(XLIII.)
Die angenehme Straff.

[154] »Die Bestraffung ist ein Salat / darzu man mehr Oehl als Essig gebrauchen soll. Die gröste Gerechtigkeit / ist die gröste Ungerechtigkeit. Der Immen-König hat keinen Stachel / welchen die andern Hönigvögelein in ihre süsse Arbeit eintauchen. Die Liebe und Wolthätigkeit bindet stärcker als die Furcht.« Wen Gott in das Regiment gesetzt / der soll sich nicht als ein Teuffel erweisen / sondern vielmehr jenes Barmhertzigkeit / als dieses Unbarmhertzigkeit nachahmen / wie wir Teutschen auch in dem Sprichwort zu sagen pflegen: Gestrenge Herren regieren nicht lang.

2. Dieses hat wol verstanden der berühmte Marschal von Brissac / als er an statt deß Königs in Franckreich / ein Heer in Welschland geführet / und sich so wol durch Verstand als Tapferkeit beliebt und belobt gemacht. Unter andern aber ist sonderlich merckwürdig / was sich in der Belägerung Vigual / in Montserat begeben.

3. Er hatte die Mauren besagter Stadt mit den schweren Stücken gefället / doch dergestalt / daß sie noch schwerlich zu übersteigen / deßwegen der Kriegraht versamlet und berathschlagt wurde / was ferner vorzunehmen seyn möchte. Es wird der Schluß gemacht / man solte mit den groben Stücken den Fuß der Mauren gar zu Grund legen / und wann solches geschehen / mit Trompetenschall das Zeichen zu einem allgemein Haubtstürmen geben: Bevor aber soll kein Soldat bey Lebensstraff / anfallen.

4. Boissy einer von den behertzten Haubtleuten in dem gantzen Heer / sahe in den Lauffgräben / daß über die Mauren / nach seiner Meinung / wol zu kommen / und spricht seinen Soldaten zu / sie solten folgen / und mit ihm Ehre einlegen / ob gleich das Zeichen mit der Trompeten noch nicht erschallet; und erstiege also die Mauren / treibet die Besatzung ab / machet nider / was sich ihm entgegen setzet / daß der Herr von Brissac gezwungen worden / ihn zu entsetzen / und zu den Stürmen blassen zu lassen.[155]

5. Daß hierauf eine Plünderung / und endliche Zerstörung deß Orts erfolgt / ist leichtlich abzunehmen. Die Soldaten / deren Verstand mehr in den Händen / als in dem Hirn ist / lobten Boissy / als den Ursacher solches Sieges / und so reicher Beuten. Der Feldherr aber und alle hohe Befehlshaber / achteten diese glückselige Vermessenheit mehr Straf- als Ruhmwürdig / weil er den ergangenen Befehl überschritten / und sich samt seinen gantzen Fahnen in unzeitige Gefahr begeben.

6. Damit aber die tapfere und unbedachtsame That der Kriegszucht kein Nachtheil bringen möchte / hat sich der Herr von Brissac / nach etlichen Tagen befragt / wer der erste in der Stadt gewesen (als ob er nicht wüste / was Boissy gethan) und desselben Tapferkeit gerühmt / auch mit möglichster Beförderung danckbarlich zu erkennen versprochen. Boissy war zugegen / und drengt sich so bald hervor / dem Marschall die Hand zu küssen / und einer solchen hohen Gnade fähig zu werden / wird aber von dem Gewaltiger Handfest gemacht / in die Eisen geschlossen / und mit dem Strang bedraut / aus vorgemeldten Ursachen.

7. Hier hatte Boissy Zeit zu gedencken / daß ihn sein Glück hoch erhaben / wie der Adler die Schildkrotten / damit sein Fall viel gefährlicher seyn möchte. Nach dem er nun eine Zeit in Verhafft gewesen / lässt der Feld-Marschall sein Heer mustern / und nachdem solches geschehen / Boissy aus der Gefängniß herfür ziehen / und Standrecht (also genennt / weil man darbey zu stehen pfleget / und die Sache mehrmals aus dem Stegraif verabschiedet / da das Sitzen reifes Nachsinnen bedeutet) über ihn halten.

8. Boissy wird zwar zum Tod verurtheilt / jedoch mit der Richter Vorbitte / daß man ihm Gnade soll widerfahren lassen. Boissy ist zu sterben entschlossen / und bittet allein / daß solcher Tod ihn durch seine Brüder / und nicht durch den Nachrichter / angethan werden möchte.

9. Boissy / sagt der Marschall / du sihest in was Angst dich deine[156] blinde Tapferkeit oder vielmehr Verwegenheit gesetzt hat. Behertzt seyn / ohne Gehorsam ist mehr sträfflich als löblich. Weil du dich aber selbst deß Todes würdig achtest / wil ich glauben / daß du als ein Unverständiger verurtheilt worden; nun aber von mir / als ein klügerer Soldat / frey und loß gesprochen zu werden verdienet hast. Ich schencke dir das Leben / und diese guldene Ketten / welche dich erinnern soll deiner Gefängschafft / und daß du deinen vorgesetzten Befehlshabern zu gehorsamen verbunden / und nicht eigenwillig / sondern nach dem sie dich beordren werden / deine Schuldigkeit erweisen solst.

10. Hierbey liesse es dieser kluge Herr nicht verbleiben / sondern schenckte ihm auch ein Pferd / Pistolen / und aller andrer Zugehör / nahm ihn auch samt allen seinen Soldaten unter sein Leib-Regiment / und hielte ihn lieb unn werth. Dieses ist bey dem gantzen Heer erschollen / und hat den gemeinen Soldaten eine Furcht eingejagt / und zu schuldigem Gehorsam angehalten / welche ihres Feldherrn hohen Verstand und Freygebigkeit nicht sattsam ausloben können.

11. Wann man die Kriegszucht zu unsren Zeiten betrachtet / ist selbe leider fast gefallen / weil die Bezahlung / welche derselben Band ist / ermangelt theils wegen der außgezehrten Länder / theils wegen der hohen Befehlshaber Geltgeitz / und der Soldaten grosser Dürfftigkeit / die mehrmals nicht Wasser und Brod haben / da man doch denen auf den Tod liegenden armen Sündern nicht weniger geben kan.

12. Wann GOtt die Gemüter so vieles unverständigen Soldaten Pövelvolcks nicht sonderlich regierte / sie solten sich so vielem und stetem Ungemach / als da ist / Regen / Frost / Hitz / Schantzen / Wachen / Ziehen / Hunger / Durst und daraus erfolgenden Kranckheiten nicht unterwürffig machen / wann man ihnen auch richtig doppelten Sold zahlen würde / da sie doch solches alles fast ohne Geld außdauren.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. CLIV154-CLVII157.
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