Erste Szene

[231] DER STROLCH sitzt bekränzt auf dem Faß. Ein volles Glas in der Hand. Psalmodierend.

Ei, denkt sich die Tochter, 's ist nicht so gefährlich

Mein Moritz als Beelzebub macht sich ja herrlich

Und als sie so dachte, da kam er auch eben,

und rasch hatte sie sich dem Teufel ergeben.

DIE ZIGEUNERIN flüsternd. Halt dein Maul ... schwarzes Schwein ... luß diese Mann schlafen ...

DER STROLCH psalmodiert wieder.

Mein Josua ...

Jetzt liegt er da ...

Grade wie eine

volle Flasche ...

Mein Josua ...

was übrig blieb,

ist Asche ...

ist Asche ...


Er schleudert das volle Glas auf den Boden, wo es zerbricht.


DIE ZIGEUNERIN hart. Schweig ... du kriegst es mit mich zu tun ... das Fest ist aus jitzt ... vertullt ... übernächtigt ... das Herz ist schun leer ... ich denke überhaupt ...[231] du hust das Weltmeer der Gier durchschwummen ... alter Prahler ... du bist der Schlimmste ... ja ... du bist der Schlimmste ...


Der Strolch macht eine Geste des Schlagens mit der rechten Faust.


DIE ZIGEUNERIN. Kumm ja nicht nahe ... du bist der Schlimmste ... hust aus der kuchenden Quelle dich recht übernummen ...

DER STROLCH. Hure ...

DIE ZIGEUNERIN höhnisch. Schimpf du mich Stute ... alter Verbrecher ...

DER STROLCH. Hasse mich jetzt ... hasse mich jetzt ... Haß klingt wie Stahl ...

DIE ZIGEUNERIN. Schieb du auf Fuchssohlen weiter ... elender Bettler ... von der Gnade des tullen Meisters bekränzter Narr ...

DER STROLCH lacht. Wenn du ein Totengerippe wärst, könnte ich mich noch in deine großen Zähne verlieben ... holde Luisa ...

DIE ZIGEUNERIN auflachend. Na ja ... Spargeln wachsen mir auch nicht im Maule ... Zähne wie Pferde ... alte Geschichte ... Plötzlich wütend. nimm Kranz aus die Haare ... ich kann dich nicht sehn jitzt ...

DER STROLCH plötzlich wehleidig. Meine hohe Frau Mutter hat mich einst mit Veilchen und Rosen bekränzt ... als Edelknaben ... da stand ich auf einer Marmorterrasse ... jetzt würgt mich die Reu ...

DIE ZIGEUNERIN höhnisch. Schluchzende Männer ... das ist immer der Schluß ... geschlagen wie Hund, der das Morgenrot anheult ... ich kenn das Lamento ...[232]

DER STROLCH hat sich über das Faß geworfen. Auch ich habe einstmals ins Licht gesehn ... hundertmal hat mich meine hohe Frau Mutter beschworen ... hüte dich vor den Süchten des Lebens ... sie bringen zu Falle ... hüte dich vor dem gierigen Schoße unersättlicher, knotenknüpfender, junger Megären ...

DIE ZIGEUNERIN. Ach ... lächerlich ... du ... su ein alter Sträfling ...

DER STROLCH ohne sich im Ton zu ändern. Hundertmal habe ich einst noch als Schieber und Spieler auf meiner hohen Frau Mutter Erbbegräbnis heiße Gelübde getan ... hab vor dem weißen Marmorengel die Hände blutig gerungen, endlich den Lüsten der Welt zu entsagen ... Er ermannt sich plötzlich. nein ... es gelingt nicht mehr ... schon zu lange ist die Schicksalskugel vergnügt in den Abgrund gehüpft ... auch meine Reue gelingt nicht mehr ... ich blicke nicht mehr zurück ... ich will nicht ... mich rührt kein Menschenwahn mehr ... ich erstürme nicht mehr dieses ewige Nichts ohne je Frieden ... ich habe das Kleid der Abkehr an ... das ganze Menschenvolk ... nicht bloß seine Kloake, das Zuchthaus ... liegt hinter mir ... ich schmecke eure Genüsse nicht mehr ... Wein oder Essig ... nach versoffenen Armenhausweibern ... oder sonstigem, langhaarigem Straßenabschaum habe ich heute nicht mehr Gelüste ... ich wüßte auch nicht mehr, mit welchem Edelmann oder Fürsten ich meine schmutzigen Bettlerdukaten an der Chausseeböschung weiter verspielen sollte ... für die Orgien der Menschengemeinschaft habe ich nicht einmal Mitleid mehr ... all solche Tänze machen mich höchstens wiehern wie Teufel ...


Quelle:
Carl Hauptmann: Die goldnen Straßen. Leipzig 1918, S. 231-233.
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