(XLVI.)
Der beschwerliche Tochtermann.

[162] Auf dem Schweitzer-Gebürg / welches mit dem Hertzogthum von Saphoyen gräntzet / war häußlich angesessen ein armer Edelmann / welchen wir Sabellicum nennen wollen. Dieser war gleichsam an einen Felsen gebunden / wie Prometheus / den die Armut / als der ärgste Raubvogel / das Hertz nagete / und den Magen plagete. Vier Monat[162] konte er das gantze Jahr über sein Feld sehen / welches die übrige Zeit mit Schnee und Eis bedecket war. Von der Unfruchtbarkeit deß Lands / ist leichtlich zu schliessen / bey was Vermögen er müsse gewest seyn.

2. Zu Zeiten begabe er sich herunter / in die Dörffer und Flecken deß Thals / und hörte daß eine reiche Tochter daherum zu verheuraten / deren Vatter ein wenig mehr als ein Bauer / unn ein wenig weniger als ein Bůrger / welcher theils von seinem Ackerwerck / theils von einer kleinen Handlung ein feines Vermögen gesammlet / und Argolinam seine einige Tochter ehrlich außzusteuren / nicht abgeneigt war.

3. Solche war nun eine Heurat für diesen Edelmann / der deß Gelts bedürfftiger als einer Edlen; er bedachte sich nicht lang / und brachte seine Werbung der gestalt an / daß ihn Argolina mit einer ehrlichen Außsteuer zu theil wurde. Es erfreute sich ihr Vatter einer so hohen Freundschafft (von dem Berg herab) und schätzte seine Tochter für glückselig / daß sie ein edle Frau werden solte.

4. Ein Theil deß Heuratschatzes gienge auf die Kleidung und Ausstaffirung / ein Theil auf die Hochzeit / da man dann viel und wol essen / und nach Lands-Gebrauch / nicht wenig oder schlecht trincken musste: Dergestalt bliebe diesem Edelmann nicht viel über / daß er dardurch hätte können gebessert seyn.

5. Guibert hatte viel Weinberge / und ein Hauß mit aller Nohtdurfft versehen / daß sein Tochtermann Ursach nahme / ihn vielmals heimzusuchen / und mehr in dem Thal / als auf seinem Berg zu essen. Seinem Weibe war die Einsamkeit verdrüßlich / wolte allein nit zu Hause bleiben / und kame ihren Mann zu holen / oder vielmehr mit ihm bey ihrem Vatter zu zehren / daß er erfahren musste / er habe sich seiner Tochter nicht entladen / wie er vermeinet / sondern sich mit einem Tochtermann noch mehr beladen.

6. Der gute Alte war eines frölichen Gemüts / unnd pflegte zu sagen / daß ihm mehr Flüsse fielen (verstehe von[163] dem Berge / auf welchen sein Eidam wohnte) als zuvor niemals / und weil sie bald dieses / bald jenes zu entlehen pflegten / sagte er / daß diese Flüsse allezeit etwas pflegten mit wegzuflössen / und in einen Abgrund (wiewol auf einem hohen Berg) zu versencken.

7. Er hatte einen Sohn drey Meil von seiner Geburtsstadt / Namens Marcus / solchen fragte er zu rath / wie er doch dieser edlen Beschwerung entkommen solte? Sein Sohn sagte ihm / daß solche nicht zu überwinden / als mit der Flucht / und räht / daß sich sein Vatter zu ihm begeben soll / und sein Haußwesen verändern. Diesem Raht folgte der alte / damit ihm nur die Flůsse so offt nicht fallen solten.

8. Sabellicus kame also zu seinem Schwager / wurde das erste mal wol / das zweite mahl schlecht / das dritte mahl noch schlechter empfangen / und endlich wieder auf seinen Berg verwiesen / da er sich von eignem Rauch / so klein er auch ware / nehren / und mit mehr Kindern als Ducaten bereichert / für sich leben musste.

9. Hieher ist zu erzehlen folgendes Lehrgedicht: Ein Igel bate in der Kälte / es solte ihn doch das Kaningen in sein Lager oder (wie es die Jäger nennen) Bau lassen / damit er sich den Winter durchbringen könte / und nit erfrühren möchte. Das Kaningen nahme ihn freundlich auf / wiewol mit der Bescheidenheit / daß er kein Ungelegenheit machen / und es mit seinen Stacheln nit berühren solte; dieweil seine Haut zart / unn leichtlich könte verwundet werden. Der Igel kreucht in den engen Bau / und lässet seine Stachel schiessen / daß sich das Kaningen beklagt / endlich dem unverschämten Gast weichen / und ein ander Loch graben must / sich zu verbergen. Nach dem der Sommer kommen / und der Igel wieder zu Feld gezogen / hat das Kaningen dem Wiselein geklagt / wie undanckbar der Igel verfahren / und um Beystand gebetten / wann auf den Winter der Igel widerkommen möchte. Das Wiselein hat sich für den Bau geleget / und als der Igel vermeint wiederum allda außzuwintern / ist er nicht eingelassen worden.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. CLXII162-CLXIV164.
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