(CLII.)
Der ehrliche Bastard.

[193] Vorgesetzte Räthsel wird folgende Geschicht erklären / und ist von der ersten Art / welche wir Eingangs gedacht haben / wir wollen aber ordentlich verfahren / und erstlich den Fall / hernach das erste und andre Urtheil / drittens die Ursachen derselben / und alsdann erwegen / ob der Titel hierzu schicklich oder nicht. Ob wir wol dieser Geschichte auch an einem andern Orte Anregung gethan / soll sie doch hier ümständiger außgeführet werden.

2. Hieronymus Augustus von Montleon / ein Edelmann unferne von Grenoble truge zu Mannlehen Aiguenere / ein Rittergut der Orten gelegen / von dem König in Franckreich / und nach deme er vier Jahre von seinem Weibe Magdalene genannt abwesend / und mit dem Cardinal Valette in Elsaß verreist / auch darinnen todes verblichen / hat besagtes sein Eheweib einen Sohn zur Welt geboren / und weil sie solchem ihres Mannes S. Namen und Lehengüter zu eignen wollen / haben sich ihres Mannes Brüder Adrian und Carl von Montleon widersetzet / und den jungen Emanuel einen Bastard erkennen und gerichtlich außsprechen machen.

3. Bey diesem Urtheil hat es besagte Wittib nit verbleiben lassen / sondern die Sache an den Oberrichter gebracht / der das erste Urtheil durchstrichen / und den benanten Spätling Emanuel von Mandleon / für ein ehliches Kind unnd rechtmessigen Lehenserben / seine Mutter auch für eine ehrliche Frau erkläret. Nach etlichen Jahren aber hat die Sarbona zu Paris / dieses Oberurtheil wieder durchstrichen / und für sich selbsten / ferners Ergernis zu vermeiden / den besagten Emanuel / der zuvor für ehlich hat müssen gehalten werden / für einen Bastard erkläret / dem Parlament zu Grenobel auch einen grossen Verweiß deßwegen zugeschrieben. Ob es nun wol etliche laugnen wollen / und alles für ein Gedicht außgeben / so hat sich doch in ihren Gerichtsbüchern das Urtheil beschriebener[193] massen eingetragen gefunden / unter den Sachen / deß 1637. Jahrs den 13. deß Hornungs / und ist mit dern getruckten Verlauff durch Robertin / einen geschwornen Sachwaltern der Orten gleichstimmig befunden worden.

4. Die Ursachen / welche das Parlament zu Grenoble bewogen / den Emanuel für ein ehliches Kind zu urtheilen ist gewesen / 1. daß Magdalene seine Mutter so kühn / daß sie solche Sache / wider den gemeinen Lauff der Natur beständig bejahen / und zu einem richterlichen Außspruch dörffen gelangen lassen / welches ein Anzeichen / daß sie in ihrem Gewissen versichert / und von keinem andern Manne gewust / als von ihrem verstorbnen Eheherrn / der / wie sie vorgeben / ihr auf einem morgen in dem Traum erschienen / unnd das ehliche Wercke / nach ihrem Beduncken und empfindlicher Belustigung / mit ihr getrieben / daß sie sich von der Zeit an / sonder zuthun andrer Mannspersonen / schwanger befunden / unnd diesen Sohn auf die Welt gebracht.

5. Zum andern sind hierüber vernommen worden Elizabeth Deilberiche / Ludwig in Nacard / Maria von Salles / welche einstimmig außgesagt / daß sie die Magdalene zu Zeit / als sie diese Schwängerūg gespüret / bey ihnen vermeldet und erzehlet / daß sie von keinem Manne wisse / und doch auf der Meinung / und alle Anzeichen eines Kinds in ihrem Leibe spüre: halte darfür / es komme solche aus starcker Einbildung / in vorbesagtem Traum.

6. Hierüber sind auch drittens vernommen worden die Hebammen / Wilhelmin Garnier / Ludwigin von Airraut / Perrette Chaussage / und Maria Laumand / welche außgesagt / daß solches wol seyn könne / und daß auch ihnen dergleichen widerfahren / in deme sie bey Abwesen ihrer Männer / durch eine starcke Einbildung in dem Schlaffe geschwängert worden / und Kinder zu der Welt geboren / die theils noch im Leben.

7. Viertens hat man über diesen Fall die Artzney Verständige zu Raht gehalten / Ludwig Sardine / Peter Meraude / Jacob Grassie / und Elenor von Belleval vornehme Lehrer der Artzney zu Montpellier / welche alle auch behauptet /[194] daß ein solcher Fall sich natürlicher Weise zutragen könne. Zu deme soll es bey den Türcken Weibern / welche in dem Frauenzimmer an der Ottomannischen Porte verschlossen sind / nichts neues seyn / und auch eine Insel gefunden werden / da die Affen alle weibliches Geschlechtes / etc.

8. Im Gegensatz hat die Sorbona betrachtet / daß hierdurch deß Herrn Christi Geburt verunehret / und Maria dergleichen Einbildungen auch beygemessen werden könte; ja daß sich alle leichtfertige Dirne hierauf beziehen würden / und ihren starcken Einbildungen beymessen / was sie von ihren Bulen empfangen. Das Weib hat zwar ihren Samen und was zu der Nahrung der Frucht vonnöthen; solcher aber kan nicht fruchten / es werde dann deß Mannes Samen gebührlich darmit vermischet / gleich wie der Acker den Safft und die Fähigkeit hat / eine Frucht hervor zu bringen / solche aber ist ein Unkraut / (mit den Gewächsen oder molis verglichen) das nit nutzen kan / ohne die eingesenckte Besämung.

9. Alle Naturkündiger messen dem männlichen Samen die Gestaltungs Krafft bey (facultatem formatricem) und vergleichen solche mit einem Pitschafft / welches ohne weiches Wachs sein Bild oder Wapen nit eintrucken / dz Wachs auch ohn das Stegel nit gebildet werden kan. Ist also natürlicher Weise nit möglich / daß eines ohne das andre einige vollkommene Frucht / wie Emanuel von Montleon gewesen / durch die bald veränderliche Einbildung zuwegen bringen solte.

10. Es ist bewust daß in Feldmarschal Paners Frauenzimmer eine Dirne sich mit einem Englischen grossen Hunde vermischet / und ein Kind mit einem Hundskopff auf die Welt geboren / vermuthlich ist hierauß eine sondre Straffe Gottes erschienen / und hat diese mit andren Manspersonen kurtz zuvor oder darnach auch zu schaffen gehabt / daß daraus nicht zu schliessen / es habe der Weibliche Samen auch einige Bildnuskrafft / das weiß man wol / daß etliche Weiber ohne ihre Monatliche Zeiten sich verheurathet / unnd Kinder getragen / weil nemlich[195] der Samen in ihnen ohne solche Blumen Frucht bringen kan / daß aber solcher von der Einbildung / die in ehlicher Beywohnung so wol bey dem Mann / als in dem Weibe würcket / solte können vollkommen gestaltet und beseelet werden / diß ist gewißlich nicht zu erweisen.

11. Es ist auch nit glaublich / daß obgemeldte Magdalena von Montleon durch den bösen Geist solte seyn betrogen / und ihr in dem Schlafe männlicher Same beygebracht worden seyn / weil eins Theils der Satan ohne sondre Verhängniß Gottes solche Macht nit gehabt / und der Same in den hin und wieder bringen alle Geisterlein verlohren haben wůrde / an dem Kind auch / sonders Zweiffel etwas teufflisches sich würde gefunden haben / daß aber ein Geist für sich einen Leib solte erzeugen können / ist nicht zu behaubten / noch weniger kan er eine unsterbliche Seele zuwegen bringen.

12. Bey den Türcken giebt es Weiber / welche man Tribaden nennet / die sich mit dem Mann vermischen / und den empfangenen Samen andern Weibern beyzubringen bemühet sind / und sollen zu Zeiten also geschwängert werden: Vielleicht ist es das was dorten Paulus zum Rom. 1. saget / daß Gott die Heyden in ihren Lüsten dahin gegeben / daß Weib mit Weib Unzucht treibe / welcher Verdamniß gar gewiß ist: Ein mehrers hiervon zu melden tragen wir billiches Bedencken / und halten darfür / daß wir keusche Ohren hiermit nicht geärgert / weil wir von den Sachen gehandelt / mit welchen alle Menschen gebohren werden müssen: Hassen aber deß Socratis Meinung / der auf freyer Straffen Menschen pflantzen wollen / wie man ohne Scheue Baumen setzet / oder einen Acker besamet.


Rähtsel.


Ihr Leute rahtet doch / wie nennet man die Frucht /

Die jeden Feind besiegt und jaget in die Flucht?

Wann wan der Flucht geneust / so eilet zu den Hertzen

das Blut / der Mensch erblast / stirbt auch wol in den Schmertzen.


Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. 193-196.
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