(CXVII.)
Der zulässige Ungehorsam.

[61] Der Spruch: Es wird ein Mann Vatter und Mutter verlassen / und an seinem Weibe hangen / ist auch von Weibern wahr / welche fast noch viel brünstiger ihren Männern anhangen / als nit sie ihnen. In folgendem Exempel wollen wir dergleichen Weib betrachten / in welchem die Unschuld deß Mannes / und die Boßheit deß Vatters verdienet / daß die Wage der Gerechtigkeit / gegen dem beleidigten Theil sich geneiget / wie wir nachgehends hören wollen.

2. An der Loire in Franckreich ist ein berühmtes Schloß / welches die Fahrt der Schiffe auffhalten kan / und von dem König / einem alten wolverdienten Ritter anvertrauet worden ist / Namens Hanebald. Dieses sein altes Adeliches Hauß war andern alten Häusern nit ungleich / in dem es auch viel Risse (Schulden sage ich) bekommen / und sich zu fallen neigen wolte. Vermittelst aber dieses Dienstes / hatte es Hanebald[61] also unterstützet / und zusammen gefüget / daß es noch lang bestehen konte.

3. Dieser Hanebald hatte viel Töchter / die er ehrlich außsteurte / und einen Sohn Namens Insulan / welcher seinem Vettern anvertraute Festung für eine Gefängniß hielte / und sich nach Hoff begabe; hinterlassend sein Weib Oringam mit einer einigen sehr schönen Tochter / Namens Cyria. Der alte Hanebald hatte grosse Freude ob diesem Enckel / und liebte sie mehr als seine eigene Kinder / also daß er fast nicht ohne sie leben mochte / und deßwegen bedacht war / sie noch bey seinen Lebens-Tagen wol verheuratet zu sehen.

4. Leofrod war ein Sohn seines Leutenants / welchem er abwesend die Festung vertraute / und in dem 23. Jahre zu seines abgeleibten Vatters Dienste beförderte / nit zweiflend / er werde der Treue seines theils / wie bey ihm die Liebe / erblich seyn lassen. Diesem dencket er die schöne Cyriam zu / und lässet sich vernehmen / daß er sie / mit Erfüllung ihrer vogtbaren Jahre / ihme allein / und keinem andern wolle trauen lassen.

5. Leofrod achtet diese Ehre sehr hoch / und wartet inzwischen bey allen Begebenheiten / der Cyria auff / und findet solche Gegenneigung / daß diese junge verliebte Hertzen ihr Verlangen mit Worten nicht sattsam außdrucken könten. Die Mutter Oringa liebte ihrer Tochter wolergehen / und liesse ihr diese Heurat / welche ihr Schwervatter vorgeschlagen / gefallen; berichtet es auch an ihren Mann / seine Einwilligung darüber erwartend.

6. Insulan war stoltzes und Tyrannisches Sinnes: der vermeinte jedermann müsse ihm zu Gebott stehen / und so bald er dieser Zeitung berichtet war / setzet er sich auff die Post / solche Heurat zu hindertreiben / und Leofrod wegen solcher Anwerbung gebührlich abzustraffen. So bald er ankommet / fragt er ihn / ob er seiner Tochter begehrte? Leofrod sagte daß er sein Diener / und dergleichen Gedancken niemals gehabt / wann ihn nicht Hanebald darzu veranlast hätte; weil er aber sehe / daß solche Heurat ihme zuwider / wolle er gern abstehen /[62] und ihme auch hierinnen / wie in allen andern Sachen nit mißfallen / sondern schuldigst gehorsamen; wol wissend / daß er sich mit Insulan sonsten schlagen / und auff alle Weise überwinden / oder überwindend in grosses Nachtheil setzen würde.

7. Hanebald wil / daß die Heurat ihren Fortgang haben soll: Insulan verbietet Leofrod sein Hauß / und seiner Tochter / daß sie nicht mit ihme reden solte. In dem ziehet Leofrod die Hand auß der Schlingen / und lässet Vatter und Sohn mit einander streiten. Insulan war deß Hofflebens gewohnt / und verraiset wieder nach Hoff / befihlet aber nochmals seinen Weib und seiner Tochter / daß sie ja Leofrod nicht einlassen solten.

8. Hanebald / Oringa und Cyria lassen sich solches Verbott nicht hindern / sondern beschliessen mit Leofrod die heimliche Trauung / und zwar auß diesem Grunde / weil der Anherr mehr Gewalt über das Enkel / als der Vatter über seine Tochter / welche beyde unter Hanebalds Gewalt zugleich wären. Damit aber nicht ferners Unheil erfolgte / und Insulan sich für beleidiget halten möchte / solte man diese Trauung geheim halten / mit der Zeit werde er zu geschehenen Dingen das beste reden müssen / etc.

9. Es fügte sich aber daß eine Magd mit Unwillen auß der Oringa Diensten kame / welche sich nicht anders zu rächen wuste / als daß sie diese heimliche Heurat verschwatzte / und durch Insulans Diener einen die Sache verriete. Insulan eilet wieder nach Hause / und bedencket sich auff eine sondere Liste / sich an Leofrod als einem Betrüger seiner Tochter / zu rächen. Wie aber? Er nöthigte sein Weib und Tochter / daß sie den Verlauff bekennen musten / wie es mit dieser Ehestifftung daher gegangen / und erkundschafftet / daß Leofrod auff einer Seidenen Leiter zu Cyria hinein zu steigen pfleget; deßwegen er ihnen den Tod androhet / wann sie beyde nicht thun würden / was er ihnen befiehlet.

10. Die Weiber versprechen es auß Furcht / nicht vermeinend / daß es eine so meuchlerische Mordthat betreffen[63] würde. Er nöthigte sich aber zu versprechen / daß sie mit einem Scheermesser die Seidene Leiter / wann er darauff hinauff steigen würde / abschneiden und ihn also in den tieffen Wasser-Graben / darüber er mit einem Schifflein zu fahren pflegte / stürtzen wolten. Dieses berichten sie an Leofrod / und geben ihme benebens den Einschlag / er solte seine Kleider blutig machen / mit Sand und Stroh außfüllen lassen / und an die Leiter / welche sie abschneiden würden / binden / welches er auch gethan / und sich inzwischen verborgen.

11. Als nun der Fall gehöret worden / und ein Diener das mit Blut besprengte Wammes gebracht / stellte sich Cyria / als ob sie von Sinnen kommen wolte / und Insulan wacht das Gewissen auff / und klagte ihn solches Todschlags an. Hanebald lässet seinen Sohn deßwegen in Verhafft nehmen / und so lang außruhen / daß er umb Verzeihung bittet / und erwünschet / daß doch Leofrod wieder in dem Leben seyn möchte / er wolte gerne seines Vatters Willen geschehen lassen / und was GOtt gefüget / nicht mehr scheiden.

12. Leofrod stellete sich auff solches Versprechen wider ein / und lobte seiner Cyria zulässigen Ungehorsam gegen ihrem Vatter / welches Gunst er durch seine Demut gewonnen / daß er ihn so wol liebte / als andre seine Kinder. Also muß man mehrmals die unbedachtsamen Wüterig hintergehen / und mit List zuwegen bringen / was man mit guten Ursachen nicht außwürken kan. Die Juristen nennen es einen guten Betrug / wie die Aertzte ihre Krancken / und die Mütter ihre / Kinder zu gutem Ende betrügen / wie vorgesagt.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. 61-64.
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