(CXVI.)
Der beständige Freund.

[57] Die Freundschafft ist eine Tugend / welche dieser Zetten fast unbekandt ist / und wird mit guten Ursachen einem Schatze verglichen / den man selten oder gar nit findet. Solche[57] Tugend-Freundschafft kan nit bestehen / als zwischen zweyen mit Treu verbundenen Hertzen / ob gleich eines Theils gefehlet wird / muß doch anders Theils die Gebühr einer beständigen Liebe beharrlich erwiesen werden. Wir sind als Christen schuldig ins gemein auch unsere Feinde zu lieben / sie sind gut oder böß / damit wir gleich werden unserm Vater im Himmel / welcher seine Sonne lässet auffgehen über gute und böse / und den Regen lässet triefen auff den unfruchtbaren Sand / und auff die fruchtbaren Aecker: Aber doch sollen die Sünden und die Sünder beharrlich unterschieden werden / sonsten würden wir thun wie die belägerten Städte / welche sich an falsche Freunde ergeben / und auß Fahrlässigkeit überfallen lassen.

2. Wann wir nun einen lasterhafften Menschen lieben / sollen wir uns seines Lasters nicht theilhafftig machen / sondern den Aertzten gleichen / welche die Kranckheit ohne Verletzung ihrer Gesundheit zu heilen pflegen; sonsten höret der Name der Freundschafft / dessen Grund die Tugend ist / auff / und wird eine sündliche Vertreulichkeit darauß. Wann man wegen eines Fehlers einen Freund wolte auffgeben / und ihn fliehen als einen rasenden / wo würde die Liebe bleiben / welche machet / daß einer den andern verträgt / nach dem Befehl Christi / und dem Exempel Davids / der die Ubertretter gelehret / daß sich die Sünder zu Gott bekehren. Eines solchen Christlichen Freunds Geschlecht soll der Inhalt seyn / nachgehender Erzehlung.

3. Zu Naples wurden zween vom Adel Ascan und Saudin mit einander aufferzogen / und trugen gegen einander so Brüderliche Liebe / daß sie nie ohne Threnen sich geschieden / noch eine Hertzens Freude wider zusammen gekommen. Sie studierten mit einander / sie assen / trancken und lerneten alle Ritterliche Vbungen mit einander / und nahm ihre Freundschafft mit zuwachsenden Jahren zu / daß sie Winters und Sommers / ich wil sagen in Glück und Unglück beständig verblieben.[58]

4. Mit fortlauffenden Jünglings-Jahren tratte Ascan zu der Rechten / Saudin zu der Lincken / verstehe / daß jener sich zu allem guten / dieser sich zu allem bösen begeben / massen dann die zarte Jugend zu den Lastern geneiget ist / und mehr liebet den Untergang / als den Auffgang der Tugend / wann also zu reden verlaubt ist. Ascan bemühete sich dieses verirrete Schaff wieder auff den rechten Weg zu bringen / und solches mit Sanfftmut und Freundlichkeit: Saudin aber wil ihm nicht Gehör geben / und seine Wunden anrühren unnd verbinden lassen.

5. Saudin hatte unlangst seinen Vatter verlohren / und seiner Mutter Hand war nit starck genug ihn von dem angefangenen bösen Leben zurücke zu halten. Spielen und Frauen-Zimmer-Gesellschafft begleiten lachend an den Bettel-Stab / und weil die Mütterliche Vermahnung nicht fruchten mögen / hat sich die gute Alte so darüber betrübet / daß sie in ein Fieber gefallen / und den Geist auffgegeben. Saudin hatte also den Zaum auff dem Halse / seine Vätterliche und Mütterliche Verlassenschafft in Händen / und begunte den verlohrnen Sohn meisterlich zu spielen.

6. Philargia eine von den offentlichen Dirnen zu Naples / welche Honig auß den Steinen / und Oel auß den Felsen ziehen können / und für gutes Geld böse Wahren zu geben pflegen / rupffte diesen Vogel nach und nach / daß sie endlich von seinen Federn gezieret / und er gantz entblöset wurde. Er hatte keine Augen sein bevorstehendes Unglück zu sehen / und keine Ohren seines Ascans freundliche Ermahnung anzuhören / sondern ergrimmete über seine wolgemeinte Vermahnung.

7. Ascan gleichte in dieser Begebenheit den Engeln / welche bitterlich weinen über der Menschen Unbußfertigkeit. Er borgte aller Orten auff / diesen Abgrund (der Philargiæ Geitz) außzufüllen; noch klagte sie über seine Sparsamkeit / und den Antheil / welchen sie von seinen Gütern gern gehabt / der war alles sein Vermögen. Als[59] er nun seine liegende Güter nicht alsbalden versilbern mochte / muß er sehen / daß Valens ein anderer ihm vorgezogen wurde. Der Eifer verursachte / daß er diesem Seiten-Buler vorwartet / ihn ermordet / und in Ascans Behausung als eine Freystadt flüchten muste. Sein Glaubiger und deß ermorden Befreunde lassen ihn aller Orten mit den Schergen suchen / Ascan aber scheute die Gefahr nit / seine Freundschafft auch in dieser Noth zuerweisen / und alles Unwillens zu vergessen.

8. Ascan bringt endlich Saudin auß der Stadt / und ziehet mit ihm nach Rom / nach Florentz / Venedig / Genua / etc. und Saudins Bildniß wird inzwischen an den Galgen gehencket / welches er in seinem Gemüt / wiewol nit an dem Leib / als einen Tod seines ehrlichen Namens schmertzlichst empfunden / und angefangen in sich selbst zu schlagen / sein böses Leben zu bedencken / und zu betrachten / in was Seelen-Gefahr ihn seine Sünden gestürtzet.

9. Solches würckete er auß zu Loreto / und richtete sein Hertz zu einem andern Leben / daß ihme seine Augen durch die bittere Galle der Armut / wie dorten dem Tobia eröffnet wurden. So bald ihm aber die Gelegenheit zu spielen in den Wirtshäusern begegnete / bate er seinen Ascan / der ihn aller Orten frey gehalten / und Hülle und Fülle verschaffet / er solte ihm doch Geld leihen / er verhoffte daß der Würffel seinen Verlust wieder ersetzen würde. Ascan aber hielte sich wie ein verständiger Artzt / der dem Krancken versaget / was ihm schaden kan.

10. Als er nun Busse gethan / und unter andern Sünden auch die Undanckbarkeit / die er gegen seinem beständigen Freund verübet / bereuet / und Verzeihung erlanget / ward er begierig / wie der verlohrne Sohn / wieder in sein Vatterland zu reisen. Hierüber erfreute sich Ascan wieder als ein Engel über einen Sünder der Busse thut / und nahmen also diese beyde ihren Ruck-Wege auff Rom / der Hoffnung alldar Landshuldigung außzuwürcken.

11. Zu allem Glücke finden sie zu Rom einen neuen Königl. Stadthalter / nach Neaples verordnet / bey diesem bringet[60] Ascan seine Bitte / wegen Saudins an / und erhält vermittelst etlicher Cardinäle Fürbitt / daß er der Bestraffung erlassen / und sich mit besagtem Statthalter auff dem Weg nach Neapoli begeben dörffen / alldar ihm Ascan die Helfft seiner Güter mitgetheilet / und ihm zu einer ehrlichen Heurat verholffen / daß er also sein Leben in allem Wolergehen / in so löblicher Freundschafft beschlossen.

12. Also sind die Italiäner in ihren Leibsneigungen / wie auch in dem Haß und Zorn gantz übermässige Leute / und ist hierauß zu ersehen / daß man nit soll laß werden / auch seinem undanckbaren Freunde beyzustehen / und jm / so viel möglich / an die Hand zu gehen. Dieses ists / was der Apostel Paulus saget / daß die Liebe / ob sie gleich beleidiget wird / sich nit erbittert. Wie wenig solche getreue Freunde sind heut zu Tage zu finden? so selten der Vogel Phönix und die weissen Raben / so selten sind die Freunde / welche diesem Ascan nachahmen. Hiervon wird auch gehandelt in dem CCXLV. Gespräch-Spiele.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. 57-61.
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