(XCVI.)

Die rühmliche Verzweifflung.

[327] Recht sagt jener / daß alle Sachen zwo Handheben /eine rechte mit welcher es zu erhalten / und eine linke / mit welcher man es muß fallen lassen. Dieses kan auch von etlichen Welthändlen gesagt werden / daß sie gut und böß / nach deme man es ansihet und betrachtet. Also ist alle unsere Gerechtigkeit für den Menschen eine Ungerechtigkeit für Gott. Es kan eine Sache löblich und wieder scheltbar seyn. Daß Samson mit den Philistern sterben wollen / und sich getödtet /damit er sich an ihnen rächen könte / kan nicht entschuldiget werden / als durch Göttliches Eingeben /und ist solche Nachfolge nicht zulässig. Daß die Egypter das entlehnte entwendet / kan nicht entschuldiget werden / als daß es der Lohn für ihre saure Arbeit. Daß Jacob den Isaac betrogen und Esaus Recht der Erstgeburt aberhalten / entschuldigt das Gebot Gottes / dessen Gedanken nicht sind / wie der Menschen Gedancken. Eine solche Geschicht ist auch folgende / welche mehr zu verwundern als nach zu thun.

2. Der Türkische Käyser hat auf eine Zeit 12. Polnische Knaben gefangen bekommen / und sie zu unnatürlichen Gebrauch in sein Frauenhaus versperren lassen. Diese solten beschnitten werden / und weil sie nicht darein verwilligen wollen / bedrauet man sie mit Gewalt. Sie entschliessen sich den Groß Türken mit ihren Messern zu erwürgen / und alsdann gerne als Christen zu sterben.

3. Durch was Mittel dieser Anschlag entdecket worden / meldet Kramerus nicht: vier aber davon /welche das Loß treffen würde / solte man lebendig verbrennen. Als sie nun ihren Tod oder schändlichen Abfall verstehen / sperren sie sich in eine Kammer /und ersticht einer den andern / biß auf den letzten /[328] welcher diesen Verlauf erzehlet / und allein den Flammen zu theil werden müssen. Sonders zweiffel ist dieses Eingeben nicht von Fleisch und Blut herkommen /sondern von dem allweisen und allwissenden Gott.

4. Dergleichen lieset man auch von einem Sicilianer / welcher 3. mannbare Töchter gehabt / und als er gesehen / daß die Türken die Statt darinnen er gewohnet / halb erobert / und diese wegen ihrer Schönheit ungeschändet nicht bleiben wůrden: hat er sie alle erstochen / und alsdann sich unter die Feinde gewaget /derselben viel erlegt / biß er endlich auch ümkommen.

5. Was von dergleichen Thaten zu halten / ist dieses Orts nicht aus zu führen / sondern allein zu melden / daß wir blinde Menschen / in Gottes Rahtschläge nicht sehen können / deßwegen auch unser Urtheil / in Erkäntnis unsrer Schwachheit billich zu rucke halten / biß wir in den andern Leben zu völliger himmlischen Wissenschafft gelangen.


Menschen Witze gleichet einer falschen Brillen /

in Erforschung Gottes seines Schöpfers Willen:

nach der Sachen die zu hoch erhaben sind

langt vergebens ein noch unbejahrtes Kind.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der Grosse Schau-Platz jämmerlicher Mord-Geschichte. Hamburg 1656, S. 327-329.
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