(XXXII.)
Die Vorschickung.

[123] Nach dem vor Zeiten in dem Pabsthumb die Geistlichkeit alle die Weltlichen Güter zu sich gerissen / haben sich etliche Geschlechte verglichen / Vorschickung zu stifften / die ewigen Zeiten bey ihren Nachkommen Männlicher Linien verbleiben solten. Daher noch aller Orten dergleichen Vorschickung zu finden / welche mehrmals grosse Rechtfertigung verursachen / in dem andere / deren Vermögen auf flüchtigen Fuse stehet / ihre Güter solcher Gestalt bey ihren Nachkommen fast machen / und gleichsam dem wanckelbaren Glücke aus den Händen winden wollen. Deßwegen die Portugäsen ein Gesätz gemacht / daß keine Vorschickung länger / als biß in den dritten Grad gelten solle / da dann der Besitzer Macht hat / solche wieder aufzuheben / oder auf seinen Nachkommen fortzustellen. Dieses ist auch in etlichen Reichs-Städten der Gebrauch.

2. In einer grossen Stadt in Franckreich an dem Garonna Fluß gelegen / lebten zween Brüder in grossen Vertrauen Domus / der älteste hatte eine Tochter und einen Sohn / Constantin genant. Der andere Poncian hatte keine Kinder / unnd war die Vorschickung auf den ältsten deß Geschlechts gerichtet. Nach dem Domus verstorben / ist die gantze Verwaltung auf Poncian gefallen / welcher vielmehr Constantius Vatter / als Vetter und Vormund gewesen / und hat er das Vermögen solcher Vorschickung so weißlich benutzet / daß er die Tochter aussteuret von den Abzinsungen / und das Haubtgut unvermindert erhalten.

3. Constantin aber war einer von den bösen Buben / der vielmehr ein Verzehrer als ein Vermehrer seiner väterlichen Verlassenschafft seyn wollen / und sich täglich beklagt /[123] daß ihm sein Vetter den Zaum zu hoch führe / und nie genugsam Lufft lasse. Als nun Poncian sahe / daß Constantian das Gütlein lieber haben / als erwarten wolte / und befürchten müsste / es würde in seinen Handen nit lange dauren / fahrt er zu und heuratet eine junge adeliche Jungfrau / der Hoffnung einen Sohn und Nacherben mit ihr zu erzeugen / welches wegen Constantin / als der letzte deß Geschlechts / nicht freye Hand haben möchte / den Nahmen und die Stifftung zugleich unter zu drucken / weil sonderlich Constantinus also beschaffen / daß keine Kinder von ihm zu erwarten.

4. Calixta / Poncians Weib fande sich geschwängert / befürchtet aber daß sie eine Tochter auf die Welt bringen möchte / und macht deßwegen die Anstellung / daß auf solche Begebenheit ihr Kind mit einem neugebornen Knäblein außgetauscht werden solte / wie dann auch von Mura / mit ihrem Söhnlein Lupold geschehen.

5. Mura / die besagte Mutter Lupolds / nahme für ihre Tochter an Vigilian / Poncians Tochter / der Hofnung / daß diese beede mit der Zeit zusammen heuraten / und reiche Leute werden solten. Also ziehet Poncian und Calixta Lupold für ihren Sohn auf / und Constantin wurde nit wenig über solchen Einkömmling betrübt. Dieser Betrug war zwar wol gemeint / mochte aber nit verschwiegen bleiben / weil Lupold und Vigila widereinander gleichsam ein angeborne Feindschafft trugen: Ob wol Calixta ihren vermeinten Sohn oft bedrauet / als er zu seinen Mannbahren Jahren gelanget / daß er alles sein Haab verlieren würde / wann er Vigiliam nicht wolte heuraten.

6. Die Liebe ist ein freywilliges Thun deß Gemüts / und wil ungezwungen seyn. Der Gestalt hat sich Vigila / so wol als Lupold nach andern annemlichen Gelegenheit sich zu verehlichen umgesehen / und ihren Eltern hierinnen nit gehorsamt. Endlich musste die Hinderlist offenbar werden / weil sich vielleicht Constantin von seinen bösen Leben bezehrt / und Busse gethan.

7. Calixta war ein Weib / das ist / sie hatte einen Mund der nit schweigen kunte / und sagte ungescheut / daß Lupold nit ihr / sondern der Mura Sohn / Vigila hingegen ihre Tochter[124] were. Constantin wurde also zugeeignet was ihm gebühret / und gabe der Vigilo eine Außsteure ihrem Stande gemäß. Nach dem nun Pontian bald hernach verstorben / ist er in vollen Besitz der Güter gekommen / und hat mit reifem Alter besser Haußhalten lernen.

8. Die Lehre ist / daß Gott der Höchste Handhaber der Gerechtigkeit / den Armen Recht schaffet in der Noht / und daß der Betrug gleichet dem Weiberschminck / der endlich mit deß Betrügers Schand und Spott an den Tag kommet.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. CXXIII123-CXXV125.
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