Dritte Szene

[170] DR. MICHEL MANDER im Frack mit Lunica kommt aus der Tiefe in den Weißbuchenplatz. Nee ... macht doch um Gottes willen diesen Lampion aus ... daß man wenigstens eine Stelle in Ruhe hat ...


Er hat den Lampion ausgeblasen und umarmt und küßt Lunica.
[170]

LUNICA empört. Loslassen heißt es ... sonst beiße ich ... ich bin sehr bissig ... loslassen sag' ich ... Sie hat sich plötzlich mit einem Rucke losgerissen und springt zwei Schritte fort. und wenn Sie das Licht nicht sofort anzünden, bin ich fort wie ein Weberschiffchen ...

DR. MICHEL MANDER. Hahahaha ... kleine Ziege ... bleibe doch stehen ... ich gehorche ja schon ...


Er zündet den Lampion wieder an.


LUNICA. Nein nein ... ich habe auch meine Religion ... und nicht wie ein Doktor ... die sind ja frech ... die glauben an gar nichts ... ich werfe mich durchaus nicht so jedem zum Fraße ... ich bin fromm und streng ... und halte auf mich ...

DR. MICHEL MANDER. Hahahaha ... sei fromm ... und sei streng ... das ist sehr löblich ...

LUNICA. Mir ist wahrhaftig gar nicht zum Lachen ...

DR. MICHEL MANDER. Du hütest wohl die mystische Rose ...

LUNICA. Jawohl ... wie das der Meister so herrlich benennt ...

DR. MICHEL MANDER Oooh ... ich denke auch immer an das allersüßeste, glühendste, unschuldigste Röselein ...

LUNICA. Ach ... denken Sie, was Sie wollen ... da kommt doch nichts Lohnendes weiter zustande in so einem Schädel ... der ewig nur Arme und Beine und den ekligen Blinddarm womöglich den Menschen aboperiert ... nein ... nahe haben Sie nicht zu kommen ... mir ist nicht zumute zum Tollheiten treiben ... am wenigsten heute ... Sie haben mich noch nicht weinen gesehen ... ich kann auch weinen ...


Sie schluchzt plötzlich los.
[171]

DR. MICHEL MANDER. Lunica ... Sakrament ... das Heulen ist mir im Tode zuwider ... das ist mir gelinde gesagt die ekelhafteste Funktion am menschlichen Leibe ...


Musik und Stimmenlärm kommen einen Augenblick näher. Dr. Mander legt Lunica den Arm um die Schulter. Beide verschwinden so in die Tiefe.


Quelle:
Carl Hauptmann: Die goldnen Straßen. Leipzig 1918, S. 170-172.
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