[404] MNICZEK.
Die graue Törin!
Ruft.
Küster!
KÜSTER.
Zu Befehl!
MNICZEK.
Verfluchter Hund, ward dirs nicht angesagt,
Daß der erlauchte Zar noch heut die Gruft
Besuchen wird?
KÜSTER.
Nicht als gewiß.
MNICZEK.
Wie kommts,
Daß du sie nicht vorher gereinigt hast?
KÜSTER.
Herr, von den Treppen-Stufen könnt Ihr essen,
So blank sind sie gefegt, und für die Spuren,
Die Ihr entdeckt, steht Euch mein Kopf zum Pfand.
MNICZEK.
Was rühmst du dich, daß du das Haus getüncht,
Wenn du zweideutge Gäste darin duldest?
Der Zar wird dich nicht schelten, wenn die Spinne
Den letzten Flor um alte Särge webt,
Und auch nicht, wenn die Natter dazu pfeift,
Doch wohl, wenn ihn sein eignes Zerrbild äfft.
KÜSTER.
Herr, sagt mir, wo ich fehlte, und ich wills
Sogleich verbessern.
MNICZEK.
Wessen ist die Gruft?
Für wen ward sie gebaut? Für Ruriks Stamm!
Steht das mit goldnen Lettern nicht darüber?
Nun, schlafen lauter Sprossen Ruriks hier?
Begreifst du noch nicht?
KÜSTER.
Ja, ich glaube wohl.
MNICZEK.
So tu, was deines Amts
MARFA.
Herr Woiwod –
MNICZEK.
Erlauchte Zarin, auch um Euretwillen
Schelt ich den Knecht. Hinweg!
MARFA.
Ich bitt Euch sehr –
MNICZEK.
Ihm soll gar nichts geschehn, er ist ja alt,
Doch schmerzt es mich, daß seine Trägheit Euch
Die vielen Tränen kostete. Ich glaubs!
Was mußte Euch nicht ins Gedächtnis kommen,[405]
Als Ihr den Sarg erblicktet! Immer wars
Ein Kind, wenn auch das Eure nicht, das schrecklich
Geopfert wurde, hatte eine Mutter,
Wenn Ihr es auch nicht wart, und schwebte Euch
Mit seiner Todeswunde zwanzig Jahre
Als Euer eignes vor! Ich hätte selbst
Geweint, doch darf sich das nicht wiederholen,
Denn man mißdeutets! – Eile dich! Ein Grab,
So schön mans haben kann, mit Lilien
Bestreut und Rosen, wie es Engeln ziemt,
Nur dies nicht länger! – Gleich erscheint dein Sohn
Und trocknet dir die Tränen ab. Soll der
Lebendige dem Toten auf der Treppe
Begegnen? – Schaff den Sarg hinaus!
MARFA hält den Küster am Rock fest.
Nein! Nein!
MNICZEK.
Unglückliche, was tust du!
ÄBTISSIN.
Weh ihr! Weh!
Jetzt spricht der Himmel durch ihr Herz.
MNICZEK deutet auf die Volks-Gruppen.
Schau hin,
Wie die da stehn und ihre frechen Köpfe
Zusammenstecken! Weißt du, was sie zischeln,
Wenn sie die Achseln ziehn und mit dem Apfel
Des aufgerißnen Auges, rückwärts spähend,
Ihr Esels-Ohr beschießen? Straf sie Lügen,
Sonst wird es Markt-Geschrei.
MARFA.
Wie fürchterlich!
ÄBTISSIN.
Gott, welch ein Tag!
MNICZEK.
Es heißt, den Toten wachsen
Die Nägel noch im Grabe, dieses Kind
Hat Tiger-Krallen, mordet und zerfleischt,
Wenn du es nicht verleugnest, feierlich
Vor aller Welt dich los sagst von dem Schatten,
Der unser aller Blut zu trinken droht
Und doch nicht mehr lebendig wird.
ÄBTISSIN.
Du bist
Der Gouverneur von Moskau, hast Gewalt,
Zu tun, was dir gefällt, wir werden gehn,
Wer hindert dich dann noch?[406]
MNICZEK.
Nein, das ist nicht
Genug, sie selber muß es anbefehlen,
Sonst lacht man jetzt dazu. Und warum nicht?
Sie hat den ersten Schritt getan, wie kann
Sie zaudern bei dem zweiten? Heute segnen
Und morgen fluchen? Eine Stirne salben
Und wieder waschen? Brauchts der Gründe mehr,
So seid gewiß, daß Tod und Leben
Am Ausgang dieser Stunde hängen kann!
ÄBTISSIN.
So ists vielleicht.
MARFA.
O Gott, ich kann ja nicht!
STIMMEN.
Der Zar! Der Zar!
Buchempfehlung
»Ein ganz vergebliches Mühen würd' es sein, wenn du, o lieber Leser, es unternehmen solltest, zu den Bildern, die einer längst vergangenen Zeit entnommen, die Originale in der neuesten nächsten Umgebung ausspähen zu wollen. Alle Harmlosigkeit, auf die vorzüglich gerechnet, würde über diesem Mühen zugrunde gehen müssen.« E. T. A. Hoffmann im Oktober 1818
88 Seiten, 5.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.
424 Seiten, 19.80 Euro