(CL.)
Der Naturkündiger.

[177] Wer der Natur ihrer Latern folget / sagt das alte Sprichwort / der irret nicht / verstehend / daß die Anleitung der Natur die beste Richtschnur / in solchen Sachen / die zu deß Leibes Unterhalt vonnöthen: also lebt ein Ochs / ein Pferd / ein Hirsch nach der Natur / und isset und trincket nicht mehr / als[177] sein Hunger und Durst erfordert. Ein Thier ist nit neidisch / es trachtet nicht nach mehr / als es bedarff / es thut niemand Schaden und nimmet nur sein bescheidenen Theil / der zu Unterhaltung seines Lebens vonnöhten ist. Viel aber unter den Menschen wissen hiervon nichts / und widerstreben den guten natürlichen Neigungen / ja sie verachten ihre Ursachen / welche sie doch billich ergründen solten. Wir wollen zu Beschluß dieses Theils einen Naturkündiger auff den Schauplatz stellen / und von ihm etliche Fragen und derselben Antworten anhören / gleicher Weise als einer vor Jahren einen leeren Kram zu Franckfurt eröffnet / und mit Vorwand / er habe die Weißheit zu verkauffen / keine bessere Waaren als diese gehabt.

2. Warum hat man vor alters nur einerley Speisen auffgesetztt? Antwort.

Weil die Warme deß Magens unterschiedliche Speisen nicht gleicher Weise verdauen und kochen kan; gleich wie in einem Hafen Rindfleisch und Kalbfleisch / gesaltzene Hechte und Salm nicht mit einem Feuer und zu einer Zeit wol gesotten werden können. Hierdurch wird der Magen geschwächt und verbleibt noch etliches roh / und undienliches übrig.

3. Warum haben die kleinen Thiere mehr Hertz / als die grossen? Antwort.

Weil die Hitze in einem kleinen Gefäß besser zusammen gehalten / und viel stärcker ist.

4. Auff wie viel Weise reiniget sich das Gehirn?

Das Gewässer oder die Feuchte dringet durch die Augen das Melancolische durch die Ohren / das phlegmatische durch die Haare / und das Colerische durch die Nasen.

5. Warum werden die Menschen / welche in ihrer Jugend garfett sind / nicht alt? Antwort.

Weil sie kleine Adern haben / die von dem Fleisch und der Fettigkeit gleichsam zusammen gepresset werden / daß die Geisterlein nicht ohne Zwang hindurch wallen / daher kommet / daß die natürliche Hitze von dem Lufft nicht lang erfrischet werden kan und gleich wie ein Liecht das keinen Lufft hat / erlischet.[178]

6. Warum schadet das studieren nach dem essen? A.

Weil die natürliche Hitze nicht zugleich den Magen zu der Deuung / und dem Gehirn zu dem Nachdencken dienen kan.

7. Warum sind die / welche gerne starcke Wein trincken / vielen Kranckheiten unterworffen? A.

Der starcke Wein wärmet nicht / sondern brennt und verzehret die natürliche Hitze / schwächet die Lebern / daß die kein gutes Geblůt kochet / sondern Wasser / darauß die Wasser- und Schwindsucht / sampt andren Kranckheiten und Beschwerlichkeiten entstehen.

8. Warum nisten die Vögel in dem Früling / da sie mager und nicht in dem Herbst / da sie voll und feist sind? A.

In dem Früling ist alles lebhafter / und die Hitze unnd Feuchte gemässigter? in dem Herbst aber sind die Leiber kalt und trocken / und dienet also weniger zu Fortpflantzung der Geschlechte.

9. Warum pflegt man sich auff dem Meer zu brechen / und solches geschihet nicht von lauffen und gehen? A.

Weil die Bewegung auf- und ab / wie in dem Schif unserer natürlichen Bewegung / hinter sich und für sich zuwider ist / und unsren Leibern gantz ungewohnt / dardurch der Magen gleichsam gestürtzet und verunruhet wird.

10. Warum pflegen etliche in dem Schlaf zu schnargen / etliche schlafen ruhig / etliche murmeln / etliche reden auch laut und vernemlich? A.

Der Unterscheid kommet her / theils von der Einbildung / theils von der verschleimten Brust / und auch wol von den Gedancken / mit welchen sie entschlaffen.

11. Warum brennet auß einem weissen Holtz eine schwartze Kolen / oder ein grauer Aschen? A.

Wann die Hitze sich mit der Feuchtigkeit vermischet / so wird die Würckung schwartz seyn / und dieses erweisen die Kolen. Wann nun die Hitze würcket in einem trocken Dinge / so wird es halb weiß / ist es halb feucht / so wird es grau.[179]

12. Warum spielen die Esel mehr mit den Ohren / wann es regnen will / als sonsten? A.

Sie sind / melancolischer Natur / trocken und kalt / empfinden also den angefeuchten Lufft gar leichtlich / und solchen spühren auch andere melancolische Thiere / als die Frösche / die Delhpine / die Raben und Guckuck.


Deß VI. Theils der Lust- und Lehrreichen Geschichte.


ENDE.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. 177-180.
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