Vierte Szene


[640] Indem er sich langsam in Bewegung setzt, tritt ein Bote ein und wirft sich vor ihm auf die Kniee.


DER KALIF berührt den Boten.

Auf denn, Pascha von Ägypten,

Erhebe dich.

DER BOTE.

Ich bin der Pascha nicht,

Ich bin sein Bote nur und soll dir melden,

Daß er noch heut erscheint. Er wär schon hier,

Wenn nicht sein Pferd den Hals und er den Arm

Gebrochen hätte!

DER KALIF nimmt sich die Binde ab.

Was ist dies, Vezier?[640]

DER VEZIER.

Der Mensch trat eben ein!

DER KALIF nach einem feierlichen Stillschweigen.

Allah, vergib!

Du kannst nicht irren! – Was gehört zum Pascha?

Ein Mensch! Und der da


Er betrachtet den Boten.


ist kein Tier!


Zum Boten.


Steh auf

Und kehre in dein Paschalik zurück!


Zum Vezier.


Du, fertige den Firman aus!

DER BOTE.

Ich küsse

Die Füße dir!

DER KALIF.

Der Pascha küßt den Rock.

DER VEZIER nimmt den Boten beiseite.

Du kennst des Paschas Pflicht?

DER BOTE.

Wie sollte ich?

DER VEZIER.

Ägypten ist ein reiches Land, die Ernten

Sind höchst ergiebig!

DER BOTE.

Wenn der Nil im Frühling

Den Boden wässert. Doch er tuts nicht stets!

DER VEZIER.

Das gilt uns hier in Bagdad gleich. Wir können

Den Nil nicht strafen, aber wohl den Pascha,

Wenn er den schuldigen Tribut nicht schickt.

Ich selbst war einmal Pascha von Ägypten

Und habe dort ein Hungerjahr erlebt.

Da ging der Zehnte spärlich ein. Was tat ich?

Ich legte eine Steuer auf die Luft!

DER BOTE.

Ich weiß es wohl. Man mußte Scheine lösen,

Und wenn mans unterließ, so wurde einem

Der Mund verklebt, und durch die Nase mußte

Man kümmerlich sein bißchen Atem ziehn,

Bis man der Vorschrift nachgekommen war.

Ich selbst, ich habe damals einen Becher

Verkaufen müssen, der noch aus der Zeit

Der Pharaonen stammte und vom Vater

Stets auf den Sohn vererbt ward.

DER VEZIER.

Ja, das Mittel

War gut, um alte Münzen, alte Teller

Und alten Schmuck ans Tageslicht zu ziehn,[641]

Drum wählte ichs. Dies merke dir. Man fragt

In Bagdad nie, wie dus zusammenbringst,

Wenn du das Geld nur schickst.

DER BOTE.

Ich werd mich treu

Nach deinem Wink verhalten!

DER VEZIER zum Kalifen.

Ich belehrte

Den neuen Pascha über seine Pflicht.

DER KALIF.

Laß ihm auch aus dem Schatz das Nötge reichen,

Damit er einziehn kann, wie sichs gebührt.

DER VEZIER.

Es soll geschehn! Emir!


Ein Emir tritt heran. Der Vezier spricht mit ihm. Der Emir geht mit dem neuen Pascha, dem er viele Ehrfurcht erweist, ab.


DER KALIF.

Jetzt sprech ich Recht!

DER VEZIER.

Noch eins, Herr! Dein Erzähler –

DER KALIF.

Geht, wohin

Es ihm gefällt, und auch mein witzger Kopf!

Was soll mir ihr Tribut noch! Um Fatimen

Erheitrung zu verschaffen, ließ ich mir

Ihn zollen. Selbst erfind ich keine Märchen,

Auch kommt mir niemals etwas in den Sinn,

Was junge Mädchen lachen macht, und lachen

Sah ich Fatime gern. Drum ließ ich mir

In Märchen, Possen, Phantasien und Witzen

Von diesen Bettlern, die nichts andres hatten,

Die Steuer zahlen und ergötzte dann

Mein Kind damit. Doch, das ist längst vorbei.

Nun mag er graben, dieser Dichterpöbel,

Um endlich auch einmal in barer Münze

Dem Schatz gerecht zu werden, wie sichs ziemt.

Wohlan!


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 1, München 1963, S. 640-642.
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