(LXVI.)

Des überwundenen Obsieg.

[222] Wer sein Leben nicht vertheidiget / ist deß Lebens nicht wehrt: wer aber solches wegen nichtiger Ursachen in Gefahr setzet / weiset das wenig wehrt / was er selbsten nicht hoch achtet. Solche werden verglichen mit dem Pferdmann (Minotauro,) der in dem Cretischen Irrgarten / mehr thierisches als menschliches an sich gehabt / und nicht aus den zweiffelwegen kommen können. Wer ihme selbsten rechtschaffen will / ist Richter und Partey zugleich / und dieses ist der Grund aller Befedung und Balgereyen / »daß man sagen kan die gerechteste Sache werde mit[222] ungerechtsamen Mitteln außgeführet« / und durch eine rechte Ungerechtsamkeit aus Gottes Verhängnis bestraffet /wir wir aus nach folgender Erzehlung ein merckwürdiges Beyspiel zu vernehmnen haben.

2. Projet ein alter Rittersmann / hatte in seiner Jugend grosse Proben der Tapferkeit sehen lassen / wiewol / nach der Welt Marktswehrung / solche mit Undank bezahlet worden. Er hielte sich auf seinen Gütlein und bemühet sich den ersten und letzten Tag deß Jahrs / ohne Schuld zu erleben / und das seine ohne Verpfändung zu erhalten. Seine Söhne mussten die Waffen ergreiffen / und seine zwo Töchter in Klöster gehen; die dritte aber / welche die allerschönste / erwartete in ihres Vaters Hause / daß ihr solche Aussteuer der Natur eine Heurat bescheren möchte.

3. Diese Callinia / also wollen wir sie nennen /hatte viel Buler / aber wenig Freyer / und nennete sie ein jeder die Liebste / aber nicht zu heuraten / ein jeder liebte sie / und fürchtete mit ihr Hunger zu leiden. Sie hatte bereit das reiffe Jungfrauen Alter / das 22. Jahr erlangt / nach welcher Vollkommenheit nach und nach das Abnehmen erfolget / daß sie also den Rechsten besten / den sie nur nehren könte / nicht außgeschlagen.

4. Thyrse ein Edelmann von 40. Jahren verliebte sich in diese Jungfer / und weil er Gelds genug / hatte er nicht ursach sich an ihrer Armut zu ärgern / sondern wuste wol daß der eine reiche Frau heuratet /seine Freyheit verkauffet / der eine Arme nimmet /Herr in dem Hause bleibt. Die Werbung wird also bald mit dem ja Wort gefertiget / und hatte die dürre Erden keinen so grossen Durst nach dem Morgentau /als Projet nach dieses Töchtermanns Person / weil er hoffte Hülff und Trost hierdurch zu erlangen. Thyrse hatte die Gaugenjahre überschritten / und bevor er sich in ehliches Versprechen eingelassen / Callinia Sinn wol erlernet / ihre Keuschheit versucht / und ihre Tugend / welche deß Gemüts Schönheit ist / mit dem Angesicht gleich liebwürdig befunden.[223]

5. Es fügte sich aber nach geschlossener Heurats Abrede / daß in der Nachbarschafft ein junger Frischling / aus Niederland wieder kommen / und ihm einbildete / weil er etlichmals aus der Gefahr entkommen / er sey unsterblich / und kein geringer Beförderer der Holländer Freyheit. Seine Zunge erzehlte Wunderthaten von seinen Händen; gleich wie die jungen Studenten oder Gesetzlinge / »wann sie erweisen wollen /daß sie wol studiret / zuverstehen geben / daß sie wenig / oder gar keinen Verstand haben / der alles an seinem Ort / und zu seiner Zeit anzuführen und beyzubringen / lehret«. Dieser Vincent war ein tapferer Jüngling / seine Tapferkeit aber war noch nicht gezeitiget und reiff worden.

6. Er nun besuchte den Adel auf dem Lande / und unter andern auch den alten Projet / welcher ihn wol empfinge / und kame seine Tochter Calliniam zu grüssen / derer Schönheit ihn seiner Freyheit beraubte / und als er verstanden / daß er dieses Orts nicht ankommen könne / weil Thyrse bereit mit ihr verlobt /sucht er Gelegenheit mit ihm üm die Jungfrau / (wie man üm die Stätte in Holland zu streiten pflegt) zu fechten / nennet ihn also einen alten Haanen / einen feigen Krippel / und saget es zu solchen Leuten die es Thyrse wieder für Ohren tragen solten. Thyrse hält dieses jungen Esels Geschrey keiner Antwort würdig /und unterlässet nicht mit seiner Heurat fort zu fahren. Als solches Vincent sahe / schreibt er ihme einen sehr stoltzen Fedebrief / daß auch die Demut selbsten sich beleidigt finden möchte.

7. So kamen beede auf bestimmten Platz / und war Vincent seines Degens so mächtig / daß er Thyrse verwundet / die Waffen genommen / und das Leben bitten machen. Ja / Vincent liesse es hierbey nicht bleiben / sondern nöhtigte auch seinen Feind zu schweren / daß er Calliniam nicht mehr begehren und ihme überlassen wolle. Die Wunden Thyrse waren nicht tödlich / die Schmertzen aber deß erdulten Schimpfes sehr empfindlich / daß er auch / so bald er genesen / mit einem schweren Beutel durch Teutschland nach[224] Venedig / und von dar nach Constantinopel verraiset / seine zeit ohne Weib zu / vertreiben / daß niemand wissen mögen / wo er hinkommen.

8. Vincent hingegen weiset seines Feindes Waffen /rühmet sich / daß er sein Blut / an den seinen trage /ihn genöhtiget das Leben zu bitten / und das er schweren müssen die Calliniam ihme zu überlussen. Hierüber kommet er in Verdacht / daß er diesen seinen neben Buler ermordet / und etwan in einen Fluß geworffen. Die Schwestern Thyrse theilen seine Hinterlassenschafft / und wollen ihres Bruders Blut /durch Oberrliche Handbietung / wie billich / rächen; bringen auch zuwegen / daß Vincent in Verhafft gebracht / und weil er bekennet wie die Sache hergegangen / als ein Frevler wieder Königliche Gebot / welche das Balgen und Rauffen abstellen / zu dem Schwert / verurtheilt wird. Bey solches Urtheils vollziehung hat sein mit Wind der Eitelkeit angefülltes Haubt / etliche Springe auf der Erden gethan / wie ein Ballon.

9. Nach deme Thyrsis zwey Jahr von Hause gewesen / komt er von Constantinopel in Sicilien / von dar nach Rom / und schreibet seinen Leuten / daß sie ihm von seinen Mittelen etlich 100. Kronen zu wechßlen solten / welches geschehen: und nach deme er verstanden / wie es mit dem stoltzen Vincent ergangen / hat er Landshuldigung suchen lassen / und nach solcher Erlangung / doch Caliniam / mit unaussprechlichen vergnügen beederstits Freundschafft gefreyet / und solcher gestalt / nach dem er ist überwunden worden /den Obsieg darvon gebracht.


10. Hochmut bethöret die frevele Jugend /

Demut verehret den Namen der Tugend.

Hochmut mißfället dem höhesten Gott

Demut errettet in ängsten und Noht.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der Grosse Schau-Platz jämmerlicher Mord-Geschichte. Hamburg 1656, S. 222-225.
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