(CLXXIV.)
Die Lehn- oder Leyhäuser.

[278] In Welschland ist eine gewisse Art Geld zu verleyhen / welche durch diese Rähtsel bedeutet wird / nemlich also: Einem Kinde / wann es geboren wird / leyhet man hundert Kronen / darvon giebt man keinen Zinß / biß 18. Jahre vorüber; alsdann hat es für hundert / für zweyhundert / für tausend[278] zwey tausend. Stirbt aber das Kind bevor es zu diesem Alter kommet / so bedarff es dieses Geldes nit / und ist die Außsteure / welche man dem Kind mit in das Grab giebet / daß es also den Herleyher thunlich. Der es hingegen entlehnet / der legt jährlich 5. Kronen / die er sonst Zinsse geben muste zurucke / und giebt noch 10. Kronen darzu / so ist die Schuld bezahlet.

2. Nun ist der Rähtsel leicht zu verstehen. Der Samen der dopelt reiche nach 18. Jahren herfür kommet / ist die Abzinsung / welche sich so hoch belaufft / und wann (der Ackermann) das Kind / inzwischen stirbet / auf dessen Namen das Vorlehen geschrieben / so verdirbet auch die Frucht. Nun kan sich nicht fehlen / unter 100. Kindern sterben zum wenigsten 25. oder 30. und so viel hundert Kronen hat man Gewinn / darvon die Diener zu unterhalten. Bodin. l. 6. c. 2.

3. Solcher Lehnhäuser sind sehr viel in Welschland zu Florentz / Luca / Siena / sonderlich aber zu Rom / da solches erstlich von Pabst Clement den VII. angefangen worden 1526. Damit die Dürfeigen und Armen nit mit Wucher übersetzet würden / wie die Junden zu treiben pflegen / und nimmet man mehr nit als 5. oder zum höchsten 6. von dem 100. und giebet etwas weniger / als das Unterpfand wehrt ist.

4. Man erhandelt auch wol ein Leibgeding und giebt einen Alten 20. 25. und noch mehr von hundert hingegen ist seine Haubtsumma mit seinem Tod bezahlet / dieses dienet den jenigen / die keine Kinder haben / und nicht so viel vermögen / daß sie von gebräuchlicher Abzinsung leben könten / das ihrige aber lachenden Erben nach ihrem Tod lassen müsten.

5. Dergleichen haben jüngsthin die Venediger erfunden. Ihrer hundert stehen zusammen / und legt ein jeder hundert Ducaten / daß das Haubtgut hundert tausend Ducaten machet: Von diesem giebt man 5 von hindert / jedoch also / daß der jenigen Zinse / welche das erst Jahr sterben / den andern zuwachse: Das andre Jahr ingleichen / und so fort / daß die Abzinsung der hundert tausend Ducaten auf einen allein kommen kan / der nemlich die[279] andren überlebet / und mit seinem Tod ist die Schuld bezahlet; Daß also bey Mannes gedencken diese Herrschafft die hundert tausent Ducaten mit der Verzinsung abführet / und die Nachkommen mit keiner neuen Schuld beschweret werden / sie aber nutzen inzwischen das Geld.

6. Dieses haben sie noch auf eine Gewinnsüchtigere Art gerichtet / und um die Verzinsung Zettel geben lassen / wie in einem Glückshafen / daß einer / 2. der andre 3. der dritte 8. 9. 10. biß 20. vom hundert bekommen / jedoch länger nit / als so lang er lebt. Nit weniger reiche Leute haben Geld hinein gewagt / und sind zum Theil wol / zum Theil übel zu frieden gewesen / nach den es ihnen geglücket. Die Zettel sind alle zugleich herauß gehoben worden / und ist keiner leer gewesen / sondern was einem ist abgangen / das ist dem andern zugegangen / daß die Obrigkeit mehr nit als 5. vom hundert zu zahlen gehabt.

7. Es ist die Liebe deß Nächsten / das unfehlbare Kennzeichen der Christen / und zu solchem Ende sind diese Berge der Gottesfurcht aufgerichtet worden: massen die Berge / fast von allen Völckern / zu den Opfern erwehlet worden / weil sie vermeinet / sie weren darauf Gott und dem Himmel näher. Weil nun solches guthertzige Darleiher zu der Armen Trost und Nothhülffe gestifftet / hat man solche montes Pietatis, oder Berge der Gottesfurcht genennet.

8. Weil aber ohne Versicherung / Geld herzuschiessen nit rahtsam / und die Armen keine liegende Güter zu verpfenden haben / nimmet man von ihnen an / was sich offt in dem Aufhalten nicht aufhalten lässet. Ihr fahrendes Haab alsobald zu verkauffen / ist ihnen auch nicht zu rathen / und deßwegen mit solchem Vorschuß geringer Mittel ist vielen zu Zeiten gedienet.

9. Es wäre zwar zu wünschen / daß man denen Armen Geld leihte / bey welchen man nichts wieder zu hoffen / nach dem alten und neuen Testament / der gewissen Zuversicht daß Gott solches wieder reichlich erstatten wird: Es finden sich aber gar wenig / welche diesen Bürgen trauen wollen.[280] Unser Herr Gott hat den Juden verbotten / von ihren Brüdern zu wuchern / wie auch den Armen und Knechten das siebende Erlaß Jahr zum besten verordnet. Heut zu Tage aber sind die Juden die ärgsten Schinder / jedoch nicht unter sich / sondern gegen die Fremden.

10. Der Wucher wird auf Hebreisch (neschhech) ein Biß genennet / weil er wie ein Krebs üm sich frisset / und das Gut verzehret / er sey auch so klein als er wil / geschätzet: doch kan ich mit gutem Gewissen einen Antheil von dem Gewinn nehmen / welchen ein andrer mit meinem Gelde machet / und wann er Verlust hat muß ich auch daran tragen / wie die tägliche Erfahrung bezeuget. Viel haben dem gemeinen Wesen zum besten ihre Schuldverschreibungen / die sie von ihrer Obrigkeit gehabt / verbrennet / oder doch sich auf ein geringes erhandlen lassen.

11. Die Liebe hat drey Stuffen / 1. Schencken / 2. ohne Verzinsung leihen / und dieses beedes ist fast abgekommen / weil es einem Theil verächtlich / dem andern nachtheilig. 3. Auf geringe Verzinsung leihen / daß man auch Christlich nennet und eine Wolthat ist dem / der deß Geldes vonnöthen hat. Der Glaubiger muß es auch mit der Zeit so genau nit nehmen / sich gegen dem Schuldner nicht murrisch und unfreundlich erweisen / eingedenck / daß man sich an den Armen leichtlich sehr versündigen kan / die ein Stücklein Brots haben / und der es ihnen nimmet ist ein Mörder.

12. Wann man nun den Leuten eine solche Liebe wolte in das Hertz geben / daß sie ihren Nächsten lieben solten / als sich selbsten / so müste man viel eine frömmere Welt suchen / die das Geld weniger liebte als diese. Es sind aber solcher Handlung zweyerley Leute / die Herleiher und Einnehmer: Die Herleiher mögen mit den Reichen so gut abkommen als sie können / wie vorgedacht worden; mit den Armen aber sollen sie handlen nach ihren Gesetzen / welche ihnen die Stiffter / oder die Obrigkeit deß Orts fürschreibet / damit das Absehen dergleichen heylsamen Anordnungen / nit aus den Augen gesetzet werde.[281]


Rähtsel einer Jungfrauen so sie ihrem Vatter aufgegeben.


Mein Vatter gebt mir doch / was ihr noch nie gehabt /

und auch nicht haben könt / so bin ich wol begabt.

Weil kein halbirtes Thier' ist in der Welt zu finden /

such' ich den halben Theil / mit selben mich zu binden.


Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. 278-282.
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