(VIII.)
Der Keuschheit Ehrenkron.

[33] Unter allen betrüglichen Händeln / ist der unverantwortlichste der / welche unter Eheleuten vorgehet / weil sie absonderlich gegeneinander zu beharrlicher Treue für GOttes und seiner Kirchen Angesicht verpflichtet sind. Ob nun wol zu Zeiten ein guter Betrug zu ersinnen / als wann die Mutter dem Kind zum besten ein Unwarheit sagt / so sind doch solche Fälle sehr selten / und ist nicht böses zu thun / wie der Apostel redet / daß gutes darauß erfolge: man soll nicht Leder stelen / und die Schuhe um Gottswillen geben / wie wir Teutschen zu reden pflegen; weil solches Almosen den Galgen[33] verdienet / etc. Was nun von folgendem Fall zu halten / wollen wir dem verständigen Leser zu beurtheilen heimgegeben haben.

2. Miniat ein Handwercksmann zu Mantua / hatte täglich einen Haußkrieg mit seinem Weib / daß sie unfruchtbar / und er sich deßwegen unter seiner Gesellschafft müsse schertzen lassen. Olivetta hette mit jener Matrona sagen können: Bin ich GOtt / daß ich mir kan Kinder schaffen? Wann Gott lässet das Graß aus der Erden wachsen / und es nicht gelegen ist an dem der pflantzt und an dem der begeusst / so wird sein Gedeyen noch viel nothwendiger seyn zu Fortpflantzung der Menschen Kinder / welche mit den Bäumen der Gerechtigkeit verglichen werden. Einsten sagt sie / daß Miniat gleich were den Hunden / welche in den Stein beisen / der sie verletzt / da doch solcher unschuldig / und von starcker Hand muß geworffen werden / wann er schaden solle. Ihr sagt sie / gebt mir die Schuld / als ob ich ein unfruchtbarer Stein / da doch Gott mich verworffen / dessen Rechte alles ändern kan. Ich achte mich für den verfluchten / unfruchtbarn und unnützen Feigenbaum / welcher aber deßwegen noch nicht abzuhauen / und ins Feuer zu werffen / weil noch Krafft und Safft vorhanden: lieber lasst ihn noch ein Jahr stehen / etc.

3. Miniat aber wolte diese Entschuldigung nicht für gültig achten / und erzeigte sich als ein Löw in dem Hauß / mit fluchen / plagen / und schlagen / daß die arme Frau der Gedult wol vonnöthen hatte / und noch Fried noch Anstand erlangen möchte. Sie wusste wol / warum ihr der Mann gram war / sie konte aber die Ursach noch wenden noch enden.

4. Als sie einsten ihr Anliegen einer andern in der Nachbarschafft klagte / wurde ihr wolmeinend geraten / sie solte sich schwanger stellen / dick ankleiden / und einen neugebornen Findling an Kindsstatt annehmen; ja sie wurde ferners unterrichtet / wie sie den Leib mit warmen Wasser auffblehen könte. Die Artz ney-gelehrte wissen / daß kein Anzeigen der Schwängerung ist / welches sich nit auch bey andern Weiber-Kranckheiten finden möge / und daß hierinnen ein richtiges[34] Urtheil zu fällen den Erfahrnen fast schwer falle die Unerfahrnen aber / wie Miniat / sind wol zu betrügen zu dem pflegen wir leichtlich zu glauben / was wir wünschen und verlangen.

5. Olivetta folgt dem Rath / und fande ihren Mann so bald freundlicher / als sie von der angemassten Schwägerung Anregung thäte. Nach Verlauff geraumer Zeit bringt Filiere / die listige Nachbarin / ein Töchterlein in der Olivetta Hauß / und hilfft Miniat bereden / daß er solches mit Olivetta gezeuget / welches er gerne glaubte / und aus allen vorgehenden Umbständen / und behörigen Anstellungen gar nicht Ursach hatte ungleichen Verdacht zu fassen: erfreute sich also über diese Erbin / daß er sein Weib mehr liebte und besser hielte / als zuvor niemals beschehen.

6. Bevor wir aber weiter gehen / müssen wir zurucke sehen / wer diese Fortunata / Miniats vermeintes Töchterlein gewesen. Ihr Vatter Agrippin / ein Kauffherr zu Mantua / hatte etliche Schiffe aus dem Meer / nechst der Anfurt Genua verlohren / und deßwegen seinen Gläubigern nicht enthalten können / daß er nach und nach verkaufft / was ihm übrig geblieben / sich darmit auf die Flucht begeben / und zu Otranto einer Stadt und Landschafft in dem Neapolitanischen / nidergelassen. Portia seine Ehefrau kame mit dieser Tochter Fortunata darnider / und weil sie nit hinter ihrem Manne zu bleiben gesinnet / das Töchterlein aber ohne Gefahr und Ungelegenheit nicht mit ihr nehmen konte / hat sie solches an vorbeschriebenem Ort zu einem Findling machen wollen / damit sie aber mit der Zeit solche ihre Leibesfrucht erkennen möchte / hat sie etliche Zeichen beygebunden / und in einer gewickelten Schrifft der Ziehmutter grosse Belohnung versprochen.

7. Fortunata wurde kaum an besagten Ort gebracht / als Filiere zugegen solche gegen einer Verehrung abgeholet / und ihr wegen grosser Menge der Bastart / nicht auffgehalten worden / gestalt die Ziehmutter dem baaren Gelt und nicht der Verschreibung auf solches zehrendes Pfand getrauet. Fortunata war Miniats Hertzenfreude / sie wuchse /[35] und nahme nach und nach zu an doppelter Schönheit / deß Verstands und deß Leibs; ja es schiene / als ob Gott das gantze Hauß / wegen dieses Kinds segnete / wie dorten Labans Nahrung wegen Jacobs Dienst zugenommen / und sich reichlich vermehret.

8. Olivetta hielte Filiere für die weißte Frau / so da lebte / und lachte ihr in die Faust / daß der Betrug so wol angeschlagen. Wie die geimpften Zweige von fremden Safft Sprosser und Blätter bringen / so hatte auch die liebe Olivetta und Fortunata würckliches Wachsthum nicht anderst / als ob sie warhafftige Mutter / die sie als ihre leibliche Tochter zu Gottesfurcht und aller Tugend angewehnet.

9. Das Glück / welches wandelbarer ist / als der Mondschein / machte Agrippen in dem Spiel wieder reich / in welchem er sein Gelt verlohren hatte: Ich wil sagen / daß er mit seiner Kauffmanschafft über Meer wieder erarnt / was er zuvor eingebüsset hatte / in dem ihm das Meer gleichsam wieder außgespeyet / was er zuvor von seiner Haab verschlungen gehabt. Bey so neugrünendem Zustande erinnerte sich Portia ihres hinnterlassenen Töchterleins / und begehrt solches durch Schreiben an die Verwalterin deß Findlings-Hauß / welche Fortunatam verstandener massen gleichsam verkaufft / und deßwegen geantwortet / daß ihr damals anvertrautes Kind gestorben / darüber sich Portia aus mütterlichem Hertzen sehr betrübet.

10. Es war aber Fortunata in dem Leben / und ein schöner Fels (wann also zu reden verlaubt ist) an welchem viel ihrer Freyheit Schiffbruch leiden mussten. Ihre Schönheit / sage ich / erweckte viel Liebhaber / welche ihre Tugend und Armut in unziemlichen Beginnen wieder einschlaffen macht / daß allwahr / was Silius der Poet sagt:


Haud facilè emergunt, quorum virtutibus obstat res angusta domi.


Den der Armuth Last beschwert /

schwingt sich selten von der Erd?


Wiewol etliche verhofften deßwegen zu Kauff zu kommen / und sie durch Beschenckungen zu Ungebühr zu verleiten / aber[36] alles vergeblich / dann diese Festung keinen Esel mit Gold beladen wolte einlassen. Ehrlich ist reich genug / und hat eine zeitliche und ewige Belohnung.

11. Tullio einer von ihren Bulern / ein junger Edelmann zu Mantua / als er sahe / daß er zu Fortunata Liebe nicht gelangen kunte / als vermittelst der ehelichen Treue / entschleust sich sie zu freyen / wiewol ihr Stand und Herkommen mit den seinen nicht einschluge / und seine Eltern darein niemals verwilligen würden: Jedoch verhoffte er solche Hinderung mit der Zeit zu überwinden / und setzte also seinen blinden Begierden beharrlich nach.

12. Florian / ein Parmesanischer Graf / hielte sich damals zu Mantua auff / und verliebte sich gleichfals in Fortunata schönes Angesicht / und weil sie ein schlechtes Mensch / verhoffte er leicht zu Streich zu kommen / befande sich aber sehr betrogen / und musste erfahren / daß sie auf keinerley Wege zu seinen sündlichen Willen zu bewegen. Der Graff hat nichts weniger in dem Sinn / als diese Handwercks Tochter zu ehlichen / sondern suchte seinen Lust um die Bezahlung / wie er vielleicht bey andern Dirnen zu erhandlen gewohnt / aber alles vergebens / Fortunata hält ob ihrer Frommkeit.

13. Miniat achtete für seine grosse Ehre die vielfältigen Weiber / und Aufwarter seiner vermeinten Tochter. Ich sage Weiber / dann keiner in eines ehrlichen Mannes Hauß ohne diesen Titel einigen Zutritt haben können. Miniat gehet den Weg aller Welt / mit ihm die Nahrungs-Mittel zu Grunde: Sein Weib und Tochter leben in grosser Armut / daß Olivetta fast willens ihre Tochter wiederum in deß Armen Hauß zu bringen / wo sie hergeholet worden. Hier hatte der Satan ein halb gewonnenes Spiel / und vermeinte Fortunatam / unter dem Schein ihr Leben mit nothwendigen Nahrungs-Mitteln zu erhalten / um ihre Ehre zu bringen / viel wolten dieser Armen Handreichung / für Hertzensneigungen leisten / sie hat aber ihre Ohren verstopft / wie eine kluge Schlange / die von dem Beschwerer beschworen wird.

14. Olivetta wolte Fortunatam auf den Weg der Wollüster[37] führen / und hatte den Lohn deßwegen von unterschiedlichen empfangen: Sie aber wolte nicht folgen / und kamen beyde hierbey zu streiten. Bey vielen Wortwechslen / nach der Weiber zancksüchtigen Beredsamkeit / bricht die alte herauß / daß Fortunata nicht ihre Tochter / sondern ein Findling / deren Eltern unbekant / und möge sich hingegen / wo sie herkommen / weil sie klüger wolle seyn / als ihre Pflegmutter / und sich ihrem Gehorsam entziehen / etc.

15. Nun war die unglückliche Fortunata aller menschlichen Hülffe entnommen / aus ihrer vermeinten Eltern Behausung gestossen / und solches wegen ihrer Tugend und Keuschheit. Aber GOtt der aus deß Löwen Rachen / und aus dem glüenden Feuerofen erretten kan / verlässet niemand / von dem er nit zuvor verlassen wird. Der Graf Florian hatte die Sonnen-Kronen in Olivetta Händen leuchten lassen / und von ihr erkaufft / was nit feil ware / ja sie hatte versprochen / ihre Tochter in deß Grafen Schlaffkammer zu bringen / da er alsdann wol wissen werde / wie ferners zu verfahren / und solches hat sie auch durch sondre List in das Werck gerichtet / bevor sie sich verstandener massen mit Olivetta entzweyet.

16. Florian kunte der Fortunata noch mit Schmeichelworten / noch mit Gewalt nichts anhaben / sie thäte möglichsten Widerstand / und schrie so erbärmlich / daß die gantze Nachbarschafft ihr zu helffen eilte. Florian muß sich verkriechen und aus dem Staub machen / weil er befürchtet / daß ihn der tolle Pöbel wegen so frevlen Ansinnens / in der Hitze nidermachen dörffte.

17. Von der Zeit an hatte Fortunata ein grosses Lob erlangt / daß sie von jedermann die Keusche ist genennet worden: Florian aber hatte keinen Ankläger / und deßwegen auch keinen Richter / sondern es ist dieser Handel für einen Schertz erzehlet worden / ob sich wol Fortunata über ihn allein / und aus kindlicher Ehrerbietung nit wider Olivetta / von welcher sie verrahten und verkaufft worden / offentlich beschweret. Tullio kame auch der Fortunata Ruhm zu Ohren / und[38] wurde dardurch je mehr bewogen / ihre Schönheit / die mit so seltner Tugend verbunden / brünstiglich zu lieben.

18. Nach solchem endete sich dieser Betrübten Trangsal und Armut. Agrippin / Fortunata Vatter / war zu Otranto todes entschlaffen / und hatte von vielen Kindern Irenicam eine eintzige Tochter hinterlassen / und selbe nechst seinem getreuen Weibe Portia zu Erbinen aller seiner reichen Verlassenschafft eingesetzet. Diese Portia nun wolte ihr Vatterland vor ihren Ende noch einmal begrüssen / machte alles Vermögen zu Gelt / und begab sich auf den Weg nach Mantua.

19. Wir leben wol in der guldenen Zeit / weil jederman nach Gold trachtet / und solches allein hoch achtet / deßwegen auch Irenica viel Freyer bekommen / ob sie zwar nichts liebwehrtes / ausser besagtem Metall / welches alles beschönet / eigentumlich hatte; daß man sie billich für ein gemahltes und mit Gold beleuchtes oder außgeziertes Bad hette halten können. Als nun Portia nach Mantua kommen / gehet sie in das Findelhauß / und fragt wo vor vielen Jahren ihr vertrautes Töchterlein hin begraben worden. Die Person / welcher sie es eingehändiget / ware tod / der solches wider außgehändiget worden / nemlich Filiere / war auch verstorben. Zu allem Glücke aber hatten es diese beeden einer andern von ihren Freundinen gesagt / wie es mit diesem Kind hergegangen / und von dieser hat Portia den wahren Verlauff der gantzen Begebenheit gründlich erlernet.

20. Portia bespricht hierüber Olivetta / unn wird die Warheit aus den finstern Brunnen an das Tagliecht gezogen. Was Freude diese Mutter über ihrer betrübten Tochter / ist mit Worten nit außzudrucken. Kurtz zu schliessen / Tullio hat von seinen Freunden Verwilligung erhalten / diese nunmehr auch mit Reichthum / wie zuvor mit Tugend und Schönheit begabte Fortunatam zu heuraten. Hierüber haben sich mit Portia alle fromme erfreuet / ausser ihrer jungen Tochter Irenica / die vermeinet einige Erbin alles Vermögens zu seyn / unn hat deßwegen wider ihre Schwester gemurret / gleich wie dort der Bruder deß ungeratenen Sohns / aus solcher wiederum gefunden worden.[39]

21. Die Lehr ist unter andern / daß Gott die seinen zu rechter Zeit unter den Scheffel der Trübsal hervor zu ziehen weiß / und sie auf den Leuchter hohen Ansehens zu stellen / wann sie nur in seiner Furcht bleiben / die Tugend und nicht die Welt lieb gewinnen. Die Tugend der Keuschheit ist wie die Stadt auf dem Berg gelegen / die nicht kan verborgen bleiben; allermassen in den Geschichten Josephs und der Susanna zu sehen / welche / wie diese Fortunata / in der Versuchung beständig verblieben / überwunden / und die Kron der Ehren hie zeitlich und wie zu vermuthen ist / auch dort ewig darvon getragen.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. XXXIII33-XL40.
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