Lied

[29] Aus Johann Arnd waaren Christenthum, c. 30. am 142. Blat.


Daß Christus der Baum deß Lebens, und daß man von seinen Zweigen die 14. Früchte der Christlichen Liebe, (welche 1. Cor. 13, 4 beschrieben werden) brechen, und von seinem Beyspiel abnehmen und absehen soll.


Nach der Stimme: Komt her zu mir, spricht Gottes Sohn, usw.


1.

Gleichwie Anfangs im Paradeiß

Der Baum des Lebens Gott zu Preiß

Die Weißheit konte geben,

So stehet Christus, unser Held,

Gepflantzet in das Kirchenfeld

Und bringt uns Heil und Leben.


2.

Es ist der Glaub der Wurtzelsafft,

Dadurch aufsteigt der Liebe Krafft

Nach seines Wercks Exempel:

Der Baum bringt allen edle Frucht,

Die jeder bey sich selbsten sucht

In seines Hertzens Tempel.


3.

Die erste Frucht ist sanfter Muht,

Wann man nicht wieder Bösses thut

Dem, der uns pflegt zu plagen,

Wie Christus, unser HERR, gethan,

Der alle Schmach von Jedermann

Langmütig hat ertragen.


4.

Die zweyte Frucht ist Freundlichkeit,

Die uns gebührt zu aller Zeit,

Die Liebe zu erweisen.

Holdselig war des Herren Mund,

Demütiglich von Hertzens Grund

Und seine Huld zu preisen.


5.

Es wächst die dritte Frucht hernach,

In dem die Lieb' ist ohne Rach'

Und kan der Schmach vergessen,

Wie Christus seiner Mörder Rott

Hat ihre Marter, Angst und Spott

Nicht einsten zugemessen.

6.

Die Lieb ist ohne falsche Tück,

Sie lacht nicht ob dem Ungelück

Und hasst das grobe Schertzen.

Also hat auch ohn falsche List

Sich frey erwiesen Jesus Christ

Mit offner Red' und Hertzen.


7.

Die Lieb hasst allen eitlen Ruhm,

Die Demut ist ihr Eigenthumm

Und will sich selbst nicht kennen,

Wie Christus selbsten wieß an Ihm,

Als Er sich von des Weibes Stimm

Nicht liesse selig nennen.


8.

Zum sechsten ist die Liebes Frucht

Hold, erbar, sittig, voller Zucht

Und kan sich nicht verstellen,

Wie JESUS Christus auch gethan,

Indem er mit dem armen Mann

Sich pflegte zu gesellen.


9.

Die Lieb ist sonder eignen Nutz:

Gleich die Blätter Laub und Schutz

Den Menschen Früchte giebet,

So hat auch Christi treues Hertz

Uns und nicht sich mit Pein uff Schmertz

Versöhnet und geliebet.


10.

Die Lieb' ist sonder Bitterkeit,

Gelind und sanfft zu aller Zeit

Und weiß, was sich gebühret,

Wie Christus auch der Menschen Schuld

Vertragen hat mit viel Gedult

Und doch sein Ambt geführet.


11.

Die Liebe trachtet nur nach Fried,

Sie bringet keinen Schaden mit,

Sie kan niemand verletzen:

So schirmet uns auch GOTT in Ruh'

Und giebt uns Friedens Engel zu,

Die uns, sein Volk, ergötzen.


12.

Die Lieb ist traurig allezeit,

Wann sie erfährt des Nechsten Leid',

Und hilfft den Last ertragen,

Wie Christus seine Heerd geliebt,

Sich auch ob ihrer Sünd betrübt

Und ließ sie nicht verzagen.[30]


13.

Die Warheit ist der Liebe Freud',

In den sie ihren Geist erneut,

Den Nechsten stets zu lieben,

Wie Christus auch voll Freude war,

Als dort der zwölf Apostelschar

Die Teuffel ausgetrieben.


14.

Die Liebe trägt des Nechsten Schand,

Damit nicht reiß des Friedensband,

Mit dem uns GOTT verbunden,

Wie Christus unsre Missethat

An seinem Creutz getragen hat,

Höll' und Tod überwunden.


15.

Die Lieb' in dieses Lebenslauff

Ermüdet nicht und hört nicht auff

Im Glauben und Vertrauen:

So bleibt auch Christi Lieb und Treu,

Ja sie wird alle Morgen neu

Und lässt sich freundlichst schauen.

16.

Die Liebe hofft fest in der Noht,

Sie weiß sich stärcker als der Tod

Im Alter und der Jugend,

Wie Christi Liebe voll Gedult

Bezahlt der Welte Sünden Schuld.

Lieb ist die gröste Tugend.

Quelle:
A. Fischer / W. Tümpel: Das deutsche evangelische Kirchenlied des 17. Jahrhunderts, Band 5, Hildesheim 1964, S. 29-31.
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