Zweite Szene

[700] ALBRECHT tritt ein. Nun, Freunde? Was sagt ihr zu diesem Morgen, der die ganze Welt vergoldet? Nicht wahr, den hätt man sich nicht schöner bestellen können? Aber, wie steht ihr denn da? Als ob Ihr augenblicklich ins Gefecht solltet und euern letzten Willen noch überdächtet!

NOTHHAFFT VON WERNBERG. Da hoff ich anders auszusehen, obgleich ich keinen Vater mehr habe, der mich wieder heraus haut, wenns zu arg wird, wie Ihr!

ALBRECHT. Ja, das ist wahr, da hab ich einen Vorzug vor Euch. Ich darf dem Tode keck in den Rachen springen, wie die Maus dem Löwen. Noch zwischen Kauen und Schlucken reißt mich der wieder heraus, der mich gemacht hat.

NOTHHAFFT VON WERNBERG. Das habt Ihr bei Alling erfahren![700] Wäre er nicht gewesen –

ALBRECHT. So würde mein erster Kampf auch mein letzter geblieben sein, und ich hätte nie gehört, wie saß die Siegstrompete tönt; was red ich, ich hätte Agnes nie erblickt!

NOTHHAFFT VON WERNBERG. Agnes!

ALBRECHT. O, ich bin ihm Dank schuldig, unendlichen Dank, mehr Dank, wie irgend ein anderer Sohn dem seinigen!

NOTHHAFFT VON WERNBERG. Fühlt Ihrs?

ALBRECHT. Erst seit gestern ganz! Dies Auge, das ich jetzt freiwillig schließen mögte, wie den Mund, wenn er seine Kirsche hat – – gebrochen und mit Sand verschüttet würde es ohne ihn ja längst da liegen, ein Spiegel, der zerschlagen ward, bevor er das Bild noch auffangen konnte, das er festhalten sollte, und dies Herz – – die Stunde wird kommen, wo Ihr mich verstehen könnt, dann mehr! Seht, wenn Euch auch einmal wird, als ob sich Millionen Lippen in Euch auftäten, und alle saugen wollten – wenn Ihr nicht mehr wißt, obs Lust oder Schmerz ist, was Euch die Seele im Wirbel herumjagt – wenn Euch die Brust zerspringen will und Ihr, von Frost und Hitze zugleich geschüttelt, zweifelnd ausruft: doch wohl Lust, ja, wohl Lust, Wollust! und dies dunkle Wort, wie ich, nun auf einmal begreift, indem Ihrs, schwindelnd zwischen Leben und Tod, mit Eurem letzten Atemzug nachschafft – dann – dann! Eher nicht!

NOTHHAFFT VON WERNBERG. Gnädiger Herr – eine Bitte!

ALBRECHT. Was ists?

NOTHHAFFT VON WERNBERG. Stellt Euch Euren Vater einmal vor!

ALBRECHT. Nun?

NOTHHAFFT VON WERNBERG. Aber recht deut lich, mit dem Gesicht, das er hat, wenn er einem einen Wunsch nicht bloß abschlagen, sondern in den Hals zurückjagen will, so daß man ihn, wenn man um Honigbirnen gekommen ist, um Stockprügel anspricht!

ALBRECHT. Gut!

NOTHHAFFT VON WERNBERG. Seht Ihr ihn? So fragt Euch, ob Ihr das vom Spiegel und vom Wirbel und von Lust und Schmerz, und von Leben und Tod vor ihm wiederholen mögtet!

ALBRECHT. Vor ihm? Ja! Ich habe eine Mutter gehabt! Vor Euch? Nicht um die Welt![701]

NOTHHAFFT VON WERNBERG. Eure Mutter war eine Prinzessin von Mailand!

ALBRECHT. Und sollte sie meine Mutter nicht auch geworden sein, wenn sie keine Prinzessin von Mailand gewesen wäre? Sie war das Muster eines Weibes – hätte das nicht genügt?

NOTHHAFFT VON WERNBERG. Ich zweifle! Wenn aber – so würde Euch jetzt nichts mehr hindern, Euch mit dem Engel von Augsburg zu verbinden, denn Ihr würdet Baierns Thron nie besteigen!

ALBRECHT. Nicht, Herr Ritter? Wer weiß! Wer weiß, was geschähe, wenn ich mein Volk zum Spruch aufriefe, wenn ich sagte: Seht, ich soll nicht würdig sein, euch zu beherrschen, weil mein Vater eine eurer Töchter zu sich erhoben hat, eine, die ihm am besten ins Ohr sagen konnte, was euch fehlt! Ich soll nicht würdig sein, euch zu beherrschen, weil die Teilnahme für euch mir von der Mutter her angeboren ist, weil ich euch verstehe, ehe ihr noch den Mund auftut, weil mirs im Blut liegt, euch beizuspringen! Ich soll nicht würdig sein, euch zu beherrschen, weil ich euer Bruder bin! Wer weiß, was sie tun werden, die alten treuen Bavaren, wenn mein Sohn sie dereinst nach Urväter-Weise in einem Eichenhain zusammenruft und so zu ihnen spricht; wer weiß, ob sich dann nicht der letzte Bauer in einen Ritter verwandelt und ob die Sense nicht gegen das Schwert schlägt, daß das ganze deutsche Reich zu wackeln anfängt, und der große Karl zu Aachen in seinem Sarg erschrocken nach der Krone greift!

NOTHHAFFT VON WERNBERG. Gnädiger Herr, verkennt mich nicht! Nothafft von Wernberg kann Euch nicht raten, in den Abgrund zu springen, aber er springt nach, wenn Ihrs tut!

ALBRECHT. Das ist ein Wort! So kommt!


Alle ab.


Baderstube.


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 1, München 1963, S. 700-702.
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