(LXXIX.)
Die Winckel Ehe.

[286] In einer namhafften Statt / an der Loire / hat sich wohnend aufgehalten Voldemar ein Edelmann von altem Geschlecht und ziemlichen Rittergütern. In seinem Männlichen[286] lichen Alter hat er einer wohl zugebrachten Jugend erfreulich genossen / und mit Melita seiner Gemahlin / welcher Schönheit die Tugend ihres Leibs / und Tugend die Schönheit ihres Verstands berühmbt gemacht / viel gesunde / und wol gearte Kinder erzeuget.

2. Von solcher Leibs- und Leibesfrucht wollen wir nur zween Söhne (weil die andern alle Welt verlassen / und sich in den Geistlichen Stand begeben) heraus nehmen / als welche zu dieser Beschreibung fast seltenen Innhalt an die Hand geben. Der älteste / genannt Pyrin / hatte mit dem Nahmen die Recht der Erstgeburt und alle Güter / der jüngste aber Alexander eine geringe Gebührniß zu erwarten / an Tapfferkeit aber und guten Verständniß seinem Bruder gleich und überlegen zu seyn erwiesen.

3. Voldemar hatte eine Vertraute Freundschafft mit seinem Nachbarn Rongon / einem Afftergraffen (Vicecomte) von uralter Ankunfft / und sehr grossen Reichthum. Diese beede lebten in solcher Vertreulichkeit / daß man sie in dem gantzen Landt die getreuen Freunde und guten Nachbarn genennet. Wie nun die Feindschafft / also ist die Freundschafft bey den Kindern erblichen / wann auch die Vätter noch im Leben sind. Drusilla deß Rongon eintzige Tochter hatte mit Pyrin und seinem Bruder gute Kundschafft von Jugend auff / und weil sich dieser Graff ohne Mannserben sahe / welcher seinen Nahmen fortpflantzen könte / wil der Pyrin die Tochter und Anwartschafft der Güter geben / wann er den Nahmen nach seinem Todt ändern / und seine Kinder Rongons nennen wolte.

4. Voldemar hat solches alles für seinem jüngern Sohn Alexander / aber nit für den Erstgebornen mit Danck wollen annehmen. Durch Unterhaltung aber der Freunde (so beeder willen Dolmetscher gewesen) wurde vorgeschlagen / daß der Sohn / welcher von ihnen solte gebohren werden der Namen / und Wappenträger deß Grafens seyn solte inzwischen aber solte Pyrin die zwey Wappen mit beederseits Güthern führen unnd besitzen / wie auch endlich dahin geschlossen[287] worden. Von Alexander wolte Rongon nicht hören / weil es wider Lands Recht eine eintzige Tochter einem jůngern Bruder geben / welche allezeit mit einem Erstgebohrnen unter Edelleuten verheuratet werden soll.

5. Alexander sahe daß dieses Orts für ihn nichts zu gewinnen / und verliebte sich in Laonicam eine wunderschöne Jungfrau eines reichen Beambten / bringt auch die Sache dahin / daß Taxo ihr Vatter ein ehrliches Heuratgut mitzugegeben verspricht / und Voldemar sich nicht abgeneigt / in dieser Verlöbniß zu willigen / vernehmen lässet. Alexander lobte nun seine Liebste / für die Schönste in dem Land / und nimmet seinen Bruder Pyrin mit sich / ihn gleichsam seiner Freude theilhaftig zu machen. Pyrin verliebte sich so bald in Laonicam / unnd trachtete seinen Bruder auß dem Sattel zu heben / und sich hinein zuschwingen. Er wolte sich zwar ihrer ziemlicher gebrauchen / die verständige Jungfrau aber wuste wohl / daß auf solche Liebe ein feindseliger Ehestand / ohne Segen und Gedeyen zu erfolgen pflegte / und muste er mit abschlägigen Worten zu růcke weichen.

6. Sein brünstiges Verlangen dieser Schönheit zu geniessen / triebe ihn endlich dahin / daß er den Taxo ihren Vatter beschwetzt sie ohne Heuratgut zu freyen / und gibt darüber eine Handschrifft / als ob er die völlige Außsteuer empfangen / und machet also / ohne seines Vattern vorwissen / eine einseitige Winckel Ehe / mit Verbot / die Sache in höchster geheime für seinem Bruder / und jedermänniglich zu halten.

7. Nach dem nun dieser Betrug eine Zeitlang verhüllet blieben / inzwischen diß Eheversprechen zwischen Rongon und Voldemar / wegen Drusilla und Pyrin geschlossen worden; muste dieser Handel an Tag kommen. Pyrin war der Laonica müd / und liesse sich gelüsten / der Drusilla Grafschaft / wuste aber nicht wie er sich auß dem Eheband wickeln solte / welches Alexander verkundschaftet / und seinem Vatter Voldemar eröffnet hatte. Pyrin fraget böse Rathgeber / und klaget auß ihrer Veranlassung / daß das Ehegericht diese Winckel Ehe[288] für nichtig und unbindig erkennen solten / als welche er sonder seiner Eltern Einwilligung und Vorwissen / auß blinder Liebe geschlossen.

8. Als Rogon dieses verstehet / und Drusilla keines andern Mannes seyn will / verleuret Pyrin alle Neigung / so man zu seiner Person getragen. Niemand war betrübter als Alexander / welcher wol wuste / daß er die von seinen Bruder geschwächte Leonicam nit freyen kunte / und ob sich wol Voldemar bemühet / die Winckel Ehe unbindig zu machen / sahe er doch wol / daß Rongon nicht mehr wolte gehalten seyn / und die aufgesetzte Heurats Abrede zu unterschreiben und außzufertigen beharrlich weigerte.

9. Beederseits Befreunde werden rähtig / die Sache also zu vermitteln / daß Voldemar seinem jüngsten Sohn / das Recht der Erstgeburt / welches sich Pyrin durch übel verhalten verfestigt / zueignen / vnd die Ehe mit Drusilla abgeredter massen / vollziehen lassen solte. Pyrin hingegen solte behalten / was er jhme selbst genommen / vnd dieses sein Unglück seinem eignen Verbrechen zuschreiben. Also wurden diese Häuser / nach Wunsch vereiniget / vnd die Güter beederseits vermehret. Alexander hat sich auch alsobald erbotten / deß Rongons Namen vnd Wappen zu führen / vnd seinem Bruder den Vätterlichen Namen zu überlassen.

10. Dieser Vorschlag ist also Werckstellig gemachet worden / vnd hat Alexander mit Drusilla seinem Weibe etliche junge Söhne erzeuget / darüber Rongon eine grosse Freude / denen er auch / Lebens satt / seine nützliche Herrengüter hinterlassen / daß sie ihrem Stande gemäß stattlich leben können.

11. Pyrin hatte hingegen / wie Sichem eine Zeit hernach die Beschneidung seines Vermögens schmertzlichst empfunden / und weil er mit der Armen Reichthum / ich wil sagen mit vielen nach Voldemars Todt / noch zu nagen / noch zu beissen / hat er von Taxo das Heuratgut gerichtlich erheischet / daß er auch zu endlicher Vollkommenheit seines Unglücks / eine Rechtfertigung wider seine Handschrifft angefangen / und ist der[289] aufgewandten Unkosten / mit dem Anspruch verlustiget worden.

12. Endlich muste er zu seinem reichen Bruder fliehen / welchen er so schändlich betrogen hatte: fande ihn aber so wolthätig / daß er Böses mit Gutem vergolten / und ihn und seine Kinder versorget und ernehret. Hieher gehöret / was dort David sagt: Die einem andern (ausser Gottes Gebott) nacheilen / werden grosses Hertzenleid haben.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. CCLXXXVI286-CCXC290.
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