochter hingen. O sehen Sie diese schauderhafte grenzenlose Verwirrung meines Daseins,[280] Wilderich, und vermehren Sie sie nicht durch Hingebung an Ihre Schwäche.«

»Ich hatte mir ein Leben geträumt, sagte Wilderich mit heißer Wehmuth, edel reich und gut, wie Sie mir den Impuls dazu gegeben hatten. Es ist etwas Großes in Ihnen, das meine Seele weit macht; und da Sie dafür keinen festen Anknüpfungspunkt gefunden: so war ich stolz genug zu wähnen, daß Sie ihn in mir finden sollten und festhalten müßten. Ich wollte meinen Weg gehen, meine Laufbahn machen, meine Wirksamkeit auf mich nehmen mit jenem Bewußtsein der inneren Berufung, welche uns über all dessen Sorgen und Aengste erhebt. Ich wollte Sie stolz machen – ja ja, meine Gräfin, stolz darauf daß Sie dies stille Feuer einer unüberwindlichen Beharrlichkeit im Guten entzündet hätten. Ich wollte unausgesetzt mit Ihnen leben – nicht bei Ihnen – in der schönsten Gemeinschaft die zwischen Menschen denkbar ist: in einem Geist, mit einer Gesinnung, zu einem Ziel; stets eingedenk daß das Leben göttlich sein kann, wenn wir das Gute thun und das Schöne lieben.«

»O! rief ich tief bewegt, das kann ja Alles so werden – nur ein wenig anders!« .... – –

»Nicht so und nicht anders! unterbrach er mich[281] schwermüthig. Denn ein Wort der Ermunterung wollt' ich hören und das sollte heißen: Ich liebe dich, Wilderich.«

»O Wilderich! rief ich – ich will Sie lieben wie die zärtlichste Mutter den edelsten Sohn liebt, wenn Sie nur zur Besinnung über Ihre eigene Empfindung kommen könnten!«

»Ich bin über sie zur vollständigsten Besinnung gekommen .... und grade jezt, meine Gräfin! – Da muß ich Ihnen denn der Wahrheit gemäß und auf meine Ehre bekennen, daß ich Sie nicht liebe wie ein Sohn seine Mutter.«

»Ueber's Jahr wird es anders sein, Wilderich, oder doch in fünf oder zehn Jahren!«

»Ich weiß wol daß dies Ihre Ansicht ist.«

»Und Sie vertrauen ihr?«

»Ich kann es nicht mehr da Sie mich so fürchterlich mißverstanden haben! folglich muß Etwas in mir sein, das Ihr Auge nicht ergründet – und dies Unergründliche ist vielleicht meine Liebe für Sie.«

»Mein Gott! ächzte ich, welch ein Unstern waltet über meinem Leben, daß Alles mir zum Fluch wird, was einem Andern Heil und Segen bringt! – Aber was liegt an mir? – gar nichts! –[282] desto mehr an Ihnen und an ihr .... mein Gott, an ihr!«

»Ich fühle daß wir jezt nicht mehr wie sonst zusammen leben können, sagte Wilderich. Es soll auch sogleich anders werden!«

Er stand auf und ging einmal durch den Salon als wolle er jeden Gegenstand der ihn füllte in seine Seele prägen. Das Bild vom Rosenlaui, Original und Copie, zierlich in purpurfarbenen Sammt eingerahmt, stand auf der Staffelei. Er nahm eins derselben, betrachtete es und sagte:

»Es ist gut! .... ich nehme es mit mir!« – kehrte dann zu mir zurück, kniete vor mir nieder und sprach in einem Ton der durch seine Ruhe mein Herz beben machte:

»So leben Sie denn wol, meine Gräfin! ich bitte Sie nicht um Verzeihung für meine Liebe; das wäre eine Schmach für mein Herz; – aber dafür daß ich Ihren Wunsch hinsichtlich Ihrer Tochter nicht erfüllen kann. Zum Beweis Ihrer Vergebung geben Sie mir einen Kuß – und dann leben Sie wol! ich sehe Sie nie wieder! ich verdamme mich selbst zur ewigen Trennung.«

»Sie dürfen nicht fort, Wilderich! sagte ich ganz außer mir und umklammerte seine Hände. Benvenuta liebt Sie. Ich selbst habe die Hofnung[283] in ihr geweckt, die Gewißheit ihr gegeben daß Sie sie liebten. Sie zagte, sie zweifelte .... ich zweifelte nicht. Sein Sie barmherzig! machen Sie mich nicht meiner Tochter gegenüber zur Lügnerin! ersparen Sie ihr und mir den gräßlichen Schmerz, woran ich weiß nicht was für ein sündhafter verbrecherischer Anstrich klebt, daß Sie – die Mutter lieben! besinnen Sie sich ein Jahr, zwei Jahr auf Ihren Irrthum, auf diese Täuschung Ihres schönen warmen dankbaren Herzens! – O Wilderich! wenn Sie mich je geliebt haben, so erbarmen Sie sich meiner!«

Er war aufgestanden und sagte nun langsam und beklommen:

»Wie ist es denn aber möglich mich nicht zu verstehen, wenn ich doch sage und wieder sage: ich liebe Sie!«

»Ich verstehe nichts, nichts, gar nichts .... als daß ich meine Tochter vielleicht fürs Leben elend gemacht habe – wenn Sie nicht Erbarmen haben.«

»Meine Gräfin, wie kann ich das?« fragte er sanft.

In einem Paroxismus von Schmerz sank ich vor ihm nieder und flehte mit gerungenen Händen:

»Wilderich .... Sie müssen meine Tochter lieben!«

Angstvoll hob er mich auf und rief:[284]

»Um Gotteswillen, Sie sind außer sich; fassen Sie sich .... dann werden Sie einsehen daß Sie Unmögliches von mir verlangen! – Ich liebe nicht Ihre Tochter, kann und werde sie nie lieben, denn bei dem bloßen Gedanken packt mich ein namenloses Grauen. Und gar sie zu heirathen – das wäre sündhaft, das wäre verbrecherisch. Und dann wissen Sie ja auch, setzte er schwermüthig lächelnd hinzu, daß ich kein reiches Mädchen heirathen mag.«

»Sie scherzen und mir zerspringt der Kopf oder das Herz, Wilderich! .... was soll ich denn morgen meiner Tochter sagen? wie soll ich ihr gegenüber treten? wie ihre Fragen, ihre Unruh, vielleicht ihre Klagen oder Vorwürfe aushalten? ich muß umkommen in dieser Qual.«

»Sagen Sie ihr, meine Gräfin, ich sei todt.«

»Wieder eine Lüge! .... und sie wird es nicht glauben.«

»Oder sagen Sie ihr ich hätte mich als unwürdig erwiesen! ich sei ihrer nicht werth – leichtsinnig, Spieler, unbeständig – was Sie wollen.«

»Ich soll Sie verleumden, Wilderich?«

»O, rief er lebhaft, es ist mir ganz gleichgültig was Benvenuta von mir denkt! ich sinne nur auf Erleichterung für Sie.«

»Wollen wir einmal ruhig überlegen! sagte ich[285] da ich ihn so sehr gesammelt sah! Wilderich, erfinden Sie einen Brief von Ihrer Mutter, der Sie plötzlich zurückgerufen hätte! – Eine Unzufriedenheit mit der Neigung welche Sie in so früher Jugend fesselt, ein Verlangen zuvor Rücksprache mit ihr zu nehmen, würde nicht ganz unwahrscheinlich sein. Einige Zeit würde darüber hingehen und Benvenuta vielleicht gleichgültiger werden – oder Sie können sich ändern! Wenn Sie uns in zwei oder drei Jahren wiedersehen, staunen Sie vielleicht über Ihre jetzige Verblendung.«

»Möglich, meine Gräfin! möglich!« sagte er mit einer himmlischen Sanftmuth, denn ich sah an seinen entstellten Zügen und seiner leichenhaften Blässe wie sehr er litt und welche ungeheure Gewalt er sich anthat um nicht in Ausbrüche von Schmerz und Leidenschaft zu verfallen. Aber ich hatte kein Mitleid mit ihm; ich dachte nur an Benvenuta, nur an ein Mittel den Schlag zu lindern, der ihr bevorstand. Ich bat ihn einen Brief zu schreiben des obigen Inhalts. Er entgegnete:

»Mir ist als käm' ich von der Folterbank, der Kopf wüst und schwindelnd, die Hände lahm« ... –

»Desto besser, d.h. unruhiger und schmerzvoller, also passender für unsern Zweck, wird er sein;« –[286] erwiderte ich unbarmherzig, drängte ihn zum Schreibtisch und schob ihm Papier und Feder zu.

»Also in dieser Weise soll ich die letzte Stunde unsers Zusammenseins verbringen?« rief er.

Ich sah ihn nur bittend an. Er setzte sich und schrieb was ich ihm angedeutet hatte. Während er schrieb ging ich auf und nieder und überdachte Alles was ich an Benvenuta sagen wollte. Im September sollte eine Reise nach Italien und ein längerer Aufenthalt daselbst ihren Gedanken eine ganz andre Richtung geben; und wie eine noch spätere Zeit sich gestalten würde, mußte ich äußern Fügungen und inneren Umgestaltungen überlassen. Nachdem ich mich einigermaßen über Benvenuta beruhigt hatte, kehrte sich doch endlich meine Theilnahme auf Wilderich. Er hatte den Brief vollendet, überschrieben und gesiegelt, und saß unbeweglich am Schreibtisch die Arme fest über der Brust verschlungen. Ich legte die Hand auf seine Schulter:

»Dies ist Ihr erster Schritt ins wirkliche Leben, Wilderich, sagte ich; das erste Glied der langen Kette genannt Enttäuschung aus der wir uns heraus oder hinein – ich weiß nicht recht! – wickeln müssen. Das darf Sie nicht zu Boden werfen, nicht einmal momentan. Ich weiß auch daß Sie[287] es überwinden werden – aber weil Sie doch einmal dahin kommen, so sei es lieber gleich. Werfen Sie mit einem starken Entschluß die unnütze Last ab, schütteln Sie den Druck von der Brust und die Wolke von der Stirn, und sein Sie tapfer.«

»Wenn ich Ihrem Rath folgte, entgegnete er mit großem Ernst, so würde ich mich nur als leichtsinnig nicht als tapfer zeigen, meine Gräfin. Vielleicht giebt es Naturen von so merkwürdiger Spontaneität oder von so eiserner Willenskraft daß sie auf der Stelle Herr ihrer selbst werden können. Ich kann es nicht. Ich brauche Zeit um mich zu sammeln, zu fassen und zu trösten. Die Gaben sind verschieden! Sie überwinden vielleicht in einer Minute wozu ich ein Jahr brauche. Und dann sind mir auch die Ereignisse meines Lebens wichtig – mögen sie Anderen noch so dürftig erscheinen! Ich will sie nicht gleichgültig bei Seite schieben oder fallen lassen und zu etwas Anderem übergehen; sondern vielmehr bis in den Kern hinein ihre Bitterkeit oder ihre Süße kosten und mein Wesen mit ihnen nähren, damit sie in dessen Nerv, Blut und Kraft übergehen. Gefühle, Begegnisse, Empfindungen die so zu sagen aus meinem Herzblut geboren sind, kann ich nicht willkürlich von mir abschütteln wie eine Last die etwa meinen[288] Schultern aufgebürdet wird. Sie müssen sich in mir austoben bis zu ihrem Ziel, und dieses ist nicht der Tod – denn sie hatten ein organisches Leben – sondern eine Verklärung, eine Auferstehung, eine Befruchtung neuer Keime, ein Fortschritt in der Wahrheit oder Selbsterkenntniß, ein frischer Aufschwung. So, als eine organische Entwickelung, verstehe ich überhaupt das Leben! so finde ich Zusammenhang und Einheit darin, und wo diese sind kann jenes zu einer großen herrlichen Harmonie ausgebildet werden. Fliegt Alles nur wie Staub an mich heran und wieder ab: so gewinnen die Gedanken und Bilder des Staubes die Oberhand, und ich werde untergewirbelt in ihrer Nichtigkeit. So bin ich beschaffen, meine Gräfin, und demgemäß muß ich handeln.«

Ich faltete meine Hände über seinem Haupt und sagte mit maßloser Traurigkeit: »O des Jammers daß Sie nicht mein Sohn sein wollen! O des Glückes mein Kind an Ihr Herz zu legen!«

Da sprang er hastig auf und sagte zum ersten Mal mit einer wilden Heftigkeit: »Dies will ich nicht hören! es ist Lästerung meines Gefühls für Sie. In einer hohen Empfindung mißverstanden zu werden vom Pöbel – ist natürlich; von Gleichgültigen – ist erklärlich; aber von einem edlen und[289] befreundeten Wesen – das ist ein scharfer Dorn, welcher den Schmerz sehr wild macht. Was soll mir dies Kind und immer dies Kind! es ist mir verhaßt da ich die Mutter liebe.« – – Und sich mit aufflammender Leidenschaft vor mir niederwerfend rief er: »Ja ich hasse es, denn es steht zwischen Ihnen und mir! Sie würden mich lieben, wenn es nicht da stände! Sie opfern mich und vielleicht sich selbst den exaltirten Phantasien eines Kindes, das sich einbildet beim ersten Schritt aus der Kinderstube einen Geliebten finden zu müssen. Wie kommt sie dazu grade auf mich ihre Wahl zu werfen? Vier Wochen voll brüderlicher Intimität berechtigen doch warlich nicht dazu?« – –

»Ich kann Ihnen mit denselben Fragen antworten, unterbrach ich ihn kühl. Wie kommen Sie dazu bei Ihrem ersten Schritt aus der Schule sich für eine Frau zu fanatisiren, die Ihnen während vieler Monate keine andre Berechtigung gegeben hat als die: eine mütterliche oder schwesterliche Freundin in ihr zu sehen?« – – – Ich hob ihn auf und fuhr sanft fort: »Nein, Wilderich! Schuld ist nicht bei Ihnen, nicht bei meiner Tochter; – nur bei mir! Weil ich ohne Herz bin – drum verstand ich Eure Herzen nicht und tappte so hin in der Dämmerung meiner uralten Träume. Vergeben[290] Sie mir den Schmerz den ich Ihnen hätte ersparen können, mein lieber Wilderich! ich will Ihre Vergebung als ein Wahrzeichen betrachten, daß keine Rachegeister aus diesem trüben Wirrsal sich gegen mich erheben. Wiedersehen können wir uns nur unter einer Bedingung, die ich nicht aussprechen darf« .... – –

»Weil ich sie nicht erfüllen kann! warf er ein. Auf diesen Brief, meine Gräfin, werden Sie schon eine Fabel zu bauen wissen, welche Ihre Tochter auf dasjenige vorbereitet was unvermeidlich ist. Unsre Trennung ist es auch – drum sei der Abschied kurz! ich fühle daß ich matt werde.«

Ein krampfhaftes Zittern flog um seine Lippen, und seine Augenlider sanken müde und krank über die trüben Augen herab. Ich dachte mit Entsetzen an die Möglichkeit daß er vor Erschöpfung vielleicht nicht mehr mein Zimmer verlassen oder auf dem Wege zum Gasthof ohnmächtig werden könne.

»Kommen Sie, mein armes liebes krankes Kind, sagte ich und nahm seinen Arm; ich bringe Sie zur Ruhe.«

Mit unnachahmlicher Innigkeit des Ausdrucks und der Bewegung warf er einen langen Blick durch das ganze Zimmer, grüßte es mit der Hand und sagte:[291]

»Lebewol du liebes unvergeßliches Haus!«

Dann ergriff er das Bild und ließ sich von mir über den Altan, die Freitreppe hinab und auf den Weg zum Gasthof führen.

»Schlafen Sie ein Paar Stunden, bat ich ihn unterweges. Sie sind noch angegriffen von Ihrer Badecur und die Nerven furchtbar erschüttert. Nicht blos den Festen des Lebens – wie ich Ihnen nach Baden schrieb – auch dessen Kämpfen und Schlachten muß man mit dem Panzer einer stählernen Gesundheit entgegen gehen. Wenn Sie mich wirklich lieben, so machen Sie mir Ehre und sein Sie stark.«

»Ich werde es sein! entgegnete er. Ich werde schlafen und morgen über den Rosenlaui-Gletscher nach Meyringen gehen. Das war der Weg der mich vor dreiviertel Jahr in dies geliebte Thal zur »guten Frau von Grindelwald« brachte, und beim Rosenlaui hatte ich meinen letzten seligen Tag. Mit diesen Bildern und Erinnerungen kehr' ich heim nach Wildeshausen. Dann weiter in's Leben .... wie Gott will!«

Ueberwältigt von heimlich nagendem Gram sagte ich:

»Es wird ein mühseliges Leben sein, mein Wilderich. Solche diamantene Herzen wie das Ihre[292] schafft Gott nicht umsonst. Klar, rein, fest und schroff wie der Diamant, muß es in schwerer Arbeit sich selbst und Andere schleifen. Verbrennen kann der Diamant – nicht schmelzen wie der Rubin, der dann Glanz und Feuer verliert und trübe wird. Es giebt auch Rubinherzen, Kind! aber ein diamantenes ist höher. Denk' daran.«

Meine Seele zitterte in der Erinnerung an Fidelis. – –

So kamen wir zur Thür des Gasthofs. Wilderich pochte und bis Jemand von Innen öfnete, sagt' ich:

»Lebwol! lebwol!« – küßte flüchtig seine Lippen und lief rasch von dannen.

Es dämmerte schon; der Morgenwind löste die nächtlichen Gewitterwolken in einen starken Regen auf, der mich durchnäßte und erquickte. Ich trug ein weißes Musselinkleid, keinen Hut, keinen Shawl; mein Haar hing aufgelöst über meine Schultern herab. So kehrte ich heim, stieg die Freitreppe hinan, ging langsam über den Altan in den Salon und sank unter einer plötzlichen Erstarrung meines Herzens bewußtlos zu Boden, als Benvenuta mir freudig mit der Frage entgegen trat:

»Nicht wahr, er ist gekommen?« – – –

Mein altes Herzübel, das sich in dem verhältnißmäßig[293] ruhigen Zustand des letzten Jahres beschwichtigt hatte, brach mit neuer Gewalt herein. Und doch mußte ich, kaum zu mir selbst gekommen, meiner Tochter Red' und Antwort stehen! – Leugnen war vergeblich! Sie hatte seine Stimme gehört und es fehlte ein Bild vom Rosenlaui! – Der Brief auf dem Schreibtisch befremdete sie freilich: war Wilderich hier, wozu der Brief? – Ich half mir mit einer Unwahrheit und sagte:

»Sein Inhalt ist so wichtig daß er ihn selbst bringen – und für ihn so peinlich daß er denselben nicht mündlich mittheilen wollte. Wider Erwarten traf er mich .... und sagte mir Alles! – aber ich behielt dennoch den Brief – Deinetwegen!«

»Meinetwegen?« stammelte sie erblassend, erbrach und las ihn aufmerksam, faltete ihn dann zusammen und sagte leise: »Er liebt mich nicht!«

Ich hatte nicht den Muth sie des Gegentheils zu versichern. Ich schwieg und zitterte wie eine Verbrecherin welche Entdeckung fürchtet. Es war mir lieb, daß jede Gemüthsbewegung mich paralysirte; so litt ich weniger; d.h. mehr physisch. Benvenuta schwieg auch. Sie sprach nicht mehr von Wilderich, sie fragte nie nach ihm. Es war als sei er gar niemals da gewesen! Und nicht blos[294] gegen mich beobachtete sie diese Zurückhaltung, sondern auch gegen Gabriele, welche ich gebeten hatte mit möglichst linder Hand die Wunde ihres Herzens zu sondiren. Nach einiger Zeit sagte mir Gabriele ihre Bemühungen wären umsonst, und fügte hinzu:

»Es kommt mir vor als fände ich in ihr nicht sowol eine Wunde, als ein Grab.«

»Und über dem Grabe wachsen Blumen,« sagte ich mit Zuversicht zu meinen Erfahrungen.

Das war ein trauriger Sommer! Ich, fast immer leidend; Gabriele in Trauer um ihre Mutter; Benvenuta still und ernst, vor der Zeit eingeweiht in das große Geheimniß des Schmerzes. Nichts interessirte sie; sie sprach keinen Wunsch und keine Hofnung aus. Es war ihr gleichgültig ob wir zum Winter nach Italien oder nach Engelau gingen oder in der Cottage blieben. Sie las und zeichnete, sie ging und ritt spazieren, sie besorgte kleine häusliche Verrichtungen mit großer Pünktlichkeit und großer Sanftmuth, aber ohne Theilnahme und Freude. Ihre liebliche Heiterkeit war ganz von ihr gewichen, und ihr liebes Gesicht auf dem der wundervolle Schmelz der ersten Jugendblüte lag, ward blaß und welk. Unerhörte Angst um sie, und ein unerhörter Gram über Wilderichs Verblendung,[295] der sich zuweilen zu zürnendem Groll steigern konnte – marterten mich in einer Weise die mir bisjezt unbekannt geblieben war. Es gab Momente wo ich sie Beide hartnäckige, eigensinnige Kinder nannte, welche durch ihren Trotz Unheil auf sich selbst und auf Andere herabziehen würden.

Im September entschloß ich mich zur Reise nach Italien. Beim Abschied von Grindelwald schien Benvenutas Herz brechen zu wollen. Dies waren nicht Thränen wie die Jugend sie weint: ein Frühregen auf welchen der schönste Tag folgt; es waren Blutstropfen aus einer tödtlich verwundeten Seele. In Genf erkrankte sie bedenklich. Der Arzt erklärte ihre Nerven müßten einen gewaltsamen Stoß erlitten haben, und müßten durch wolthätige Einflüsse von Luft, Klima, Zerstreuung und Freude gehoben und ermuntert werden. Blieben sie in dem gegenwärtigen Zustand, so sei Melancholie oder Abzehrung zu fürchten. Ich dachte an meine arme Mutter, bei der auch Seelenleiden die traurige Krankheit herbeigeführt hatten – und erbebte. Nicht mehr über mir sondern über der reinen Stirn meines Kindes sah ich den Unglücksstern schweben, der mein Dasein beherrschte.

Wir gingen nach Neapel. Dort und in Sorrent verlebten wir ein Jahr – o Gott, welch ein Jahr![296] Eine Dolchspitze berührte meine Brust, anfangs nur drohend, aber bald eindringend, ganz allmälig, Tag um Tag, ohne Barmherzigkeit, ohne Gnade, und als sie bis zum Heft mich durchbohrt hatte – starb Benvenuta. Sie starb am Tage Allerseelen als sie siebzehn Jahr alt wurde. Sie starb in Sorrent in demselben Hause wo ich mit ihrem Vater meinen Liebesfrühling verlebt hatte. Sie starb an einer Nervenverzehrung – wie die Aerzte es nannten. Ihr Organismus sei überangestrengt, meinten die klugen Männer, entweder durch zu anhaltende geistige Arbeit, oder durch zu rasches Wachsen des Körpers. Vielleicht haben sie Recht! vielleicht kam Eines zum Andern um sie aufzureiben! Aber ich meine, sie starb an dem Gefühl für welches sie, der Natur und ihrer Bestimmung zu Folge, hätte leben und glücklich leben sollen. Durch mein unheilvolles Sein wurde es unheilvoll für sie, und ich – die an keine Macht und Dauer der Gefühle glaubte – mußte meine Tochter daran sterben sehen. – – – Sie verging, sie schwand dahin, sie ward immer stiller und stummer. Die Komödie einer allmäligen Entfremdung und Ablösung Wilderichs, die ich mir anfänglich ausgedacht, hatte ich nie vor ihr spielen können. Ihre Augen sahen so seltsam wissend aus. Ueberdas ließ sie[297] jedes Wort, jede Andeutung, die zu einem Gespräch über ihn hätte führen können, augenblicklich fallen. Nur in ihren allerletzten Tagen sagte sie einmal zu mir:

»Grüße Wilderich .... wenn Du ihn wiedersiehst.«

»Ich werde ihn nicht wiedersehen,« sagte ich – um irgend etwas zu sagen.

»O doch! jezt grade wirst Du es können!« erwiderte sie mit Ueberzeugung.

Ich schüttelte schweigend und verneinend den Kopf. Später begann sie:

»Ich hätte eine Bitte, liebe Mama! – Versprich mir Wilderich wiederzusehen.«

»Ich kann Dir das nicht versprechen, Kind! Es hängt nicht von mir allein ab, und Wilderich hat gar kein Interesse, glaube mir, mich wiederzusehen.«

»In Allem was Du von Wilderich sagst – verzeihe mir! – kann ich Dir nicht glauben, denn ich weiß es besser! Er wird glücklich sein wenn er wieder nach der lieben Cottage von Grindelwald kommen darf.«

»Benvenuta, Du weißt nicht wie weh Du mir thust.«

»Ich weiß es wol – und darum hab' ich nie[298] mit Dir über Wilderich gesprochen, entgegnete sie und küßte meine Hand. Nachdem ich in jener Nacht seinen Brief gelesen und Dich so verstört gesehen hatte: wußte ich daß er nicht mich sondern Dich liebe.«

Ich winkte ihr zu schweigen; ich fühlte mich hinsterben wie unter dem Richtbeil. Sie wußte also daß ihre Mutter ihre Nebenbuhlerin war! – Mir vergingen die Sinne, Gedanken, Worte. Was sollte ich ihr erklären? wie mich rechtfertigen? ich kam mir schuldbeladen vor, als habe ich eine Todsünde begangen. Als Rächer für die lange Verkehrtheit meines Lebens stand diese Minute wider mich auf, diese gräßliche, wo der Gipfel aller Verkehrtheit in dem Wort erreicht ward, welches die Tochter zur Mutter über den Geliebten sprach: Er liebt dich! – – –

Dies war Benvenutas letzte selbstbewußte Lebensäußerung. In Phantasien mit Lethargie abwechselnd, verbrachte sie noch dreimal vierundzwanzig Stunden, und träumte sich hinein in den Tod oder in das ewige Leben. – – – – –

Das ewige Leben! – Ja, sie hat es, denn es war ein Kern in ihr aus welchem sich in einer neuen Phase des Daseins eine neue Blüte entwickeln kann. – – – – –[299]

In die Heimat zu den Gräbern der Meinen wollte ich die geliebte Leiche bringen. Es ging nicht. Ich kam nur bis Rom, wo ich erkrankte. An der Pyramide des Cestius wurde sie bestattet.

Als ich mich im Frühling ein wenig erholt hatte reiste ich nach Freiburg um Astralis zu sehen. Schön und lebenstralend fand ich sie, aber ich fühlte mich durchaus unfähig das vierzehnjährige Mädchen zu mir zu nehmen und die Vollendung ihrer Erziehung und ihren Eintritt ins Leben zu überwachen. Ich schrieb seit Jahren einmal wieder an Otbert, der immer in Paris im Strudel des großen und ereignißvollen allgemeinen Lebens die Emotionen ersetzte, welche seiner Persönlichkeit nach und nach entschwanden. Ich sagte ihm daß ich den größten Theil meines disponiblen Vermögens, das sich durch Benvenutas Tod mehr als verdoppelt habe, auf Astralis vererben wolle, sobald ich mich überzeugt halten dürfe, daß er ihr wahrhaft ein Vater sein und nicht nach meinem Tode über ihr Vermögen mit seinen verschwenderischen Händen herfallen wolle.

Er antwortete mir tief erschüttert: er werde jede Bestimmung heilig halten, die ich anzuordnen für gut fände. Er bat auch mich besuchen zu dürfen; aber dankbar für seine Theilnahme und freundlich[300] lehnte ich es ab, nicht aus Widerwillen, sondern nur weil es so sehr überflüssig gewesen wäre.

Die Cottage von Grindelwald sah ich auch nicht wieder. Ich schenkte sie an Gabriele, die mir in meiner Jammerzeit eine treue Freundin und feste Stütze gewesen war. Sie blieb in ihrer Heimat, und ich ging nach Engelau, das ich schon nicht mehr als mein Eigenthum betrachtete, denn nach meinem Tode fiel es meinem Mann zu. Ich ordnete auf's Pünktlichste meine Geschäfte, machte für Astralis das bewußte Vermächtniß, und ein kleineres für jene beiden Brüder Wilderichs deren Zukunft ihm Sorge machte; Legate für alle meine Diener. Damit waren die irdischen Angelegenheiten abgethan, und da der Aufenthalt in Engelau auf mir lastete wie der Deckel eines Sarges, so ging ich unter dem Vorwand berühmte Aerzte zu consultiren nach einem mir gänzlich fremden Ort – nach Dresden. – – – – – –

Zwischen Dresden und Aussig hab' ich mich fast zwei Jahr umher geschleppt. Auf den grünen nußbaumbeschatteten Abhängen um Schreckenstein war mir am wolsten auf der Welt; – so, als habe Fidelis mir diese Stätte bereitet. Er hat Frieden, möge er leben, möge er todt sein. Er hat die Seele die ihn befähigt zum ewigen Leben. Mit[301] diesem Bewußtsein kommt der Mensch früher oder später zum Frieden. Aber habe ich sie? – »Salva me, fons pietatis!« .... klingt es wie das Echo einer höhern Welt durch meine Seele. Von Rettung spricht man mir. Mich dem Leben der Menschen wiedergeben, wäre das Rettung? – O nein! Gott und ich – wir wissen es anders. »Salva me, fons pietatis!« – – – –

Nicht gelebt hab' ich durch mein Herz; es rächt sich, und ich sterbe am Herzen – – – –

Fußnoten

1 Traghetti sind die Stationsplätze der öffentlichen Gondeln längs den Canälen, und sind fast alle durch ein Madonnenbildchen beschirmt vor dem Nachts eine Lampe brennt.


Quelle:
Ida Gräfin Hahn-Hahn: Sibylle. Eine Selbstbiographie. 2 Bände, Band 2, Berlin 1846.
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