Zweiter Gesang.

Des Homunkels Lehrjahre.

[16] Munkel hieß der Dorfschulmeister,

Dessen Gattin war erkoren,

Auszureifen, zu gestalten

In dem mütterlichen Schoße

Statt des eignen Liebesegens

Jenen Keim aus der Retorte,

Den gemischt der chem'sche Meister

Aus des Lebens Elementen.

Als vorüber nun der Monde

Neunzahl, trat an's Licht des Tages

Ausgereift und ausgestaltet,

Lebend und gesund, das zarte

Wunderkind, das ungezeugte.

Mit emporgezog'nen Brauen,

Stirnerunzelnd und mit großen,[16]

Klugen Augen um sich blickend,

Lag es in der Wiege, weinte

Selten, lächelte noch seltner.

Keinen Engel sah's im Traume,

Denn es glaubte nicht an solche.

Aber in der Brütestätte

Jenes mütterlichen Schooßes

War dem Knaben, pilzkeimartig,

Angeflogen doch ein Etwas,

Das, als er herangewachsen

Und Gehilfe ward des Vaters,

Sich verrieth durch Versemachen.

In Romanen und Gedichten

Hatte seine wack're Mutter

Viel gelesen, während sie sich

Mit ihm trug, desgleichen später,

Während sie das Knäblein säugte

Mit der Milch aus ihren Brüsten.

So war er Poet geworden:

Nicht entgangen war es ihm,

Daß die Lust trägt in der Brust

Der Poet, den Schmerz im Herzen.

Und er machte die Entdeckung,

Daß im Lenz die Knospen springen,

Und die Rosen lieblich duften,

Und die Wasser wonnig rauschen,

Und gelind die Lüfte wehen,

Und daß hübsche junge Mädchen[17]

Angenehm sind anzusehen –

Und er glühte vor Verlangen,

Dies Entdeckte ohne Säumniß

Aller Welt nun mitzutheilen.

Wußte nicht, daß solche Dinge

Seit Anakreons, des Tejers,

Zeit ein öffentlich Geheimniß!

Eine schöne Schenkin liebt' er,

Feierte sie zart in Liedern –

Hebe ihm zugleich und Muse!

Späterhin ein Nähmamsellchen,

Das mit stahlblank-scharfer Schere

Ihm erschien als ernste Parze

Seines Glücks- und Lebensfadens.

In die Hände eines Tages

Fiel ein enggedruckter Band ihm

Von Rezensionsauszügen

Ueber Schack's poet'sche Werke.

Dieses spornte seinen Ehrgeiz.

Nachzueifern solchen Flügen

War von da an sein Bestreben.

In der Prosa war Johannes

Scherr Idol ihm, Götze, Fetisch.

Wollte nun nicht länger harren,

Literarisch und ästhetisch

Durchgebildet im Verborg'nen,

Edlen Sanges Dank zu ernten.

Aber bald ward ihm bedeutet,[18]

Daß die Themen seiner Lieder,

Maienlust und Liebeswonne,

Nicht so neu, als ihm bedünkte,

Daß vielmehr schon abgebraucht sie,

»Abgedroschen«, – flegelhaft fand

Er den Ausdruck – aber schließlich

»Eine neue Poesie denn

Zu erfinden gilt's,« so dacht' er;

»Eine neue zeitgemäße

Poesie mit funkel-nagel-

Neuen Stoffen – mit Gedanken

Und Gefühlen, unerhörten!« –

Und er machte die Entdeckung,

Daß die Menschen an sozialen

Uebeln kranken, daß die Armen

Sich in bittrer Noth verzehren,

Daß im Glück, im ungestörten,

Schufte leben, daß der Hunger

Junge Mädchen aus dem Volke

Auf die Bahn oft drängt des Lasters,

Daß dem welken, reichen Lüstling

Jungfrau'nblüte wird verkuppelt,

Daß der Bund der Ehe drückend

Ist für die, die sich nicht lieben,

Daß moralische Versumpfung

Aus der Armuth sich entwickelt,

Und nicht minder aus dem Reichthum –

And'res viel von dieser Art noch.[19]

»Brächte,« dacht' er, »diese Dinge

In begeisterten Gesängen

Ich zur öffentlichen Kenntniß,

Ungeheures Aufseh'n müßten

Sie erregen und man fände

Sich bemüssigt, abzustellen

Die sothanen Uebelstände.

Nebenbei müßt' über Nacht ich

Zum berühmten Manne werden!« –

Aber er erlebt' es leider,

Daß die Welt bei seiner neu'sten

Poesie nicht minder gähnte,

Als bei jenen guten alten

Lenzeslust- und Liebesliedern.

In Verzweiflung ob des Scheiterns

Seiner stolzen Ideale,

Rafft' er auf sich zum Entschlusse,

Ueber's Knie den Lehrerbakel

Abzubrechen, fortzuwandern,

Hoffend, in der Welt, der weiten,

Endlich doch noch aufzutreiben

Neue Themen, welche »packten«.

Und er fand zwar nichts, was neu,

Aber manches doch, was Mode.

Dichtermode war zum Beispiel

Mittelalter just, das »finstre«,

Und das Alterthum das »graue«.

Und so schrieb er denn ein Epos,[20]

Allerneu'ste »Nibelungen«,

Dacht' es stracks wie eine Bombe

Zündend in das Volk zu werfen.

Es gelang ihm, einzuschleichen

Sich mit zartem Minnesange

In das Herz der schönen Tochter

Eines reichen Buchverlegers.

Diesem bot er an sein Epos,

Warb zugleich um seine Tochter.

Doch der Buchverleger sagte:

»Willst du nach der Myrthe greifen,

Erst verdiene dir den Lorbeer!« –

Und das Buch, es ward gedruckt,

Und es ward hinaus gesendet

In die Welt und hochgepriesen

Ward's, in die Posaune stießen

Alle Kritiker, die Ohren

Gellten wie der angeschlag'ne

Heil'ge Erzschild zu Dodona

Mondenlang dem Publikum.

Während so vom Lob des Buches

Die Journale widerhallten,

Schwand das Jahr, und sieh, vergriffen

Waren – dreizehn Exemplare.

D'raufhin wies der Buchverleger

Stumm die Thür dem Minnesinger,

Gab die Tochter einem Andern,

Und das Epos stampft' er ein. –[21]

In die Dienste eines jungen

Cavaliers auf Reisen trat nun

Unser Munkel. An der Seite

Dieses jungen, flotten, reichen

Don Juans – als Sekretär ihm

Sollt' er dienen – wohlgemuth sich

Anzuseh'n die Welt gedacht' er,

Hoffend, brauchbar'n Stoff zu finden

Endlich doch für jene neue

Poesie, nach der er strebte.

In der That an Don Juans Seite

Trieb er um in mancher schönen

Gegend sich, in mancher bunten

Groß- und Weltstadt, und in Bädern –,

Modebädern, das ist solchen,

Wo so recht behaglich plätschert

Einer in dem Schmutz des Andern –

Trieb sich um an manch berühmtem

Badespielort auch, und weilte

Nun an einem, der vor allen

Elegant war, fashionable:

Zu Tarteiffelburg, an Frankreichs

Und des deutschen Landes Grenze.

Dieser Ort ward hohe Schule

Für Jung-Munkel. Die Gesellschaft

Sah er hier, die große, feine,

Sah sie lächelnd, lispelnd, trippelnd,

Tänzelnd und balsamisch duftend,[22]

Untermischt mit räthselhaften,

Uebertünchten, parfümirten

Existenzen, faul von innen –

Sah, wie los man wird am Spieltisch,

Was erknausert ward, erknickert,

Und ergattert und ergaunert –

Sah wie leicht verscherzt, verjubelt

Sind die durchgegang'nen Kassen

Und die durchgegang'nen Schönen –

Sah, naiv erstaunt, die edle

Weiblichkeit zum ersten male

Dekoll'tirt bis an den Gürtel –

Sah die Danaën geschminkt sich

In die gold'ne Traufe stellen –

Sah den kecken Abenteurer,

»Hahn im Korb« der gall'schen Hennen,

Der vielleicht nach ein paar Monden

Seine seidene Kravatte

Schon vertauscht mit einer hänf'nen ...

Eines Abends stand im weiten,

Hellen Saal am Spieltisch Munkel.

Einer, der, noch unbefangen,

Regen Sinns hier schaut die Spieler,

Festgebannt am grünen Tische,

Düster mit verstörten Mienen,

Dem erscheint der Tisch ein Angstrad,

Drauf geflochten die Unsel'gen, –

Meint zu lesen ein Kapitel[23]

Aus der Höllenfahrt des Dante.

Aber Munkel sah den Tisch nicht,

Nicht die Spieler; sah nur Eines:

Aufgeschichtet auf dem Tische

Hohe, helle Haufen Goldes.

Da befiel auf einmal krankhaft

Ihn ein räthselhafter Zustand.

Stärker ward sein Puls und Herzschlag,

Ein gewisses Zucken spürt' er

Krampfig in den Fingerspitzen,

Vor den Augen ward es gelb ihm,

Flimmernd-gelb – ein Schwindel faßt' ihn ...

Ach, der Aermste ahnte nichts noch

Vom Geheimniß seines Ursprungs! –

Seines Keimes Elementen

Dachte, um ihn mehr zu kräft'gen,

Auch ein Element des Eisens

Beizumischen der Erzeuger.

Er vergriff sich; in die Mischung

Kam ein Element von Golderz.

Dies Goldelement im Keime,

Stets verlangt' es nach Erneurung,

Gleich den ander'n Elementen,

Und so lag ein räthselhafter

Durst nach Gold in Munkels Blute.

Fortstürzt Munkel; Ruh' gewinnt er

Erst, nachdem er weit gelassen

Hinter sich die gold'nen Haufen.[24]

In der Nacht, im tiefsten Schlummer,

Naht ein märchenhafter Traum ihm.

Sah im Traum als Herkules sich

Selber steh'n am Scheidewege.

Auf der einen Seite winkte

Ihm das Ideal, mit Armuth

Und Entsagung im Gefolge;

Auf der andern winkte Glanz, Macht,

Reichthum. Und zu wählen hatt' er.

Eine blaue Blume hier –

Dort ein mächt'ger Klumpen Goldes.

Jene blühte auf smaragd'ner

Wiesenflur – der gold'ne Klumpen

Lag im Schmutz und Dust der Straße.

Auf der blauen Blume wiegten

Farbig-bunt sich sel'ge Falter,

Auf dem Klumpen Goldes krochen

Würmer, Spinnen, ekle Käfer.

Nach der blauen Blume greifen

Wollte Munkel. Doch des Erzes

Zauber auf sein Blut und Wesen

War zu stark – er nahm den Klumpen.

Und was sich im Traum entschieden,

Es verwirklicht sich im Wachen.

An den Spieltisch mit bescheid'nem

Einsatz wagt in nächster Nacht sich

Unser Held. Die Rollen häufen

Sich um ihn im Stundenfluge.[25]

Heißa! mehr der gold'nen Rollen!

Immer mehr der gold'nen Rollen!

Als der Morgen angebrochen,

Findet er sich reich wie Krösus.

Als ein Mensch, ein Mann nun galt er,

Und in ihren Schoß aufnahm ihn

Süßlich lächelnd die Gesellschaft.

Arm in Arm mit Grafen ging er,

Um sich sah er nur noch Sklaven,

Und der Gürtel aller Phrynen

Schrumpfte für ihn ein zum Strumpfband.

Eines dieser schönen Kinder

Nahm er fort mit sich auf Reisen.

Frei und selber Cavalier nun,

Schöpft' er keck den Schaum der Welt ab,

Im Geleite dieser Schönen.

Aber da die Lust ihn ankam,

Auch zu pilgern nach dem lust'gen

Ungarland, an Ort und Stelle

Zu verkosten den Tokaier,

Und zu seh'n die üppig-schönen,

Weltberühmten Ungarfrauen,

Fiel er im Bakonyerwalde

Wilden Räubern in die Hände.

Führer dieser Räuberbande

War ein Enkel Rosza Sándors,

Und gutmüthig, wie nun einmal

Ist im Ungarland der Betyàr,[26]

Wollt' er unserm armen Munkel

Nur die schöne Liebste nehmen,

Und dafür das Gold ihm lassen.

Doch die leichtgesinnte, munt're

Schöne, sie erklärte rundweg,

Daß sie bleibe, wo das Gold sei;

Und so sah der Enkel Sándors

Sich bemüssigt, zu behalten

Auch das Gold des armen Munkel.

Gerne wäre Munkel selber

Auch geblieben bei dem Golde,

Auch geblieben bei den Räubern;

Denn was sollt' er nun beginnen?

Von den Räubern fortgewiesen

Trieb er in der Welt umher sich,

Und es warf geraume Zeit ihn

Auf bewegtem Meer des Lebens

Eine Welle zu der andern.

So im Lauf der nächsten Jährchen

War er viel nicht stets, doch Vieles:

Volksmann, Wühler, Freischaarführer,

Polizeispion, Major dann

In dem Gardecorps des Papstes,

Börsenjobber, Spielbankhalter,

Bauernfänger, Wunderdoktor,

Kriegsschauplatz-Berichterstatter,

Vortragsbummler, Taschenspieler,

»Medium«, Gedankenleser,[27]

Reisemarschall einer Säng'rin,

Sozialist, Carlist in Spanien,

Renegat und Roßschweifpascha,

Jesuit, Schaubudenhalter,

Hungerkünstler, Feuerfresser,

Sekretär entthronter Fürsten,

Schornsteinfeger in der Hölle,

Colporteur, barmherz'ger Bruder,

Reuß'scher Konsul in Tumbuktu,

Cirkusreiter, Clown, geheimer

Sendling, Mäkler, Geldverleiher,

Kommissär verschied'ner Mächte

In den Donaufürstenthümern,

Handlungsreisender, Schauspieler,

Unterschriften-, Wurzel-, Kräuter-,

Lumpen-, Abonnentensammler ...

Was von Seelenwanderung einst

Lehrten die Pythagoräer,

Was Braminen in Legenden

Und Ovid in fünfzehn Büchern

Von Verwandlungen erzählen,

Von Verwandlungen der Menschen,

Von Verwandlungen der Götter,

Messen darf es sich mit dem nicht,

Was geleistet unser Munkel

In der Kunst der Selbstverwandlung,

Seelenwanderung – in Farben-,

Kleider- und Gesinnungswechsel,[28]

So im flücht'gen Lauf der Jährchen.

Schließlich bracht' ihn ein verdrießlich-

Böser Handel vor die Schranken,

Und von da – Gott weiß wohin.

Ward er flüchtig? Es verliert sich

Von da an für eine Weile

In geheimnißvolles Dunkel

Unser Held; die Weltgeschichte

Hat hier eine ihrer vielen,

Sehr bedauerlichen Lücken.

Aber aus dem Dunkel, siehe, –

Etwa wie aus eines Tunnels

Nacht man wieder kommt an's Tagslicht –

Trat mit einem mal in würd'ger

Haltung, reif für Höh'res, Munkel,

Als gewiegter, als gerieb'ner,

Ausgepichter, als mit allen

Salben, wie man sagt, gesalbter

Mann hervor, bewußt des Zieles.

Aufschlug er in einer Weltstadt

Seinen Wohnsitz, und in's Leben

Rief er eine große Zeitung:

Eine Zeitung von noch niemals

Dagewesener Bedeutung,

Riesigem Erfolg, betitelt:

»Blatt für Alles und für Alle

Kostenfrei geliefert ward es,

Dieses Blatt, dem Abonnenten.[29]

Mehr noch: er bekam dazu auch

Unterschiedlich-hübsche Prämien,

Ostereier, Christgeschenke,

Neujahrsgelder und dergleichen.

Dies bekam der Abonnent

Mit der einzigen Bedingung,

Daß er las die Inserate! –

»Teufel, wie ist Solches möglich?

Und wie kommt er auf die Kosten?«

Also fragten naive Seelen,

Welche glaubten, daß ein Vogel

Von der Luft, ein Fisch vom Wasser,

Und ein großes Blatt, ein Weltblatt,

Lebt vom Geld der Abonnenten! –

Je nun – Jeder inserirte

In ein Blatt, das Jeder las. –

Honorare zahlte Munkel

Keine; ließ im Gegentheile

Stets sich selbst zu hohem Preise

Honoriren, was er druckte.

Um die Ehre, mitzuwirken

An dem »Blatt für Alle«, stritt sich

Die Elite der Gesellschaft;

Hof- und Staats- und and're Räthe

Oder auch die Führer mächt'ger,

Zahlungsfähiger Parteien

Lieferten die Leitartikel.

Große Bank- und Handelsfirmen[30]

Lieferten die finanziellen,

Volkswirthschaftlichen Berichte,

Zahlten fabelhafte Summen

Für die Ehre, in Herrn Munkels

Blatte sich gedruckt zu sehen.

Literarische Kritiken

Lieferten die Buchverleger

Und die Feinde der Autoren.

Sehenswürdig war das eng're

Redaktionsbureau des Blattes.

Vier »interne« Kräfte zählt' es.

Anvertraut den beiden ersten

War das Werk des Redigirens.

Dieses Paar erprobter Kräfte

War der Rothstift und die Scheere.

Daran schloß sich als »interne«

Dritte Kraft ein Bullenbeißer,

Welcher Jenen in die Waden

Fuhr, auf welche man ihn hetzte.

Von den menschlichen Organen

War beim Vierten das Organ nur

Der Verantwortung entwickelt,

Das auch Sitzorgan genannt wird.

Vorbehalten hatte Munkel

Von den Redaktionsgeschäften

Für sich selbst sich das des Schweigens –

Das des Schweigens und Verschweigens –

Dieses lohnte sich am meisten.[31]

In des Blattes Magazinen

Fand sich eine Riesentonne:

Und in dieser Riesentonne

War ein ungeheurer Vorrath

Aufgestapelt alles Süßen:

Alles Lobes, alles Ruhmes,

Jeder Art von Anerkennung.

»Unvergleichlich, herrlich, prachtvoll,

Meisterhaft, nie dagewesen,

Zauberhaft, entzückend, himmlisch« –

Jedes dieser Prädikate,

Jedes dieser Adjektive

Bis hinunter zu »befried'gend«

Und »genügend« und »nicht übel«

Hatte seinen Preis. Reklame,

Von der plumpsten bis zur feinsten,

Ohne Maske und mit Maske,

Unverschämte und verschämte,

Bot in Tausenden von sinnreich

Und kokett erdachten Formen

Sich dem Käufer dar zur Auswahl.

Aber wie es einst im alten

Attika den besten Honig

Und zugleich das beste Salz gab,

Hielt das Bittere dem Süßen,

Hielt dem Zuckerseim der Wermuth,

Hielt dem Sammtpfötchen die Tatze,

Asa foetida dem Weihrauch[32]

Und der Unglimpf der Verhimmlung

In Herrn Munkel's Blatt die Wage.

Schwunghaft einen Handel treiben

Konnt' es heimlich mit den Häuten,

Die es Feinden abgezogen –

Eig'nen Feinden oder fremden.

An die großen Magazine

Der Reklame schloß dann weiter

Sich das große, weitberühmte

»Meinungspensionat« des Blattes:

Jede Art von öffentlicher

Oder auch privater Meinung,

Ansicht, Grundsatz, Ueberzeugung

Ward hier in die Kost gegeben

Und für Geld so groß gezüchtet,

Dick gefüttert, ausgestattet,

Und an Mann gebracht so günstig,

Als man es nur wünschen mochte. –

Alles Käufliche der Welt,

Alles Leckere des Erdballs,

Alles Schöne, Delikate,

Seltene, Begehrenswerthe,

Alles, was nur die fünf Sinne

Eines Menschen mag erregen,

Reizen, locken und verführen,

Gab bei Munkel's Blatt die Karte

Höflich ab und die Adresse.

Und von all' Dem, selbstverständlich,[33]

Hatte das »jus primae noctis«

Munkel selbst – das »Recht der ersten

Nacht«, das Recht, es vorzukosten.

Tributpflichtig war die Welt ihm.

Freien Eintritt, freien Zutritt

Hatt' er überall durch off'ne,

Blumenüberhang'ne Pforten.

Keine Thür war ihm verschlossen,

Und kein Ohr, kein Herz, kein Beutel.

Alles beugte sich vor ihm,

Dem Gefürchteten, Allmächt'gen;

Alles zog vor ihm den Hut,

Wenn auch mit geheimem »Daß dich ...«

War er doch der große Richter,

Mittler, Förd'rer, Gnadenspender!

Fürsten und Minister drückten,

Juden küßten ihm die Hände.

Künstlerinnen, schön und häßlich,

Schmiegten – je nachdem – als Kissen

Ihm zu Häupten sich, im andern

Fall als Teppiche zu Füßen. –

Käuflich immer fand er Alle,

Weil er käuflich war für Alle.

So zu hohem Glanz und Ehren

Durch sein Blatt gelangte Munkel.

Aber als nun eben wieder

Eintrat eine Zeit des neuen

Volkswirthschaftlich hohen Aufschwungs,[34]

Eine Aera wilden Taumels,

Eine Aera fieberhaften

Rennens, Ringens, eine Aera

Wüsten, korybant'schen Tanzes

Um das gold'ne Kalb – als üppigst

Voll in Samen schoß der Schwindel,

Jeder hinwarf, was er hatte,

Um ein Mehrer's einzutauschen –

Da verkaufte unser Munkel

Um ein Heidengeld an eine

Große Aktiengesellschaft

Sein Journal und wurde Gründer.
[35]

Quelle:
Hamerling, Robert: Homunculus. Modernes Epos in 10 Gesängen, 5. Auflage, Hamburg 1889, S. 16-36.
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