(XLIV.)
Der Schiffbruch.

[157] Jener Käyser hat als ein Heyd recht gesagt daß der unversehne und unerwarte Tod der allerglückseligste / weil dardurch die Furcht deß Todes / welche das erschrecklichste unter allen erschrecklichsten ist / einen so geschwind sterbenden Menschen nicht berucket; Da hingegen ein lang kranckliegender / und in Todesnöthen schwebender Mensch / grosse Hertzenqual leidet; daher der übertreffliche Verulamius recht erinnert / daß man / wann ja der Mensch sterben müsse / bedacht seyn soll / wie er mit wenig Schmertzen sterbe / und setzet solche Euthanasiam Physicam unter seine desiderata. Der Tod für sich selbsten ist ein Augenblick / in welchem Leib und Seel geschieden wird; die Furcht deß Todes aber / und die Leibesschmertzen / welche das Hertz brechen machen / dauren mehrmals lange Zeit.

2. Ist nun eine Sache in der Welt / in welcher uns das abscheuliche Todesbild offt zu Gesicht kommet / so ist es die Schifffahrt / in deren man zween Finger breit / so dick nemlich das schwancke Fichtenbret ist / von dem Tod daher schwimmet; deßwegen der Poet sich verwundert und fragt:


Wer war doch erst so kühn / der mit der Segel Zelt /

und mit des Ruders Pflug befurcht der Wellen Feld /

Der niemals satte Geitz / hat solchen Weg gefunden /

und dem erhabnen Mast die Flügel angebunden.


3. Dieses hat auch erfahren Samson ein Kauffmann zu Marennes / einer Stadt in Sainctauge in Franckreich / dessen Reichthum mit den Schiffstricken verbunden gewesen / wie jener von dergleichen fahrenden Haab geredet. Samson hatte sich bald bereichert / bald wieder arm und darbey / wie die Spitzbuben / bald gewinnen / bald verlieren / nach dem das Glück laufft / und wie sie zu reden pflegen / einer den Fall hat. Es ist die Armut ein so unerträglicher Last / daß man selben zu entfliehen keine Gefahr scheuet / und mehrmals den Tod findet / wo man zu leben Mittel suchet.[158]

4. Nachdem nun Samson ein Schiff mit dem besten Wein von Guyenne beladen / stösset er von dem Lande / willens in Engelland zu seglen / und guten Nutzen mit so beliebtem Rebensafft zu schaffen. Das Meerwasser / als ein Feind deß Weins / hat sich diesem Vorhaben mit einem grossen Sturm widersetzet / und Samsons Schiff bey der Insel Bresac / an den Felsen oder Klippen Roquebonne zerscheitert / daß niemand als besagter Kauffmann mit 4. oder 5. Schiffleuten darvon kommen / und ihnen von allem Vorrath und Kauffmannswahren nichts übrig gelassen worden / als der Reichthum der Armen / ich wil sagen / die Hoffnung das Leben zu retten; wiewol solche schlecht / weil dieser Fels von allen Schiffleuten / auf viel Meil Wegs geflohen wird.

5. Wie aber die Schafe / welche dem Wolff entkommen / von dem Fleischer geschlachtet werden; Also waren diese Schiffer ausser der Gefahr des Meers / in Furchten Hungers zu sterben. Sie waren / wie leichtlich zu erachten / naß / müd und matt; ihre Speise war der Lufft; ihr Läger der harte Fels / ihre Decke der Himmel / und verfolgten sie die zween unersättlichen Schuldfordrer unsers Lebens / der Hunger und der Durst / welche sie keines wegs / an so öden Orten / befriedigen kunten.

6. Nachdem sich das Meer gestillet / fanden sie an dem Ufer etliche Muschelfische / welche ihre Kost waren und noch mehr Durst verursachten / den sie mit dem gesaltzenen Meerwasser keines wegs leschen könten. Kurtz zu melden / Samsons Gesellen erkranckten / und sturben nacheinander / daß er / als der stärckste / allein überbliebe / wie Vlysses in deß Polyphemi / ich wil sagen / deß Todes Höllen oder Herberg.

7. Samson hatte gute Zeit / an das böse Stündlein zu gedencken / und weil er sich seines Lebens verziehen / hat er sich Christlich entschlossen / auf die Barmhertzigkeit deß grundgůtigen GOttes / mit gantz herrlichem Vertrauen wol zu sterben. GOttes getreues Vatter-Hertz hat diesen Samson nicht lassen versuchen über sein Vermögen / sondern ihn[159] erhöret / und aus der Noth gerissen / weil er ihn angeruffen. Der den jungen und von ihren Eltern verlassenen Raben ihre Speise giebet / vermittelst deß Morgentaues / der kleinen Mücklein und Würmlein / hat auch dieses Samsons nich vergessen; als ihn der Durst nicht weniger gequälet / als dort den Samson / welcher die Philister mit dem Eselskienbacken erschlagen / und eine Springquelle in demselbigen gefunden.

8. Er fande fast täglich an dem Ufere einen Fisch / aus dessen Leib er ein wenig Wasser gesogen / das etlicher massen süß gewesen / dardurch er sich deß Dursts erwehret / und so lang / nemlich über vier Wochen / erhalten / biß endlich etliche Fischer / die / wie die Jäger / alle Einöden durchsuchen dahin kommen / und ihn bey dem Leben erhalten / daß er noch zehen Jahr hernach zu Morennes gelebt / und seine Handelsschafft zu Lande angestellet / da ihn ihrer viel gesehen / welche mir dieses erzehlet haben.

9. Durch dieses Unglück ist Samson ein frommer und Gottsförchtiger Mann worden / und hat erfahren / was dorten David sagt: Die Anfechtung lehret auf das Wort mercken / ja er hat die Psalmen Davids in seiner Angst mit grosser Andacht beten gelernet / von welchem jener recht geschrieben / daß sie in solchen Nöthen müssen gebrauchet werden / welchen sie sind gemachet worden.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. CLVII157-CLX160.
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