Zwanzigste Szene

[404] MNICZEK.

Die graue Törin!


Ruft.


Küster!

KÜSTER.

Zu Befehl!

MNICZEK.

Verfluchter Hund, ward dirs nicht angesagt,

Daß der erlauchte Zar noch heut die Gruft

Besuchen wird?

KÜSTER.

Nicht als gewiß.

MNICZEK.

Wie kommts,

Daß du sie nicht vorher gereinigt hast?

KÜSTER.

Herr, von den Treppen-Stufen könnt Ihr essen,

So blank sind sie gefegt, und für die Spuren,

Die Ihr entdeckt, steht Euch mein Kopf zum Pfand.

MNICZEK.

Was rühmst du dich, daß du das Haus getüncht,

Wenn du zweideutge Gäste darin duldest?

Der Zar wird dich nicht schelten, wenn die Spinne

Den letzten Flor um alte Särge webt,

Und auch nicht, wenn die Natter dazu pfeift,

Doch wohl, wenn ihn sein eignes Zerrbild äfft.

KÜSTER.

Herr, sagt mir, wo ich fehlte, und ich wills

Sogleich verbessern.

MNICZEK.

Wessen ist die Gruft?

Für wen ward sie gebaut? Für Ruriks Stamm!

Steht das mit goldnen Lettern nicht darüber?

Nun, schlafen lauter Sprossen Ruriks hier?

Begreifst du noch nicht?

KÜSTER.

Ja, ich glaube wohl.

MNICZEK.

So tu, was deines Amts

MARFA.

Herr Woiwod –

MNICZEK.

Erlauchte Zarin, auch um Euretwillen

Schelt ich den Knecht. Hinweg!

MARFA.

Ich bitt Euch sehr –

MNICZEK.

Ihm soll gar nichts geschehn, er ist ja alt,

Doch schmerzt es mich, daß seine Trägheit Euch

Die vielen Tränen kostete. Ich glaubs!

Was mußte Euch nicht ins Gedächtnis kommen,[405]

Als Ihr den Sarg erblicktet! Immer wars

Ein Kind, wenn auch das Eure nicht, das schrecklich

Geopfert wurde, hatte eine Mutter,

Wenn Ihr es auch nicht wart, und schwebte Euch

Mit seiner Todeswunde zwanzig Jahre

Als Euer eignes vor! Ich hätte selbst

Geweint, doch darf sich das nicht wiederholen,

Denn man mißdeutets! – Eile dich! Ein Grab,

So schön mans haben kann, mit Lilien

Bestreut und Rosen, wie es Engeln ziemt,

Nur dies nicht länger! – Gleich erscheint dein Sohn

Und trocknet dir die Tränen ab. Soll der

Lebendige dem Toten auf der Treppe

Begegnen? – Schaff den Sarg hinaus!

MARFA hält den Küster am Rock fest.

Nein! Nein!

MNICZEK.

Unglückliche, was tust du!

ÄBTISSIN.

Weh ihr! Weh!

Jetzt spricht der Himmel durch ihr Herz.

MNICZEK deutet auf die Volks-Gruppen.

Schau hin,

Wie die da stehn und ihre frechen Köpfe

Zusammenstecken! Weißt du, was sie zischeln,

Wenn sie die Achseln ziehn und mit dem Apfel

Des aufgerißnen Auges, rückwärts spähend,

Ihr Esels-Ohr beschießen? Straf sie Lügen,

Sonst wird es Markt-Geschrei.

MARFA.

Wie fürchterlich!

ÄBTISSIN.

Gott, welch ein Tag!

MNICZEK.

Es heißt, den Toten wachsen

Die Nägel noch im Grabe, dieses Kind

Hat Tiger-Krallen, mordet und zerfleischt,

Wenn du es nicht verleugnest, feierlich

Vor aller Welt dich los sagst von dem Schatten,

Der unser aller Blut zu trinken droht

Und doch nicht mehr lebendig wird.

ÄBTISSIN.

Du bist

Der Gouverneur von Moskau, hast Gewalt,

Zu tun, was dir gefällt, wir werden gehn,

Wer hindert dich dann noch?[406]

MNICZEK.

Nein, das ist nicht

Genug, sie selber muß es anbefehlen,

Sonst lacht man jetzt dazu. Und warum nicht?

Sie hat den ersten Schritt getan, wie kann

Sie zaudern bei dem zweiten? Heute segnen

Und morgen fluchen? Eine Stirne salben

Und wieder waschen? Brauchts der Gründe mehr,

So seid gewiß, daß Tod und Leben

Am Ausgang dieser Stunde hängen kann!

ÄBTISSIN.

So ists vielleicht.

MARFA.

O Gott, ich kann ja nicht!

STIMMEN.

Der Zar! Der Zar!


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 2, München 1963, S. 404-407.
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